Zur diesjährigen Ausgabe des Hurricane und Southside-Festivals holen die Veranstalter:innen alles aus dem Line-up, was möglich ist. Kein Wunder, schließlich findet das Hurricane im Juni bereits zum 25. Mal statt, das Schwesterfestival Southside immerhin schon zum 23. Mal. Nachdem sie in der ersten Bandwelle bereits unter anderem Die Ärzte, Muse und Peter Fox angekündigt hatten, folgten in der zweiten Bandwelle Künstler:innen wie Enter Shikari und Billy Talent. Mit der heute veröffentlichten dritten Bandwelle mischen sich gleich 18 nationale und internationale Künstler:innen mit ins Getümmel.
Angeführt wird die Bandwelle von den isländischen Alt-Rockern Kaleo und Two Door Cinema Club, die erst im letzten Jahr ihr neues Album “Keep On Smiling” veröffentlichten. Mit einer ordentlichen Portion Wiener Schmäh im Gepäck reisen Wanda an und unterstützen die Indie-Front. Der Genre-Rahmen wird durch den Electropunk von Sleaford Mods erweitert, die erst vor wenigen Wochen ihr neues Album “UK Grim” veröffentlicht haben.
Auch deutsche Künstler:innen sind bei den Neuankündigungen dabei: unter anderem Fjørt, Pascow und die Indie-Newcomer Power Plush unterstützen das Line-up in Scheeßel und Neuhausen ob Eck. Damit ist das Line-up laut Veranstalter:innen fast vollständig bestätigt, eine weitere Bandwelle, sowie der noch immer fehlende Headliner sollen noch demnächst bestätigt werden.
Tickets in der aktuellen Preisstufe sind ab 249 Euro zu haben, Tagestickets gibt es ab 119 Euro. Das gesamte bisher bestätigte Line-up, sowie Tickets gibt es auf den Webseiten des Hurricane und Southside-Festivals.
Das Alte Testament und paläontologische Albumtitel haben es der Post-Rock-Band The Ocean angetan, zumindest wenn man einen Blick auf das am 19. Mai erscheinende Album “Holocene” und die darauf enthaltenen Songtitel samt Textinhalt wirft. Die neueste Single-Veröffentlichung “Sea Of Reeds” bildet dabei keine Ausnahme, sondern bestätigt die Regel und wird – was den Sound umso besonderer erscheinen lässt – nicht nur von einem alten Vibrafon sowie Streichern und Bläsern begleitet, sondern ist auch von alttestamentarischen Anspielungen und jeder Menge melancholischer Momente durchzogen.
Kritische Gedanken, versteckt hinter biblischen Metaphern und elektronischen Elementen: “Sea Of Reeds” rundet nicht nur die Platte als Konzeptalbum, sondern die gesamte von Paläontologie inspirierte Albumreihe – gemeinsam mit “Precambrian”, “Phanerozoic I: Palaeozoic” und “Phanerozoic II: Mesozoic / Cenozoic” – ab und betrachtet die Entstehung der Menschheit aus verschiedenen Blickwinkeln. Auch das von Adam Shapiro gedrehte Musikvideo schlägt in diese Kerbe und entwickelt innerhalb von fünf Minuten seine eigene Vorstellung von der Entstehung der Welt, die optisch wie eine schwer greifbare Aneinanderreihung verschiedener Materialien und Texturen wirkt, dabei ähnlich ruhig und melancholisch wie der begleitende Sound des besungenen Meeres.
Die Band um Gitarrist Robin Staps, die 2003 ihr Debütalbum “Fogdiver” und ein Jahr später “Fluxion” rausgehauen hat und seitdem kaum mehr aus der Post-Metal-Welt wegzudenken ist, veröffentlichte 2021 – im Zuge der Pandemie – ihren Doppel-Mitschnitt “Phanerozoic Live”.
“Holocene” erscheint am 19. Mai via Pelgaic und kann im Bandshop von The Ocean vorbestellt werden.
Im Rahmen ihrer Europa-Tour haben Slipknot ein Headline-Open-Air-Konzert in München angekündigt und erweitern, gemeinsam mit den Support-Acts Disturbed und I Prevail, ihre Tour damit um ein weiteres Konzert in Deutschland.
Für Überraschungen aller Art sind die Masken-Männer bekannt: Im Februar haben sie, ohne große Vorankündigung, ihre neue Single “Bone Church” veröffentlicht; ein Sechs-Minuten-Track, der zwar bereits vor neun Jahren während einer Tour entstanden ist, jedoch erst nach Veröffentlichung des neuen Albums der Öffentlichkeit präsentiert wurde.
Im Mittelpunkt ihrer jetzigen Tour steht ihr mittlerweile siebtes Studioalbum “The End, So Far“. Neben dem Konzert in München spielt die Alternative-Metal-Band außerdem noch zwei Arena-Konzerte in Hamburg und Berlin, und tritt auf dem Download Germany auf dem Hockenheimring auf. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Live: Slipknot
07.06.2023 Nickelsdorf – Nova Rock
10.06.2023 Interlaken – Greenfield Festival
13.06.2023 Amsterdam – Ziggo Dome
14.06.2023 Esch/Alzette – Rockhal
20.06.2023 Hamburg – Barclays Arena
21.06.2023 Berlin – Mercedes-Benz Arena
23.06.2023 Hockenheimring – Download Germany
24.06.2023 München – Königsplatz
Bereits Anfang Januar hatte Drummer Philip Selway über die Zukunft von Radiohead gesprochen und erwähnt, dass sich die Band noch in diesem Jahr zusammensetzen möchte, um an neuem Material zu arbeiten. In einem Interview gegenüber dem britischen Prog Magazine (via Music News), hat er sich nun erneut zum aktuellen Arbeitsstand geäußert: “Wir reden immer über alles Mögliche. Aber in Bezug auf ein tatsächliches gemeinsames Projekt, das über das ‘Kid A’- und ‘Amnesiac’-Projekt hinausgeht, das wir gemacht haben, ist es für uns etwas weiter in der Zukunft, wann das passieren wird. Wir sprechen darüber, aber im Moment macht jeder sein eigenes Ding.”
So hat Selway erst vor knapp einem Monat sein zweites Soloalbum “Strange Dance” veröffentlicht, Thom Yorke und Jonny Greenwood hatten im letzten Jahr ihre neue Band The Smile vorgestellt. Die Begründung für den Fokuswechsel der Bandmitglieder liefert Selway in dem Interview selbst: “Als die Pandemie ausbrach, hatten wir immer geplant, eine Auszeit von Radiohead zu nehmen, damit wir uns anderen Dingen widmen konnten. Aber das bedeutete einfach, dass diese anderen Projekte irgendwie wuchsen, also lassen wir all diesen Projekten die Zeit, die sie brauchen. Aber ja, wir werden bald wieder zusammenkommen und in den nächsten paar Jahren wird es etwas geben, in irgendeiner Form.”
Radiohead-Gitarrist Ed O’Brien sprach letzten Sommer über die ungewisse Zukunft der Band, Gerüchte über eine mögliche Auflösung dementierte Selway jedoch bereits. Ihr bisher letztes Album hatten Radiohead 2016 mit “A Moon Shaped Pool” veröffentlicht. Während die Aussagen über die Zukunft von Radiohead eher vage gehalten werden, blickt Selway jedoch optimistisch auf die Zukunft seiner Soloambitionen und berichtet, dass ein weiteres Album bereits langsam Form annehmen würde.
NOFX-Gitarrist Eric Melvin hat im Rahmen seines Soloprojekts Melvinator die zweite Single des am 12. Mai erscheinenden Debütalbums “The Rise of the Melvinator” veröffentlicht. “Regaining Unconsciousness” ist, ebenso wie der im letzten Jahr erschienene Song “American Errorist”, eine Neuinterpretation bereits bekannter NOFX-Songs vom 2003 erschienen Album “The War On Errorism”, das Einigen vor allem durch das George-W.-Bush-Cover mit traurigem Clownsgesicht in Erinnerung geblieben sein dürfte.
Und auch wenn Bush mittlerweile sowohl als Präsident als auch als Konterfei für entsprechende Plattencover weitestgehend ausgedient haben dürfte, ist “Regaining Unconsciousness” auch im Jahr 2023 nicht weniger relevant in seiner Aussage – auch im EDM-Stil und mit halluzinogenem Musikvideo, das im doppelten Sinne eine Warnung benötigt. Politische Unmündigkeit zugunsten von Sicherheit und ein Land, voll von Menschen, die in ihrer Entscheidungsgewalt eher Kindern als Erwachsenen ähneln und denen die eigene Stimme abhandengekommen gut. Gut, dass zumindest Melvin weder seine Stimme noch seinen bissigen Humor verloren hat und Punk mit elektronischen Beats unterlegt.
Im Sommer letzten Jahres kündigte die Melodic-Hardcore-Institution NOFX überraschend an, sich nach 40 Jahren aufzulösen – allerdings wohl nach 2024. Umso überraschender kam dann die 2022 die Veröffentlichung von “Double Album” und der Leadsingle “Darby Crashing Your Party” – wie immer schwarzhumorig und mit einer ordentlichen Ladung Zynismus. Produziert wurde das Album von Bill Stevenson, dem Drummer der Descendents, sowie Jason Livermore.
1.”American Errorist”
2.”Suits And Ladders”
3.”Bottles To The Ground”
4.”Drop The World (Melissa’s Version)”
5.”I Believe In Goddess”
6.”Regaining Unconsciousness”
7.”Reeko”
8.”American Errorist” (Baz-Remix)
Auch im Gesamtbild sieht die Statistik nicht besser aus: nur 8 Prozent der Künstler:innen in der Rock And Roll Hall Of Fame sind Frauen. Courtney Love bezeichnet dies in ihrem Editorial für die britische Tageszeitung The Guardian als aktive sexistische Ausgrenzung und Ignoranz gegenüber weiblichen Musikschaffenden. Love beginnt den Artikel mit einer Schilderung ihrer musikalischen Sozialisation, die das Durcharbeiten zahlreicher Diskografien, Musikmagazine und Co. umfasste, kommt jedoch schnell zum Punkt: “Aber was mir keine Zeitschrift und kein Album beibringen oder mich darauf vorbereiten konnte, war, wie außergewöhnlich man als Frau und Künstlerin sein muss, um sich im Musikgeschäft über Wasser zu halten.”
Besonders negativ hebt sie die Rock And Roll Hall Of Fame hervor, die dieses Jahr erstmalig seit ihrer Gründung 1986 mehr Frauen nominiert hat, als jemals zuvor – und das, obwohl auch in diesem Jahr nur neun Frauen überhaupt zu den Nominierten gehören. Love erläutert, dass sich in der Geschichte der Aufnahmen in die Ruhmeshalle zeigt, dass es Frauen um einiges schwieriger haben, überhaupt nominiert, geschweige denn aufgenommen zu werden. So wurde etwa Rosetta Tharpe, die als eine der größten Gospelsängerinnen der Musikgeschichte und als Urmutter der Rockmusik gehändelt wird, erst 2018 in die Rock And Roll Hall Of Fame aufgenommen, während männliche Künstler wie Prince und Beatles-Gitarrist George Harrison direkt, nachdem ihre Aufnahme möglich war (25 Jahre nach Veröffentlichung des Debüts), aufgenommen wurden. Die Liste der marginalisierten Frauen, die eine frühere Aufnahme in die Hall Of Fame verdient hätten, ist lang – die Liste der tatsächlichen Aufnahmen dagegen erschreckend kurz.
Love führt in ihrem Bericht weiter aus, warum die Rock And Roll Hall Of Fame auch weiterhin eine gewisse Relevanz beinhaltet, da beispielsweise Ticketpreise, Buchungen für Touren und Festivals und Reissues mit einer Aufnahme oder Nominierung zusammenhängen. Sie beendet ihren Artikel mit einer direkten Forderung an die Verantwortlichen: “Wenn die Rock Hall nicht gewillt ist, die Art und Weise zu untersuchen, in der sie die Gewalt des strukturellen Rassismus und Sexismus, mit dem Künstlerinnen in der Musikindustrie konfrontiert sind, wiederholt, wenn sie nicht in der Lage ist, das zu würdigen, was visionäre Künstlerinnen geschaffen, innoviert, revolutioniert und zur populären Musik beigetragen haben – dann soll sie doch zur Hölle fahren.”
Pretenders-Frontfrau Chrissie Hynde reagiert kurze Zeit nach dem Erscheinen von Loves Artikel in einem Facebook-Statement auf ihre eigene Aufnahme in die Rock And Roll Hall Of Fame und berichtet, dass sie 2005 nur zur Verleihungszeremonie gegangen sei, um ihre Eltern glücklich zu machen und bezeichnet die gesamte Institution als schwachsinnig: “Das hat absolut nichts mit Rock’n’Roll zu tun, und jeder, der das glaubt, ist ein Narr.”
Erst Ende des Jahres hatten die Foo Fighters bekannt gegeben, nach dem Tod von Drummer Taylor Hawkinsweitermachen zu wollen. Nun soll auch die neue Bandbesetzung feststehen: Zumindest laut einem unbestätigten Bericht der britischen Boulevardzeitung The Sun sollen sich Matt Cameron und Adam “Atom” Willard den Posten am Schlagzeug teilen. “Die letzten Vorbereitungen werden gerade getroffen, aber es sieht sehr wahrscheinlich aus, dass Matt im Sommer in den USA auftreten wird”, wird die angeblich “sehr sichere” Quelle zitiert. Beide Drummer haben wohl auch schon mit der Band im Studio geprobt.
Matt Cameron ist seit 1998 Schlagzeuger der Alternative-Veteranen Pearl Jam und war von 1986 bis zur Bandauflösung 1997 ebenfalls Teil von Soundgarden. Zudem war er Bestandteil der ersten Live-Besetzung der Queens Of The Stone Age. Willard ist seit 2013 fester Schlagzeuger bei Against Me! und unterstützt Laura Jane Grace auch als Live-Drummer bei ihren Soloprojekten. Darüber hinaus war er bereits Schlagzeuger zahlreicher weiterer Bands, unter anderem bei Danko Jones, The Offspring, Social Distortion oder Angels & Airwaves.
Laut dem Bericht hätten die Foo Fighters in den letzten Monaten mit zahlreichen Musiker:innen zusammengearbeitet und geprobt, wobei sich Cameron und Willard als Favoriten auf die Position hinter dem Schlagzeug hervortun konnten. Dazu wird die Quelle in dem Boulevardmagazin nochmals zitiert: “Matt ist ein guter Freund von Taylor und steht Dave [Grohl] sehr nahe.”
Im kommenden Sommer spielen die Foo Fighters neben einigen ausgewählten Shows in den USA zwei exklusive Europakonzerte bei den Zwillingsfestivals Rock Am Ring und Rock Im Park. Gewissheit zum Posten hinter dem Schlagzeug wird es wohl erst am 24. Mai geben. Dann spielen die Foo Fighters ihrs erstes Konzert der US-Tour.
“Die Lust der Zerstörung ist gleichzeitig eine schaffende Lust”, schrieb der russische Revolutionär und Anarchist Mikhail Bakunin 1842. Was oft als dialektischer Aufruf zu Gewalt und Terrorismus gesehen wurde, kann auch als künstlerischer Leitsatz gesehen werden. Insbesondere bei Projekten, die bestehende Kontexte von Kunstwerken auflösen, andere schaffen und altbekanntes in neuem Glanz erstrahlen lassen – wie etwa ein guter Remix. Als Puscifer das neue Jahr mit der Ankündigung des Remix-Albums “Existential Reckoning: Rewired” einläuten, lässt sich Maynard James Keenan mit den Worten zitieren: “Manchmal macht es Spaß, etwas zu zerstören. Denn dann nimmt man etwas Bekanntes und erschafft etwas vollkommen Neues.” – “Vielleicht hat man als Künstler doch eher etwas Dekonstruierendes als Destruktives”, sagt Keenan am Telefon aufs revolutionäre Mantra Bakunins angesprochen. “Man nimmt etwas systematisch auseinander und setzt es wieder zusammen. Man muss nicht unbedingt vernichten.”
Früher hat Keenan seine Arbeit als Musiker und Winzer ebenfalls gerne mit seiner Rolle als Lehrer für Brazilian Jiu-Jitsu verglichen. “In der Kampfkunst geht es hauptsächlich um Hebelwirkung, Angleichung und Ausrichtung. Man versucht, seine eigene Ausrichtung zu bewahren und die des Gegenübers zu unterbrechen und einen Vorteil zu erringen.” Das klingt nicht so weit entfernt von der Position eines Remixers, der seine eigene Vision eines existierenden Werks erschafft. Kreativität und Konflikt gehen für Keenan aber nicht Hand in Hand. Im Gegenteil: “Ich glaube, es gibt in der Kampfkunst eine Gegenkraft und eine Bestimmung. In der Musik geht es eher darum, sich selbst etwas herauszunehmen und Ideen zuzulassen – ohne Zwang.”
Sehr präzise bis sehr vage: Frontmann Maynard James Keenan (Foto: Travis Shinn)
Nenn es nicht Remix
In den 2020ern ist es, insbesondere in der Popmusik, verbreiteter denn je, alte Songs und deren Melodien neu aufzuwärmen. Das prominenteste momentane Beispiel sind Bebe Rexha und David Guetta mit ihrer Eiffel-65-Kopie “I’m Good (Blue)”. Das klassische Remix-Album mit namhaften Gästen hingegen, in den 2000ern noch fester Bestandteil des Katalogs großer Künstler:innen, scheint fast ausgestorben. “Meistens lassen Leute ja einfach Remixe machen, indem sie ihre Songs zu anderen schicken”, sagt Keenan. “Und allgemein tendieren diese Songs dann dazu, nicht viel mehr zu sein als ein Groove, den sie neu gemacht haben. Dann klatschen sie noch ein paar Teile der originalen Vocals vom ursprünglichen Song darauf und verbinden das. Es wird einfach alles noch einmal aufgestoßen. Remix-Alben sind vermutlich ausgestorben, weil sie kein Herz haben.” Im Laufe des Gesprächs nimmt Keenan, der in gewohnter Manier sowohl sehr präzise als auch sehr vage antwortet, kaum das Wort “Remix” in den Mund. Er bevorzugt das Wort “re-imagining”, Neuerfindung.
Im Falle von Puscifer-Remixes ist für Keenan das Besondere, dass sie meist alle aus der direkten und erweiterten musikalischen Familie stammen. Carina Round und Mat Mitchell steuern je einen Song bei. Ebenso Alessandro Cortini (Nine Inch Nails), Juliette Commagere, Gunnar Olsen und Failure-Gitarrist Greg Edwards, die alle live oder im Studio Teil von Puscifer waren oder sind. Auch Harry Styles’ Schlagzeugerin Sarah Jones, die bereits auf “Existential Reckoning” spielte und sich für ihre Version von “Theorem” Kumpel (und Bring-Me-The-Horizon-Keyboarder) Jordan Fish einlädt. “Diese Leute haben mit uns gearbeitet, sind Teil der Band und Freunde von uns”, sagt Keenan. “Sie erfinden die Songs neu und präsentieren sie immer noch als Geschichte. Ihr Ziel ist es, die Songs neu zu schreiben, anstatt einfach Teile davon über einen neuen Rhythmus-Track zu legen. Nur wenn man so rangeht, funktioniert es. Dann entwickeln die Songs ein Eigenleben. Sie sind ein für sich selbst stehendes, wunderschönes Etwas.”
“Es gibt in der Kampfkunst eine Gegenkraft und eine Bestimmung. In der Musik geht es eher darum, sich selbst etwas herauszunehmen und Ideen zuzulassen – ohne Zwang.”
Für Keenan ist “Existential Reckoning: Rewired” nicht nur Familientreffen, sondern auch ein Verwischen der Grenzen zwischen seinen Projekten. Der ehemalige A-Perfect-Circle-Gitarrist Troy van Leeuwen steuert gemeinsam mit Tony Hajjar (At The Drive-In) eine neue Version von “Grey Area” bei, während Tool-Bassist Justin Chancellor zusammen mit Scott Kirkland, besser bekannt als The Crystal Method, “UPGrade “neu erfindet”, wie Keenan es ausdrückt. “Es ist aufregend und wunderbar, die Ergebnisse zu hören, denn man hat keinen direkten Einfluss abseits dessen, was man in Bezug auf Texte und Melodie schon geleistet hat. Das ist großartig. Und in vielen Fällen finde ich so auch heraus, wie die Leute schreiben, wenn ich nicht direkt involviert bin.” Im Falle von Justin Chancellor und “UPGrade” bedeutet das: weniger klassische Tool-Basslines, sondern reduziert und knochentrocken über flirrende Breakbeats.
Co-Sängerin und Multiinstrumentalistin Carina Round (Foto: Travis Shinn)
Keenan selbst konstruiert seinen Gesang mit großem Wert auf Phrasierung, mehrsilbige Reime, Binnenreime, Enjambements und Kunstpausen. “Allgemein gesagt, ob man Gesangsmelodien oder etwas anderes schreibt, man lässt sich von seiner Umgebung, seinen Erfahrungen, was man hört und sieht, inspirieren”, so Keenan. Remixe bieten nun die Möglichkeit, Gesangsspuren auseinanderzuschneiden, neu zu kombinieren, zu phrasieren, zu beschleunigen oder zu verlangsamen, je nachdem, wer den Song bearbeitet. So entstehen natürlich Gesangslinien, die auf herkömmlichem Wege gar nicht entstehen würden, weil sie etwa nicht intuitiv zu singen sind. “Es erscheint also logisch, dass wenn ich neue Varianten von meinen Songs höre, mich das wiederum beeinflusst, wenn ich an neuen Gesangslinien arbeite”, sagt Keenan. Schlussendlich ist “Existential Reckoning” genauso Inspiration wie ein Resultat derselben.
Eine Geschichte, zwei Perspektiven
Laut Keenan bedurfte es für “Existential Reckoning: Rewired” keiner großen Planung. Einzig der Gedanke stand schon früh fest. “Wir machen ja bei jeder Platte im Nachhinein ein neu interpretiertes Album”, sagt Keenan. “Einfach um eine andere Perspektive auf die Geschichte zu bekommen. Die Musik spricht in einer anderen Sprache und in einem anderen Rhythmus, um die Geschichte zu erzählen.” Diese neue Erzählung derselben Geschichte stellt für Puscifer und insbesondere Keenan eine enorme Inspirationsquelle dar. Denn musikalisch bedingt, kann sich die Geschichte ja durchaus ändern, auch wenn der Text unangetastet bleibt. Ein Text, den Keenan mit einer bestimmten Musik und bestimmter Idee im Kopf geschrieben hat, wird durch neue musikalische Texturen und einen neuen musikalischen Kontext auch mit neuer Bedeutung aufgeladen. Diese neue Perspektive auf die gleichen Geschichten ist für Keenan der Kern dessen, was die Remix-Alben den ursprünglichen Kunstwerken hinzufügen. “Auf eine gewisse Weise sind es Begleitwerke”, sagt Keenan. “Es verhält sich fast wie mit zwei Fans, die bei einem Event waren und dann ihre Erlebnisse schildern. Deren Geschichten desselben Ereignisses werden sich ja auch teilweise unterscheiden, einfach weil sie von zwei unterschiedlichen Orten aus zugesehen haben.”
Gitarrist Mat Mitchell (Foto: Travis Shinn)
Diese Perspektiven können mal sehr ähnlich, mal stark unterschiedlich ausfallen. “Apocalyptical” hat bereits in der Originalversion eine satte Nine-Inch-Nails-Schlagseite. Da liegt es nahe, dass Trent Reznor und Atticus Ross selbst Hand anlegen – und nebenbei die Länge des Songs verdoppeln. Überlegungen im Vorfeld, wessen Stil zu welchem Song auf “Existential Reckoning” passen könnte, gab es aber keine. “Es ist nicht ganz so leicht”, sagt Keenan. “Natürlich haben alle einen eigenen ‘flavor’ und suchen sich dementsprechend die Songs raus. Aber teilweise waren es auch einfach die Songs, die noch nicht vergeben waren.”
Eine Tendenz lässt sich dennoch feststellen: “Existential Reckoning: Rewired” wirkt in weiten Teilen wie das Spiegelbild des Originals. “Grey Area”, ursprünglich eher melodisch und ruhig, wird von van Leeuwen und Hajjar mit ordentlich Noise versehen. Sarah Jones und Jordan Fish denken das ebenfalls ruhigere “Theorem” in Richtung Club und Techno weiter. Und Alessandro Cortini zieht das eigentlich eingängige “Bullet Train To Iowa” komplett auf links. Drei Minuten Ambient-Intro, dann an- und abschwellende Industrial-Kakophonie, in denen Keenans Gesang klingt, als wäre er unter Wasser. Was vorher bequem war, wird unbequem, und umgekehrt. Teilweise wird die Musik den mitunter düsteren Texten angeglichen. Der industrielle Lärm von der Neuinterpretation von “Grey Area” fängt etwa düstere K.I.-Zukunftsvisionen musikalisch deutlicher ein: “No SI override/ We’re on the verge of extinction/ Hallucinating to survive/ Here in the digital paradigm”.
“Das weiß ich gar nicht, darüber habe ich noch nie nachgedacht”, kommentiert Keenan diese Spiegel-Tendenz. “Ich werde mir das gleich nochmal anhören, dann habe ich nächstes Mal vielleicht eine Antwort.” Trotz Songs wie “Grey Area” oder “Prometheus” freut sich Keenan auf die Möglichkeiten, die künstliche Intelligenz zumindest für Kreative bereithalten könnte. “Man nutzt ja immer ein Objekt oder Werkzeug, um Musik zu machen. Vor Jahrzehnten, als die Kamera erfunden wurde, wurden die Argumente hervorgebracht, dass Fotografie keine Kunst ist. Man zielt und klickt, das ist keine Kunst. Und das ist hundertprozentig falsch. Es wird sich zeigen, wo die Reise hingeht, aber zumindest heute sehe ich das als einen nächsten Schritt in der Entwicklung der Kunst.”
Live-Drummer Gunnar Olsen (Foto: Travis Shinn)
Auch wenn Keenan während seines kreativen Prozesses Songs gerne wieder hervorholt, verändert, neu ausrichtet und verbessert, sollte man die Remix-Alben nicht als Konsequenz dieses künstlerischen Ansatzes sehen. “Es ist vor allem eine spaßige Übung”, sagt Keenan. “Das Leben ist nicht simpel. Es gibt nicht nur den einen Weg oder die eine Schublade. Die Möglichkeiten sind endlos. Für manche Menschen ist das unangenehm, aber für andere ist es sehr inspirierend. Für mich persönlich ist es auf jeden Fall so.”
Freunde und Fans
Keenan beschreibt das Musizieren mit den Mitgliedern von Tool, A Perfect Circle und Puscifer gerne als unterschiedliche Konversation mit unterschiedlichen Menschen. “Manchmal kann man wirklich sehr viel erreichen, indem man einfach zuhört”, antwortet er auf die Frage, wie es ist, im Falle eines Remix-Albums nur indirekt an ebenjener Konversation beteiligt zu sein. “In einem Raum muss man nicht der Einzige sein, der redet. Man kann auch einfach derjenige sein, der zuhört. Das kann inspirierend sein.” Ob er im Raum war, als die Songs von “Existential Reckoning” neu erfunden wurden? “Metaphorisch”, sagt Keenan.
Die Gästeliste des Albums wird dabei weniger zusammengestellt, als dass sie sich ergibt. Puscifer fragen einige Freunde und werden ihrerseits von Freunden gefragt, die sich durch ein Stück auf “Existential Reckoning” zu einem Remix inspiriert fühlen. Auch wenn einige Namen dann doch überraschen – zumindest auf den ersten Blick. Etwa BBC-Moderator und Gitarrist Daniel P. Carter, der dem Albumabschluss “Bedlamite” ein ordentliches E-Gitarren-Facelifting verpasst. So zeigt sich: Was vorher klang wie eine Depeche-Mode-Synth-Pop-Nummer funktioniert auch hervorragend als Post-Hardcore – mit unangetastetem Gesang. “Wir haben über die Jahre oft miteinander gesprochen und sind Freunde geworden”, sagt Keenan. “Ich sehe ihn jedes Mal, wenn wir drüben in Großbritannien sind. Es war also nicht zufällig, dass er angefragt hat, ob er den Song übernehmen kann.”
Live-Bassist Greg Edwards (Foto: Travis Shinn)
Auf die ein oder andere Weise sind alle beteiligten professionell wie privat mit Keenan verbunden. Einzig das Elektro-Duo Phantogram erklärte sich als Fan und fragte ganz offiziell via Management, ob sie einen Remix beisteuern dürfen. “Postulous” zeigt, dass Keenans Stakkato-Sprechgesang auch langsamer abgespielt funktioniert. Vor allem, wenn er noch mit blubbernden Synthesizern unterlegt wird, die einem ursprünglichen Gesellschaftskommentar wie “Intеgrating so insuring our continuation/ Synthesizing aberrant, natural selection” eine neue Bedeutungsebene erschließen. Das kam offensichtlich so gut an, dass Phantogram in den illustren Kreis aus Freunden aufgenommen wurde. Eine Person fehlt allerdings in diesem Kreis von Neuinterpreten. Keenan selbst. “Ich mache zwar auch selbst Remixe, überlasse das aber eigentlich lieber den Leuten, die das professionell tun”, sagt er. “Ich spiele weder Schlagzeug noch Keyboard oder Gitarre, habe keine Ahnung von Musikprogrammierung und bin kein Toningenieur. Ich schreibe Geschichten, und ich singe sie.” Diese Geschichten können auch mit “Existential Reckoning: Rewired” noch überraschen.
Eine knallige Marching-Band setzt den Takt für die neue Single “No Reason” der Chemical Brothers, für die sich das Elektro-Zweigespann Unterstützung von Adam Smith und Marcus Lyall geholt hat. Diese haben den aufwendigen Visualizer, bei dem einem schon beim Zuschauen der sich drehenden Neonmenschen der Schwindel in die Beine steigt, gestaltet.
Der groovige Sound und des Sample von Second Layers “Courts Or Wars” aus dem Jahr 1979 tut dabei sein Übriges, um “No Reason” den nötigen Funk zu verleihen und den harten Bass an den richtigen Stellen abzumildern. Denn auch wenn “No Reason” an einigen Stellen die Sinnlosigkeit des Lebens verkündet, so ist der Track im besten Sinne eine hedonistische Feier des Lebens trotz – oder gerade wegen – der Artikulation des Sinnlosen, die Pessimismus im Inhalt und Optimismus im Sound versprüht.
Mit “No Geography” erschien 2019 das bis dato letzte Album der Band, für das sie außerdem den Grammy als “Best Dance/Electronic Album” gewann und sich – dank kleiner Gesten anstelle dicker Beats – nochmal eine neue Facette zulegten. Zwei Jahre später stellten sie dann mit “The Darkness That You Fear” und “Work Energy Principle” sowie einem Remaster zum 25. Jubiläum ihres Albums “Dig Your Own Hole” erneut ihren Ehrgeiz unter Beweis.
Zusätzlich wird “No Reason” auf einer limitierten Auflage als Twelve-Inch l mit einer bisher unveröffentlichten B-Seite namens “All Of A Sudden” erhältlich sein. Die Platte wird am 28. April veröffentlicht – ihr könnt es hier vorbestellen. Ein komplettes Album wurde noch nicht angekündigt, befindet sich aber wohl schon in Arbeit.
Und auf Tour befinden sich die Wegbereiter des Big Beat selbstverständlich auch noch, allerdings sind zurzeit noch keine Termine im deutschsprachigen Raum angekündigt.