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Smashing Pumpkins: Der Ersteindruck zu "Atum"

Smashing Pumpkins: "Atum"

Völlig losgelöst
Seit heute ist das zwölfte Smashing-Pumpkins-Album komplett. Wir haben uns „Atum“ in Gänze angehört – alle drei Akte, alle 33 regulären Stücke. Hier ist unser Eindruck.
Smashing Pumpkins (Foto: Paul Elledge)
Smashing Pumpkins (Foto: Paul Elledge)

Es gibt einen fiesen Witz zu den Smashing Pumpkins, wie dafür gemacht, ihn hinter vorgehaltener Hand zu erzählen: Billy Corgan hat es Kurt Cobain nie verziehen, dass er sich das Leben genommen hat. Aus Cobain wurde die Grunge-Legende, das Sinnbild des gequälten Künstlers, und Nirvana zur Band mit den drei sehr verschiedenen, alle auf ihre Weise genialen Alben. Natürlich war Cobain vielschichtiger als das, und nicht alles von Nirvana ist pures Gold. Zahlreiche Berichte von Bekannten und Freunden belegen das, zuletzt Mark Lanegans Autobiografie „Sing Backwards And Weep“. Die Musik spricht ohnehin für sich.

Doch gegen die öffentliche Meinung kommt man als Künstler nicht an. Irgendwann wird aus ein paar Einzelwahrnehmungen eine allgemein kolportierte Wahrheit. Niemand im Rockgeschäft weiß das besser als Billy Corgan, der Mann, der sich „anno 1996 ein Ego herangezüchtet“ hatte, „auf dem man ‚Aida‘ aufführen könnte“, so VISIONS 2014 zur Deluxe Edition von „Adore“, dem missverstandenen „Mellon Collie And The Infinite Sadness“-Nachfolger. Die allgemein kolportierte Wahrheit zu Corgan und den Pumpkins lautet: „Siamese Dream“ und das Doppelalbum (auf Vinyl: Triple-Album) „Mellon Collie…“ sind die Großwerke, danach kam nicht mehr viel von Belang. Wer daran zweifelt, höre einfach alles, was seit dem „Comeback“-Album „Zeitgeist“ unter dem Banner der Pumpkins erschienen ist. Oder Corgans völlig egale Soloalben. Von „selten gut“ und „zweitklassig“ bis zu „Selbstdemontage“ reichten die Urteile.

Corgan mag heutzutage Interviews geben, aus denen man so etwas wie Altersmilde herauslesen könnte – es schützt seine Mitmusiker und Fans nicht vor dem konzeptionellen Starrsinn, den er Mitte der 90er entwickelt hat und mit dem neuen Pumpkins-Album mal wieder offen zur Schau stellt. Gibt er selbst zu in der ersten Folge seines Podcasts „Thirty-Three“, in dem er mit prominenten Gästen die Geschichte hinter den 33 Stücken auf „Atum“ preisgibt, als sei die ein Geheimnis, das unbedingt gelüftet gehört. Permanente Beisitzer im Podcast sind irritierenderweise Leute aus Corgans eigenem Wrestling-Verband.

„Atum“, das haben Zuhörer:innen als erstes reingedrückt bekommen, ist die Fortsetzung von „Mellon Collie…“ und „Machina/The Machines Of God“ (Hatte jemand, der kein beinharter Pumpins-Fans ist, vorher einen Zusammenhang zwischen den beiden Alben vermutet?). Es erzählt die Geschichte des Charakters Shiny, der 1995 noch Zero hieß, während der „Machina“-Ära offenbar als Glass wiedergeboren war und jetzt, als alter Mann, im interstellaren Exil lebt. Davon erzählt ohne Worte das Titelstück, das „Atum“ eröffnet. Es ertönt ein Gong, es gibt ein bisschen Ambient und bedeutungsschwangeres Queen-Gitarrengedudel. Irgendwo spielt Bowie-Pianist Mike Garson mit. Laut Corgan soll man sich Shiny in einem Raumschiff vorstellen und in der Nähe, außerhalb der Sichtweite, ein zweites Raumschiff mit einer Frau, die ihn liebt und jeden Morgen zu ihm betet. Shiny allerdings weiß davon nichts.

Und so weiter. Ein Beispiel noch: Der Elektropop-Song „Hooray!“, der in den vergangenen Monaten viel Häme abbekam, wird innerhalb der Handlung von einem weiblichen Roboter namens Ruby gesungen. Die Hauptcharaktere erreichen einen seit Jahren nicht mehr geöffneten Vergnügungspark und werden vom Nachtwächter in eine Halle geführt. Der Nachtwächter drückt einen Knopf, die Lichter gehen an, Ruby erwacht und zieht ihre vorprogrammierte Varieté-Nummer durch. Was erklärt, warum „Hooray!“ klingt, wie es klingt – aber nicht, warum es so ein schlechter Song ist. Es wird mehr Hörer:innen geben, denen die Geschichte hinter einem Song schnurz ist und die mitreißende Musik wollen als solche, die eingehende Erläuterungen brauchen, um Sound-Entscheidungen akzeptieren zu können.

Es ist ja auch nicht so, dass Corgan das Songwriting verlernt hat. Man schreibt nicht Ewiggültiges wie „By Starlight“ oder „Stand Inside Your Love“ und vergisst kurz darauf plötzlich alles, was man weiß. Auf dem ersten „Atum“-Teil (Kritik hier) befinden sich gut geschriebene Songs. Sie heißen „Butterfly Suite“ und „Steps In Time“ und sie legen das Manko aller drei „Atum“-Teile frei: die Produktion. Die hat Corgan selbst besorgt und seine Stimme natürlich zu weit nach vorn gemischt. Die Backgroundsängerinnen Katie Cole und Sierra Swan agieren auch nicht gerade in dem, was man sich unter einem Hintergrund vorstellt. „Atum“ hat als Ganzes betrachtet schlicht zu wenige Momente, in denen Jeff Schroeders, James Ihas und Jimmy Chamberlins Beiträge erkennbar sind.

Das ist eine Frage, die sich Fans seit „Cyr“ stellen: Wozu Iha und Chamberlin, einen der besten Rock-Drummer der Welt, überhaupt zurück in die Band holen (Ur-Bassistin D’Arcy Wretzky forderte etwas, das Corgan ihr nicht geben wollte. Vermutlich ein bisschen Autonomie. Ob Melissa Auf der Maur zur Debatte stand, ist nicht bekannt), wenn sie ihre Stärken nicht ausspielen dürfen? Wo sind die sanften, bedachten Anteile, die Iha immer zu den Pumpkins beisteuerte? Nichts klingt hier bedacht oder so, als könne es atmen. „Steps In Time“ erstickt geradezu unter dem Synthie-Kleister, der auch die vergangenen paar Muse-Platten überdeckte. Und Chamberlin, Corgan in Co-Abhängigkeit verbunden, darf nur punktuell selbst trommeln. Der Rest sind simple Computerbeats, die jeder Logic- oder Ableton-Schüler nach drei Unterrichtseinheiten besser hinbekommt. Kritische Fans sprechen in diesem Zusammenhang von der größten Talentverschwendung seit „The Center Won’t Hold“, der Platte, die Janet Weiss bei Sleater-Kinney aussteigen ließ. Da ist was dran.

Leider muss man davon ausgehen, dass der „Atum“-Sound aus einfachen Rock-Riffs im Synthie-Kleid (oder eben nur das Synthie-Kleid) aus einer Art Gemeinschaftsentscheidung hervorging. Aus den Pumpkins, die sich „nie wiederholen wollen“, so Corgan im Podcast. (von dem nun gelassen sei. Er ist verlinkt. Wer hören möchte, wie Corgan in 31 weiteren Episoden Gebotstafeln zur Erde hinablässt und seine krude, Coheed And Cambria-eske Story ausbreitet: nur zu.) Wobei „Atum“ durchaus helle Flecken hat: Ein solider Lauf, wie er im zweiten Teil (Kritik hier) vom Opener „Avalanche“ bis zu „Moss“ stattfindet, trotzt allen Soundfragen und Unkenrufen. Selbst „Neophyte“, das für die Tiktok-Generation geschrieben zu sein scheint, klingt erstaunlich einladend, und dass Cole und Swan in „Moss“ etwas singen, das sich wie „miau, miau, miau“ anhört, kann dem Song nichts anhaben. Dass die simplen, doch druckvollen Rock-Singles „Empires“ und „Beguiled“ nichts weiter als Sound-Nebelkerzen sind, dürfte mittelweile auch klar sein. Das interessant strukturierte „The Culling“ wäre als Akustikgitarren-Ballade dennoch genießbarer gewesen als das hier abgelieferte Irgendwas. Immerhin: Der Closer „Springtimes“ übt sich in Zurückhaltung – schon sticht er positiv heraus.

Wo Teil zwei versöhnlich endet, beginnt der neue, dritte Teil. „Sojourner“ ist ein Pumpkins-typischer Longtrack. Meilenweit entfernt von einem „Porcelina…“ zwar, und von „Starla“ fangen wir besser gar nicht erst an. Und doch, das hier kann was. Im folgenden „That Which Animates The Spirit“ wird Chamberlin mal kurz von der Leine gelassen. Das Riff hält durchgehend bei der Stange, die Gitarrensolos sind sparsam eingesetzt, Corgans Gesang und der von Cole und Swan greifen ineinander – ein ziemlich guter Song. Für „Harmageddon“ gilt trotz seines dämlichen Titels dasselbe. Was Synthiepop angeht, lässt „Pacer“ den Rest von „Atum“ und das gesamte Vorgänger-Kopfkratz-Album „Cyr“ hinter sich (Dem „Lost Highway“-Beitrag „Eye“ kann es, keine Überraschung, nicht das Wasser reichen). Verdammt noch eins, bei „Spellbinding“ kommt sogar eine „Oceania“-ähnliche Euphorie auf. Fast scheint es, als habe sich Corgan das Beste von „Atum“ fürs Schlussdrittel aufgehoben.

Wie oben angedeutet, krankt aber auch dieser Teil wie die ersten beiden und wie „Cyr“ an der Produktion. („Atum“ und „Cyr“ hat die „Band“ teils parallel aufgenommen.) Mit rund 50 Minuten ist er zudem der längste des Outer-Space-Synthie-Rock-Triptychons. Konzeptquatsch wie „Fireflies“ oder die neunminütige Geduldsprobe „Intergalactic“ werden einige Zeit brauchen, bis man sie sich als wohlgesonnener Fan schöngehört hat. Falls es denn so weit kommen sollte. Den Gesamtabschluss „Of Wings“ macht Corgan dann wieder größer als es der simpel, aber effektiv aufgebaute Schlaflied-Charakter des Stücks fordert. Als wäre „Springtimes“ kein gutes Beispiel gewesen. „Atum“ endet also mit einer verkappten Operette, die nur einmal für ein paar Sekunden eine hübsche Akustikgitarrenfigur für sich stehen lässt, bevor wieder Streicher und Chöre übernehmen.

Die allgemein kolportierte Wahrheit zu Corgan und den Pumpkins lautet: „Siamese Dream“ und „Mellon Collie…“ sind die Großwerke, danach kam nicht mehr viel von Belang. Das stimmt nicht. Selbstverständlich nicht. „Adore“ wächst mit jedem Durchgang. „Machina/The Machines Of God“ ist um Längen besser als sein Ruf, seine Singles gehören zu den größten Songs, die Corgan je veröffentlicht hat. Sollte die lange überfällige Deluxe-Reissue (gemeinsam mit dem neu gemasterten „Machina II“) denn irgendwann mal erscheinen, wird das auch den letzten Kritikern klar werden. Die Zwan-Platte soll Freunde haben, hört man. Auf „Zeitgeist“ gab es tolle Momente, besonders den Titelsong. Die „American Gothic“-EP und „Oceania“ sind überdurchschnittlich gut geschrieben und fast schon locker heraus aufgenommen. Selbst auf „Monuments To An Elegy“, dem von Tommy Lee kaputtgetrommelten Album von 2014, befindet sich mit „Drum + Fife“ ein echter Hit.

Die Phase ab 2018 hingegen, also von „Shiny And Oh So Bright…“ bis einschließlich „Atum“, kann man nur bedingt verteidigen. Zu sehr versteigt sich Corgan in seinem Konzept und vergrätzt mit dem aktuellen Sound mehr alte Fans als er neue einsammelt. Die rückwirkende Kontinuität, die er für „Mellon Collie…“, „Machina/The Machines Of God“ und „Atum“ konstruiert hat, führt zu Entfremdungsgedanken, beim eigentlich unantastbaren Klassiker der 90er wie auch beim 2000er Abschluss der ersten Bandphase. Wo fügt sich „Lily (My One And Only)“ an groben Unfug wie „Hooligan“ an, wo passt „The Everlasting Gaze“ zum schleppenden „Space Age“? „Atum“ wirkt noch zusammenhangsloser als das neue Amplifier-Album „Hologram“, fast alle seiner 33 Stücke enden zu abrupt. Wie die meisten Doppel- oder Dreifach-Alben kann man es zu einer einfachen LP mit sehr guten Songs editieren, damit ist aber immer noch nicht das Soundproblem gelöst. Die harte, kalte, digitale Produktion mit gelegentlichen Rockismen ermüdet das Ohr. „Atum“ könnte eine spannende Reise sein – die wenigsten werden sie in ihrer Gesamtheit antreten und beenden wollen. Von den zehn Bonusstücken der physischen Edition ganz zu schweigen.

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