Die Foo Fighters veröffentlichten am frühen Samstagmorgen eine schlichte Textkachel in den sozialen Medien, mit der sie die traurige Nachricht überbrachten: “Die Foo-Fighters-Familie ist am Boden zerstört wegen des tragischen und viel zu frühen Verlustes von Taylor Hawkins. Sein musikalischer Geist und sein ansteckendes Lachen werden in uns allen für immer weiterleben. Unser Mitgefühl gilt seiner Frau, seinen Kindern und seiner Familie, und wir bitten darum, ihre Privatsphäre in dieser unvorstellbar schwierigen Zeit im höchsten Maße zu respektieren.”
Zu den Todesumständen von Hawkins machte die Band keinerlei Angaben. Die Foo Fighters waren auf Tour und hätten am selben Abend in der kolumbianischen Hauptstadt Bogotá beim Festival Estéreo Picnic auftreten sollen; noch am 20. März 2022 hatte sie in Argentinien beim Lollapalooza Festival gespielt. Laut lokalen Medienberichten sei der Schlagzeuger tot in seinem Hotelzimmer aufgefunden worden. Hawkins wurde nur 50 Jahre alt. Er hinterlässt eine Frau und drei Kinder.
Oliver Taylor Hawkins wurde 1972 in Fort Worth, Texas geboren und wuchs anschließend im kalifornischen Laguna Beach auf. Als sich Frontmann Dave Grohl 1996 bei den Aufnahmen zu “The Colour & The Shape” (1997) mit dem bisherigen Foo-Fighters-Schlagzeuger William Goldsmith überwarf, wandte er sich für Empfehlungen zu einem Nachfolger an Hawkins. Der damals noch in Alanis Morissettes Liveband aktive Drummer bot sich selbst an und blieb bis zu seinem Tod fester Bestandteil des Weltruhms der Band, in der er zahlreiche Hits wie “Learn To Fly”, “All My Life” und “Best Of You” mitschrieb.
Auch abseits der Foo Fighters war Hawkins umtriebig: Mit seiner Band Taylor Hawkins And The Coattail Riders veröffentlichte er seit 2006 drei Alben, zuletzt 2019 “Get The Money”. Zusammen mit Gitarrist Dave Navarro und Bassist Chris Chaney von Jane’s Addiction gründete er 2021 die Supergroup NHC, bei der Hawkins den Gesang übernahm. Ihre erste EP “Intakes & Outtakes” erschien im Februar, ein Debütalbum wurde bereits aufgenommen und sollte dieses Jahr erscheinen. Außerdem gründete er 2013 die Coverband Chevy Metal, auf die 2014 das Hardrock-Prog-Projekt The Birds Of Satan folgte, das im gleichen Jahr sein einziges Album veröffentlichte. Hawkins arbeitete zudem mit zahlreichen hochkarätigen Rockmusiker:innen zusammen, darunter Coheed And Cambria, Slash und Queen, deren Drummer Roger Taylor zu seinen großen Vorbildern als Schlagzeuger zählte.
2001 lag Hawkins nach einer versehentlichen Heroin-Überdosis zwei Wochen lang im Koma. “Ich glaube nicht, dass es gut ist, so einen Lifestyle zu verherrlichen – wirklich nicht”, sagte Hawkins 2018 im Rückblick auf den Vorfall und eine Zeit wilder Partys. “Ich denke, das ist eine schlechte Message.”
Facebook-Post: Foo Fighters teilen Tod von Taylor Hawkins mit
+++ Opeth haben ihren Song “Width Of A Circle” erstmals als digitale Single veröffentlicht. Zuvor war der Song nur als Teil einer Bonus-EP der Deluxe Version ihres aktuellen Albums “In Cauda Venenum” erschienen. Mit dem Album sind Opeth dann im kommenden Herbst auch für ihre verschobene Tour in Europa unterwegs, Tickets gibt es noch bei Eventim. Zuletzt hatte die schwedische Metal-Band die Trennung von Schlagzeuger Martin Axenrot bekanntgegeben.
Stream: Opeth – “Width Of A Circle”
Stream: Opeth – “Width Of A Circle”
Live: Opeth (2022)
20.09. Wien (AT) – Arena
12.11. Wiesbaden – Schlachthof
14.11. Berlin – Admiralspalast
15.11. Wuppertal – Historische Stadthalle
21.11. Zürich (CH) – Komplex 457
+++ Massive Attack haben ihre anstehenden Konzerte für Mai, Juni und Juli abgesagt. Damit sind auch die Termine in Deutschland betroffen. Grund für die Absage ist die “ernste Krankheit” eines Bandmitglieds. Um wen es sich dabei genau handelt, verriet die Band zunächst nicht. Sie gaben jeodoch gleichzeitig Entwarnung: “Wir freuen uns, sagen zu können, dass [die Person] sich nun erholt. Dieser Prozess ist positiv, aber auch eine Herausforderung und dauert an […].” Zu Nachholterminen oder der weiteren Gültigkeit der Tickets machten Massive Attack noch keine Angaben. Die britische Trip-Hop-Band hatte mit “Eutopia” im Juli 2020 noch eine EP veröffentlicht.
Instagram-Post: Massive Attack sagen Konzerte im Sommer ab
+++ Das Label COP International hat eine Coverversion des Beatles-Songs “Come Together (We Will Stop You)” geteilt. Der Song wurde von der extra dafür einberufenen Supergroup Lifeline International mit dem Queen-Klassiker “We Will Rock You” gemixt. Zu der Supergroup gehören unter anderem Bill Gould (Faith No More), Richard Kruspe (u.a. Rammstein), Chris Connelly (u.a. Ministry) und Roger Miret (Agnostic Front). Ziel der Aktion ist nicht nur Aufmerksamkeit für die Menschen in der Ukraine und in Osteuropa zu generieren, sondern auch Geld zu sammeln. COP International möchte alle Einnahmen aus dem Verkauf des Songs an UNICEF spenden. “Come Together (We Will Stop You)” kann via Bandcamp erworben werden. Der Mindestspendenbetrag liegt dabei bei einem Euro.
Stream: Lifeline International – “Come Together”
+++ Meshuggah haben eine weitere Single aus ihrem kommenden Album “Immutable” geteilt. “I Am That Thirst” ist damit der dritte Vorgeschmack auf das insgesamt neunte Studioalbum der schwedischen Prog-Metaller. Zuvor waren bereits die beiden Songs “The Absymal Eye” und “Light The Shortening Fuse” erschienen. Im Mai sind Meshuggah mit Zeal & Ardor auch auf ausgedehnte Europatour, allerdings hat die Band alle Termine in Deutschland aufgrund der “anhaltenden Unsicherheit im Zuge der Pandemie” abgesagt. “Immutable” erscheint am 1. April über Nuclear Blast und kann weiterhin vorbestellt werden.
Stream: Meshuggah – “I Am That Thirst”
Stream: Meshuggah – “I Am That Thirst”
Live: Meshuggah (2022)
20.05. Wien – Arena
21.05. Zürich – Samsung Hall
22.05. Esch/Alzette – Rockhal
+++ Kurt Vile hat die nächste Single aus seinem kommenden Album “(Watch My Moves)” geteilt. “Mount Airy Hill” ist nach “Hey Like A Child” und “Like Exploding Stones” die dritte Vorabveröffentlichung des Slacker-Rockers. Im nun veröffentlichten Song überwiegen eine nachdenkliche Stimmung und Gesang sowie ruhige Gitarren. Im mitgelieferten Musikvideo sieht man Vile entspannt durch die Straßen skaten und im Wald eine gewisse von Form von Halluzinationen erleben. “(Watch My Moves)” erscheint am 15. April und kann weiter vorbestellt werden. Im September ist Vile damit auch für zwei Konzerte in Deutschland, Tickets gibt es bei Eventim.
Video: Kurt Vile – “Mount Airy Hill”
Stream: Kurt Vile – “Mount Airy Hill”
Live: Kurt Vile (2022)
12.09. Köln – Gloria Theater
15.09. Berlin – Huxleys
+++ Konstantin Gropper alias Get Well Soon hat ein Video zu “My Home Is My Heart” veröffentlicht. Im Video des Synthpop-Songs sieht man Cropper in einem pinken Anzug durch Wälder und Wiesen rennen, um vor großen, haarigen Lebewesen mit federgeschmückten Masken zu fliehen. Der Song ist Teil seines aktuellen Albums “Amen”, das heute über Virgin/Universal erschienen ist. Im April und Mai wird Get Well Soon außerdem auch Auftritte in de deutschsprachigen Ländern haben. Tickets dafür gibt es bei Eventim.
Video: Get Well Soon – “My Home Is My Heart”
Stream: Get Well Soon – “My Home Is My Heart”
Live: Get Well Soon (2022)
21.04. Winterthur – Salzhaus
22.04. Dornbirn – Dynamo Festival
23.04. Wien – Wuk
24.04. München – Muffathalle
26.04. Berlin – Huxley’s Neue Welt
27.04. Hamburg – Grünspan
28.04. Köln – Gloria
29.04. Frankfurt/Main – Zoom
07.05. Bochum – Zeche
08.05. Stuttgart – Im Wizemann
+++ Snail Mail hat zusammen mit ihrer Band die Smashing Pumpkins gecovert. Nachdem ihre ursprünglich geplante Tour wegen einer Stimmband-OP verschoben werden musste, spielte die Singer/Songwriterin kürzlich auf dem Treefort Music Festival in Idaho. Dort coverte sie mit ihrer Band den Smashing Pumpkins-Hit “Tonight, Tonight” vom Album “Mellon Collie And The Infinite Sadness” (1995). Zum ersten Mal konnte Snail Mail auch Tracks aus ihrem aktuellen Album “Valentine” (2021) vor Publikum spielen. Im Juni steht die Band auch in Deutschland auf der Bühne. Tickets können über die Webseite der Künstlerin erworben werden. Auf Instagram gibt es einige Aufnahmen des Auftritts auf dem Treefort Music Festival zu sehen. Dort zeigte Snail Mail auch einen Ausschnitt auf ihre Version “Tonight, Tonight”.
Instagram-Post: Snail Mail beim Treeford Music Festival
06.06. Köln – Gebäude 9
07.06. Hamburg – Knust
13.06. Berlin – Columbia Theater
14.06. Dresden – Groove Station
15.06. München – Ampere
18.06. Zürich – Bogen F
+++ Bilderbuch haben ihre neue Single “Baby, dass du es weißt” mit Musikvideo geteilt. Das zeigt die Band beim Spielen des Songs in vielen verwackelten Aufnahmen und mit unterschiedlichen Farbfiltern. Der Song ist damit bereits die siebte Vorabsingle ihres kommenden Albums “Gelb ist das Feld”. Zuvor erschienen unter anderem die Doppelsingles “Nahuel Huapi” und “Daydrinking” sowie “Schwarzes Karma” und “Auf und Ab”. Das Nachfolgealbum von “Vernissage My Heart” wird am 8. April via Maschin/Universal veröffentlicht. Ab April geht die Indiepop-Band außerdem auch auf Tour. Tickets für ein paar der Shows gibt es auf der Bilderbuch-Webseite.
Video: Bilderbuch – “Baby, dass du es weißt”
Stream: Bilderbuch – “Baby, dass du es weißt”
Live: Bilderbuch (2022)
08.04. Hamburg – Elbphilharmonie | ausverkauft
10.04. München – Philharmonie | ausverkauft
11.04. Berlin – Philharmonie | ausverkauft
19.04. Wiesbaden – Kurhaus
20.04. Köln – Philharmonie | ausverkauft
21.04. Salzburg – Großes Festspielhaus
22.04. Linz – Brucknerhaus | ausverkauft
24.04. Zürich – Kaufleuten
05.05. Wien – Arena Open Air | ausverkauft
06.05. Wien – Arena Open Air | ausverkauft
07.05. Wien – Arena Open Air
30.06. Graz – Schlossbergbühne Kasematten | ausverkauft
22.07. Graz – Schlossbergbühne Kasematten
+++ Einem Schwerkranken schlägt man keine Wünsche ab, erst Recht nicht wenn er sich Tool wünscht. So oder so ähnlich könnten die Gedanken der Pflegerkräfte und Angehörigen eines ALS-Patienten in den USA gewesen sein. Der 36-Jährige Patient kann mit einer neuen Technologie (etwa ein Buchstabe pro Minute) mithilfe seiner Gedanken Sätze formulieren. So wünschte er sich zum Beispiel umgelagert zu werden, konnte die Liebe zu seinem Sohn ausrücken oder eben auch den Wunsch “das Album von Tool laut zu hören”. ALS ist eine schwere Erkankung des Nervensystems. Im Laufe der Krankheit sterben Nervenzellen im Rückenmark und Gehirn ab, was zu Muskelschwund, Lähmungen und Spasmen führen kann. Die geistige Leistung und Denkfähigkeit bleiben davon aber unberührt. So konnte der Patient “Fear Inoculum” hoffentlich so gut es geht genießen.
Äußerlich haben sich Placebo in den letzten zehn Jahren durchaus verändert: Die Band ist zum Duo geschrumpft. Musikalisch tut das jedoch nicht so weh, wie man vielleicht denken sollte, denn auch wenn Placebo sich thematisch weiter an Paranoia oder Medikamenten(-missbrauch) abarbeiten, klingt “Never Let Me Go” überraschend frisch. So bekommen die Songs immer wieder überraschende Elemente an die Seite gestellt: Auf “Forever Chemicals” finden sich dabei herrlich dissonante Töne, während “Beautiful James” einen vertraut wirkenden und eingängigen Refrain mitbringt.
Weil Dave Grohl nunmal Dave Grohl ist, hat der Foo-Fighters-Chef einfach mal ein ganzes Metal-Album passend zu seiner Horrorkomödie “Studio 666” aufgenommen. Im Film ergreift die fiktive Band Dream Widow Besitz von ihm, um ihren 40-minütigen Track fertigzustellen. Auf der echten Platte ist dieser dann in acht Songs aufgeteilet, die zwischen Melvins-Sludge, Metallica-Thrash, Slayer-Wut und Black-Metal rangieren – aber immer unverkennbar die Handschrift von Grohl tragen.
Ignite – “Ignite”
Auch wenn sich die Vorzeichen verändert haben, stehen Ignite weiter für meinungsstarken Melodic Hardcore. Auch mit neuem Sänger bleibt der Sound explosiv und weckt sofort bekannte Gefühle aber auch Anspruch und Emotionalität. So widmet die Band “On The Ropes” dem 2016 verstorbenen Joe Bunch.
Als Absent In Body glänzen die (Ex-)Mitglieder von Neurosis, Amenra und Sepultura mit einer monströsen Atmosphäre und intensiven Performances. Obwohl die Genre-Revolution ausbleibt, überzeugen alle Elemente: wuchtige Tribal-Drums, unmenschliches Gekeife, stampfender Sludge, krachender Industrial und gewitztes Songwriting.
Auf “Payan” behandeln Samavayo die großen dystopischen Themen: Zerstörung des Planeten, Rassismus, Gier, Krieg, Einsamkeit. Der Albumtitel bedeutet so viel wie “Ende” – das muss allerdings nicht nur negativ konnotiert sein. Mit harten und brachialen Stoner-Gitarren versprühen Samavayo gleichermaßen ein Alles-wird-gut-Gefühl.
Endlich gelingt es Soul Glo ihren hyperventilierenden Hardcore-HipHop-Hybriden so richtig wirkungsvoll zu präsentieren. Mit der Unterschrift beim legendären Punk-Label Epitaph ist zwar kein bisschen Rotz verloren gegangen, aber durch die aufwendigere Produktion klingen die sozialen Klagen des schwarzen Amerikas umso wirkungsvoller.
Get Well Soon alias Konstantin Gropper zeigt auf “Amen” eine Mischung aus Synth-Pop, Disco-Dreampop und dunkel-nervösem Dance-Rock. Mit Achtsamkeit, Selbstoptimierung und Milliardären im Weltraum trifft er auch mit seinen Themen den Zeitgeist und behält trotz aller Skepsis einen positiven Grundton auf der Platte.
Auf “Cuts” nehmen die Schweden von Port Noir die nächste Entwicklungsstufe. Das Trio besinnt sich auf ihre Stärken aus den Vorgängern und lässt weiter alle möglichen Inspirationsquellen zu. So reihen sich neben den düsteren Gitarren und Bässen auch mal HipHop-Beats oder 80s-Synthies ein, ohne dass das Ganze zu überladen klingt.
In Sachen Reichweite, Setlist und Feature-Gästen hat Machine Gun Kelly das größte Pop-Punk Album dieses Jahr schon sicher. Mit Künstler:innen wie Lil Wayne, Co-Produzent Travis Barker, Bring Me The Horizon und Willow schafft er eine facettenreiche Emo-Nostalgie.
“Black Summer” und “Poster Child”, die ersten beiden Singles vom kommenden Album der Red Hot Chili Peppers, waren relativ entspannte Songs – allerdings stets komplex und mit dieser besonderen Lässigkeit der Band. “Not The One” hingegen ist eine durch und durch ernste Nummer. Anthony Kiedies singt in der ruhigen Ballade von der traurigen Erkenntnis, dass er die Erwartung, eine bestimmte Person für jemanden zu sein, nicht erfüllen kann. “I’m not the person that you thought I was/ I’m not the one you thought you knew”, resigniert er im Song etwa.
Begleitet wird er dabei von Flea, der nicht nur am Bass zu hören ist, sondern auch eine ätherisch-hymnische Melodie am Klavier spielt, während Rückkehrer John Frusciante seine Gitarre immer wieder dezent aufheulen lässt.
Wer bis dahin nochmal in den Chili-Peppers-Klassiker “Californication” eintauchen will, hat mit dem zugehörigen Videospiel eines unabhängigen Programmierers seit Februar endlich eine passende Gelegenheit dazu. Außerdem erhielt die Funk-Rock-Institution erst vor kurzem einen Stern auf dem berühmten “Walk Of Fame” in Hollywood für ihr Lebenswerk.
Visualizer: Red Hot Chili Peppers – “Not The One”
Live: Red Hot Chili Peppers + A$AP Rocky + Thundercat
In der vergangenen Monat im Kino gestarteten Foo Fighters-Horrorkomödie “Studio 666” bekamen es Dave Grohl und Co. während Albumaufnahmen ausführlich mit dunklen Mächten zu tun und fanden sich schnell in einem blutigen Gemetzel wieder. Teil des Plots: die fiktive Metal-Band Dream Widow, der es Jahre zuvor in der verfluchten Studio-Villa genauso erging und die ein “verlorenes” Album hinterließ.
Dieses “verlorene” Album hat Grohl tatsächlich aufgenommen: Nachdem er kürzlich bereits die 80er-Thrash-Attacke “March Of The Insane” präsentiert und anschließend das zugehörige Album angekündigt hatte, kann man nun alle acht Songs streamen, die sich auf gut 42 Minuten Spielzeit erstrecken. Der brutale Death-Metal-Brecher “Encino” oder das von Doom, marschierendem Thrash und Slayer-Raserei getragene, episch lange Schlussstück “Lacrimus Dei Ebrius” geben sich ausführlich der dunklen Seite des Metal hin. Im Mittelteil der Platte spürt man dagegen trotz dissonanten Riffs und viel Spiel mit okkulter Metal-Folklore allerhand Foo-Fighters-Harmonien unter der Oberfläche. Unten hört ihr “Dream Widow” in voller Länge, ein physischer Release soll im Laufe des Jahres folgen.
Es ist nicht das erste Mal, dass Grohl seine Fühler in Richtung Metal ausstreckt: Für sein Probot-Projekt hatte er Anfang der 00er Jahre zahlreiche seiner Idole aus dem Genre um sich geschart und ihnen jeweils einen Song auf den Leib geschrieben.
Mit den Foo Fighters kommt Grohl im Sommer nach Deutschland, Österreich und in die Schweiz, um je eine große Open-Air- beziehungsweise Festivalshow zu spielen, bei der die Band endlich ihr aktuelles Album “Medicine At Midnight” (2021) live vorstellen wird – und vielleicht ja auch ein paar Songs von Dream Widow “covert”. Tickets gibt es bei Eventim.
Album-Stream: Dream Widow – “Dream Widow”
Live: Foo Fighters
08.06. Berlin – Flughafen Tempelhof
10.06. Nickelsdorf – Nova Rock
14.06. Basel – St. Jakob-Park
“Mother Tongue mussten schon so viel bluten, dass ich sie jetzt hiermit heiligspreche. Amen”, schließt der damalige VISIONS-Chefredakteur Dirk Siepe vor 20 Jahren seine Besprechung von “Streetlight” ab. Der Weg zum großen Wurf von 2002 ist für Mother Tongue in der Tat ein qualvoller, an dessen Ende aber ein Album von immenser emotionaler und musikalischer Wucht steht, das insbesondere bei VISIONS-Leser:innen auf große Resonanz stößt.
Ende und Anfang
Mother Tongue sind keine Band wie jede andere. Als sie 2002 “Streetlight” veröffentlichen, ist das nach ihnen selbst benannte Debütalbum bereits acht Jahre alt und die Band zwischenzeitlich aufgelöst. 1990 in Austin, Texas gegründet und stark von der dortigen Blues-Szene beeinflusst, zieht die Band kurz darauf nach Los Angeles, der Heimat von Frontmann David “Davo” Gould. Polizeibrutalität und die Unruhen von 1992, ausgelöst durch die Misshandlung des Afro-Amerikaners Rodney King durch Polizisten des Los Angeles Police Department, prägen landesweit das Bild der Stadt. Währenddessen versuchen die Bands am Sunset Strip wahlweise wie Mötley Crüe und Guns N’ Roses oder 311 und Red Hot Chili Peppers zu klingen. Letztere rekrutieren 1993 Mother-Tongue-Gitarristen Jesse Tobias als Ersatz für den erstmals ausgestiegenen John Frusciante, tauschen ihn aber noch im selben Jahr gegen Dave Navarro von Jane’s Addiction aus. 1994 erscheint das Debüt von Mother Tongue, VISIONS jubelt “große Rockmusik mit Schweiß und Herzblut”.
“Ich finde, das Album ist ‚Psychedelic Noir‘. Wenn man Nacht für Nacht nicht schläft, endet man in diesem traumähnlichen Zustand.”
Davo Gould
Zwei Jahre später sind Mother Tongue nach ausbleibendem Erfolg und Querelen mit ihrem Label Sony schon wieder Geschichte. Gould hangelt sich in der Folge “von Scheißjob zu Scheißjob” und macht solo und als Songwriter Reggae. “Ich habe schon immer Dub und Reggae geliebt”, so Gould, “sie sind so bassgetrieben und reflektieren, was in der Welt passiert.” Auch ohne Offbeats spielt beides für Mother Tongue eine große Rolle, vor wie nach der Reunion. “Wir wurden gebeten, ein Benefiz-Konzert zu spielen”, erinnert sich Gould an die ersten Schritte der Wiedervereinigung. “Und als wir zusammen probten, war er wieder da, dieser Funke, wenn Christian, Bryan, Geoff und ich zusammenspielen.”
Der Wille zur Reunion ist da, dennoch knabbert die Band an den gleichen Problemen, die zur Auflösung führten – hauptsächlich dem inneren Druck der Mitglieder und den Erinnerungen an die herbe Enttäuschung nach dem Debüt und dem ausbleibenden künstlerischen Durchbruch. Schlagzeuger Geoff Haba verlässt Mother Tongue während der Arbeiten an neuem Material endgültig. Es ist erst der Anfang eines anstrengenden Prozesses. “CRMBL”, “F.T.W.” und “Trouble Came” sind die ersten Songs, die entstehen und geben die Marschrichtung für die Platte vor: etwas weniger Blues, dafür mehr Emotion, mehr Härte und noch mehr Dunkelheit.
“Wir haben diese Songs überall aufgenommen, wo wir konnten”, erzählt Gould, der damals auch seine ersten Erfahrungen mit digitalen Aufnahmen und zu dieser Zeit noch eher primitiven Programmen wie Cubase und Pro Tools macht. Ganze Nächte hindurch arbeitet die Band in den über Los Angeles verstreuten Häusern der Mitglieder, aber auch in den Häusern der befreundeten Schauspieler (und Scientologen) Giovanni Ribisi (“Avatar”) und Jason Lee (“Almost Famous”). Wohlgemerkt: während alle ihren Jobs nachgehen und Gould zwei Kinder zu versorgen hat – ein drittes ist zu dem Zeitpunkt bereits unterwegs. Das zehrt an den Kräften aller Beteiligten, Gould zieht sich während der Aufnahmen innerhalb eines Jahres zwei Lungenentzündungen zu, die Beziehung von Gitarrist Christian Leibfried gehört ebenfalls zu den Opfern der nächtlichen Sessions.
Dennoch bleibt die Band ausdauernd und nimmt weiter auf, wann und wo immer sie kann. “Durch die primitiven Heimaufnahmen und die stetig wechselnden Orte haben die Aufnahmen ein Eigenleben entwickelt”, so Gould. Mal werden die Songs schneller, mal langsamer. Die Band selbst findet erst während des Aufnahmeprozesses zusammen. Gemachte Fehler führen oft zu neuen Ideen, die prompt umgesetzt werden. “Wie alle Mother-Tongue-Songs haben sie etwas von einem Exorzismus. Ein Herauslassen von Emotionen.” So folgt die Band mit “Streetlight” keinem bestimmten Plan, weiß selbst nicht genau, was sie eigentlich will. “Wir wussten nur, wir müssen dieses Album fertigmachen. Und dann müssen wir es live spielen. Wir haben es für uns selbst gebraucht, und wir haben festgestellt, dass es anderen Leuten auch so geht.”
Psychedelic Noir
“Streetlight” ist, den Umständen der Produktion entsprechend, ein Album, das eher nach Nacht denn nach kalifornischer Sonne klingt. “Es gibt ein L.A. bei Tag und ein L.A. bei Nacht”, erklärt Gould. “Klar, hier gibt es viel Sonne und Palmen und Strand, aber bei Nacht herrscht hier eine ganz andere Atmosphäre. Die Bands mit denen Bryan [Tulao, Gitarrist] und ich hier aufgewachsen sind, von The Doors zu X und Jane’s Addiction, Black Flag und Circle Jerks sind so wie wir von dem ‘Erlebnis L.A.’ geprägt.”
Auch wenn Mother Tongue in Texas gegründet wurden, auf “Streetlight” hört man eine L.A.-Band mit einem L.A.-Album. War “Mother Tongue” 1994 noch stark vom Blues in Austin beeinflusst, besinnt sich die Band für ihr zweites Album auf die eigenen Punk-Wurzeln in Südkalifornien: “Ich spiele keine San-Francisco-Musik, ich spiele keine New-York-Musik – ich spiele L.A.-Musik”, so Gould. Zwar fühlt er sich wohl damit, dass Mother Tongue in keine Genre-Schublade so recht passen wollen, insbesondere in Bezug auf “Streetlight” sieht er den Sound der Band allerdings als eine Mischung aus The Doors und Black Flag: “Es ist psychedelisch, dramatisch, gleichzeitig offen und explosiv.” Weitere Sound-Inspiration findet die Band in Queens Of The Stone Age, die zur gleichen Zeit mit ihrer Arbeit an “Songs For The Deaf” zu neuen Höhenflügen ansetzen.
Die ganze Kraft der Musik, verkörpert von einer Band: DSänger und Bassist Davo Gould live mit Mother Tongue. (Foto: Christian Jakubaszek/Getty Images Entertainment/via Getty Images)
“Streetlight” ist zwar kein Konzeptalbum, dennoch zieht sich Los Angeles bei Nacht wie ein roter Faden durch die Platte. Insbesondere die Gefahren, Versuchungen und Schattenseiten, die Gould als Heranwachsender aus erster Hand erlebte. “Ich finde, das Album ist ‘Psychedelic Noir'”, bringt es der Frontmann auf den Punkt. “Wenn man Nacht für Nacht nicht schläft, endet man in diesem traumähnlichen Zustand.” Auf “Nightbirds” hört man Polizeisirenen und Helikopter, damals regelmäßiger Teil der nächtlichen Klanglandschaft. An anderer Stelle blitzen immer wieder die “Nebenwirkungen” der Heimaufnahmen auf. Auf dem folkigen “Modern Man” hört man im Hintergrund Goulds Kinder spielen, seinen Schwager rufen und Hunde bellen. “Ich wünschte, mehr Alben hätten diese ‘Tapisserie des Lebens’, fast wie Field Recording”, so Gould über die Tatsache, dass Umgebungsgeräusche mit der Musik zu einem Gesamtkunstwerk verschmelzen. “Für mich ist dieses Album ein Field Recording der Emotionen.”
City Of Angels
Insbesondere für die Texte spielt Los Angeles in der aufgeheizten Atmosphäre nach dem 11. September 2001 eine große Rolle. “It was the evolution of a city/ The concrete groaned savings and loans were overdrawn”, heißt es im Opener “CRMBL”. Tief im Mix verbirgt sich dabei ein Sample eines Gospelchors, das perfekt zur “messianischen, postapokalytpischen Energie” der Songs passt. Ähnlich düster zeigt sich auch der Album-Abschluss “Stars”: “In the city, city of cars/ Faces wear faces/ And the windows wear bars.” In der Autofahrer-Stadt Los Angeles ist man nie man selbst, aus Angst vor Einbrüchen dominieren vergitterte Fenster das Erscheinungsbild in Wohngegenden, die keine Gated Communities sind. Es sind diese Bilder, die die Band eindrucksvoll über hypnotische Gitarren zeichnet, die einen großen Reiz von “Streetlight” ausmachen. Mit “Trouble Came”, nach dem sich auch 16 Horsepower die Finger geleckt hätten, und “Casper” verarbeitet Gould hingegen bedrückende Erinnerungen seiner Jugend in der “Stadt der Engel”.
Die namensgebende Figur in “Casper” ist zwar fiktiv, basiert aber auf einem Jugendfreund von Gould, der im Alter von 16 Jahren in einem Park in West Los Angeles ermordet wurde. Mit wenigen, perfekt gewählten Worten spannt er dabei von seiner eigenen Vergangenheit den Bogen zu allen, die ihm zuhören: “Everybody knows somebody dead, who should be alive.” Die Texte entstehen – fast in HipHop-Manier, als stream-of-consciousness, in dem Gould auf tiefliegende Emotionen zugreift – zu den größtenteils bereits fertigen Stücken. Zwischen düsterer Lyrik, wuchtigen Gitarren, melancholischem Alternative Rock, sowie Blues, Stoner- und Punkrock, klingt “Streetlight” nach mehr als der Summe seiner Teile. Von den ruhigsten und in sich gekehrten Passagen zu den heftigsten Ausbrüchen – das an einen Noir-Film erinnernde Gefühl ist immer vorhanden und dient als Bindeglied zwischen unterschiedlichen Stilen und Stimmungen. Und auch wenn Songs wie “He’s The Man” oder “Greed” an eine fiesere Version von Jane’s Addiction und Red Hot Chili Peppers erinnern, ist das Album dadurch so eigenständig wie nur wenige Platten 2002.
Unter der Ägide von Gitarrist Leibfried produziert die Band “Streetlight” mit inzwischen museumsreifem Equipment aus der Frühzeit der digitalen Aufnahmetechnik selbst. Dass das Album zum kleinen Meisterwerk wurde, verdanken Mother Tongue auch einigen alten und neuen Weggefährten, die stets an die Band glauben. Wie bereits beim Debüt arbeiten Mother Tongue mit dem brasilianisch-amerikanischen Produzenten Mario Caldato Jr. zusammen, dessen Arbeit an “Check Your Head” von den Beastie Boys insbesondere Gould tief beeindruckt hat. Ursprünglich nur zum Mischen einbestellt, feilt Caldato gemeinsam mit der Band an Sequenz, Interludes und Effekten, wie etwa dem verzerrten Gesang in “Casper”. “Er hat wirklich gut die emotionale Landschaft, in der wir uns bewegt haben, festgehalten”, erklärt Gould. Das Led Zeppelin-eske “Nightmare” wurde von Keith “Keefus” Ciancia, dem langjährigen Keyboarder von Everlast, mit Synthesizern veredelt, die klingen, als würden sie rückwärts abgespielt. Ciancia selbst wird Jahre später an der Seite von T Bone Burnett die Musik zu Serienhits wie “True Detective” komponieren und als Instrumentalist mit Leuten wie Noel Gallagher und Elton John im Studio arbeiten.
Gemeinsamer Durchbruch
Auf der anderen Seite des Planeten sucht Arne Gesemann, Gründer von Noisolution, nach der Reunion den Kontakt zu Mother Tongue und veröffentlicht schließlich das neue Album. “Wir haben so sehr einen Fürsprecher gebraucht, und er glaubte an uns”, erinnert sich Gould. “Wir wussten nicht, worauf wir uns einlassen, aber wir waren überrascht von der Resonanz in Deutschland, das uns damals immer noch sehr fremd war.” Bei VISIONS sind Dirk Siepe und Michael Lohrmann sowieso schon von der Band überzeugt, weshalb “Streetlight” in Deutschland mit einem “Empfohlen von VISIONS”-Sticker auf dem Cover erscheint. Trotz der Unterstützung bleibt das Album ein Herzensprojekt der Band – eher “No Budget” als “Low Budget”. “Ich bin sehr stolz, dass wir dieses Album gemacht haben, ohne Budget. Von allen Alben, die wir gemacht haben, ist “Streetlight” am stärksten nur zum Selbstzweck entstanden. Es ging nur darum, Musik zu machen”, blickt Gould zurück.
Die anschließende Rezeption des Albums überrascht die Band selbst und fühlt sich für Gould wie ein Traum an. “Ich habe mich fast gefühlt, als wäre ich in einer romantischen Komödie oder sowas”, gibt er lachend zu Protokoll. Hängt er zu Hause in Los Angeles gewissermaßen in den Seilen, während er versucht, seine Familie zu ernähren, hat er in Deutschland Fans. Fans, denen Mother Tongue die Live-Macht der “Streetlight”-Songs demonstrieren, die sich, obwohl anders, gut mit den Songs des Debütalbums kombinieren lassen. Auf der zweiten Tour zu “Streetlight” stößt Schlagzeuger Sasha Popovic dazu und komplettiert das bis heute bestehende Line-up. Für Gould stellt sich außerdem heraus, dass jede Show, ob nun vor zehn oder zehntausend Fans, in einem transzendierenden Moment endet.
“Bei Songs wie ‘F.T.W.’, ‘CRMBL’ oder ‘Casper’ kanalisiere ich meine eigenen Erfahrungen, meine eigene Trauer, aber auch den Glauben an das Leben und nehme über Blicke den Kontakt mit dem Publikum auf”, sagt Gould, “und das war eine stetige Erinnerung: Um genau das geht es hier! Ein Durchbruch innerhalb der Musik!” “Streetlight” ist für den Frontmann der Katalysator zum Erreichen eines gemeinsamen Bewusstseins von ihm, seinen Mitmusikern und den Fans. Und 20 Jahre später ein Quell der Zufriedenheit und ein Symbol für die Unverwüstlichkeit von Mother Tongue. Für Gould ist es die Platte, die Mother Tongues Sound und Erfahrung am besten auf den Punkt bringt. “An unsere Fans in Deutschland, wenn ihr das hier lest”, schließt er, “ich spreche für die Band, wenn ich sage, ihr und euer Glaube an uns und unsere Songs wart und bleibt unsere Rettungsleine.”
Als Musiker oder Musikerin auf Tour kennt man dieses Phänomen zur Genüge. Zwischen den Konzerten gibt es zumeist zwei Dinge im Überfluss: Alkoholische Getränke. Und Freizeit. Manchmal sorgt das für Langweile oder Stress, ein anderes Mal halten härtere Substanzen Einzug. Und dann gibt es da diese Momente, aus denen etwas Neues entsteht, so wie anno 1994, irgendwo an der US-Westküste. “Ich war auf US-Tour mit Entombed“, erinnert sich Nicke Andersson, per Zoom aus Stockholm zugeschaltet. “Als Drum-Roadie war Dregen mit dabei, wobei das weniger ein Roadie-Ding war, sondern weil wir halt Freunde sind. Es ging um den gemeinsamen Spaß. Die Sache mit der Band passierte eher zufällig. Wenn man jung ist, dann können solche Schnapsideen sehr schnell eine ungeheure Dynamik entwickeln. Es wird Bier getrunken, über neue Bands fantasiert, spontan gründet man eine. Oft wird daraus nichts, aber diesmal war es anders.”
Den Bandnamen gibt es schon, da sind Nicke und Dregen noch nicht einmal wieder zuhause. Als die beiden in San Francisco eine Zeitung in die Hände bekommen, ist in einem Artikel die Rede von der CIA und ihrer Jagd auf Drogenhändler. Zum Einsatz kamen dabei auch Hubschrauber, von den Mexikanern verächtlich “Hellacopters” genannt. Beim Schriftzug, bis heute eines der emblematischen Logos der jüngeren Rock-Historie schlechthin, lässt sich Nicke von Roky Erickson inspirieren. “Creature With The Atom Brain”, der Titel eines seiner Songs, ist auch der Filmtitel eines 50s-Gruselschockers, das Wort “Creature” dabei im typischen Horrorcomic-Stil geschrieben, wie gemacht für einen Band-Schriftzug.
Schlüpfer, Schnaps und Rock’n’Roll: Die Hellacopters in ihren frühen Tagen. (Foto: Johan Bergmark)
“Jello Biafra meinte, es hätte ihm gut gefallen, wir hätten nur zu viele Gitarrensolos.”
Nicke Andersson
Zurück in Schweden geht es Schlag auf Schlag, die musikalische Geistesverwandtschaft zwischen Dregen und Nicke befeuert das Ganze. “Als wir uns kennenlernten, konnten wir uns auf zwei Bands einigen: Kiss und die Sex Pistols, das waren die Haupteinflüsse, das war die Saat. Schräg natürlich bei den Pistols, dass deine Lieblingsband nur ein Album veröffentlicht hat. Da wird es schwierig mit dem Sammeln. Aber es ist halt so: Wenn du ein Album gemacht hast, das rundum so perfekt ist, dann brauchst du kein zweites.” Was die Besetzung angeht, verschwendet Andersson und Dregen auch keine Zeit. Kenny Håkansson, ein guter Kumpel, soll den Bass übernehmen, Robert Eriksson die Drums. Dass die beiden quasi vor vollendete Tatsachen gestellt werden, ist kein Hindernis, im Gegenteil. Die Proben beginnen sofort, ganze drei Mal trifft sich das Quartett, dann geht es an die Aufnahmen zur ersten Single, der erste Gig eine den Umständen entsprechend kompakte Nummer: “Es war Silvester 94/95, das war sicher nicht besonders toll, aber es hat Bock gebracht. Wir hatten ja nur drei Songs. Die haben wir gespielt, dazu noch auf einem Riff gejammt, aus dem später “Born Broke” vom ersten Album entstand. Wir wollten einfach nur Krach machen. Und wir wollten keine Zeit verschwenden, wir waren total heiß.”
Gesagt, getan: Kurz darauf erscheint die Debütsingle “Killing Allan”, gefolgt von “1995” im selben Jahr. Eine erste kleine Tour führt die Hellacopters schließlich durch Europa, zunächst stehen Shows in Holland an, später die ersten Gigs in Deutschland. Die Venues sind klein, das Publikum übersichtlich. “Wir spielten manchmal vor fünf, sechs Leuten. Wir schliefen in irgendwelchen Backstage-Räumen, alles nicht besonders luxuriös, aber es war natürlich trotzdem cool”, sagt Nicke Andersson über diesen ersten größeren Trip mit den Hellacopters.
Mit “Supershitty To The Max!” erscheint im Juni 1996 das Debüt, zunächst auf durchsichtigem Vinyl, die Auflage übersichtliche 500 Exemplare. In Schweden ist es sofort Liebe, die Band fährt aus dem Stand einen Grammis – sowas wie der schwedische Grammy – ein, verweist die Konkurrenz aus Refused, Fireside und Meshuggah auf die Plätze.
Gitarristen-Maschine Dregen live in Action. (Foto: Per Ole Hagen/Redferns/via Getty Images)
Hierzulande erweist sich Köln als erste potenzielle Fanbase. “Nach dem Debütalbum merkten wir, dass der Wind sich dreht. Ich erinnere mich an ein Konzert auf einer Industriemesse in Köln, ich meine, es war im Rahmen der Popkomm. Das schien mir damals die erste Stadt in Deutschland, wo man uns ‘verstand’, da war das Feedback als erstes größer”, so Andersson, dem ein Treffen mit einem ewigen Helden besonders im Gedächtnis geblieben ist. “Jello Biafra war damals unter den Zuschauern. Wir fanden es natürlich großartig, dass Mr. Dead Kennedys sich eine Show von uns ansah. Wir quatschten nach dem Konzert sogar miteinander. Er meinte, es hätte ihm gut gefallen, wir hätten nur zu viele Gitarrensolos. Wir dachten: Oh, cool, Jello mag uns!”
Zwischen Dur und Moll
So schnell die Hellacopters-Maschine aus den Blöcken kommt, so hochtourig läuft die Band weiter. Mit “Payin’ The Dues” erscheint 1997 das zweite Album, die Festivalslots werden größer, unter anderem spielt die Band beim legendären Hultsfred-Festival, zusammen mit Bands wie Gluecifer geht es auf feierintensive Package-Touren quer durch Europa. Die gemeinsame Split-EP trägt den programmatischen Titel “Respect The Rock”.
Wenig später folgt der erste große Einschnitt in der Historie der Hellacopters: Dregen steigt aus. Nicke, der einige Zeit zuvor wiederum Entombed verlassen hat, blickt zurück: “Es gab keinen Stress, im Gegenteil, alles lief prima. Aber Dregen hatte ja auch noch die Backyard Babies. Als die Hellacopters schließlich erfolgreicher wurden, zog das auch die Babies mit nach vorn, wobei man genauso gut sagen könnte, dass sich dieser Effekt umgekehrt vollzog. Auf jeden Fall kam das Ding ab einem bestimmten Zeitpunkt immer heftiger ins Rollen, beide Bands bekamen immer mehr Konzertangebote, unsere beiden Manager hatten jedoch überhaupt keinen Bock darauf, miteinander zu arbeiten, ihnen ging es darum, wer die meisten Shows an Land zieht”, so Andersson. “Dregen wollte am liebsten beides machen und saß damit zwischen den Stühlen. Da die beiden Manager nicht kooperierten, war das einfach nicht machbar. Gleichzeitig wollten wir nicht ewig warten, bis die Backyard Babies wieder zu Hause sind und Dregen mit uns losziehen kann. 1998 gelangten wir also an den Punkt, da er sich entscheiden musste. Natürlich war das traurig, aber es ging nicht anders.”
Es ist schon ein Husarenstück, wie die Hellacopters es im Anschluss schaffen, den Umbau ihrer Band einerseits, das unablässige Touren und weitere Veröffentlichungen andererseits, unter einen Hut zu bekommen. Musiker wie Chuck Pounder von den A-Bombs, ebenso Mathias Hellberg, damals von den Nymphet Noodlers, sind zwischenzeitlich dabei.
Mit Robert Dahlqvist hält schließlich Kontinuität Einzug, auf den Touren zum dritten Album ist er als Gast-Gitarrist dabei, später wird er zum festen Mitglied. Überhaupt “Grande Rock”: Das erste Album ohne Dregen kündigt unterschwellig den Gezeitenwechsel an. Der Sleaze-Faktor rückt in den Hintergrund, die klassischen Trademarks, die die Band bis heute auszeichnen, brechen sich immer mehr Bahn.
Nicke kann es an einem Song festmachen: “Wenn es einen Track gibt, der Richtung Zukunft weist, dann ist es wohl ‘Venus In Force’, da passiert mehr in Moll, zuvor war es hauptsächlich pentatonisch, zwischen Dur und Moll. Ein weiterer Faktor war, dass wir das Studio gewechselt haben. Wie sich die Entwicklung im Detail vollzog, kann ich aber kaum sagen. Man selbst ist einfach nicht objektiv, du bist so vielen Einflüssen ausgesetzt, als Fan, als Musiker, da passiert immer was, das dich inspiriert, ob du es merkst oder nicht. Zudem darf man nicht vergessen, dass ich von Haus aus eigentlich Schlagzeuger war. Ich hatte ja erst angefangen, Gitarre zu spielen und zu singen, das ist damals alles noch am Anfang eines Entwicklungsprozesses. Viele Bands spielen ein paar Jahre, bevor sie ein Album veröffentlichen. Wir haben drei Mal geprobt und direkt eine Single herausgebracht.”
Robert Dahlqvist, Spitzname Strings, wird Teil der klanglichen Evolution. Der hochbegabte Gitarrist, mit blonder Mähne und instinktivem Gefühl für die große Bühne, bringt seinen eigenen Stil mit, eine ganz bewusste Entscheidung, auf ihn zu setzen. “Mit Strings war alles sofort da, wo es sein sollte. Wir hätten ja auch eine Dregen-Kopie anheuern können, aber das wollten wir nicht. Strings war ein ganz anderer Gitarrist. Es ist immer aufregend, wenn jemand Neues in die Band kommt, zu sehen, wie es sich entwickelt, wie der Sound wird. You win some, you lose some.” Und noch eine personelle Änderung steht dieser Tage ins Haus, auch Anders Lindström, Spitzname Boba Fett, ein Multitalent an Klavier und Gitarre, ist fortan fest mit an Bord, nachdem er sich zuvor im On/Off-Modus bewegte und seine Live-Premiere bereits bei den legendären Shows im Vorprogramm von Kiss im Sommer 1997 erlebt hatte.
Das Ding der Stunde
Nur ein Jahr nach “Grande Rock” erscheint mit “High Visibility” (2000) bereits das nächste Album. Es der hitgespickte Auftakt zu einem epochalen Triple, komplettiert durch “By The Grace Of God” (2002) und “Rock’n’Roll Is Dead” (2005). Auch in den USA wird man auf die Hellacopters aufmerksam, bekunden die Majorlabels großes Interesse. Von Erfolg gesegnet ist das nicht, im Gegenteil. “Wir dachten nur: Mann, diese Label-Typen sind voller Scheiße. Die versprachen uns Limousinen und Luxus, aber das war uns überhaupt nicht wichtig, darum ging es uns null. Die hielten uns für die nächsten Mötley Crüe. Damit konnten sie ja kaum mehr danebenliegen. ‘Ihr bekommt Groupies, ihr bekommt Kohle’, so die Nummer. Wir daraufhin: ‘Nö!’ Wir unterschrieben am Ende bei Sub Pop. Wir mochten das Label schon, bevor Nirvana durchs Dach gingen. Wir liebten Bands wie The Fluid. Die Leute von Sub Pop sagten einfach: ‘Hey, wir stehen auf eure Musik.'” Das gilt für die frühen Alben und US-Singles. Ab “High Visibility” übernimmt das Label des Gearhead Magazine.
Robert Dahlqvist, genannt Strings, steigt 1999 bei den Hellacopters ein und prägt ihren Sound. (Foto: Bernd Muller/Redferns/via Getty Images)
Manchmal ist es so einfach, geht es oft doch nur darum, ob Songs klicken oder nicht, ob Bands das gewisse Etwas haben, das sie von der breiten Masse abhebt. Die Auswahl zu dieser Zeit, am Anfang des neuen Jahrtausends, sie ist geradezu überbordend. Rockmusik anno 2000? Ein Bällebad in Blau und Gelb, für “Rock tillverkad i sverige” stehen die Sterne so günstig wie nie zuvor. Natürlich gab es auch in früheren Jahrzehnten schon einiges an stilprägenden Formationen, hatten Bands wie The Leather Nun, Atomic Swing, Sator und der The Soundtrack Of Our Lives-Vorläufer Union Carbide Productions sich bereits größere Fankreise erobert. Jetzt aber wurde Skandi-Rock das Ding der Stunde, vergleichbar mit der großen Grunge-Welle zehn Jahre zuvor.
Doch wie fühlte es sich eigentlich mittendrin an, im Auge des Hurrikans, als Teil eines von Euphorie umtosten Rock-Phänomens? “Wenn so etwas passiert, ist es als Beteiligter immer schwer zu beurteilen. Wenn man die Leute aus der New Yorker Szene damals fragt, werden sie bestimmt Ähnliches sagen”, versucht sich Nicke an einer musikhistorischen Parallele und schränkt direkt ein: “Wobei ich uns jetzt nicht mit dem CBGBs-Ding vergleichen will. Vieles, was uns damals passierte, nahmen wir einfach als selbstverständlich hin. Wir haben uns keinen großen Kopf darüber gemacht. Heute würde ich mir wünschen, es gäbe immer noch so viele gute Rock’n’Roll-Bands wie damals. Ich meine, klar, wir sind eine super Band, aber wir werden auch älter. Da müssten einfach mehr junge Bands nachkommen. Davon abgesehen halte ich die Hives immer noch für die beste Liveband der Welt. Ich wünschte nur, sie würden endlich mal aus dem Arsch kommen und ein neues Album machen. Trotzdem, um es nochmal klarzustellen: Es war und ist auf jeden Fall großartig, Teil dieses Phänomens zu sein, ohne Wenn und Aber.”
Die Hellacopters 2003 als Quintett mit Keyboarder Anders “Boba Fett” Lindström (m.). (Foto: Ian Dickson/Redferns/via Getty Images)
“Wir denken offen gestanden nicht viel darüber nach, was wir da tun.”
Robert Eriksson
Die Gründe für diesen bestimmten Vibe schwedischer Bands, die authentischen Wurzeln, die Musiker und Musikerinnen dort oft viel stärker verinnerlicht haben, als ihre europäischen Nachbarn? “Ein Faktor ist das Fernsehen. Nichts ist synchronisiert, alles Original mit Untertiteln, da bekommt man früh ein Gefühl für die englische Sprache, das ist der eine Punkt. Schweden hat die englische und amerikanische Kultur wie ein Schwamm aufgesogen, alles was damit zu tun hatte, wurde ungemein schnell adaptiert”, erläutert Andersson. “Deutschland hatte vielleicht mehr sein eigenes Ding am Laufen, in Schweden dagegen wurde immer viel und gern kopiert, das passierte sehr schnell, sehr natürlich. Zudem war es hier immer leicht, eine Band zu gründen und am Laufen zu halten. Von offizieller Seite gab es ausreichend Unterstützung, was Instrumente und Proberäume angeht. Als Teenager ohne irgendwelche eigene Knete konntest du in den 70ern sofort eine Band gründen, einfach weil der Support da war.”
Durchziehen
Vom Blick in den kulturellen Über- und Unterbau zurück auf die Straße, denn dort befinden sich die Hellacopters in den vier, fünf Jahren jenseits des Millenniums fast unablässig. Der Modus Album-Tour-Studio-Album-Tour-Studio macht aus der gut geölten Maschinerie irgendwann ein Hamsterrad, ein Umstand, den wohl jede Band kennt, die ihr Geschäft so hyperaktiv betreibt. Auch an Andersson & Co. nagt irgendwann die Routine. “Ich war zunehmend unglücklich. Ich fragte mich irgendwann, warum eigentlich keiner die Diskussion beginnt, allen geht es doch so. Warum machten wir das alles noch? Um die Rechnungen zu bezahlen? Das kann es doch nicht sein”, erinnert sich Andersson an die schwerste Phase der Band. “Wir hatten uns auseinanderentwickelt, jeder hatte seine eigene Agenda abseits der Band. Irgendwann fühlte es sich nicht mehr okay an. Zudem gab es zwei Leute in der Band, die sich bestimmten Substanzen hingaben, das war ein echtes Problem und machte alles noch anstrengender. Ich berief also ein Meeting ein und sagte: ‘Ich möchte, dass wir die Hellacopters auflösen. Wir haben viel erreicht, wir haben großartige Sachen gemacht, es gibt nichts, wofür wir uns schämen müssten – lasst uns aufhören, solange wir eine tolle Band sind.’ Das hat viele Gefühle ausgelöst, es gab zum Teil heftige Reaktionen. Mir war es wichtig, sauber rauszugehen, mit einer letzten Tour, mit einer letzten Platte. Alle waren damit einverstanden. Ich meine, was hätten sie auch sonst sagen sollen? I should go fuck myself?”, sagt er lachend. “Ich denke heute immer noch, dass die Entscheidung absolut richtig war.”
Mit “Head Off” (2008), darauf Coverversionen wenig bekannter Kollegen, folgt noch ein Album, eine große Abschiedstour, dann das Ende, das vorläufige. Alle wenden sich weiter ihren Bands und Projekten abseits der Hellcopters zu. Noch nicht einmal ein Jahr ist vergangen, da gibt es bereits erste Angebote für Reunion-Shows. Es dauert bis 2016, bis man in der Hellacopters-Zentrale zumindest darüber nachdenkt. “Supershitty To The Max” feiert 20-jähriges Jubiläum, ein passender Anlass. “Der Grund für unsere Reunion sollte immer sein, dass wir Spaß daran haben. Dass es so gut ist wie damals, wenn es irgendwie geht, eher besser. Dann haben wir beim Sweden Rock gespielt, und es fühlte sich toll an, auch die Tatsache, dass die Leute uns augenscheinlich vermisst hatten”, sinniert Andersson über seine Emotionen von damals. “Manchmal ist es von innen heraus schwer zu beurteilen. Spiele ich in einer Band, die die Leute um jeden Preis sehen wollen? Sind die Hellacopters diese Art von Band? Das ist ein schräges Gefühl.”
Die Hellacopters 2022 (v.l.): Robert Eriksson (Schlagzeug), Anders Lindström (Keboards), Dregen (Gitarre), Nicke Andersson (Gesang und Gitarre) und Bassist Dolf de Borst. (Foto: Micke Sandström)
Ein Sprung ins Jahr 2022: Die Hellacopters, sie sind “diese Art von Band”, das steht außer Frage. Allein die Ankündigung eines Albums mit neuem Material, dem ersten seit 17 Jahren, sorgt für immense Unruhe unter Fans und in Redaktionen. Selbst ein gestandener Typ wie Nicke Andersson konnte eine gewisse Erwartungshaltung zunächst nicht verhehlen. “Zum allerersten Mal überhaupt in meinem Leben habe ich so etwas wie Druck empfunden. Das war beim Musikmachen noch nie der Fall. Plötzlich hatte ich das Gefühl, ich stünde im Wettstreit mit der Nostalgie all der Leute. Das hat mir ein bisschen Angst gemacht”, gesteht der Mann und grinst breit unter seiner charakteristischen Mütze. Wie er sich diesem Druck entzieht? “Ich dachte irgendwann: Fuck it! Eins musst du dir immer mal wieder vor Augen halten: It’s only Rock’n’Roll! Ich kann es eh nicht jedem recht machen, also ziehe ich einfach weiter durch, wie ich es immer gemacht habe.” Das wiederum ist genau jene Maxime, die man von den Hellacopters einst und jetzt gewohnt ist, und wofür man sie so liebt: Fuck it. Durchziehen.
“Wir haben im Februar aufgenommen, in den Sunlight Studios, wo Nicke auch mit Entombed produzierte. Ich kann mich gut erinnern, dass es einer dieser wirklich harten Stockholmer Winter war, immer arschkalt. Man muss bedenken, dass wir erst kurze Zeit als Band zusammen waren. Wir hatten ein paar Singles gemacht, dann kam das Album. Uns fehlten noch Stücke, also haben wir am Sonntag vor den Aufnahmen geprobt und dabei noch mal eben drei, vier neue Songs geschrieben. An den beiden folgenden Tagen haben wir die Platte aufgenommen, im Anschluss sollte Nicke mit Entombed auf Tour, im Dreierpack mit Refused und Fireside, wir mussten die Platte also fertigbekommen. Wir haben live eingespielt, wenn ein Song glatt durchlief, haben wir den nächsten gleich hinterher gezockt, um ein paar Minuten zu sparen, und erst dann abgehört. Dienstagabend haben wir es abgemischt, Nickes Tourbus wartete praktisch mit laufendem Motor vor der Studiotür. Wir anderen sind mit einer Cassette in der Tasche nach Hause gefahren und waren total stolz: ‘We did it. Wir haben ein Album aufgenommen!’ Im Juni wurde es veröffentlicht, die Reaktionen waren positiv, die Gigs wurden langsam ein bisschen größer, aber es gab kaum Geld zu verdienen. Zu einigen Shows sind wir mit dem Zug gefahren, weil es einfach am günstigsten war. Das Geld fürs Ticket haben wir uns vom Promoter wiedergeben lassen, gepennt wurde in irgendwelchen Backstage-Räumen oder beim Veranstalter zu Hause. So lief es damals eben.”
“Dieses Album haben wir genau ein Jahr später aufgenommen, wieder im tiefsten Winter, wieder in den Sunlight Studios. Boba, unser Pianist, arbeitete dort zu der Zeit, er war für Mikrofonierung und Aufbau zuständig. Und für den Kaffee. (lacht) Wie schon auf ‘Supershitty To The Max!’ spielte er auch hier einige Parts ein, war aber noch kein offizielles Mitglied. Wir hatten gebuchte Shows zu jener Zeit, also pendelten wir zwischen Gigs und Studio, nahmen immer nur so zwei Songs am Stück auf, bevor wir zum nächsten Konzert mussten. Das zog sich etwa über einen Monat. Manchmal waren Nicke und Boba allein im Studio, arbeiteten nachts um 2 Uhr an irgendeinem Gitarrenpart. Damals waren wir mit den Dictators zusammen auf Tour, die wir sehr schätzen. Wir fragten also ihren Gitarristen Ross The Boss, ob er Lust hätte, bei einem Song dabei zu sein. Ross ist daraufhin von New York nach Stockholm geflogen, nur für ein einziges Solo, das muss man sich mal vorstellen. Verrückt! Parallel dazu wurden die schwedischen Grammys verliehen, bei denen wir mit ‘Supershitty…’ nominiert waren.
Wir sind also zwischendurch hingedüst und gewannen das Ding tatsächlich. Der Hammer. Wir haben uns auf der Party ziemlich abgeschossen, ein Riesenspaß. Im Anschluss wurden die Medien natürlich aufmerksam, die Shows und Festivalslots nochmal größer. Im Sommer buchte man uns als Support für die Kiss-Tour in Skandinavien, wir spielten Clubshows in Deutschland, in Spanien und Holland. Das war die Zeit, als es richtig abging. Boba war jetzt auch auf der Bühne mit dabei, gleich mitten hinein ins Geschehen bei den Kiss-Shows. Der Kontrast war natürlich irre. Im Monat zuvor hatten wir noch im Kafé 44 vor 70 Leuten gespielt, einem Punk- und Hausbesetzer-Schuppen, wo Bands wie MDC auftraten. Und jetzt standen wir auf einer riesigen Festivalbühne, direkt vor Kiss. Aber das war okay, wir gewöhnten uns schnell daran. Wir taten ohnehin überall das Gleiche. No bullshit! So ein bisschen wie bei Neil Young & Crazy Horse: Auch auf der größten Bühne stellt man sich in der Mitte zusammen und macht sein Ding. Es kam erst später, dass wir vorn auf die Flügel auswichen.”
“In Europa waren wir zuvor fünf Wochen mit Gluecifer unterwegs, die längste Tour bis dahin. Danach beschlossen wir, dass drei Wochen das Maximum sein sollten. Du bist einfach fertig nach so einem langen Ritt, das galt es zu vermeiden. Bei den Plattenaufnahmen wollten wir diesmal etwas anders vorgehen und entschieden uns zum einen für die Silence Studios, da hatten uns die Jungs von Bob Hund, einer ziemlich durchgeknallten Band hier in Schweden, drauf gebracht. Das Studio lag in völliger Einsamkeit an einem Wald, in der Nähe zur norwegischen Grenze. Hier wurde nicht nur aufgenommen, sondern auch gewohnt und zusammen gekocht. Ende der 60er hatten es ein paar Hippies gegründet, Hendrix hatte dort aufgenommen, ein legendärer Ort. Und ein tolles Studio in the middle of nowhere, kein Laden, nichts. Das Album selbst klingt ein bisschen cleaner als die Vorgänger, das war auch unsere Absicht. Tomas’ Sound im Sunlight ist dreckiger, hier war alles klarer, wobei die Intensität unseres Spiels die gleiche ist. Wir hatten wieder ein paar Platten als Referenz mitgebracht, das waren eh immer dieselben: ‘Road To Ruin’ von den Ramones, ‘Never Mind The Bollocks’ von den Sex Pistols, ‘Who’s Next’, alles großartig klingende Platten. Dregen war zu diesem Zeitpunkt ausgestiegen und Boba spielte die Hälfte der Gitarren ein. Kenny und ich fuhren damals zu zweit mit dem Hellamobile hin, Mann, was für ein Trip.
Als Schlagzeug und Bass eingespielt waren, sind wir zurück nach Stockholm, um die Rolling Stones zu sehen, Nicke und Boba blieben zu der Zeit allein in diesem riesigen Haus. Im Unterschied zu den Vorgängerplatten waren wir nicht am Mix beteiligt. Der Typ von Bob Hund sollte es abmischen. Wir gaben ihm die Bänder und sind auf Australien-Tour gegangen, das war natürlich aufregend. Als wir wiederkamen, war er nicht nur fertig mit dem Mix, er hatte auch noch Overdubs aufgenommen, Tamburins und solche Sachen. Ich weiß noch, dass es uns ganz gut gefiel, aber ich schon eine Woche später dachte, dass ich davon irgendwann gern nochmal einen Remix hätte. Die Reviews lasen sich jedenfalls super, wir waren danach allein vier Mal in den Staaten unterwegs. Insgesamt müssen es so um die 130 Shows in dem Jahr gewesen sein. Das war vielleicht ein bisschen viel, aber wir haben wirklich überall gespielt, in Idaho, in Montana, in irgendwelchen Saloons vor 35 Leuten, anschließend in Deutschland auf dem riesigen Bizarre-Festival. Was für Kontraste, das war großartig.”
“Das war unsere erste Zusammenarbeit mit Chips Kiesbye als Produzent. Im Vorfeld kam Chips zu uns in den Proberaum, so etwas hatte es bis dahin noch nie gegeben. Über einen Zeitraum von etwa vier Wochen probten wir die Songs täglich, immer und immer wieder. Da hieß es dann ‘Probiert mal dies’ oder ‘Wie wäre es mit dem Part?’. Das war neu. Chips forderte uns heraus, insbesondere auch Nicke als Songwriter. Jeder Song, jeder Teil wurde durchleuchtet. Muss das hier wirklich vier Mal oder reicht es nicht doch zwei Mal? Da ging es ans Eingemachte. Zum Aufnehmen fuhren wir drei Wochen lang ins Polar Studio. Abba hatten es in den 70ern gebaut, alles erstklassig, besser als jedes andere, in dem wir zuvor waren. Ein legendärer Ort, an dem auch Bands wie Led Zeppelin aufgenommen haben, ‘In Through The Outdoor’, ihr letztes Album, ist dort entstanden. Wir konnten uns die Originalbänder anhören, das war unglaublich. Du hörst die Bandmitglieder, wie sie zwischen den Takes miteinander quatschen. Jimmy Page war zu der Zeit hart auf Droge und schlief ein zwischen den Takes. Ganz schön hart, sich das mal so aus erster Hand anzuhören. Was die Band angeht, war Robert ‘Strings’ Dahlqvist jetzt mit dabei. Ich hatte mir einen Gig von ihm angesehen, ein unglaublicher Auftritt. Er turnte mit nacktem Oberkörper über die Tische und die Bar, ein Wahnsinnstyp, ein großartiger Gitarrist. Das beeindruckte mich einfach.
Ich quatschte also mit den anderen darüber, er kam zum Vorspielen, und es klickte sofort. Let’s go on tour, hieß es dann. ‘High Visibility’ war seine Studio-Premiere mit uns, das war eine echte Bereicherung. Er hatte noch nicht so viel Erfahrung, was den Aufnahmeprozess anging, aber er war dermaßen on fire. Im Zuge der Produktion haben wir sehr auf Details geachtet, auf die Feinheiten, die unterschiedlichen Sounds. Wir gingen jeden Song etwas anders an, das sorgte für eine Diversität, die es vorher nicht so gab. Wenn man sich Stücke wie ‘Toys And Flavours’ oder ‘No Song Unheard’ aus heutiger Sicht anschaut, war uns damals gar nicht so bewusst, wie zeitlos die sein würden. Du bist in deiner eigenen Bubble, du konzentrierst dich auf den gesamten Entstehungsprozess. Nach dem Release ging es wieder auf Tour rund um die Welt. Wenn ich mir die Konzertlisten mit 125, 130 Shows im Jahre heute so anschaue, frage ich mich, wie wir das überhaupt gewuppt haben. Die Aufnahmen kamen ja auch noch dazu. Wahnsinn. Total intensiv. Unser Publikum wurde zu der Zeit etwas mainstreamiger, unsere Songs liefen jetzt im Radio, insbesondere in Schweden, so etwas gab es vorher noch nicht. Heute laufen ‘Toys And Flavours’ oder ‘No Song Unheard’ im Classic Rock Radio, was sagt man dazu?”
“Mit dieser Platte wurde alles noch einmal intensiver, unter anderem waren es die längsten Aufnahmen, zudem arbeiteten wir in zwei Studios, zunächst erneut im Polar, zusätzlich für Piano-Sachen und so was in einem weiteren aus dem Abba-Dunstkreis, im Romarö Studio. Wir wollten einen größeren Pool an Songs haben, um auswählen zu können. Chips kam wieder mit in den Proberaum, machte sich Notizen. Am Ende hatten wir 20 Stücke, die wir alle aufnahmen, wiederum in den Polar Studios. Mit dem Schlagzeug war ich in drei Tagen durch. Was mich angeht, fühle ich mich unmittelbar vor den Aufnahmen ein bisschen wie vor einem Konzert. Du freust dich drauf, klar, gleichzeitig ist da dieses bestimmte Kribbeln. Du hast Anforderungen an dich selbst, du willst es gut machen. Zu Beginn der Band machte man sich noch gar nicht so viele Gedanken, es ist wie bei einer Probe, du gehst da rein und hämmerst den Song ein. Das ändert sich im Lauf der Jahre. Heute gehe ich viel bewusster an einen Song ran, es geht mir immer darum, das Arrangement zu unterstützen, ich brauche den Gesang, ich brauche die Details, um mitzugehen.
Übrigens haben wir kein einziges unserer Alben mit Clicktrack, also mit Metronom, eingespielt. Ich denke, das ist nicht zu überhören. [lacht] Aber für mich ist das gut so, ich mag das Live-Gefühl der Songs, die Spontanität, die Spannung, die Tatsache, dass es manchmal so shaky wird, dass der Hörer sich fragt, ob die Band es hinbekommt. Wenn es dann klappt, gibt das den Stücken so eine bestimmte Intensität, die man mit Clicktrack einfach nicht erreicht. Auf drei Tage Schlagzeug folgten drei Tage Bass, dann Gitarren – drei Wochen lang. Eigentlich hatten wir vor, ein paar Songs wegzulassen, fanden am Ende aber alles toll und veröffentlichten das gesamte Material, unter anderem auf dem Mini-Album ‘Strikes Like Lightning’. Wenn ich es mir heute so überlege, hätten wir eigentlich ein Doppelalbum machen sollen, zehn Songs auf jeder Platte, das wäre perfekt gewesen. Tatsächlich war die Zusammenstellung der Tracklist relativ schwierig, jeder hatte andere Lieblingsstücke. Wir baten irgendwann unsere Kumpels, Listen mit ihren Favoriten zu machen und uns zu schicken. Das machen wir sogar heute noch. Natürlich entscheiden wir am Ende. [lacht] Aber es ist immer interessant, diese Meinungen zu hören.”
“2004 nahmen wir uns eine Auszeit. Wir waren einfach so viel unterwegs, wir brauchten eine Pause voneinander. Was nicht heißt, dass wir untätig waren. Nicke hatte The Solution am Start, Robert machte Thunder Express, Chips und ich spielten monatliche Shows, Boba hatte Diamond Dogs. Ich wurde zum ersten Mal Vater, das brauchte alles seinen Raum. Als es an ein neues Album ging, stand sofort fest, dass wir anders aufnehmen wollten. Beim Produktionsprozess von ‘By The Grace Of God’ gingen wir ans Limit, das war alles eigentlich zu viel, zu lang. Wir wollten wieder viel proben, aber dann live aufnehmen. Nicke hatte mit The Solution im Atlantis Studio gearbeitet, einem alten Jazz- und Blues-Studio aus den 50ern, ein geschichtsträchtiger Ort. Wir nahmen passenderweise auf Tonband auf, zwei Songs am Tag. Wir spielten einen Track zehn Mal hintereinander durch und suchten die beste Version aus. In zwei Wochen waren wir mit den Basics durch, danach Backing Vocals, Percussion und solche Sachen.
‘Rock & Roll Is Dead’ war lange Zeit mein Lieblingsalbum, der Sound ist eher clean, aber der Druck durchweg vorhanden. Dennoch ist alles nicht ganz so massiv, zudem gibt es Fehler, die wir dringelassen haben. Es ging mehr um das Gefühl als um irgendwelche Perfektion. Heute kannst du den kleinsten Patzer korrigieren, aber was bringt dir die Makellosigkeit, wenn das Feeling auf der Strecke bleibt, wenn es steril klingt. So ist das doch auch mit Klassikern. Hör dir mal Black Sabbath an, da wimmelt es von Fehlern, aber das gehört dazu, das ist die Magie. ‘Rock & Roll Is Dead’ jedenfalls klingt spontaner und frischer als die beiden Vorgänger, weil es entsprechend aufgenommen wurde. Der Albumtitel kommt von Nicke, er hatte eine US-Powerpop-Band aus den 70ern entdeckt, The Rubinoos, einer ihrer Songs hieß ‘Rock & Roll Is Dead’. Ein tolles Stück, das wir auf der Tour als Zugabe spielten, und ein passender Titel. Alles war damals R&B, HipHop, Pop, die Rockmusik dagegen geriet immer mehr ins Abseits. Wobei… wenn ich mir das alles heute anschaue, Junge, Junge, da würde man sich 2005 ja direkt zurückwünschen.”
“Nach der Tour für ‘Rock & Roll Is Dead’, die mit etwa 100 Shows zumindest ein bisschen kleiner ausfiel, machten wir wieder eine Pause. Irgendwann kam Nicke mit der Idee, ein Album mit Coversongs zu machen. Wir überlegten, wie wir das anpacken sollten. Keiner hat Bock auf die x-te Coverversion von einem Stones-Song oder einem AC/DC-Klassiker, die sind eh perfekt. Live kannst du das bringen, aber auf Platte? Muss nicht sein. Nun hatten wir über die Jahre mit vielen kleineren Bands getourt, denen die ganz große Aufmerksamkeit nicht vergönnt war, New Bomb Turks oder The Turpentines. Dabei haben sie alle großartige Songs. Also suchten wir eine Masse Stücke zusammen, die wir mochten, brachen das auf ein Dutzend runter und spielten sie in diversen Studios in Göteborg und Stockholm ein. Der Vibe war anders als sonst, der ganze Prozess war etwas zerrissen, irgendwelche Files wurden hin- und hergeschickt. Für mich fühlte es sich nicht so an, wie man als Band eine Platte aufnehmen sollte. Irgendwann war der Mix fertig, den hatten wir so zwei Wochen vorliegen, bis Nicke schließlich meinte, dass es nicht so klingt, wie es sollte. Wir anderen daraufhin: Genau!
Wir entschieden uns also für einen Remix. Stefan Boman, der auch schon an ‘High Visibility’ mitgearbeitet hatte, knöpfte sich das Ganze vor und mixte es neu. Direkt danach hatten wir ein Band-Meeting, bei dem es eigentlich um die Planung ging, aber da brach es dann bei allen irgendwie auf. Immer wieder die gleiche Nummer, die Touren, der Stress, das alles hatte Spuren hinterlassen. Die Motivation war nicht mehr dieselbe, alle waren irgendwie müde. Wir fragten uns schließlich, was wir mit diesem Album machen, wenn wir uns jetzt auflösen. Wir wollten es ja unbedingt veröffentlichen. Wir dachten an Kalle, der ‘Supershitty…’ und ‘Payin’ The Dues’ veröffentlicht und ‘Grande Rock’ lizensiert hat. Wenn wir mit ihm ‘Head Off’ veröffentlichen, würde sich der Kreis schließen. Wir sagten aber niemandem, dass das Coversongs sind. Stücke wie ‘In The Sign Of The Octopus’ klangen absolut nach den Hellacopters. Die Platte gefiel uns so gut, dass wir schon wieder ganz euphorisch waren, trotzdem beließen wir es bei der Entscheidung, die Band aufzulösen. Wir gingen auf Abschiedstour und die war wirklich fantastisch, vielleicht die beste, die wir je gespielt haben.”
“Wir denken offen gestanden nicht viel darüber nach, was wir da tun. Wir haben diese Songs geschrieben und versucht, sie abwechslungsreich zu gestalten. Im Rahmen unserer Mittel natürlich, das ist keine Jazz-Platte, wir probieren auch keinen HipHop aus. Wir haben es klassisch als Album angelegt, zehn Songs, ein paar Überraschungen. Ich denke, ein Song wie ‘So Sorry I Could Die’, dieser langsamere Blues, ist ein neues Gebiet für uns. Es fühlt sich gut an, mir gefällt das sehr. Ich hoffe, die Leute mögen es auch. Mal schauen, wie es weitergeht und wie es sich anfühlt, wenn wir die neuen Stücke live spielen.”
Warm und voll, lediglich mit leichter Melancholie positioniert sich “Ich will nicht mehr mein Sklave sein” irgendwo zwischen Power-Pop, Indie und Punkrock – so ungefähr haben Muff Potter auch zu Zeiten von “Von Wegen” (2005) und “Steady Fremdkörper” (2007) öfter geklungen, ihren Alben mit Rückendeckung des Majorlabels Universal. Doch nicht nur im Text klingt etwas Befreites, Ungezwungenes mit – spätestens mit dem rock’n’rolligen Gitarrensolo macht der Song klar, dass er sich nicht in Vorlagen pressen lassen will.
Inhaltlich geht es gegen Selbstoptimierung und Selbstausbeutung – ein Themenkosmos, den Sänger Thorsten “Nagel” Nagelschmidt zuletzt auch schon mit seinem Roman “Arbeit” (2020) bearbeitet hatte. Treffend analysiert Nagelschmidt im neuen Song, wie der Kapitalismus auch hinter der Illusion von Selbstbestimmtheit noch die Fäden zieht und Verzweiflung sät: “Auch die lange Leine ist noch eine/ Schlag hier alles kurz und klein/ Ich will nicht mehr mein Sklave sein.”
Im Video von Regisseurin Steph von Beauvais mühen sich die vier Potters, gekleidet in einfarbige Overall, in einer alten Turnhalle mit Retroflair an geradezu preußischen Leibesübungen ab. Erst mit Hilfe eines Zaubertranks und ihrer hervorbrechenden musikalischen Leidenschaft brechen sie aus dem Hamster- beziehungsweise Rhönrad aus.
“Ich will nicht mehr mein Sklave sein” ist nach längerer Zeit der erste neue Song der Band und gleichzeitig ein Vorgeschmack auf das bereits angekündigte neue, größtenteils live eingespielte Album “Bei aller Liebe”, das am 26. August beim bandeigenen Label Huck’s Plattenkiste erscheint und schon vorbestellt werden kann.
Die Platte war seit Dezember 2019 in mehreren Sessions auf dem Kulturgut Haus Nottbeck in Oelde entstanden, im April 2020 hatte eine erste Session bereits den Song “Was willst du” hervorgebracht, der mit seinem zweifelnden Ton und Text eine Band auf dem Weg zurück zu sich selbst zeigte.
Mit dem neuen Album werden Muff Potter im Herbst auch auf Tour gehen, Tickets gibt es ab heute um 10 Uhr direkt im Bandshop. Im vergangenen Jahr war die Band beim Reeperbahn Festival im Livestream zu sehen gewesen.
Video: Muff Potter – “Ich will nicht mehr mein Sklave sein”