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Gott frisst Gesicht

Michael, du scheinst eine besondere Beziehung zu Berlin zu haben, der Stadt, in der “The Beggar” jetzt auch wieder aufgenommen wurde. Was fasziniert dich so an der Stadt?

Mein Interesse, so gerne in Berlin aufzunehmen, ist vor allem dem unvergleichlichen Ingo Krauss zu verdanken. Er ist der Betreiber des Candy Bomber Studios, das sich in der imposanten faschistischen Architektur des Tempelhofer Flughafens befindet. Das ganze Gebäude ist voller Geschichte, und Ingo ist ein Toningenieur, der mit einem sehr feinen Gespür für die Bedürfnisse der Musik und der Musiker, mit denen er zusammenarbeitet, aufnimmt. Außerdem lebt Kristof Hahn in der Stadt, genau wie die Swans-Mitglieder Larry Mullins und Dana Schechter daher ergibt es Sinn, in Berlin zu arbeiten. Aber auch jenseits des Studios ist die Stadt reich an Geschichte. Die Menschen, die dort leben, denken natürlich nicht viel darüber nach, weil sie vor allem ihrem Alltag nachgehen und nicht immer den Blick dafür haben. Das geht mir teilweise anders. Ganz in der Nähe des Flughafens steht zum Beispiel ein altes Kasernengebäude, vermutlich aus dem späten 19. Jahrhundert. Auf dem Weg zur Arbeit im Studio laufe ich an modernen Cafés und Boutiquen vorbei und dann plötzlich an diesem besonderen Gebäude. Ich bin mir ziemlich sicher, dass dies das Gebäude ist, von dem ich gelesen habe, dass es ein berüchtigtes SS-Gefängnis war, und man kann sich die Schrecken vorstellen, die sich darin abspielten. Es ist ein seltsames Gefühl. Als ob sich der Kopf von den Schultern löst und in die Vergangenheit schwebt. Ich bin natürlich auch vom Berlin der Weimarer Ära fasziniert und kann über den Glamour, die Dekadenz und die Lasterhaftigkeit von damals nur staunen. Dazu kommt, dass Otto Dix einer meiner Lieblingsmaler ist; ich liebe sein Porträt von Anita Berber, und ich habe mich gefreut, als ich kürzlich sah, dass es in Neukölln einen Park gibt, der nach ihr benannt worden ist.

Ich habe das Gefühl, dass das neue Album viel damit zu tun hat, dass Dinge zu Ende gehen und andere erst beginnen. Ist das ein Thema für dich?

In gewisser Weise ist das Nachdenken über den Tod so etwas wie ein mentaler Streich, den ich mir selbst spiele, um mich zu zwingen, endlich gute Arbeit zu leisten. Kein Bullshit mehr. Gott schaut herab und wird mir demnächst das Gesicht abfressen. Aber ein ausgeprägtes Todesbewusstsein, das Gefühl, dass der Tod quasi mit jedem Atemzug in meine Lunge eindringt, ist meiner Meinung nach gleichzeitig die gesündeste Art zu leben. Natürlich vermeide ich dieses Thema im täglichen Leben so gut wie möglich, aber wenn ich still sitze, aufmerksam in die Luft starre und zulasse, dass alles Unwesentliche von mir abfällt, enthüllt sich mir manchmal die wahre Natur der Dinge. Nur an diesem Punkt kann ich ehrliche Arbeit leisten. Wie alle anderen Menschen auch bin ich vermutlich ein eher passiver und hilfloser Beobachter meines eigenen Untergangs, aber das macht genau diesen Moment umso dringlicher und ergreifender. Manchmal bin ich mir überhaupt nicht sicher, ob ich letzten Endes tatsächlich existiere. Wenn ich mich komplett konzentriere, verschwinden die Schichten der Erinnerung und der Identität vollständig, und ich sehe, wie sich endlose Cluster aus brodelnden Sternen und kosmischem Staub bilden und neu formieren, und wenn ich persönlich irgendwo in dieser Suppe zu finden bin, ist das irrelevant. Alles, was jemals passiert ist, passieren wird oder auch jetzt in diesem Augenblick geschieht, geschieht schließlich in unzähligen, unendlichen Variationen und Widersprüchen gleichzeitig. Jetzt und für immer in der Zukunft, Vergangenheit und Gegenwart.

Lars von Trier hat mal gesagt, dass die Natur in Wahrheit “die Kirche Satans” sei – was sich auch in der teilweise drastischen Bildsprache der neuen Songtexte widerspiegelt. War Mensch vs. Natur eines der philosophischen Themen, die dich bei der Aufnahme der neuen Platte interessiert hat?

Das klingt ganz ähnlich wie Werner Herzogs berühmtes Zitat über den Dschungel und die Natur als böse, räuberische Kraft. Und nicht als Ort, an dem man über die Schönheit der Schöpfung und so weiter nachdenken kann. Interessant, dass Sie Lars von Trier erwähnen, denn er ist neben Herzog einer meiner Lieblingsregisseure. Und zufälligerweise habe ich für die Platte einen Song geschrieben, der sozusagen die Geschichte der Schöpfung enthält, “Paradise Is Mine”. Darin geht es um die Entwicklung der menschlichen Bestie vom Urschlamm des Ozeans bis zur Entstehung von Sprache und Bewusstsein. Natürlich geht es dabei auch immer darum, dieses Bewusstsein infrage zu stellen – wie es manche Leute tun. Und es stellt die für mich vielleicht wichtigste Frage von allen: Bin ich bereit zu sterben?

Apropos Texte: Lässt du dich da immer auch von bestimmten Büchern oder Romanen inspirieren, mal abgesehen von der Bibel wahrscheinlich?

Ich habe mich natürlich oft von Büchern inspirieren lassen, ja. Auf diesem Album ist es beispielsweise “The Memorious”, das sich auf eine Erzählung von Jorge Luis Borges bezieht – vielleicht mein Lieblingsautor. Die Geschichte heißt “Das unerbittliche Gedächtnis” und erzählt von einem jungen Mann, der nach einem Sturz vom Pferd eine unendlich detaillierte Erinnerung besitzt. Er erinnert sich an jedes einzelne Detail, jeden Gedanken, jede Empfindung, jeden Wunsch, jedes Verlangen, jede Beobachtung und an jede Erfahrung, die er jemals gemacht hat. Worüber er letzten Endes natürlich den Verstand verliert. Ich bin glücklicherweise das genaue Gegenteil, ich vergesse alles. Mein Geist ist wie ein Tonband, das sich permanent selbst löscht. Aber ja, ich habe mich schon von Anfang an in meiner gesamten Arbeit auf Bücher bezogen oder mich von ihnen inspirieren lassen, angefangen bei Wilhelm Reichs Massenpsychologie des Faschismus, das 1984 den Anstoß für den Song “I Crawled” gab. Das Album “Love Of Life” war damals von Jack Londons Kurzgeschichten beeinflusst und “Bring the Sun/Touissant l’ouverture” von “To Be Kind” aus dem Jahr 2014 hatte mit Madison Smartt Bells Büchern über die Geschichte Haitis zu tun. Es gibt noch viele weitere Beispiele, aber die sind insgesamt zu zahlreich, um sie hier alle zu erwähnen.

“The Beggar” ist wieder einmal ein ziemlich umfangreiches Werk geworden, die 44 Minuten zusätzlicher Musik auf der CD-Version noch nicht einmal mit eingerechnet. Hat es für dich einen fassbaren Vorteil, die Aufmerksamkeit deines Publikums länger in Anspruch zu nehmen als es mit einem traditionellen Album der Fall wäre?

Ich folge einfach, wohin die Musik mich führt. Mein Ziel ist es, die Musik zu einem ganzheitlichen Sinneserlebnis zu machen, zu einem Ort der Freude im tiefsten Sinne. Wenn das Publikum da mitgehen möchte, ist das wunderbar, und ich bin dankbar, wenn sich jemand für die Arbeit interessiert und hoffentlich etwas Sinnvolles daraus mitnimmt. Meine Aufgabe ist es, gute Arbeit zu leisten. Was sich darüber hinaus daraus ergibt, liegt außerhalb meiner Kontrolle und ist daher nicht der Sorge wert.

Das neue Album von Swans “The Beggar” ist am 23. Juni via Mute erschienen.

Familiengeschichten

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“Dieser Song entstand aus einem Riff, das Shaun Cooper an dem Tag schrieb, an dem er seine Großmutter verlor, als sie zu Beginn der Covid-Pandemie in einem Pflegeheim lag,”  so Taking Back Sunday mit Blick auf ihre neueste Singleveröffentlichung “The One”. “Von überwältigender Traurigkeit geplagt, fand er Trost im Schreiben von Musik und nannte das Riff ursprünglich ‘Posivibes’, um etwas Licht in der Dunkelheit zu finden:” Diesen persönlichen Blick auf die jüngste Familiengeschichte von Bassist Cooper verarbeitet die Emo-Band auch im dazugehörigen Video.

Als würde John Cusack eine Boombox in den Händen halten: Obwohl Taking Back Sunday mit Blick auf “The One” den Vergleich zu Cusack und dessen Filmen ziehen und den Track als “süßes kleines Liebeslied” bezeichnen, versprühen Song und Musikclip nicht den Charme einer romantischen Liebeskomödie aus den 80er Jahren. Mit ihrem melancholischen Sound und den gedeckten Farben, die im Video zum Tragen kommen, wirkt “The One” wie eine nostalgische Auseinandersetzung; eine Auseinandersetzung mit dem Verlust eines geliebten Menschen und den Erinnerungen, die man mit dieser Person verbindet.

Weiter führte die Band aus: “Er hat uns nie die Geschichte des Titels erzählt oder wie das Riff zustande kam, bis es fertig war. Shaun wollte nicht, dass seine Geschichte das ultimative Mittelmaß beeinträchtigt.” Gleichzeitig markiert die Veröffentlichung der Single es für die Band gleichzeitig die erste Veröffentlichung bei ihrem neuen Label Fantasy. Produziert wurde der Song von Tushar Apte (Demi Lovato, Nicki Minaj) und Neal Avron (Twenty One PilotsBleachers).

2016 erschien mit “Tidal Wave” die bisher letzte LP von Taking Back Sunday. Drei Jahre später folgte mit “Twenty” eine Best-of-Compilation zum 20-jährigen Bandjubiläum.

Kellerwohnung mit Fenstergittern

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Damon Albarn & Co. legen nach: Nachdem Blur im Mai relativ überraschend ihr kommendes Studioalbum “The Ballad Of Darren” mit der ersten Single “The Narcissist” angekündigt hatten, folgt nun bereits der zweite Vorgeschmack auf das neunte Studioalbum der Britpop-Band. “St. Charles Square” weckt Erinnerungen an die früheren Zeiten der Band, als Blur für ihre disharmonische Art-Pop-Coolness berühmt wurden. “Because there’s something down here/ and it’s living under the floorboards”, singt Albarn im Song, während der Hintergrundgesang die diffuse Ahnung einer herannahenden Gefahr zusätzlich verstärkt, gibt Gitarrist Graham Coxon dem Song eine zusätzliche Kompromisslosigkeit.

In einem Interview mit Zane Lowe für Apple Music 1 sprach Albarn über den Song: “Ich war wirklich erleichtert, dass es im Studio so gelaufen ist. Ich meine, in meinem Demo hat es sich irgendwie angedeutet, wegen der Akkorde im Refrain – es hat dieses Tuckern – aber Graham hat wirklich mitgemacht … Es hat eine tolle Atmosphäre. Jeder spielt wirklich gut auf dem Ding.” Albarn weiter: “Wisst ihr, wie sich die ganze Sache wirklich angefühlt hat? […] Wir befinden uns irgendwo im Jahr 1992 oder so, ’92, ’93. Wir sind einfach irgendwie zurück. […] Man muss das, was man singt und schreibt, irgendwie mitbringen.” Der neue Song ist zudem bereits seit einigen Shows fester Bestandteil der Setlist und hat sich dadurch auch schnell zu einem Liebling der Fans entwickelt.

Für “The Ballad Of Darren” haben Blur mit James Ford zusammengearbeitet, der unter anderem schon für die Gorillaz und Depeche Mode produziert hat. “Dies ist eine Nachbebenaufzeichnung, eine Reflexion und ein Kommentar dazu, wo wir uns jetzt befinden”, erklärte Albarn. Es fühle sich immer “sehr natürlich an, gemeinsam Musik zu machen”, fügte Schlagzeuger Dave Rowntree hinzu: “Mit jeder Platte, die wir machen, offenbart der Prozess etwas Neues und wir entwickeln uns als Band weiter.”

Anfang Juli spielen Blur zwei große Reunion-Shows im Londoner Wembley-Shows, zuvor hatten sie eine Reihe von Warm-up-Konzerten absolviert, unter anderem auch in Amsterdam. Termine im deutschsprachigen Raum sind bisher nicht geplant. “The Ballad Of Darren” erscheint am 21. Juli via Parlophone/Warner und kann weiterhin vorbestellt werden.

Letzter Teil der Compilation-Reihe angekündigt

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1996 war Jeffrey Lee Pierce, seines Zeichens Gründungsmitglied und Sänger der Post-Punk-Band The Gun Club, im Alter von 37 verstorben. Nun erscheint mit “The Task Has Overhelmed Us” der vierte Teil des The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project, das sich dem musikalischen Vermächtnis von Pierce widmet und auf dessen Songmaterial aufbaut. Für den letzten Teil der Compilation haben Nick Cave und Blondie-Frontfrau Debbie Harry mit “On The Other Side” erneut ein Duett aufgenommen, mit dem sie die erste Singleauskopplung des Albums präsentieren.

Im Video zum Song wird Pierces musikalischer Weg anhand von zahlreichen Fotomontagen nachgezeichnet. Darin zu sehen: Auftritte, die zwischen Los Angeles und West London entstanden sind und einen zeitlichen Bogen von den frühen 80er Jahren bis in die 90er Jahre schlagen. Dabei haben sich Cave und Harry für ihre Version Unterstützung von Warren Ellis (Synthesizer), Guido Bengini (Bass) und dem ehemaligen The-Gun-Club-Gitarristen Cypress Grove geholt, der das Projekt initiiert hat. Dieser hatte 1996 beim Aufräumen eine Kassette mit Songideen seines verstorbenen Bandkollegen gefunden. Ein überwiegender Teil der auf dem Album enthaltenen Stücke beruht auf diesen Skizzen und Live-Demos, die Pierce kurz vor seinem Tod aufgenommen hatte.

In einem Interview mit dem Rolling Stone erklärte Grove vor einigen Jahren die Idee hinter dem Projekt: “Die Grundidee war: Dies sind nicht unsere Songs, wir interpretieren sie nur.’ Dies ist kein Tribut-Projekt, das normalerweise aus drittklassigen Aufgüssen berühmter Originale besteht, sondern brandneues Material über den Tod hinaus. In einigen Fällen mussten die Künstler den Song zu Ende schreiben, der Vergleich von Original und Version fällt also weg, denn es gibt überhaupt keine Originalversion.”

Neben Nick Cave und Debbie Harry sind außerdem Lydia Lunch, Jim Jarmusch, Jim Jones – dieser hatte 2012 mit der Jim Jones Revue den Song “Ain’t My Problem Baby” zum zweiten Teil der Compilation beigesteuert – und Depeche-Mode-Frontmann Dave Gahan auf dem neuen Teil der Reihe vertreten.

Mit “We Are Only Riders” erschien 2009 der erste Teil der Compilation. Das zweite Album “The Journey Is Long” folgte 2012, zwei Jahre später erschien mit “Axels And Sockets” der dritte Teil. Für die ersten drei Alben hatten Cave und Harry die Songs “Free To Walk” (2009), “The Breaking Hands” (2012) und “Into The Fire” (2014) gemeinsam aufgenommen. Auf “The Task Has Overhelmed Us” ist Cave außerdem mit dem Song “Go Tell The Mountain” vertreten, den er mit Mark Lanegan und Warren Ellis eingespielt hatte.

Der vierte Teil der Compilation wird am 29. September via Glitterhouse erscheinen und kann bereits vorbestellt werden.

The Jeffrey Lee Pierce Sessions Project – “The Task Has Overhelmed Us”

01. Dave Gahan – “Mother Of Earth”
02. The Coathangers – “La La Los Angeles”
03. Jeffrey Lee Pierce (feat. Nick Cave & Warren Ellis) – “Yellow Eyes”
04. The Amber Lights – “Debbie By The Christmas Tree”
05. Mark Lanegan (feat. Nick Cave & Warren Ellis) – “Go Tell The Mountain”
06. Jim Jones and the Righteous Mind – “Going Down The Red River”
07. Peter Hayes, Leah Shapiro & Humanist – “The Stranger In Our Town”
08. Suzie Stapleton (feat. Duke Garwood) – “Secret Fires”
09. Hugo Race – “Tiger Girl”
10. Nick Cave & Debbie Harry – “On The Other Side”
11. Cypress Grove – “Idiot Waltz”
12. The Amber Lights – “Tiger Girl”
13. Alejandro Escovedo – From Death To Texas”
14. Mark Stewart – “Vodou”
15. Lydia Lunch, Jozef van Wissem, Jim Jarmusch – “Time Drains Away”
16. Chris Eckman & Chantal Acda – “Lucky Jim”
17. Pam Hogg (feat. Warren Ellis & Youth) – “I Was Ashamed”
18. Sendelica (feat. Wonder & Dynamax Roberts) – “Bad America”
19. Cypress Grove – “Desire By Blue River”

 

Die Alben der Woche

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Platte der Woche: Grian Chatten – “Chaos For The Fly”

Grian Chatten (Foto: Eimear Lynch)
Grian Chatten (Foto: Eimear Lynch)

Zugegebenermaßen kommt zwischen endlosen Touren die Solokarriere des Fontaines D.C.– Frontmanns recht überraschend. Und auch auf seinem Debüt kann Post-Punk-Poet Grian Chatten mit Arrangements aus imposanten Orchestrierungen, Akustikgitarren und anschließenden Ausschweifungen am Klavier im Geiste der 60er Jahre durchaus überraschen und sich damit angenehm von typischen Solo-Singer/Songwriter-Projekten abheben.

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Loma Prieta – “Last”

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Auf ihrem neuen Album reflektieren Loma Prieta zwischen Screamo und Indierock-Passagen den Zustand einer Welt, die zunehmend an den Abgrund rückt. Ihrer Mischung aus ultraschnellem Hardcore und Stop’n’Go-Rhythmik bleiben sie zwar auch diesmal treu – allerdings mit heruntergedrehten Aggro-Reglern.

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Royal Republic – “The Double EP”

royal-republic_double_epRoyal Republic erfinden sich selbst nicht neu – das zeigen die fünf neuen Songs auf der Doppel-EP -, sie bleiben bei dem, was sie können. Die Schweden spielen ein poppiges Handwerk aus Rock mit Disco. Der zweite Teil der EP besteht aus fünf weiteren Songs, die während eines Konzerts in Paris aufgenommen wurden.

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Bdrmm – “I Don’t Know”

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Auf “I Don’t Know” setzt sich Bdrmm-Sänger Ryan Smith nicht nur mit Selbstfürsorge und Achtsamkeit auseinander, sondern macht auch seine sozialen Phobien zum Thema – mit entwaffnender Ehrlichkeit. Ihren Sound erweitert die Shoegaze-Band dabei um elektronische Spielarten, wie der Ambient-Track “Advertisement One” zeigt.

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Ok Wait – “Signal”

Das Trio aus Hamburg liefert auf seiner neuen Platte instrumentalen Noise-Rock mit experimentellem Charakter. Ihre Song-Progressionen strukturieren Ok Wait um, indem sie vermehrt kürzere Songs schreiben als auf ihrem Debütalbum “Well”. Dabei flirtet die Band mit allem von Shoegaze über Doom bis hin zu Black Metal.

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Birgit Jones – “And The Desperate Cry For Fame “

Birgit Jones And The Desperate Cry For Fame

Bei Bridget Birgit Jones braucht es keine krachenden Gitarren, um mit der Gesellschaft und dem patriarchalen System abzurechnen. Dabei widmen sie sich in ihren Songs nicht nur feministischen Themen, sondern nehmen mit brachialer Härte und viel Humor auch die Tücken des Wohnungsmarktes auf die Schippe.

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Schlüsseldienst

Ein Konzert, das um 19 Uhr anfängt, besucht man nicht alle Tage. Das Publikum im Kölner Palladium ist zeitig da, um sich Shannon & The Clams anzusehen und -zuhören. Das Outfit des Keyboarders zeigt, was man von der Band erwarten kann: Das Hemd mit der Weste mit den Glitzerverzierungen sieht verdächtig nach den 60ern aus. Sanfte R&B-Melodien mit Surf-Rock- und Doo-Wop-Einflüssen versetzen zurück in eine Zeit voller US-Klischees, bei denen man nach dem Besuch im Diner den alten Camaro weiter zum Motel fährt. Live klingen die Stimmen von Shannon Shaw und Cody Blanchard sehr ähnlich, wobei Shaw noch einmal deutlich mehr Druck innewohnt. Man könnte behaupten, der leicht knarzige Sound des Gesangs und der diffus klingenden Instrumente sei ausbaufähig, allerdings handelt es sich um die erste von drei Bands – und der Klang passt gut zum Sounddesign der 60er. Dem Publikum gefällt die Zeitreise.

Spoon sind seit ihrem Debütalbum “Telephono” (1996) als Indierock-Band längst etabliert. Entsprechend groß ist die Begeisterung, als die fünf Musiker die Bühne betreten. Vor allem zeigen sie aber an diesem Abend, wie mächtig das unpräzise Wort “eigentlich” sein kann – denn eigentlich liefern sie ab. Für den Soundcheck muss hörbar genug Zeit gewesen sein. Trotzdem will die Band nicht aus sich herauskommen. Der Start mit “Wild” vom aktuellen Album “Lucifer On The Sofa” ist vielversprechend und strahlt reichlich Lebensbejahung aus. Den folgenden Songs auf der Setlist fehlt es leider an Dynamik. Als gegen Ende “The Hardest Cut” anläuft, weiß man nicht, was die Band mit Groove zu tun haben soll. Nicht einmal die Fan-Favoriten “The Underdog” und “Inside Out” stechen aus dem akustischen Einheitsbrei hervor.

The Black Keys, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Cool mit Sonnenbrille: Dan Auerbach von den Black Keys (Foto: Jennifer Smith)

Knapp 20 Leute bauen anschließend für ein Duo um. Natürlich steht Patrick Carneys Schlagzeug im Vordergrund. Für die Black Keys ist es das erste von nur zwei Deutschland-Konzerten auf ihrer “Dropout Boogie”-Tour. Als Carney und Dan Auerbach – nicht nur als Duo, sondern mit einem Perkussionisten, Keyboarder, Gitarristen und Bassisten – die Bühne betreten, ist die Stimmung blendend. Bei “I Got Mine” verfällt die Menge direkt dem Drang, sich ausgiebig zu bewegen. Und auch beim nachfolgenden “Fever” gibt das Publikum sich dem Fuzz hin.

The Black Keys, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Da sie eigentlich ein Duo sind, sitzt Patrick Carney nebst Schlagzeug natürlich vorne. (Foto: Jennifer Smith)

Dass alle der hinzugekommenen Tour-Mitglieder Backing-Vocals beisteuern, peppt das Garage-Flair in Songs wie “Gold On The Ceiling” deutlich auf. Die Wand, die zwischen Video und Licht wechselt, schafft mit den LED-Panels oberhalb der Bühne den passenden Akzent für die Songs: Mal filmt eine Kamera die Band und spielt die Aufnahmen mit diversen Farb- und Effekt-Filtern aus, mal filmt sie das Publikum; an anderer Stelle sind es Motive wie Spielautomaten und Casino-Chips.

The Black Keys, Köln (Foto: Jennifer Smith)
Das Duo ist heute ein Sextett – und das Palladium gefüllt mit einem euphorisierten Publikum. (Foto: Jennifer Smith)

“Everlasting Light” singt Auerbach ordnungsgemäß mit Kopfstimme, während nur das Duo angestrahlt wird. Das Publikum zeigt sich nicht nur bei “Tighten Up” und “Howlin’ For You” textsicher. Als die Band nach kurzer Pause zur Zugabe wiederkommt und Auerbach eine Akustikgitarre in die Hand nimmt, ist klar, was folgt: Ein ausverkauftes Palladium singt “Little Black Submarines” mit und übertönt damit fast Dan Auerbach. Beim finalen “Lonely Boy” gibt es dann sogar einen dezenten Moshpit.

Hassliebe

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“‘California King’ handelt von der Hassliebe, die ich zu Chicago habe, und davon, dass ich manchmal weg will, obwohl es die beste Stadt der Welt ist”, so Sincere Engineer-Sängerin Deanna Belos über die neue Single. Damit liefert die Pop-Punk-Band neues Songmaterial und gibt nach “Fireplace” einen zweiten Ausblick auf das kommende Album “Cheap Grills”. Im dazugehörigen Video baut sich die Band ein Kartenhaus aus Erinnerungsstücken.

Mit den Zeilen “Maybe everything around me is too slow/ Baby, in this city I’ve been feeling so alone/ Lately I’ve been thinking ’bout leaving Chicago”, besingt Belos das Bedürfnis, ihrer Heimatstadt den Rücken zu kehren und der Einsamkeit zu entfliehen – zumindest für einen kurzen Augenblick. Widmete sich Single “Fireplace” mit jeder Menge Humor der Frage, wie man mit dem Ableben eines ungeliebten Menschen umgehen soll – vor allem, wenn die betreffende Person auf kannibalistische Art und Weise umgekommen ist – schlägt die zweite Single andere Töne an. Während der Song inhaltlich von Nostalgie getragen wird, bricht der catchy Pop-Punk-Sound mit diesem Ansatz und verleiht dem Song einen positiven Antrieb. Motto: Sich ab und an wegträumen und in Erinnerungen schwelgen ist in Ordnung, nach Hause zurückkehren aber auch.

2015 als Solo-Projekt gegründet, erschien 2017 mit “Rhombithian” das Debütalbum von Sincere Engineer. “Bless My Psyche” folgte vier Jahre später. “Cheap Grills” erscheint am 22. September via Hopeless und kann bereits vorbestellt werden.

Sincere Engineer – “Cheap Grills”

01. “Anemia”
02. “California King”
03. “Old Coat Pocket”
04. “Landline”
05. “Fireplace”
06. “Code Orange”
07. “Inside My Head”
08. “Library Of Broken Bindings”
09. “Scratched”
10. “A Touch Of Hell”
11. “Cinderblocks”
23. “Blind Robin”

Ab ins All

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Für die Smashing Pumpkins geht es hoch hinaus: Im neuen Musikvideo zu “Spellbinding”, der letzten Single des dreiteiligen Albums “Atum”, tritt ein computeranimierter Billy Corgan eine Reise ins All an. “Take me away, I’m gonna find you” – das nimmt er sehr wörtlich.

In welcher Welt in Playstation-3-Optik der virtuelle Corgan am Ende der poppigen Synthie-Reise genau landet, erklärt Regisseur Kevin Kerslake (Nirvana, Primus) wie folgt: “Für das Video ‘Spellbinding’ haben wir ein virtuelles Produktionsmodell gewählt und es vollständig in der Spiele-Engine erstellt; Unreal, mit digitalen Avataren, die sich durch fantastische Welten bewegen, die eine Schlüsselrolle in der ‘Atum’-Geschichte spielen.” Die übrigen Pumpkin-Avatare bleiben im Video lieber an ihren Instrumenten, anstatt ins Space-Shuttle zu steigen.

Redakteur Martin Burger hat das Album mit seinen 33 Songs und seiner seltsamen Geschichte zuletzt genauer unter die Lupe genommen.

Frischer Kit im Bandgefüge

Ein Novum an Ensemble: Rund 34.000 Menschen pilgern zum Triumvirat aus Red Hot Chili Peppers, Iggy Pop und The Mars Volta, das in dieser Konstellation nur auf dem Mannheimer Maimarktgelände zusammenkommt. Die meisten sind davon freilich der einzigen Deutschlandshow der Kalifornier wegen hier, die mit ihrem wiedergewonnenen Gitarristen John Frusciante ein triumphales Konzert spielen, das nur ein Manko hat: Es fällt unterm Strich zu kurz aus, um allen Hits gerecht zu werden. So fallen nicht nur “Dani California” und “Can’t Stop” sondern auch “Under The Bridge” hinten runter – dafür die ein oder andere Überraschung umso positiver auf.

The Mars Volta, Mannheim (Foto: Daniel Thomas)
The Mars Volta geben 30 Minuten lang alles in Mannheim (Foto: Daniel Thomas)

Drei Stunden zuvor müssen The Mars Volta mit knapp 30 Minuten Spielzeit noch deutlich mehr zusammenstreichen. Die Band steigt in Schwarz gekleidet auf die Bühne, was bei den hochsommerlichen Temperaturen schon beim Zuschauen für Schweißflecken sorgt. “We are Tokio Hotel”, grüßt Frontmann Cedric Bixler-Zavala in die Menge. Die wilden bis Samba-ähnlichen Prog-Stücke für das eine oder andere Fragezeichen auf der Stirn unwissender Besucher:innen. Auffällig ist, dass trotz kleinerer Soundprobleme die neuen Songs live besser funktionieren als auf Platte.

Iggy Pop, Mannheim (Foto: Daniel Thomas)
Iggy Pop hat eine interessante Art, das Publikum um den Finger zu wickeln (Foto: Daniel Thomas)

Iggy Pop hat kurz darauf leichte Hand, das Publikum für sich zu gewinnen, auch wenn er diesem die Mittelfinger entgegenstreckt. Noch vor der ersten Zeile fliegt seine ärmellose Kutte in die Ecke und sein faltenschlagender Oberkörper erzählt über die großen LED-Wände auch in den hinteren Reihen von 76 Jahren Punk-Geschichte. Neben seinen neuen Songs sowie den Klassikern “Lust For Life” und “The Passenger” zieht er mit Bläsern auch durch die wilden Tage der Stooges. Er winkt, klatscht und räkelt sich auf dem Bühnenboden mit einer Ausdauer, die seinem Alter spottet und noch immer vor “Raw Power” strotzt.

Red Hot Chili Peppers, Mannheim (Foto: Daniel Thomas)
Eine der besten Rhythmusgruppen im Business: Flea und Chad Smith (Foto: Daniel Thomas)

Noch vitaler ist an diesem Abend nur Flea, der kopfüber auf die Bühne springt und auf Händen zu seinem Bass läuft. Zusammen mit Chad Smith und Frusciante jammt er sich durch ein fünfminütiges Intro, das programmatisch wirkt. Von Sekunde Null an ist offenkundig, dass sich mit Flea und Frusciante hier zwei der größten Saiten-Hexer ihrer Generation begegnen, die immer wieder in die Improvisation abgleiten. Ob bei “Scar Tissue” oder “Californication” – so gut wie nie spielt der zurückgekehrte Gitarrist jeden Ton seiner Solos wie auf Platte.

Red Hot Chili Peppers, Mannheim (Foto: Daniel Thomas)
Hält die Band zusammen: Anthony Kiedis (Foto: Daniel Thomas)

Und weil auch Schlagzeuger Chad Smith herausragendes Können an den Tag legt, gilt der eher mittelmäßige Sänger und Texter Anthony Kiedis häufig als schwächstes Glied in der Kette. Dass ihm damit bisweilen Unrecht getan wird, zeigt sich vor allem bei “Around The World”. Mit pinkem Netzoberteil reißt er die Show als Entertainer an sich, obwohl sein Fuß noch immer oder bereits wieder bandagiert ist. Er ist stimmlich äußerst präsent, und gerade in den unwahrscheinlicheren Songs wie “Throw Away Your Television” oder der ersten Zugabe “I Could Have Lied” eine echte Stütze – und das womöglich auch innerhalb des Bandgefüges. Denn auf der Bühne ist eine Harmonie zu spüren, wie seit den Tagen von “Californication” nicht mehr. Die Band steht nicht selten eng beieinander, rund um den gigantischen Schlagzeugaufbau von Smith vor einem großen Gong mit RHCP-Emblem. So wirken sogar vergleichsweise schwächere, neuere Stücke wie frischer Kit im Bandgefüge. Fulminant ist der Abschluss mit “Give It Away”.

Red Hot Chili Peppers, Mannheim (Foto: Daniel Thomas)
Wieder mal zurückgekehrt: Supergitarrist John Frusciante (Foto: Daniel Thomas)

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