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Wieder in Deutschland

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Am 27. Januar starten Bad Omens ihre Tour in Berlin, bevor es sie in den kommenden drei Wochen über Köln, München, Zürich und Dresden führt und sie ihre Tour am 11. Februar in Mailand beenden werden. Die Tour der Metalcore-Band startet nur wenige Tage nach ihrer Co-Headline-Tour mit Bring Me The Horizon durch das Vereinigte Königreich und Irland. Tickets für die Konzerte sind im Vorverkauf erhältlich, die Band hat aufgrund der hohen Nachfrage bereits eine Zusatzshow in Köln angekündigt.

Erst im Februar waren Bad Omens für einige Shows in Deutschland gewesen, bereits dort waren nahezu alle Konzerte ausverkauft gewesen oder wurden direkt in die nächstgrößere Halle verlegt. 2022 hatte die Band um Frontmann Noah Sebastian ihr bislang letztes Album “The Death Of Peace Of Mind” veröffentlicht, ob sie bis zu den Konzerten im Januar schon mit neuer Musik im Gepäck anreisen werden, ist bislang nicht bekannt.

Live: Bad Omens

27.01. Berlin – Columbiahalle (ausverkauft)
28.01. Köln – Palladium (ausverkauft)
29.01. Köln – Palladium
30.01. München – Zenith
02.02. Offenbach – Stadthalle
08.02. Dresden – Messe 1

Hoch die Tassen

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Am 21. Juli ist es bereits soweit und Bloc Party werden ihre neue EP “The High Life” via Infectious/BMG veröffentlichen. In den vergangenen Monaten hatten sich die Zeichen auf eine kommende Ankündigung bereits verdichtet: im April hatte Frontmann Kele Okereke erstmalig über neue Musik gesprochen, wenig später folgte die erste Single “High Life”. Im Juni hatten sie zuletzt “Keep It Rolling” veröffentlicht, das in Zusammenarbeit mit US-Rapper KennyHoopla entstanden ist und die erste Zusammenarbeit mit einem anderen Künstler in der gesamten Bandgeschichte darstellte.

Gestern Nachmittag folgte dann die Ankündigung der neuen EP mithilfe eines knapp 10-sekündigen Instagram-Clips, in dessen Hintergrund ein entspanntes Gitarrenpicking zu hören ist. Eine Tracklist der EP ist bislang nicht verfügbar, die beiden vorab veröffentlichten Singles sollen allerdings als Teil der EP veröffentlicht werden. Die “The High Life”-EP kann digital vorgemerkt. Eine physische Veröffentlichung scheint wohl nicht geplant zu sein. Das aktuelle Studioalbum “Alpha Games” hatte Bloc Party Ende April 2022 herausgebracht.

 

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Lebensverändernd

John Gourley ist guter Dinge, als am 19. Mai 2019 sein Telefon klingelt und ein Freund am Apparat ist. “Ich freute mich, dass er anrief und erwartete aus irgendeinem Grund gute Nachrichten”, erzählt der Sänger von Portugal. The Man. “Aber dann sagte er, dass Chris Black gestorben ist.” Der Produzent und Filmemacher aus Los Angeles war nicht nur ein enger Freund der Band, sondern für etwa zwei Jahre auch als Ehrenmitglied auf Tour dabei. Die Nachricht von seinem Tod erschüttert Portugal. The Man und ihren Freundeskreis zutiefst – doch das ist erst der Anfang. Gourley soll die schwerste Zeit seines Lebens bevorstehen, die um ein Haar zum Ende der Band hätte führen können. Sechs Jahre nach dem mit US-Platin ausgezeichneten Vorgänger Woodstock erscheint nun “Chris Black Changed My Life” – ein Album, das musikalisch ganz wunderbar fließt, auf dem jedes noch so kleine Detail eine tiefe Bedeutung hat und Gourley nicht nur den Menschen huldigt, die ihm wichtig sind, sondern sich auch mit Ängsten und Depressionen auseinandersetzt.

MC der guten Laune

Die Geschichte von Portugal. The Man beginnt Anfang des Jahrtausends in Wasilla, einer knapp 10.000 Einwohner großen und 70 Kilometer nördlich von Anchorage gelegenen Kleinstadt in Alaska. Kurz nachdem John Gourley und Bassist Zach Carothers sich 2001 in der High School kennenlernen, starten sie die Emo-Band Anatomy Of A Ghost, die jedoch nur ein Album aufnimmt und sich dann wieder auflöst. Gemeinsam mit Wesley Hubbard, Nick Klein und Harvey Tumbleson (die allesamt nicht lange in der Band bleiben) gründen Gourley und Carothers 2004 Portugal. The Man und ziehen später nach Portland, Oregon. Der Output der Band ist in den ersten Jahren enorm: Auf das 2006 veröffentlichte Debüt “Waiter: “You Vultures!”, das sich irgendwo zwischen Psych-Rock, Prog und Indie bewegt und in den Jahresendcharts von VISIONS damals auf Platz 6 landet, folgt ein Jahr später das vom Heavy Rock der 70er inspirierte “Church Mouth”. Die folgenden drei Alben “Censored Colors”, das von Paul Q Kolderie (Radiohead, Pixies) produzierte “The Satanic Satanist” und das in nur zehn Tagen entstandene “American Ghetto” veröffentlicht die Band allesamt im Jahrestakt. Ihre Fangemeinde wächst stetig, sodass Portugal. The Man anschließend bei Atlantic unterschreiben, über das 2011 das Album “In The Mountain, In The Cloud” veröffentlicht wird.

Portugal. The Man (Foto: Maclay Heriot)
(Foto: Maclay Heriot)

Sechs Alben in sechs Jahren – danach lassen Portugal. The Man sich für das 2013 veröffentlichte “Evil Friends” erstmals etwas mehr Zeit. Es entsteht gemeinsam mit Produzent Brian “Danger Mouse” Burton, auch bekannt als eine Hälfte des Duos Gnarls Barkley und zuvor tätig für Künstler wie die Gorillaz, Beck und die Black Keys. Die Prog-Anleihen sind auf “Evil Friends” endgültig verschwunden. Mit seinem eingängigen Psych-Pop-Sound ebnet die Platte den Weg für “Woodstock”, das vier Jahre später erscheint und die Band mithilfe der Single “Feel It Still” in den Mainstream katapultiert: Der mit Asa Taccone von Electric Guest entstandene Song klettert bis auf Platz 4 der Billboard Charts, hat bis heute allein in den USA siebenfachen Platin-Status und wird bei den Grammy Awards 2018 in der Kategorie Best Pop Duo/Group Performance ausgezeichnet. “Wow, ich bin nervös. Das ist ziemlich verrückt für uns. Ich habe im Auto was geschrieben, für den Fall der Fälle…”, beginnt Zach Carothers seine etwas holprige, aber sympathische Dankesrede. Den Award widmet er den einheimischen Jugendlichen in den abgelegenen Dörfern ihrer Heimat, bevor er die Rede mit einem “Hail Satan” beendet. John Gourley nimmt im Hintergrund derweil einen Schluck aus einem Flachmann und wischt sich dann mit dem Award den Po ab. Mag sein, dass Portugal. The Man im Mainstream angekommen sind, aber sie sind immer noch die albernen Jungs aus Alaska.

Um die Veröffentlichung von “Woodstock” herum stößt dann auch Chris Black zur Band, und zwar über einen befreundeten Regisseur. “Die beiden sind die lustigsten Typen, die du dir vorstellen kannst. Sie gehören zu dieser Sorte Menschen, die dich einfach ohne Unterbrechung zum Lachen bringen. Das führte dazu, dass ich dachte: Irgendwie müssen wir das festhalten und Chris mit auf Tour nehmen”, so John Gourley. “Wir waren zu dem Zeitpunkt schon seit über zehn Jahre eine Band und hatten so viel Musik veröffentlicht. Auf Tour lebt man im Bus ja praktisch in der Tasche des anderen. Chris hat die Schwere und den Druck, die das Touren manchmal mit sich bringen, komplett aufgehoben.”

Sein Job auf der Bühne: für gute Laune zu sorgen. “Er war unser MC”, so Gourley. “Heute ist es ja nicht mehr üblich, einen MC zu haben. Für mich ist das Bez von den Happy Mondays, der auf der Bühne tanzt. Es erinnert mich an die Dandy Warhols und The Brian Jonestown Massacre. Der Typ, mit dem Tamburin, der einfach nur Spaß hat. Das bringt diesen Vibe da rein.” Ganz nebenbei sorgt Chris Black auch dafür, dass Gourley sich auf der Bühne wohler fühlt. “Chris liebte die Aufmerksamkeit, während ich immer Angst hatte. Aber meine Bühnenangst wurde komplett von ihm geschluckt, er nahm sie mir einfach ab. Immer, wenn er merkte, dass ich nervös wirkte, drückte er all die Angst und Sorge mit einem seiner Bear-Hugs weg.” Vor allem eine gemeinsame Tour durch die USA bleibt für Gourley unvergessen. Auch Casper ist damals mit dabei. Nach der PTM-Show im The Glass House in Pomona, die Casper während eines Urlaubs besucht, steigt er einfach in den Bus und tritt kurzerhand den Rest der Tour als Support auf. “Das war die beste Tour meines Lebens”, so Gourley. “Es herrschte diese lockere, unbekümmerte Stimmung, total verrückt. Es gab keine Regeln. Marihuana war in den USA gerade legalisiert worden. Eigentlich raucht keiner von uns wirklich Gras, aber auf der Tour haben wir es alle die ganze Zeit getan. Wir waren nur am Lachen und hatten riesigen Spaß.”

»Wir hatten die Gelegenheit, auf der ganzen Welt von indigenen Völkern zu erfahren, was sie derzeit erleben und durchmachen.« John Gourley

Schicksalsschläge

Was damals niemand weiß: Chris Black hat einen Herzfehler, von dem er nie jemandem erzählt. “Wenn man es nicht laut sagt, existiert es nicht. So ein Typ war er”, sagt Gourley. “Aber ich habe ihn dafür nur noch mehr geschätzt. Er hat das Leben gelebt, ohne darüber nachzudenken und sich Sorgen zu machen. Und er hatte einen wahnsinnigen Einfluss auf all die Menschen um ihn herum. Nach seinem Tod fiel unser Freundeskreis auseinander. Chris war der Klebstoff, der alles zusammenhielt – dabei war er gar nicht immer dabei. Aber als er weg war, ist alles implodiert, und jeder hat plötzlich sein eigenes Ding gemacht.” Für Blacks Beerdigung allerdings ziehen noch alle an einem Strang. Die ganze Crew, rund 80 Leute, taucht dort in T-Shirts mit der Aufschrift “Chris Black Changed My Life” auf – inspiriert davon, dass Black ständig ein J-Dilla-Shirt mit der Aufschrift “J Dilla Changed My Life” trug. Mit ihrem Album zollen Portugal. The Man, die neben Gourley und Carothers heute aus Keyboarder Kyle O’Quin, Gitarrist Eric Howk, Schlagzeuger Jason Sechrist und der Background-Sängerin Zoe Manville bestehen, Chris Black nun erneut Tribut. Überall scheint er durch: Das Cover zeigt Blacks Cousin Julian und seine Freunde in eben jenen T-Shirts, die für die Beerdigung gedruckt wurden, vor dem Haus seiner Mutter stehend, im Booklet finden sich Fotos von ihm. Es ist nicht so, dass die Songs direkt von ihm oder seinem Tod handeln. Er steht für all die Menschen, die unser Leben nachhaltig verändern. “Es geht darum, ihnen Ehre zu erweisen und ihnen das zu sagen, während sie hier sind”, sagt Gourley. “Wir alle haben Leute wie Chris in unserem Leben. Ob das jemand ist, den man persönlich kennt oder der einen inspiriert – so wie etwa David Bowie mein Leben verändert hat. Das ist die wahre Botschaft des Albums. Es geht um unsere Band, es geht um die Leute um uns herum und um Gemeinschaft. Vor allem die erste Hälfte handelt stark von Gemeinschaft, während es auf der zweiten Hälfte mehr um mich geht. Es geht darum, introspektiv zu sein und sich seinen Depressionen, Ängsten und Sorgen zu stellen. Und darum, dass am Ende nur man selbst etwas verändern und sich helfen kann.”

Denn der Tod von Black bleibt nicht der einzige Schicksalsschlag in Gourleys Leben. Kurz nach Beginn der Pandemie bricht er sich den Kiefer. “Ich hatte früher schon mal einen Kieferbruch. Dadurch, dass wir so viel tourten, baute sich dieser Druck auf, der Knochen wurde brüchig und brach auf der anderen Seite”, sagt er. “Mein Kiefer war total schief. Ich konnte nicht rennen, nicht mit unserer Tochter spielen und auch nicht singen.” Ob er jemals wieder würde singen können, ist zu dem Zeitpunkt alles andere als klar. Als es Gourley gesundheitlich wieder besser geht, bekommen er und seine Frau Zoe Manville schreckliche Nachrichten. Ihre 12 Jahre alte Tochter Frances leidet unter einer extrem seltenen genetischen Mutation namens DHDDS – eine neurodegenerative und aggressiv voranschreitende Krankheit. Frances’ Fall ist einer von nur sechs Menschen in der Welt, die daran leiden. Ihre einzige Hoffnung ist eine Gen-Therapie, die sehr teuer ist. “Alles, was ich nach dieser Nachricht tun konnte, war, darüber zu schreiben”, sagt Gourley. “Uns war schon länger klar, dass mit Frances etwas nicht stimmt, aber bis wir Gewissheit hatten, versuchte ich dem zu entkommen und wegzulaufen. Dieses Album konfrontiert diese Gefühle, diese Angst. Es war kathartisch, das alles rauszulassen und auf Platte zu bringen.”

Noch in der gleichen Nacht beginnt er an einem längeren Gedicht zu arbeiten, aus dem später der atmosphärisch reduzierte Song “Time’s A Fantasy” entsteht. “Immortality is a ghost that haunts”, heißt es darin. “Das wurde so etwas wie das Motiv des Albums”, so Gourley. Gemeinsam mit dem von einem Piano getragenen Intro “Heavy Games II” und dem epischen, fast sechs Minuten langen Schlussstück “Anxiety:Clarity”, in denen die Textzeile “Heavy games/ Can’t take this back” immer wieder auftaucht, bildet “Time’s A Fantasy” die Klammer des Albums. Dazwischen wird es ganz schön düster. “Life is a dead end” singt Gourley in dem mit Streichern verzierten, melancholischen “Doubt”, und “Can’t Keep My Head Up”. An anderen Stellen scheint die Hoffnung umso heller: “All I want to find is a little place for my girls”, träumt er in “Summer Of Luv”. Am Ende kulminiert alles im Schlussstück “Anxiety:Clarity”. “Chris hat mir immer geholfen, mit meinen Ängsten und Sorgen umzugehen”, so Gourley. “In dem Song ist Chris zu Paul Williams geworden.” Der Songwriter und Schauspieler schrieb unter anderem Songs für David Bowie, The Carpenters und Three Dog Night, aber auch für den Muppet Movie und Daft Punk. Als Schauspieler ist Williams unter anderem in der Musical-Horror-Groteske “Phantom Of The Paradise” von 1974 zu sehen. “Als wir unser drittes Album “Censored Colors” aufnahmen, guckten wir diesen Film jeden einzelnen Tag. Wir sind also schon lange Fans”, so Gourley. Bei den American Music Awards 2017 treffen Portugal. The Man Williams zufällig, nehmen ein Foto mit ihm auf und posten es später online. “Daraufhin schrieb Paul uns, ob wir nicht Lust hätten, mit ihm zusammen Musik zu machen. Ich dachte nur: ‘Oh mein Gott! Klar, wir kommen zu dir.’ Aber Paul, der damals 79 war, bestand darauf, zu uns nach Portland zu kommen. Ich habe noch nie in meinem Leben ein Duett gesungen – und heraus kam ausgerechnet “Anxiety”. Er holte etwas aus mir heraus, dass ich noch nie angezapft habe.”

Tatsächlich hört man am Ende des Songs, wie Williams mit Gourley über Angst spricht. “Wir tauschten Ideen aus, wie man das eben macht, wenn man gemeinsam schreibt, und auf einmal drehte er sich zu mir und sagte: ‘Wir alle haben im Moment Angst. Schau dir die Welt an.’ Er meinte es sei, als würde man diesen riesigen Waldbrand über einen Berg kommen sehen. Er ist filmischen und biblischen Ausmaßes. Und während man dieses Feuer betrachtet, wird man von seiner Schönheit so in den Bann gezogen, dass das Feuer einen verschlingt. Was er mir damit sagen wollte, ist: Lebe im Moment und mach dir nicht zu viele Gedanken, denn sonst könntest du dich verbrennen. Für mich ist dieser Song das perfekte Ende für dieses Album, das von Familie und den Sorgen in dieser Welt handelt, davon, was Chris für uns war und was Freunde einem bedeuten.” Wenngleich die Songs ganz eng mit Gourley und seinem Leben verknüpft sind, richtet er den Blick an vielen Stellen auf das große Ganze. “Welcome to America/ I’m waiting on a miracle/ All my sins American /Yeah I’m waiting on a miracle”, singt er in “Thunderdome (W.T.A.)”, das den Amerikanischen Traum infrage stellt, während es in “Grim Generation” heißt: “I was born so bittersweet, this generation has got a hold on me.” Wenn er in “Plastic Island” fragt “Is it the end my dear/ Or is it coming around again?”, könnte er damit auch unseren Planeten meinen, und “Champ” entwickelt sich von einem Lied darüber, wie Freunde in schweren Zeiten zu einem stehen, zu einer beeindruckenden Hymne über größere Kämpfe in dieser Welt. Am Ende des Stücks sampeln Portugal. The Man die aus Portland stammende, indigene Hardcore-Band With War: “Abolish borders, abolish ICE, abolish our system that keeps Indigenous people from their natural vibrations. Indigenous people, take back what’s yours!”

Gutes tun

Soziale Gerechtigkeit war Portugal. The Man schon immer ein wichtiges Anliegen und ihr Engagement hat in der Vergangenheit unter anderem zu Partnerschaften mit Organisationen wie der National Coalition Against Censorship, The Skatepark Project (die Communitys beim Bau öffentlicher Skateparks für Jugendliche in unterversorgten Gemeinden unterstützen), March For Our Lives (Reform der Waffengesetze), Keep Oregon Well (seelische Gesundheit) und Protect Our Winters (Klimawandel) geführt. In den vergangenen Jahren nahmen die Interessen indigener Völker in ihrem Schaffen einen zunehmend größeren Stellenwert ein. Als die Band 2017 im australischen Frühstücksfernsehen auftreten soll, sagt sie den Auftritt aufgrund von rassistischen Kommentaren der Moderatoren gegenüber der indigenen Bevölkerung kurzfristig ab. Von ihren Fans werden Portugal. The Man dafür gefeiert. Ihre Show in Sydney wenige Tage später enthält daraufhin erstmals ein sogenanntes Land Acknowledgement – so nennt man eine formelle Erklärung, dass eine öffentliche Veranstaltung auf Land stattfindet, das ursprünglich von indigenen Völkern bewohnt wurde. Seitdem sind diese Land Acknowledgements fester Bestandteil der Konzerte von Portugal. The Man. Ihr Wunsch, etwas zu verändern, wird dabei immer größer – und so rufen sie 2020 ihre eigene Stiftung ins Leben: Die PTM Foundation widmet sich universellen Themen wie Menschenrechte, das Gesundheitswesen und die Umwelt, setzt dabei aber einen speziellen Fokus auf die Belange indigener Völker, um diesen eine Plattform zu geben. “Wir hatten die Gelegenheit, auf der ganzen Welt von indigenen Völkern zu erfahren, was sie derzeit erleben und durchmachen – und ja, es ist dringend”, sagte Carothers zur Gründung der Stiftung. “Diese Gemeinschaften stehen alle vor unterschiedlichen Herausforderungen, je nachdem, wo sie sich befinden, aber eines haben die meisten Stämme und Ureinwohner, die wir getroffen haben, gemeinsam, und das ist die weitgehende Unsichtbarkeit und Auslöschung. Die Leute sind sich dessen nicht bewusst und deshalb ist es ihnen auch egal.” Über die Stiftung gesammelte Spenden gehen zu 100 Prozent an indigene Gemeinschaftsorganisationen. Auch Bands wie NOFX und Boygenius konnten Portugal. The Man bereits für Partnerschaften gewinnen. Dass dieses Thema nun auch den Weg in ihre Musik gefunden hat, ist nur logisch.

Geschafft!

Aufgenommen hat die Band “Chris Black Changed My Life” im Sonic Ranch Studio in Texas, dem weltweit größten Studio-Wohnkomplex, und bei jedem noch so kleinen Detail dieser Platte steckt auch dahinter eine tiefere Bedeutung. “Das ist der Ort, wo wir unser erstes Album für Atlantic aufgenommen haben”, so Gourley. “Ich dachte mir: Wenn das hier das letzte Album ist, das ich mache, dann will ich es hier aufnehmen. An dem Ort, wo alles anfing.” Sah es zwischenzeitlich tatsächlich so aus, als könnte Chris Black Changed My Life das letzte Album der Band sein? “Definitiv”, bestätigt Gourley. “Bei allem, was in meinem Leben los war, die Sache mit unserer Tochter… Es ist ein besonderes Album für mich.”

Portugal. The Man (Foto: Maclay Heriot)
Portugal. The Man (Foto: Maclay Heriot)

Das spiegelt sich auch in den zahlreichen Kooperationen wider, die auf “Chris Black Changed My Life” zu hören sind – allesamt Künstler, mit denen Portugal. The Man eine persönliche Geschichte verbinden. Neben den bereits erwähnten Features von Paul Williams und With War ist etwa Edgar Winter zu hören. Teile des Textes von “Champ” stammen aus seinem 1971 veröffentlichten Stück “Dying To Live”. Der 76-jährige Bruder von Bluesgitarrist Johnny Winter singt diese Zeilen für Portugal. The Man nicht nur neu ein, sondern steuert auch Synthies und Saxofon bei. “Summer Of Luv” entsteht mit der ebenfalls in Portland lebenden Psychedelic-Rockband Unknown Mortal Orchestra. “Wir sind seit Ewigkeiten befreundet, ihr Bassist brachte mir quasi bei, wie man spielt und in einer Band ist”, so Gourley. Für die tanzbare Single Dummy, die mit ihrer eingängigen Basslinie an “Feel It Still” erinnert, arbeiten Portugal. The Man erneut mit Asa Taccone von Electric Guest. Und auf “Thunderdome (W.T.A.)” ist nicht nur ein Rap-Part von Black Thought zu hören, sondern auch die mexikanische Sängerin Natalia Lafourcade. Mit Black Thought, Mitgründer der HipHop-Gruppe The Roots, haben Portugal. The Man 2020 bereits an drei Songs für sein erstes Soloalbum “Streams Of Thought, Vol. 3: Cane & Able” gearbeitet. Auch zu Natalia Lafourcade haben sie einen Bezug. “Wir waren per Zufall zur gleichen Zeit im Sonic Ranch Studio, wo sie mit Adan Jodorowsky arbeitete, dem Sohn des chilenischen Regisseurs Alejandro Jodorowsky. Wir hingen zusammen rum, aßen gemeinsam zu Abend, und sie war total lieb und nett. Am letzten Abend meinte Adan dann zu Natalia, sie solle doch mal was von ihrer Musik vorspielen. Erst wollte sie nicht, aber dann gab sie nach – und ich konnte es nicht glauben”, so Gourley. “Als ich nicht singen konnte, habe ich Natalies Musik die ganze Zeit gehört. Ein Freund hatte sie mir gegeben als Beispiel für gefühlvolle Musik, bei der man nicht über die Texte nachdenken muss – und ich hatte bis zu dem letzten Abend keinen Schimmer, dass sie das ist.”

»Ich habe noch nie ein Album veröffentlicht, bei dem ich hinterher dachte: Ich hab’s geschafft. Aber dieses Mal schon.«
John Gourley

Trotz dieser so unterschiedlichen Kooperationen wirkt “Chris Black Changed My Life” an keiner Stelle zusammengewürfelt, sondern wie aus einem Guss, die Songs fließen ineinander, sie sind eingängig – weil Gourley einfach dieses Händchen für unvergessliche Melodien hat, aber dabei noch immer eigenwillig genug bleibt. Ein bisschen Soul gibt es in “Grim Generation”, einen entschlackten Beat und eine Hammond-Orgel in “Thunderdome (W.T.A.)”. “Camp” enthält jubilierende Bläser. Produziert wurde das Album von Jeff Bhasker, der zuvor unter anderem für Beyoncé, Harry Styles und Mark Ronson gearbeitet hat. “Ich nutze das Wort Genie nicht gerne, aber Jeff ist extrem talentiert”, erzählt Gourley. “Die Noten fließen nur so aus ihm heraus, und gleichzeitig ist er total bedacht. Er erfasst jede Kleinigkeit, die vorbeischwebt, und sagt sofort: ‘Oh, das ist eine coole Note.’ Es war beflügelnd, mit ihm zu arbeiten.”

Laut Gourley hatte die Band 30 oder 40 Songs geschrieben, darunter auch die Anfang 2022 veröffentlichte Single “What, Me Worry?”, die es am Ende nicht auf das Album schafft. In aller Ruhe suchen sie die Songs aus, die am besten zusammenpassten und ein stimmiges Ganzes ergeben. Dass dieser Prozess eine Weile dauert, liegt auch an Gourleys Perfektionismus. “Ich habe diese Angst, Songs fertigzustellen”, sagt er. “Ich habe es einmal erlebt, dass Leute Songs genommen und veröffentlicht haben, bevor ich das Gefühl hatte, dass ich wirklich fertig war. Das kann ich nicht noch mal.” Über “Chris Black Changed My Life” allerdings sagte er kürzlich, er habe “zum ersten Mal das Gefühl, ein vollendetes Werk erschaffen zu haben”. “Ich meine damit den allgemeinen Sound”, sagt er. “Ich bin mit Motown aufgewachsen, darum bin ich besessen von Struktur. Man hört das vor allem auf unserem Album “The Satanic Satanist”. Es fließt – aber hier und da mäandert es auch. Bei unserem neuen Album habe ich das Gefühl, in Hinblick auf die Struktur genau das erreicht zu haben, was ich wollte”, sagt er. “Ich habe noch nie ein Album veröffentlicht, bei dem ich hinterher dachte: Ich hab’s geschafft. Aber dieses Mal schon. Das ist ein gutes Gefühl. Und jetzt will ich etwas anderes machen! Ich will ein Prog-Album machen, ein lineares Album. Etwas, das freier und weniger strukturiert ist. Beim Musikmachen ist es bei mir immer so, dass es förmlich wehtut, bis ein Song fertig ist. Dann fühlt man sich kurz gut, weil man es geschafft hat, aber dieses Gefühl hält nur einen Moment. Danach schmerzt es in einem wieder, weil man das nächste angehen will. Und in Zukunft will ich – jetzt, wo alles wieder läuft und wir eine bessere Idee haben, was in unserem Leben los ist – einfach Sachen machen, die Spaß machen.”

Neue Bandwelle

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Das Rocco del Schlacko zählt zu den Festivalhighlights im Kalender – und zwar schon seit 1999. Eine Besonderheit des Festivals ist das ausgewogene und bisweilen auch mal skurril wirkende Booking, das allerdings auch immer wieder rauschende Partynächte garantiert. In diesem Jahr wird das Line-up von den Headlinern Peter FoxBroilersMarteria und Electric Callboy angeführt und mit Acts wie Donots und Frank Turner, aber eben auch mit Sido und sogar Tokio Hotel ergänzt.

Mit der nun veröffentlichten nächsten Bandwelle unterstreichen die Veranstalter:innen ihren Ansatz. Angeführt wird die Bandwelle nämlich von The Subways, die dann auch ihr im Januar veröffentlichtes aktuelles Studioalbum “Uncertain Joys” im Gepäck haben werden. Außerdem neu im Line-up vertreten sind Van Holzen, 100 Kilo Herz oder Kwam.E. Den Abschluss der Neuankündigungen bilden Anoki, Drei Meter Feldweg, Good looking Wilson und Fashioned from Bone.

Das Rocco del Schlacko findet in diesem Jahr vom 10. bis 12. August auf den Sauwasen im saarländischen Püttlingen statt. Tickets gibt es noch in diversen Ausführungen und/oder Campingvarianten über die Festivalwebseite.

VISIONS empfiehlt:
Rocco Del Schlacko

10.-12.08. Püttlingen-Köllerbach – Sauwasen

 

 

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De Staat geben Tourtermine bekannt

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Die letzten Jahre standen für die niederländische Alternative-Rock-Band De Staat im Zeichen der Farbenlehre: 2021 starteten sie ihr Projekt  “Red Yellow Blue” und  veröffentlichten in diesem Zeitraum drei EPs. Deren Titel basieren jeweils auf den drei Primärfarben und beschäftigen sich mit den Stimmungen, die diese laut Farbenlehre ausdrücken. Damit lieferten sie ihren Fans bereits einen Ausblick auf das Album “Red Yellow Blue”, das am 2. Juni via Virgin erschienen ist.

 

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Ab Herbst kann man die Alternative-Rock-Band auch live erleben, da kommen sie für mehrere Termine nach Deutschland. Angekündigt sind fünf Konzerte, Auftakt wird am 30. September in Bremen im Tower sein. Daneben sind Shows in der Alten Feuerwache in Mannheim und in Berlin im Hole 44 geplant. Den Abschluss bildet das Konzert am 27. Oktober in Osnabrück.

VISIONS empfiehlt: De Staat

30.09.2023 Bremen – Tower
19.10.2023 München – Backstage Halle
22.10.2023 Mannheim – Alte Feuerwache
24.10.2023 Berlin – Hole44
27.10.2023 Osnabrück – Kleine Freiheit

Aydo Abay von Musa Dagh

01. Yoo Doo Right – “Presto, Presto, Bella’s Dream”

Es gab in den letzten Jahren erstaunlich viele Bands, die Musik wie diese machen. Instrumentale Banger mit ganz viel Melodie und Verve. Da alle Sänger:innen jetzt in die Castingshows rennen, fehlen Bands wie Yoo Doo Right der oder die eventuelle Gesangskünstler:in. Nicht das wirklich etwas fehlen würde. Wahrscheinlich würde der Gesang dem Konzept die Lockerheit nehmen. Oft braucht es keine Worte. Sondern nur einen Flow.

02. Psychic TV – “The Orchids”

Hier absolute Verwunderung über die monatlichen Hörer:innen auf Spotify. Wahrscheinlich ist es ein Vinyl-Thema. Die Geschichte von Genesis P-orridge ist so faszinierend wie verstörend. Wie weit Mensch für die Liebe geht, ist manchmal bizarr. Diese Besessenheit, die er/sie/es in Bezug zu seiner Liebe auslebt, ist wirklich krass, aber irgendwie auch schön. Und so verhält es sich auch mit der Musik von Psychic TV. Die Ursprungsband Throbbing Gristle und der andere Ableger derer, Coil sind ebenfalls absolute Empfehlungen. Es wird immer probiert, immer gesucht, selten gefunden. Das ist toll, weil es genau so ist!

03. Ezra – “Garten Meiner Fantasie”

Ein ganz seltsames Lied, welches mir ganz große Freude bereitet. Ich schätze, dass ich es das erste Mal bei Stephan Glietsch und Suzie Kerstgens bei unserem jährlichen Weihnachtsessen gehört habe. Es hat diesen Charme der Lieder, die immer zu Silvester im ZDF liefen, in denen komisch angezogene Menschen mit hippen Frisuren wild dazu getanzt haben. Textlich und gesanglich erinnert das natürlich an Hildegard Knef. Textlich will es unbedingt zweideutig, anzüglich sein. Die hohe Kunst eines jeden Texters. Ich bin mir nicht sicher, ob das geklappt hat. Das entscheidet bitte jeder für sich.

04. Crack Cloud – “Criminal”

Crack Cloud ist ein Künstler-Kollektiv aus Canada und war die erste Band, die ich während des ersten Lockdowns für mich entdecken konnte. Damals war gerade ein Album erschienen, welches die ersten beiden EPs zusammenfasste. Noch sehr viel Song im System. Mittlerweile sind zwei weitere Alben erschienen und die Strukturen lösen sich immer weiter auf. Zuletzt erschien “Tough Baby”, welches nicht in Gänze überzeugt, aber dieses Lied ist stark. Kollektive lösen sich meistens relativ schnell auf. Kann sein, dass es nur eine Momentaufnahme dieser Zeit bleibt. Trotzdem gehört das gehört. Hoffe, Ben von Popanz bucht die irgendwann vor Auflösung nach Köln. Berlin geht auch.

05. Springtime – “Will To Power”

Gareth Liddiard ist eine Legende. In den 90ern Gitarrist der fantastischen The Drones aus Australien. Kenne ich mich nicht so gut mit aus, weiß aber, dass Thomas Götz das natürlich damals schon gefeiert hat. Er hat nur gelacht, als ich mit Tropical Fuck Storm ankam. Die Formation kennen einige sicher. Die hat er dann 2017 gegründet und bisher zwei fantastische und ein okayes Album veröffentlicht. “Springtime” wiederum scheint ein Corona-Projekt von Liddiard mit Mitgliedern von The Necks und The Dirty Three zu sein. Dieser Song ist Wahnsinn. Das Album in Gänze klingt wie ein gutes Corona-Album.

06. Mario Batkovic – “Primordium Finale”

Das erinnert mich ganz doll an Steve Reich und alles, was mich ganz doll an Steve Reich erinnert, ist meistens gut. Ich mag das repetitive Spiel mit Tönen und das wird hier meisterlich zelebriert. Es klingt nach einem Akkordeon. Wird wahrscheinlich auch eins sein. Kann man sich auf jeden Fall anhören und Dinge wie Steuererklärungen erledigen. Da das alle machen müssen, dürfen das auch ruhig mehr Leute hören.

07. Not The Twos – “Haha”

Ich hab überhaupt keine Informationen über die Band. Das war wohl die erste Single. Mittlerweile gibt es eine weitere. Die ist auch nicht schlecht. Dieser Song besticht durch einen stoischen Beat, einfache Melodien, einfacher Text. Hier wird viel wiederholt. Warum auch nicht? Manchmal braucht es nicht mehr.

08. Silverbacks – “Wear My Medals”

Das ist eine dieser Bands, in die ich mich immer sofort nach wenigen Takten verliebe und hoffe in einer Welt zu leben, in der solche Musik ganz viele Menschen glücklich macht. Dann kommt immer der große Traum dazu, dass sowas wie Nirvana noch einmal passiert und ich wieder dabei sein darf. Diesen Traum träume ich tatsächlich seit über 30 Jahren immer wieder mal. Ist leider seitdem immer noch nicht wieder passiert. Musikalisch hat das nichts mit Nirvana nichts zu tun, aber es hat diesen Vibe und den mag ich. Der macht mich glücklich. Wie Socken mit Flamingos drauf.

09. Television Personalities – Scream Quietly

Ich war erschrocken, als ich sah, dass das auch nur knapp 60000 Leute monatlich auf Spotify hören. Nicht, dass Zahlen in diesem Kontext wichtig wären (außer für den Irren aus Tötensen), aber da geht doch mehr. Diese Band aus dem näheren Umfeld von Oasis ist das coolste, was Britpop konnte. Nicht, dass ich den anderen Bands Coolness absprechen wollen würde, aber ich glaube, keine dieser Bands war cooler als Televison Personalities. Und sie haben Hits ohne Ende. Hier ist einer davon. Man darf sich gerne mit dem Gesamtwerk beschäftigen und dazu das fast autobiografische Buch “Dreamworld” lesen. Das macht Fun.

10. Tigermilch – “Liane W.”

Diesen Song hat Moses Schneider produziert und Friedrich Paravincini hat die unglaublichen Streicher arrangiert. Wir waren mit den Gesangsaufnahmen für “No Future” beschäftigt und zwischendurch kamen immer wieder neue Versionen oder Mixe von diesem Song rein. Ich hab mich ad hoc in den Song verliebt. Da ist so viel Tiefe, Schmerz und Kraft. Irre. Ich hab dann noch versucht, mehr von der Band zu hören. Das ist komplett anders und lässt mich mit ganz vielen Fragezeichen zurück. Egal. Diesen Song müssen alle Menschen hören

Schöner wird’s nicht

Man kann sich keine bessere Location für ein Bon Iver-Konzert vorstellen. Zumindest nicht in dieser Größenordnung. Während die sechsköpfige Band, in deren Zentrum Justin Vernon thront, die Magie ihrer atmosphärischen Klangwelten beim einzigen Deutschlandkonzert vergangenen Jahres in einer grauen Mehrzweckhalle versprühen musste, überzeugt der Kunst!Rasen auf ganzer Linie. Nicht nur dank des Wetters und den daraus resultierenden Outfits herrscht in der Rheinaue Festivalfeeling. Malerisch eingerahmt von Bäumen, die zwar den Blick auf den Rhein versperren, dafür aber rar gesäten Schatten spenden, finden sich auf dem Rasen eine Vielzahl an Getränke- und Essensständen: von vegan belegtem Naan über Spritz kommt hier jede:r auf seine Kosten.

Manche machen es sich auf Picknickdecken bequem, während nur wenige sich von dem eigenwilligen Sound von Alabaster DePlume zu ironischem Ausdruckstanz hinreißen. Selbst die avantgardistischsten Millennials bleiben bei der Performance des Londoners, die irgendwo zwischen lebensbejahendem Spoken-Word-Selbsthilfe-Seminar, wilden Saxofon-Soli und exzentrischem Gesang pendelt, leicht ratlos zurück. Vielleicht entfaltet sich der Charme dieses Experiments nur in schummrigen Kellerclubs und nicht bei Tageslicht.

Anders hingegen sieht es bei Bon Iver aus, der das Publikum nach den Soundschnipseln von “Yi”, die den Abend eröffnen, mit “22 (Over S∞∞n)” sofort in seinen Bann zieht. Dessen Kernzeile ist glücklicherweise keine selbsterfüllende Prophezeiung: Als Bon Iver gute 100 Minuten später die Bühne verlässt, kann von einem vorschnellen Ende keine Rede sein, denn es bleiben keine Wünsche offen. Das liegt sowohl an der großartigen Setlist, die ein gelungener Querschnitt des Œuvres ist, als auch an der hochkarätigen Umsetzung der einzelnen Songs und der besonderen Atmosphäre. Vernon und seine erstklassigen Musiker:innen stellen die Verbindung zum Publikum nicht über bedeutungsschwere Ansprachen oder Mitsing-Animation her, sondern überlassen dies gänzlich der Musik.

“Towers” ist etwa einer dieser Songs, der dank des vollen Bandsounds beschwingter und druckvoller klingt, als man ihn von Aufnahmen kennt. Besonders die beiden Schlagzeuger sorgen bei “33 ‘God'” für die Extraportion Wucht. Aber auch allein bedient sich Vernon einer unglaublichen Breite an Dynamik. Mit “715 – CrΣΣks” macht er das Unmögliche möglich, indem er den Beweis liefert, dass ein exorbitantes Maß an Autotune nicht nur nicht nerven muss, sondern auch für große Gefühlsausbrüche sorgen kann. Man kann sich der Spannung nicht entziehen, wenn Vernon mit seiner Stimme, die von durchdringendem Falsett bis zum samtigen Bariton jede Facette bedient und alle Stimmungslagen von introvertierter Traurigkeit bis hin zu lauter Wut durchlebt.

Bon Iver, Bonn (Foto: Niclas Weber)
Halbe Big-Band und Schweißband: Bon Iver live und open air in Bonn (Foto: Niclas Weber)

Als Konsequenz ist es in jeder der minimalen Pausen mucksmäuschenstill. Gleiches gilt für “Re:stacks”, das Vernon ebenfalls im Alleingang mit der Akustikgitarre performt. Im Kontrast dazu stehen mit massivem Bandsound Songs wie “Blood Bank” oder das großartige “The Wolves (Act I And II)”, das das fulminante Finale des regulären Sets ist und die Bühne in Stroboskoplicht taucht, während alle Musiker:innen ihrer Spielfreude nochmal freien Lauf lassen. Mit “Perth” und “RaBi” gibt es noch zwei Zugaben, bevor Vernon das Publikum nach mehrfachen Danksagungen in den Abend entlässt. Als i-Tüpfelchen lassen sich auf dem Heimweg die pinkgefärbten Reste des Sonnenuntergangs bestaunen. Schöner wird’s nicht.

Klassentreffen mit Moshpit

Gefühlt ist allen Anwesenden an diesem heißen Mittwoch in Köln klar, dass man nur zu 50 Prozent wegen den auftretenden Bands da ist. Der ganze Abend wirke eher wie eine Reunion des Publikums, getriggert durch die Wiedervereinigung alter Helden. Das erste und einzige Deutschlandkonzert für Botch in über 20 Jahren, seitdem sie als Support für The Dillinger Escape Plan zum letzten Mal in Europa getourt sind. Ähnlich lange haben sich große Teile der Besucher:innen nicht mehr gesehen.

So herrscht bereits vor dem Einlass reges Treiben vor dem Tor der Essigfabrik. “Du auch hier?” und “Dich habe ich ja ewig nicht gesehen” fallen im Minutentakt. Ein Who-Is-Who aus Akteur:innen des Mitt-2000er-Hardcore/Punk-DIY-Undergrounds aus Deutschland und teils sogar dem Rest Europas umarmt sich, bringt sich “up-to-speed” und schwelgt in Erinnerungen, bis Helms Alee in der gut gefüllten, aber überraschenderweise nicht ausverkauften Essigfabrik ihr Set beginnen.

Botch, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Dave Verellen singt zwar unfreundlich – ist aber ein aufmerksamer Typ (Foto: Jennifer Smith)

Leider wird schnell klar, wer neben den Temperaturen der größte Feind des Abends ist: der Sound. Die Venue ist ein Fluch für jeden Soundmenschen, denn kaum eine anwesende Person berichtet davon, dort schon einmal eine Band mit richtig gutem Sound erlebt zu haben. Das Filigrane, Nuancierte im Sound beider Bands wird durch den Raumhall immer leicht vermatscht. Der Stimmung schadet es trotzdem nicht.

So kämpft sich das Seattler Trio um den Amp-Guru Ben Verellen (dessen Bruder Dave bei Botch singt) mit ihrer Mischung aus Post-, Noise- und Mathrock ins Herz der Zuschauer:innen. Jedoch verhält es sich live ähnlich wie mit ihren Alben: Sie klingen gut, sind super (ein)gespielt, aber viel hängen bleibt leider nicht. Sei es dieser Tatsache, der Hitze oder dem draußen wartenden Smalltalk geschuldet: Am Ende ihres Sets ist die Halle nur noch halbvoll.

Botch, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Bevor er sich die Finger bei Minus The Bear verknotet hat, tat er das bei Botch: David Knudson (Foto: Jennifer Smith)

Mit Bossanova-Untermalung betreten Botch die Bühne. Ab der ersten Ansage von Dave Verellen ist eines klar: Die vier haben Bock – und zwar so richtig! Was sich dann in wenig mehr als einer Stunde in einem absoluten, atemberaubenden Abriss äußert. Zu keiner Zeit kommt einem der Gedanke einer Cash-in-Reunion: Es ist einfach längst an der Zeit, diese Songs wieder live zu spielen. Das tun Botch mit einer Wucht und Intensität wie die Band, die vor über 20 Jahren in kleinen AJZs bereits Kinnladen herunterklappen ließ. Es ist, als hätte die Band nie pausiert. Der gravierendste Unterschied zu einst ist höchstens ihr Lichtmensch, der hier in der Essigfabrik den chaotischen Bulldozercore mit der vollen Batterie an Strahlern noch ekstatischer macht.

Botch, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Längst der Bassist von Russian Circles, gibt sich Bassist Brian Cook mit Botch die Ehre (Foto: Jennifer Smith)

Die Setlist lässt bei 16 Songs keine Wünsche übrig und setzt sich primär aus Material der beiden Alben und Stücken der “An Anthology Of Dead Ends”-EP zusammen. Die Fans fressen die Energie des Quartetts mit Löffeln, gehen mit und geben sie zurück. Verellens Stimme klingt so kräftig wie früher, und seine supersympathische Art ist die Glasur auf dem ohnehin schmackhaften Kuchen. Seine Achtsamkeit für alle im Publikum ist groß: Er lässt etwa einen Rollstuhlfahrer auf die Bühne bringen, damit dieser mehr sehen kann; verteilt immer wieder Wasser an die Moshenden, gibt High Fives und Umarmungen. Dabei gibt er sich selbstironisch und die Dankbarkeit in jeder Aussage ist aufrichtig. Verellen ist der Verstärker für diesen ohnehin erinnerungswürdigen Abend. Wir alle, die wir uns vielleicht erst in 20 Jahren wiedersehen, werden diesen Abend als das energiegeladenste, emotionalste Klassentreffen verbuchen, auf dem wir je gewesen sind.

Neue Folge mit Devid Striesow

Geboren wird Devid Stresow im Oktober 1973 auf der bevölkerungsreichsten Insel Deutschlands: in Bergen auf Rügen. Von klein auf wird er mit klassischer Musik sozialisiert, eine Liebe, die nicht zuletzt auf den Einfluss seiner Mutter – in der Vergangenheit Sängerin – zurückgeht. Was folgt, ist eine frühkindliche Musikerziehung und der Weg ans Konservatorium – im Alter von sechs Jahren und von nun an mit einer Geige ausgestattet.

Während seiner Jugend in Rostock wendet er sich verstärkt der Punkmusik zu, genauer gesagt dem Folk-Punk. So gründet er die Band Fußvolk, mit der er unter anderem Songs der Pogues adaptiert. Die Geige stellt er dafür nicht in die Ecke, allerdings wird nun die Gitarre zum bevorzugten Instrument. Eine Entwicklung, für die Carlos Santana eine nicht unwesentliche Rolle spielt.

2012 mimt Striesow in der Mocumentary “Fraktus” den Produzenten der gleichnamigen Musikgruppe. Dabei handelt der Film von einem skurrilen Dreiergespann, bestehend aus Rocko Schamoni, Heinz Strunk und Jacques Palminger, das sich als vermeintliche Begründer des Techno versteht.

Neben seiner Arbeit als Schauspieler ist Striesow seit 2018 im Podcast “Klassisch Drastisch” zu hören. Gemeinsam mit Schauspieler Alex Ranisch widmet er sich seiner Liebe zu klassischer Musik und versucht diese Leidenschaft auch an die Hörer:innen weiterzugeben. Dafür widmen sich die beiden nicht nur Beethovens neunter Symphonie, sondern stellen in ihrem Podcast auch Biografien wie die des Komponisten Arnold Schönberg vor.

Über den Anachronismus, den Musik in Science-Fiction-Filmen bewirkt, wie man sich in einen sarkastischen Waschbären hineinversetzt und was es mit dem brennenden Plattenspieler aus seiner Kindheit auf sich hat, hört ihr in der aktuellen Folge.

Diese und alle Folgen aus den vergangenen Staffeln gibt es hier zum Nachhören.

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