So fühlt es sich an, wenn sich Kreise schließen. Das bisher letzte Präsenz-Interview war mit Bela, Farin und Rod anlässlich ihres Album-Comebacks, im Anschluss folgte, was zuvor bereits zur Arbeitsroutine geworden war: Zoom-Interview auf Zoom-Interview. Bis es endlich wieder mal hieß: Ein Gespräch mit Musikern in einem Raum, mit echtem Blickkontakt und Ellbogen-Check steht an. Der Ort: erneut das Gelände der Columbiahalle in Berlin. Die Band: wiederum Die Ärzte. Alles beim Alten also? Nicht ganz. Das Wiedersehen in diesen unverändert wunderlichen Zeiten ist noch ein wenig herzlicher; außerdem scheint auch der Groove innerhalb der Band sich noch einmal zurechtgeruckelt zu haben. War beim Treffen anlässlich von “Hell” ein unterschwelliges Gefühl von Neuland, gleichzeitig eine Art Rückbesinnung zu spüren, mit Blick auf die lange Pause zwischen zwei Platten aber auch eine unterschwellige Aufregung, so wirken die drei ziemlich genau ein Jahr später um einiges selbstverständlicher. Man könnte jetzt das Schlagwort “Routine” einwerfen, aber das trifft es nicht. Die kribbelige Ungewissheit ist einer fast euphorischen Neugier darauf gewichen, was die Welt wohl sagen wird zu “Dunkel”, diesem neuen Album, mit dem kaum jemand gerechnet hatte. Schon gar nicht so schnell.
Dass man so bald schon wieder über einem neuen Album zusammensitzen würde, kommt etwas überraschend.
Bela: Wir hören es heute zum ersten Mal…
Farin: …laut zusammen.
Bela: Klar haben wir es zu Hause auf unseren Stereoanlagen gehört, im Studio beim Mastern, aber jetzt wo alles fertig ist und man auf nichts mehr achten muss, ist es das erste Mal. Einfach mal eine Flasche aufmachen und aufdrehen.
Bevor wir uns “Dunkel” widmen, erst mal ein paar Worte zum Vorgänger “Hell”, das ist ja alles noch einigermaßen frisch. Wenn ihr darauf zurückblickt: Wie hat es sich für euch, nach einer doch ziemlich langen Pause ohne neue Platte, angefühlt, wieder ein Album herauszubringen?
Rod: Ein bisschen komisch, so ohne Tour.
Farin: Ohne Tour war es, als würden wir ins Leere rufen. Wie beim Soundcheck.
Bela: Die Platte kommt raus, geht in die Charts. Das guckt man sich also aus der Entfernung an und fragt sich: Wie kommt es wohl an, gibt es neue Fans, was sagen die alten Fans dazu?
Farin: Das bekommst du halt nur unmittelbar mit, wenn du anschließend live spielst. Natürlich gibt es Einträge im Gästebuch auf der Homepage, aber es fühlt sich anders an. Das hat nichts damit zu tun, wie es sonst läuft. Das ist der unpersönlichste Release, den wir je gemacht haben.
Rod: Absolut. Du hast halt auch gemerkt, dass es viele gar nicht mehr interessiert. Die haben zurzeit andere Probleme, da kümmert sich keiner um die Platte von irgendeiner Band. Schön, ihr habt also ein neues Album, das kaufe ich mir vielleicht nächstes Jahr.
Der Fokus hat sich verschoben, was die Aufmerksamkeit angeht.
Bela: Ich merke das auch. Ich bekomme oft Platten von Freunden zugeschickt, die ein Feedback von mir erwarten. Ich kann dann oft auch nur sagen, dass ich bislang nicht dazu gekommen bin…
Farin: …ich guck mir grad die Inzidenzzahlen an. [lacht]
Rod: Die Corona-Hotline.

Lest ihr die Reviews über eure Platte?
Bela: Ja, schon, wir bekommen das irgendwann zusammengestellt.
Farin: Axel [Schulz, Manager] schickt ab und zu mal einen Link. Lest das mal, schreibt er dazu, ist aber nie ein Verriss. Es wird auf jeden Fall immer unwichtiger.
Bela: Ich habe in einem Mailorder-Katalog eine Ankündigung gelesen, da ging es zum Großteil darum, wie wir auf dem Coverfoto aussehen. Schon ganz lustig.
Habt ihr das Gefühl, immer noch als Musiker wahrgenommen zu werden? Geht es immer noch um eure Songs, oder spielt sich vieles womöglich auch in einem Bereich ab, in dem ihr vornehmlich als Phänomen aufgefasst werdet, auf einer Art Metaebene?
Farin: Der “moment of truth” ist ja nicht mehr so sehr die Charts. Es ist nicht mehr so wie früher, um es mal ganz einfach zu sagen. Aber wenn wir mit Tourdaten an die Öffentlichkeit gehen, und ich zwei Stunden später einen Anruf bekomme, dass die schon wieder ausverkauft sind, merkst du halt, dass da immer noch was ist. Ich weiß nur nicht, ob die alle kommen, um “Schrei nach Liebe” oder “Westerland” zu hören. Ich kann nicht sagen, ob wir noch relevant sind nur nostalgisch geschätzt werden. Das weiß ich einfach nicht. Wir waren halt auch noch nicht auf Tour. Die letzten Konzerte, die wir gemacht haben, auf dieser Clubtour vor den Festivals, die haben sich total gut und frisch angefühlt. Da gab es aber auch nur zwei neue Lieder, die haben wir natürlich beide gespielt, weil wir sonst nichts Neues hatten. Jetzt kommen zu diesen zweien noch 37 weitere dazu, mehr noch, wenn wir die B-Seiten mitzählen. Da müssen wir dann mal sehen, was die Leute sagen, so von wegen “Jetzt aber mal wieder ‘Junge’ spielen!”, oder ob die das alles hören wollen.
Statt auf Tour seid ihr mal eben in die “Tagesthemen” gegangen. Ein ziemlicher Coup, wie kam es dazu?
Bela: Einer unserer Mitarbeiter, Chris, der die Online-Sachen macht, hatte die Idee schon ziemlich früh. “Ihr müsst mal in die ‘Tagesthemen’!”, meinte er. Wir sagten nur, dass wir da doch schon gewesen wären. Das kommt ja ab und zu vor, bei irgendwelchen relevanten Bands, dass die in den Nachrichten auftauchen, wenn es um eine Platte oder um eine Tour geht. Müsste man anders machen, war so der Gedanke, aber das geriet erstmal wieder in Vergessenheit. Als wir dann das Video zu ‘True Romance’ gemacht haben, mit den ganzen Bands im Clip, bekamen wir über Porky von Deichkind Kontakt zu Linda Zervakis, die sich als Ärzte-Fan entpuppte und super entspannt war. Sie meinte, das mit dem Singen wäre nicht so gut, also haben wir das mit Siri und ihrem Handy gemacht, das war witzig. Da meinte Chris wiederum: “Nun frag doch mal!” Erst wollten wir nicht mit der Tür ins Haus fallen, aber sie fand die Idee sofort klasse und rief ihren Redakteur an, der uns wiederum auch wohlgesonnen war, das aber überregional klären musste. Das ging dann okay und plötzlich hieß es: “Ihr könnt die ‘Tagesthemen’-Melodie spielen.”
Farin: Ich dachte bis zu dem Tag, wir gehen ins Studio, spielen – Überraschung! – die Intro-Melodie, und das war es.
Bela: Das dachte ich auch.
Farin: Und jetzt kann ich es ja sagen, weil es lange genug her ist: Am Tag vorher ist meine älteste und beste Freundin gestorben. Ich war also nicht super drauf und habe zwölf Minuten in einem Gespräch gestanden, auf das ich nicht vorbereitet war, und war nicht in der Form meines Lebens. Hinterher war es mir auch unangenehm, denn hätte ich gewusst, dass wir über das Thema reden, also die Veranstaltungsbranche, die Probleme von Bands und Künstlern in Corona-Zeiten, hätte ich mich definitiv darauf vorbereitet. Das war nicht unbedingt eine Sternstunde.
Bela: Aber wir wussten es einfach nicht. Dieser Talk wurde ja aufgezeichnet, und Ingo Zamperoni sagte erst unmittelbar vorher, worum es gehen würde: “Alarmstufe Rot”, die Veranstaltungskrise, und über die Platte könnten wir nicht sprechen. Ach so, na dann. Und schon hieß es: Kamera läuft! Ingo Zamperoni hat schon gut durchs Thema geführt, aber das mussten wir uns alles noch mal vergegenwärtigen.
Rod: Was stand da noch mal auf dem Flugblatt? [alle lachen]
Bela: Wir hatten schon unsere Agenda, aber eben nicht alle Fakten parat.
“Ohne Tour war es, als würden wir ins Leere rufen.”
Farin Urlaub
Ganz ehrlich: Als Zuschauer habe ich das nicht bemerkt. Für mich hatte das Hand und Fuß.
Bela: Das haben danach viele gesagt. Das haute schon hin, aber ich wäre gern besser gebrieft gewesen. Auch vom Sound her war das nicht ganz ohne, wir hatten nur eine Monitorbox, da hat man wenig gehört. Aber am Ende hat ja alles geklappt, das war klasse. Ingo Zamperoni postete es danach in seinen Kanälen und schrieb, er wollte immer schon mal Late Night machen, ihm hätte bislang nur die richtige Band gefehlt.
Wie habt ihr die Reaktionen der Öffentlichkeit erlebt?
Bela: Das hat ziemlich gespalten. Viele haben es einfach beschissen gefunden, dass wir da so in den Medienbetrieb rein sind. Für die Querdenker, Kritiker, für Leute, die wir ablehnen und die uns ablehnen, war das natürlich eine Steilvorlage: “Guck sie dir an, die Medienhuren!” Viele haben uns aber auch abgefeiert für das, was es ist. Die Ärzte haben mal wieder etwas gemacht, was noch niemand vor ihnen gemacht hat.
Farin: In diesem ganzen Gestocher im Nebel haben wir eben auch drei Sätze gesagt, die wirklich gut waren, und da habe ich mich gefreut, dass die Medien genau die drei Sätze genommen und verbreitet haben. In dieser Reduktion war das schon in Ordnung, wie wir das geäußert haben.
Rod: Es ist gut ausgegangen.
Bela: Rod war noch der Eloquenteste von uns dreien.
Rod: Es ist letztlich für beide Seiten gut gelaufen, für eine Sendung wie die “Tagesthemen” war es natürlich auch das totale Risiko. Es ist nicht die Heilige Kuh um 20 Uhr, die Sendung ist ein etwas jüngeres Format, in dem man sich mehr trauen kann, dennoch haben die sich für uns weit aus dem Fenster gelehnt. Das gab viral schon eine Diskussion, Die Ärzte in den “Tagesthemen”, das kam ganz schön ins Rollen. Ich habe eine Woche später auf einer Soli-Veranstaltung für “Alarmstufe Rot” gespielt, da tat mir irgendwann die Schulter weh, soviel wurde mir draufgeklopft. [lacht] Das kam da ganz gut an.
Als wir uns im letzten Jahr vor dem Release von “Hell” getroffen haben, stand da schon fest, dass es “Dunkel” geben würde?
Farin: Wir wussten es bereits. Wir wussten nicht genau, wie es aussehen würde, es sind auch noch mal neue Songs entstanden in der Zwischenzeit, aber es war schon ein Album fertig, das “Dunkel” hieß.
Und ihr habt nichts gesagt.
Farin: Natürlich nicht! [lacht] Eine Ü-Ü-Überraschung ist schön, doch hat man sie dann erst gesehen, ist sie vorbei…
Bela: Wir hatten ein Album mit 18 Songs, das haben wir festgelegt. Dann wollte ich aber unbedingt noch was schreiben, weil ich mit ein paar Sachen nicht zufrieden war, die wir teilweise schon aufgenommen hatten. Hier fehlte mal eine Stelle, da ein Text, woanders wollte ich noch was Neues machen. Da sagte Jan dann: “Ich auch!” Und Rod hat auf den letzten Drücker auch noch mal abgeliefert. Am Ende waren es 14 Lieder, das letzte kam einen Tag, bevor wir ins Studio sind. Für den Titelsong “Dunkel” kam das Riff von Rod per Demo. Ich dachte so: Ja, vielleicht fällt mir ja noch ein Text und eine Gesangsmelodie ein, und dann kam das tatsächlich. Am nächsten Tag habe ich zu Hause eine Strophe und einen Refrain aufgenommen und den Leuten im Studio im vorspielt. Die fanden es geil. Anschließend habe ich es Rod geschickt, der hat weitergemacht. Am Ende haben wir von den alten Songs acht ausgetauscht.

Das bedeutet ja…
Bela: Genau, wir haben ziemlich viele B-Seiten übrig. Ich habe für insgesamt 50 Lieder Schlagzeug eingespielt.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Klangfarben, die Grundtöne der beiden Alben: War das von Anfang an geplant, war es Teil des Konzepts?
Bela: Nein.
Farin: Nee, das hat sich so ergeben, dass “Dunkel” jetzt musikalisch und auch textlich tatsächlich dunkler ist. Vielleicht haben wir uns auf Hell erst mal austoben müssen. Nach dieser langen Abwesenheit war es mehr so: “Ach, lass uns dies noch probieren! Und lass uns das mal machen!” Danach war das Gefühl eher so: “Jetzt mal mehr auf die Band gehen.” Aber das war von vornherein nicht so geplant. Es passierte organisch.
Bela: Bei “Hell” hatten wir zum ersten Mal in der Geschichte der Band die Möglichkeit, die perfekte Kopplung zu machen. Perfekt aus unserer Sicht heißt: keine Langeweile aufkommen lassen, große Unterschiede zwischen den Songs herausarbeiten. Da haben wir erst einen richtigen Rocker von einem Lied, danach gibt es für uns drei, vier Möglichkeiten, mit etwas völlig Konträrem anzuknüpfen. Das macht das Ganze zu einem vielschichtigen, abwechslungsreichen Album, das bei jedem Durchlauf noch mal neu entsteht. Die Chance hast du sonst nicht. Du nimmst ja nicht mal eben 40 Songs für ein Album auf, um anschließend die Rosinen zu picken.
Farin: Das ist eigentlich Wahnsinn.
Bela: Dadurch hatten wir quasi ein zweites Album parat. Anti zum Beispiel, der jetzt auf “Dunkel” ist, sollte auf “Hell” landen, aber wir haben ihn ganz am Ende dann doch gegen Plan B ausgetauscht, weil wir das Gefühl hatten, dass es nach acht Jahren Abstinenz der richtige Song ist, um sich bei den Fans zurückzumelden. Wohingegen “Noise” eigentlich die kalkulierteste Single seit Jahrzehnten ist. Das hat so einen typischen Ärzte-Sound.
Farin: Dit sind meine Ärzte.
Bela: Wobei es so eine Zusammenarbeit zwischen Jan und mir, bei der wir 50/50 wirklich alles teilen und auch singen, seit “Schrei nach Liebe” nicht mehr gegeben hat. Das ist schon dermaßen Richtung Erwartungshaltung, aber die Entscheidung ist auch erst vor zwei, drei Wochen gefallen.
“Jede Information, die wir herausgeben, wird total abgefeiert.”
Bela B
Wie habt ihr die Zeit nach der Veröffentlichung verbracht?
Bela: Nach “Hell” haben wir erst mal Pause gemacht, viel telefoniert und überlegt, wie wir weitermachen. Mit unseren Co-Produzenten musste ein Konzept gefunden werden. Wir sind in ein Studio in Brandenburg und haben die Aufnahmen dort fertiggestellt. In der Zeit habe ich da auch vor Ort gewohnt. Zu Hause kann ich zwar Sachen aufnehmen; mit dem guten Mikro, das ich habe, eigentlich auch Gesang. Aber ich finde es im Studio schon besser. Ich brauche…
Farin: …Feedback.
Bela: Genau, ich brauche da direkt eine Reaktion.
Stand der Zeitpunkt der Veröffentlichung fest, die Tatsache, dass es so schnell mit “Dunkel” weitergehen würde?
Farin: Das stand fest, nicht das genaue Datum, aber schon, dass es so schnell gehen würde.
Bela: Es gab zu Anfang sogar mal den Plan, beide Platten gleichzeitig herauszubringen. Schlagzeug und die ersten Basics haben wir ja schon 2019 aufgenommen, dann noch mal einen Break gemacht, weil Rod länger wegfahren wollte.
Farin: Und dann kam Corona.
Bela: Dann kam Corona, und wir haben uns entschlossen, erst einmal ein Album zu machen. Damit konnten die Presswerke und die Druckereien gut dealen. Das zweite dann ein Jahr später, war ja auch schon spektakulär genug. Erst acht Jahre weg, dann zwei Platten Schlag auf Schlag.
Wann ging es das letzte Mal so schnell?
Farin: Bei “Planet Punk” und “Le Frisur”.
Bela: Da lag sogar nur ein halbes Jahr dazwischen. Wir haben noch zwei Singles gemacht, erst sollte es eine EP werden, und dann wurde es doch ein Album.
Farin: Aus Versehen. Plumps.
Gab es von wirtschaftlicher Seite aus jemanden, der Bedenken anmeldete, dass man sich womöglich mehr Zeit lassen sollte?
Bela: Wegen dieser vagen Tour-Situation sagen die Leute, mit denen wir zusammenarbeiten, und auch unsere eigene Plattenfirma natürlich auch: Wenn jetzt die Platte kommt und wir wieder ein halbes Jahr nicht touren können, das ist vielleicht nicht so cool. Alles schwer zu sagen.
Farin: Irgendwann muss man es einfach mal machen.
In diesen Zeiten, da vieles so unwägbar ist, sicher keine schlechte Idee.
Bela: Jede Information, die wir herausgeben, wird total abgefeiert. Das ist natürlich ein Indiz dafür, wie sehr die Leute sich nach guten Nachrichten sehnen.
War darunter auch die Sehnsucht nach “Karnickelfickmusik”? Ich habe offen gestanden bei der Abkürzung im Songtitel, “KFM”, an KenFM gedacht und ein Lied über Verschwörungstheoretiker erwartet.
Farin: Nee nee, auf keinen Fall.
Ist das Wort ein Band-Joke? Ich habe das nie vorher gehört.
Farin: Nein, ich kannte das als feststehenden Begriff für diese schnelle Rumpelmusik, so von wegen: “Ihr immer mit eurer Karnickelfickmusik.” Bela kannte das auch nicht, aber für Rod und mich war das ein ganz normaler Ausdruck.
Rod: Das hat mal eine Freundin zu mir gesagt, als ich diesen melodischen Ami-Hardcore gehört habe. Das kannte ich schon seit den 90ern.
Farin: Ja, ganz genau, das ist ein alter Ausdruck. Bela dachte, ich habe mir das ausgedacht. Wir singen ja auch im ersten Song des Albums traditionell gern mal über uns, als Einleitung. Nicht auf jedem Album, aber das ist auf sehr, sehr vielen Alben der Fall, so auch diesmal. [lacht]
Beim einmaligen Durchhören gerade eben habe ich mir bei den Stücken ganz kurze Notizen gemacht. Da stehen jetzt Begriffe wie brachial, geradeaus, dunkel, “Killers-Beat”. Ein Wort, das mehrfach vorkommt: Brett.
Farin: Das klingt doch sehr gut.
Alle: [grinsen]
Vom Einstieg an dauert es bis zum Song Tristesse, der an siebter oder achter Stelle steht, bis ihr den Druck mal etwas rausnehmt. Habt ihr euch da gegenseitig angefeuert?
Farin: Nee, gar nicht. Das kam tatsächlich einfach so rum und hat mich letztlich selbst überrascht. Ich habe da ja auch Bandbreite angeboten quasi, aber da ham se jesacht, dit und dit und dit. Da dachte ich nur, okay, das sind die fetten Songs. Gerne.
Bela: Bei mir ist es schon ein bisschen länger so, eigentlich seit den 90ern, dass ich Angst habe, dass so eine gewisse Altersbehäbigkeit einsetzt. Wenn man lange zusammenspielt und wenn man besser spielt, passiert es, dass viele anfangen zu grooven und sich darin irgendwie gefallen. Ich habe das erlebt bei den Vibrators zum Beispiel, so Bands, die früher mal geil zickig waren, dann aber irgendwann komische Pubrocker wurden. Bei uns ist es jetzt der Fall, auch ohne irgendwelche Bedenken oder Gedanken an die Fans, ob das schnell genug oder zu schnell ist, dass wir uns viel besser verstehen als früher. Im Studio denkt man zuweilen langsamer, als die Songs womöglich sein sollten, weil man in einem bestimmten Groove ist. Bei “Hell” und “Dunkel” ist es aber einfach sehr gut gelaufen, was das angeht.

Offen gestanden hatte ich früher das Gefühl, dass Härte bei euch auch immer etwas Selbstreferentielles hatte. Es ging um den Spaß an der eigenen Heaviness. Diesmal kommt es mir natürlicher oder auch musikalischer vor.
Farin: Selbst wir konnten uns nicht dem Besserwerden verweigern.
Alle: [lachen schallend]
Farin: Wir haben es jahrelang versucht, aber irgendwann ging es nicht mehr anders.
Bela: Das ist doch eine prima Überschrift: Auch wir konnten uns nicht dem Besserwerden verweigern.
So sei es.
Rod: Die sympathischen Ärzte aus Berlin.
Bela: Da werden die Ärzte-Feinde aufhorchen. “Ich hab’s immer gewusst!”
Farin: “Ich hasse sie!”
Noch mal zur Länge des Albums – stand die unverrückbar fest?
Bela: Wir können das ja ruhig jetzt so sagen – es gab mal das Gespräch, ob es der Platte nicht guttun würde, wenn zwei Songs weniger drauf wären, von wegen, mit 17 Stücken wäre es eine noch bessere, noch kompaktere Platte. Da waren wir beide [zeigt auf Farin] am Telefon und haben gesagt: Und, nehmen wir was runter?
Farin: Nee.
Bela: Nee, machen wir nicht.
Farin: So weit musste erst mal kommen als Band. [lacht]
Rod: Ich hätte ja gleich ein Zehn-Song-Album vorgeschlagen.
Farin: Da wären wir ja verrückt.
Rod: Nein, danach noch ein drittes rausbringen.
Farin und Bela: Das schaffen wir auch so noch.
“Die Leute haben zurzeit andere Probleme als die Platte von irgendeiner Band.”
Rodrigo González
Habt ihr Favoriten unter diesen vielen Songs?
Farin: Wenn ich jetzt sagen würde, dieses oder jenes ist mein Lieblingslied, wäre ich zu den anderen 18 Stücken ungerecht. Jedes Lied ist immer nur ein Aspekt dieser Platte, da gibt es keinen, der überwiegen soll.
Bela: Die Zusammenarbeit hat auch echt Spaß gemacht, weil jeder mit seinem Instrument den Song noch mal entdeckt hat. Farin hat seine Meinung über Equipment, nachdem er vor vielen Jahren seine Gitarren verkauft hat, völlig geändert und war offen für Sound-Experimente, speziell auch mit alten Gitarren und Verstärkern. Irgendwann sind wir so auf die Crucianelli gekommen, einer Billo-Gitarre aus den 60ern, die einen ganz eigenen Klang hat. Ein wunderschönes Instrument, da haben wir jetzt praktisch einen Fanclub gegründet. Mit der hat er jetzt das meiste eingespielt, was wirklich schwierig ist, weil die so komische Tonabnehmer hat.
Farin: Supermikrofonisch. Wenn du dich unterhältst, dann ist das in der Gitarre drin.
Rod: Sag doch einfach Sperrmüll. [lacht]
Farin: Stimmt, das ist wirklich Sperrmüll. Eine Hertie-Caster, eine gutaussehende Hertie-Caster.
Bela: Oben Kunststoff, unten Holz.
Farin: Pressspan!
Bela: Aber die klang so speziell, dass wir die fast überall eingesetzt haben. Die klang so zwischen Power Pop und Hardcore-Sounds teilweise, was ganz Eigenes.
Farin: Ich habe unterm Strich noch nie so viele verschiedene Gitarren gespielt wie auf diesem Album. Noch nie!
Bela: Wir haben uns ganz viel über Gitarrensounds ausgetauscht, das war schön. Dunkel ist halt auch noch viel mehr eine Gitarrenplatte als “Hell”.
Farin: Yes!
Bela: Bei diesen Twang-Sounds auf Danach kamen wir irgendwann auf diesen Typen, der viel Filmmusik macht, Ry Cooder. Da gibt es eine Stelle, wo er nur einen Ton spielt, in seiner Scheune, mit einem langen Kabel, der Ton kommt erst zehn Sekunden später an, so was spielte Farin auch in der ersten Strophe. Dann machte er Pause, Rod spielte den Bass ein, schnappte sich die Gitarre und spielte in der zweiten Strophe und im zweiten Refrain seine Form vom Bottleneck ein. Das wollten wir erst noch im Booklet vermerken.
Farin: Solo 1 und Solo 2.
Bela: Ja, das haben wir dann vergessen, aber so was liebe ich. Ganz geil. Die Zusammenarbeit, ich werde nicht müde, es zu erwähnen, die war wirklich großartig.
Farin: Da müssen wir an dieser Stelle mal Philipp Hoppe erwähnen, den Philsen. Den haben wir bisher immer verschwiegen. Das ist einer von den beiden, mit denen wir das Album gemacht haben, Oliver Zülch ist der andere. Philip ist ein totaler Gitarrenfan, der hat von sich aus im Studio schon immer um die 15 Gitarren-Amps da stehen und auch seine eigene Gitarrensammlung. Dann haben wir auch noch unseren Kram mitgebracht. Also, wir hatten echt Auswahl.
Bela: Wir haben halt auch eine Sammlung zu Hause.
Farin: Meine entsteht gerade neu. Das ist lustig, ich fang wieder bei null an. Rod kommt vorbei und sagt: “Was, du hast schon wieder eine neue Gitarre?” Ich sag: “Ja, aber die ist total geil”. “Viel zu teuer, du Idiot, die kriegst du doch für 500 Euro.” [lacht]
Bela: Man muss das echt mal sagen, es gab Ärzte-Platten, zum Beispiel “Jazz ist anders”, die hast du mit zwei Gitarren eingespielt. Das waren technisch einwandfreie Geräte, die einen ganz glasklaren Sound geschickt haben, aber aus meiner Sicht nicht so viel Seele hatten. Instrumente, die so kleine Macken haben, sind cooler. Wie Jack White es schon sagte: Auf einer Gitarre, die von sich aus gut klingt, kann ja jeder was. Du musst mit deinem Instrument auch ein bisschen kämpfen. Klar sind das jetzt so nerdige Details, die aber der geneigte Hörer schon entdecken kann.
Farin: Das hat schon echt Spaß gemacht. Horses for courses, immer wieder ein neues Instrument. Da, die! Nein, die hier ist geil! War schön.

Von der schönen Studioarbeit zum momentan eher schwierigen Geschäft. “Verschoben auf 20222 liest sich so lapidar. Wie aufwändig und schwierig ist der Prozess dahinter?
Farin: Frag am besten mal Kiki [Ressler, Booker]. Im Ernst. Was wir dir jetzt erzählen, ist total aus dritter Hand. Wir wissen nur, dass das unfassbar viel Arbeit ist.
Bela: Ein paar Sachen können wir schon sagen. Also die Tour musste verschoben werden, wobei wir da noch gelacht haben am Anfang und dachten, wir sind ja erst im Herbst dran. Antilopengang haben ihre Tour sogar zweimal verschoben, ZSK auch, Bands also, mit denen wir wegen “True Romance” in Kontakt waren.
Farin: Wir dachten ziemlich lange, wir wären safe.
Bela: Irgendwann war es bei uns dann auch so. Erst wurde es aufs nächste Jahr verschoben, dann dehnte sich das immer weiter. Wir starten jetzt zwei Wochen früher, aber nicht, weil es mehr Shows sind, sondern weil du keine Venues mehr bekommst.
Farin: Nächstes Jahr ist alles dicht. Deutschland ist dicht, du kriegst keinen Club, keine Halle, kein Zelt.
Bela: Das ist brutal schwer.
Farin: Kiki hatte einen riesigen Aufwand.
Bela: Man spricht mit Versicherungen, die dich sonst wegen Krankheiten versichern. Die sagen dann: “Pandemie? Ist doch keine Krankheit!”
Farin: Das ist sehr unschön gerade.
Rod: Vor allem für die örtlichen Veranstalter ist es scheiße. Da kann man nur hoffen, dass die das nächste Jahr noch im Business sind.
Farin: Nicht nur die, auch die ganzen Crews. Ein Jahr lang kellnern? Ach nee, geht ja auch nicht.
Bela: Wir konnten unserer Crew für die ausgefallene Wintertour ihre halbe Gage zahlen. Ihre Hilfsanträge haben die infolgedessen zurückgezogen, weil sich das nach Steuer sonst nicht gelohnt hätte. Das heißt, die haben halb so viel bekommen, als sie verdient hätten, haben aber dieselben Unkosten. Konnten aber gleichzeitig die staatliche Hilfe nicht in Anspruch nehmen, sonst hätten sie Geld verloren. Das war nicht so cool.
Farin: An allen Ecken und Enden war es scheiße. Wie gesagt, womit wir wieder am Anfang wären: Ein Album zu veröffentlichen, ohne Feedback, ohne Fan-Chöre, das ist schon seltsam.
Bela: “Hell” ist immer noch in den Charts, steigt jetzt gerade wieder.
Farin: 20 Alben mehr verkauft, zehn Plätze hoch. Yeah!
Rod: Ein Erdbeben in den Charts.
Die Berlin-Tour durch kleinere Clubs ist dagegen wieder eine klassische Ärzte-Idee. Nach dem Motto: Irgendwann sollten wir das einfach mal machen.
Farin. Genau so war es.
Bela: Es gab vor Ewigkeiten die Idee, eine Berlin-Tour zu machen, und zwar als Support. Bei zehn verschiedenen Acts spielen wir jeweils unangekündigt das Vorprogramm. Zehnmal unterschiedliches Publikum, das hat uns daran gereizt. Aber wir haben keine Bands gefunden.
Farin: Die natürlich so: “Hey klar, wir lassen Die Ärzte vor uns spielen. Aber sicher!”
Bela: Dann gab es eine Band, da hieß es, wir sollten dafür bezahlen, aber so weit wollten wir auch nicht gehen. Am Ende waren es zwei Bands, eine englische und eine deutsche, Human League und Bonaparte. Die spielten aber ausgerechnet am selben Tag, sodass wir uns entscheiden mussten, mit wem wir es machen. Wir haben abgestimmt, mit 2:1 für Bonaparte, haben auch gespielt, und das war total geil.
Wie reagierte das Publikum?
Bela: Die sind durchgedreht. Viele waren noch draußen, als die ersten Töne kamen, und die konnten es echt nicht glauben.
Farin: Wir haben in glückliche Gesichter geguckt.
Rod: Das war so geil. Die Fans wussten, Die Ärzte spielen irgendwo. Die Beatsteaks spielten am selben Tag, das war die eine Vermutung.
Bela: Es gab so ein Fantreffen in Berlin, da gab es den Tipp, die Leute sollten über Nacht bleiben. Die Ärzte spielen irgendwo. Viele haben sich Tickets für die Beatsteaks geholt, aber wir spielten eben bei Bonaparte.
Farin: Manchmal scheitern schöne Ideen ja an der Realität, aber die Berlin-Tour wollten wir unbedingt machen.
Bela: Es gab noch Diskussionen, welche Clubs wir nehmen.
Das stelle ich mir gut vor, wenn im Booking-Büro eines kleinen Ladens das Telefon klingelt: “Hallo, hier sind Die Ärzte. Wir würden gerne bei euch spielen.”
Bela: Am meisten freue ich mich auf den Schokoladen. Das ist kaum vorstellbar, wie das gehen soll. Die Backline passt da gar nicht rein.
Farin: Entweder die Backline oder die Band, ihr müsst euch entscheiden.
Bela: Ich war da ein paar Mal zum Biertrinken, Rod hat dort schon gespielt. Man kann es sich nicht vorstellen, dass da 200 Leute reinpassen. Da bin ich sehr, sehr gespannt drauf.
Stichwort Support: Wie sieht euer Vorprogramm aus?
Farin: Die Clubshows machen wir allein, bei den Open Airs hätten wir gerne Gäste.
Bela: Das müssen wir dann klären. Wenn wir dieses Jahr spielen, ist das die erste Tour nach neun Jahren. Da wollen wir auch allein auftreten. Wir wollen die Freiheit haben, auch mal länger zu spielen und das kurzfristig zu entscheiden.
Die Fans wird das sehr freuen. Ich danke euch für das Gespräch. Wenn es so weitergeht, dann…
Rod: …sehen wir uns in einem Jahr wieder.
Farin: Oder in einem halben Jahr. Das neue Ärzte-Album, jetzt noch schneller.