Es ist schon längst kein Geheimnis mehr, dass Bilderbuch gerne mit verschiedenen Genres experimentieren. Schon mit ihrer zuletzt veröffentlichten Single “Dino” stellten die Österreicher ihre verschiedenen Facetten unter Beweis: Mit psychedelischen Effekten und Sounds bewegte die Band sich auf Spuren von Bands wie King Gizzard.
Mit ihrer neuen Single “Bluezones” traut sich das Indie-Quartett nun an den Hyperpop heran, spielt mit Synthesizern und Techno-Beats, die trotz allem einen fast friedlichen Sound erschaffen. Der Text lässt – wie üblich – viel Spielraum für Interpretationen: “Du denkst/ Du denkst nur an andere / Dabei steckst du tief in dir selber drin”. Der Titel spielt auf die blauen Zonen nach Dan Buettner an: Dabei handelt es sich um fünf Regionen auf der Welt, in denen Menschen länger leben sollen als in allen anderen.
Noch ist unklar, ob die neue Single eine Auskopplung eines neuen Albums ist. Zuletzt hatten Bilderbuch mit “Softpower” dieses Jahr eine EP mit vier Songs veröffentlicht. Die Band kündigt im Einklang damit die “Softpower”-Tour ab Dezember an. Tickets gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Live: Bilderbuch
06.12.2023 München – Muffathalle
07.12.2023 Würzburg – Posthalle
08.12.2023 Saalbach / Hinterglemm – Bergfestival
22.03.2024 Wiesbaden – Schlachthof
23.03.2024 Leipzig – Felsenkeller
24.03.2024 Berlin – Columbiahalle
16.04.2024 Zürich – Kaufleuten
17.04.2024 Innsbruck – Music Hall
21.06.2024 München – Tollwood
17.08.2024 Witten -Zeltfestival Ruhr
“The Haar” soll das vierte Album der Black Foxxes heißen, für das die Emorock-Band aus Exeter im Frühjahr Spenden bei der Crowdfunding-Plattform Kickstarter sammelte. Umgerechnet rund 25.000 Euro sind dafür zusammengekommen und die Platte ist inzwischen vorbestellbar. Das momentan noch aktuellste Album der Band ist 2020 erschienen, wann genau der Nachfolger nun erscheinen wird, ist noch nicht klar. Dafür kündigt die Band allerdings bereits einige Konzertdaten für das nächste Jahr an: Im Rahmen ihrer Europatour im Januar und Februar 2024 kommen die Briten auch für insgesamt fünf Konzerte nach Deutschland. Tickets für die Shows gibt es ab sofort an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Auf Instagram freute sich die Band darüber, an so vielen neuen Orten zu spielen und betonte, dass mit dieser Tour einige Wünsche in Erfüllung gingen: “An unbekannten Orten zu spielen ist ein Traum für uns, aber auch sehr beängstigend und wir wollen versuchen, das in Zukunft öfter zu ermöglichen.”
Das Eurosonic Noorderslag Showcase-Festival präsentieren in einer weiteren Ankündigungswelle 76 aufstrebende Bands, die zwischen dem 17. und 20. Januar 2024 in Groningen auftreten werden. Künstler wie CMAT, Freekind, Goldkimono oder Yin Yin sollen die musikalische Vielfalt Europas widerspiegeln.
Unter dem Motto “Focus on Poland” präsentiert das Festival polnische Acts wie Moonstone und Polak GBP. Das Line-up umfasst darüber hinaus 14 der 15 für die Music Moves Europe Awards 2024 nominierten Künstler:innen. Der Gewinner des Awards wird im Rahmen des Festivals am 18. Januar bekannt gegeben.
Das Eurosonic Noorderslaag Festival gibt es seit 1986. Über die Jahre hat es sich zu einem viertägigen Showcase-Festival mit angeschlossener Konferenz entwickelt. Die Konzerte finden in Venues statt, die sich über das gesamte Stadtgebiet Groningens verteilen. Im Mittelpunkt des Line-ups stehen europäische Nachwuchskünstler:innen, die von Pop bis zu progressiver Musik eine große Bandbreite an Genres bedienen.
Meg Remy alias U.S. Girls macht eine Supershow, die Songs sind toll und das Publikum zollt ihr Respekt – aber Remy weiß, dass sie heute Abend nicht die Hauptattraktion ist. Die Website Pitchfork veranstaltet ein aufsehenerregendes Festival: An sieben Abenden treten über 70 Bands und Einzelkünstler:innen in 17 Venues auf, am Freitag, den 10. November ist das Roundhouse in Camden dran. Eröffnet hat die Native-American Singer/Songwriterin Black Belt Eagle Scout, auf sie folgt U.S. Girls: “Es sind eine Menge Sleater-Kinney-Fans hier, nicht wahr?”, ruft die Kanadierin ins Roundhouse und die alters- und gendermäßig bunt gemischte Menge antwortet laut und aufgekratzt.
Die Spannung im Saal ist mit Händen greifbar, viele Musiker:innen wie die Band Big Joanie und Miki Berenyi von Lush sind gekommen, um Sleater-Kinney zu sehen. Seit dem Ausstieg von Schlagzeugerin Janet Weiss im Jahr 2019 machen Carrie Brownstein und Corin Tucker als Kern-Duo weiter, live unterstützt von wechselnden Musiker:innen. Auf das von St. Vincent produzierte Album “The Center Won’t Hold” folgt 2021 “Path Of Wellness”, im Januar 2024 wird mit “Little Rope” die elfte Platte der einstigen Riot Grrrls aus Olympia, Washington erscheinen – und mit “Hell”, der ersten Single aus dem neuen Album, legen Sleater-Kinney pünktlich um 21:30 Uhr los, schließlich sind wir in Großbritannien, wo Zeitpläne akribisch eingehalten werden.
Zwei Tage zuvor haben Sleater-Kinney ein Mini-Konzert im Dome Club gegeben, das Roundhouse ist einige Nummern größer und doch intim genug, dass die Wucht, die von der Bühne ausgeht, auch auf den Rängen zu spüren ist. Oben vibrieren die Sitze, unten bebt der Boden. Brownstein und Tucker sind ein eingespieltes Team, zusammen mit der nicht mehr ganz so neuen, fast-festen Schlagzeugerin Angie Boylan und Katie Harkin entfesseln die Musikerinnen ein wahres Soundgewitter, dynamisch, pulsierend, laut, wütend, aufwühlend und doch immer verletzlich. Sleater-Kinney sind keine Punk-, sondern eine Rockband, nach Greil Marcus die beste der Welt (und zwar nicht: die beste Frauen-Rockband).
Karikierende Rockposen: Carrie Brownstein und Corin Tucker von Sleater-Kinney (Foto: Kimberley Ross)
Carrie Brownstein ist nach ein paar Stücken in ihrem Element: Sie stolziert von links nach rechts über die Bühne, schrubbt und liebkost ihre Gitarre, wirft sich in karikierende Rockposen, damit die Leute was zum Fotografieren haben. Immer wieder bewegen sich Brownstein und Tucker aufeinander zu, lassen ihre Gitarren duellieren und duettieren, singen abwechselnd, Brownstein klar und kräftig, Tucker schreit mit ihrem unvergleichlichen Tremolo. Das Konzert geht als Best-of ihrer 20-jährigen Bandgeschichte durch – Sleater-Kinney gründeten sich 1994, trennten sich 2006, um sich 2015 wieder zusammenzufinden –, sie bringen von fast allen Alben einen Song, vom epochalen “The Woods” gleich vier. Großer Jubel brandet auf für Riot-Hits wie “Jumpers”, “Entertain” und die ironische Antihymne “Modern Girl”, aber auch der zweite neue, leicht soulige (!) Song “Say It Like You Mean It” wird begeistert aufgenommen.
Der anrührendste Moment kommt mit “Dance Song ’97”: Sleater-Kinney spielen ihn in der Version, die die Band Low für das Cover-Album “Dig Me In” aufgenommen hat, und widmen ihn der im vergangenen Jahr gestorbenen Low-Sängerin und -Schlagzeugerin Mimi Parker. “Ich will euch alles geben, weil ich nicht weiß, wie lange ich noch hier bin – und ihr wisst nicht, wie lange ihr noch hier seid”, sagt Brownstein. Memento mori, angemahnt von der vitalsten Band, die man sich derzeit vorstellen kann. Nach “Dig Me Out” ist pünktlich um 22:45 Uhr Schluss – schließlich sind wir in England.
Der Song kombiniert in seinem Text eine Mischung aus Demut und Furcht. Im Refrain rückt die Frage nach Gut und Böse in den Mittelpunkt: “You had the world within your hands back when your heart was open/ You made your enemies from friends but did you ever know them?”
Ein Debütalbum sind Better Lovers zwar bislang schuldig geblieben, aber zumindest spielen sie im Dezember in den USA gemeinsam mit It Dies Today, The Callous Daoboys, Greyhaven und Spaced eine Weihnachtsshow. Auftritte in Europa sind bislang keine angekündigt.
Anfang Oktober hatten Porno For Pyros ihre für den Herbst geplante Tour zum 30-jährigen Jubiläum ihres Debüts um einige Monate verschoben. Der Grund: Ihr neues Album, das sie im Rahmen der Tour spielen wollten, war noch nicht fertig. Diesbezüglich scheint die Band um Jane’s Addiction-Frontmann Perry Farrell aber Fortschritte gemacht zu haben, denn eine erste neue Single ist nun erschienen.
“Agua”, so der Name des Songs, ist der erste Porno-For-Pyros-Song seit dem Album “Good Gods Urge” von 1996 und ein leichter, sommerlich-rockiger Jam mit der typischen Handschrift von Farrell. Inspiriert wurde er von Begegnungen mit Delfinen, die der Frontmann in den 90ern beim Surfen hatte und die er als eine der glücklichsten Zeiten seines Lebens beschreibt.
Auch für die verschobene Tour, die die Band nun offiziell als Abschiedstour handelt, gibt es inzwischen wieder Termine; sie findet im Februar und März 2024 in 16 Städten in den USA statt.
Porno For Pyros hatten sich 2020 während des Corona-Lockdowns wieder zusammengefunden, ihre erste Show spielten sie kurze Zeit später beim Welcome To Rockville-Festival als Ersatz für Jane’s Addiction.
Jamie Hince hat das neue Rolling-Stones-Album schon gehört. Aber nicht erst gestern oder letzte Woche, sondern schon vor vier Monaten. Der Grund dafür heißt Andrew Watt, der nicht nur die neue Platte der dienstältesten Rock’n’Roll-Band der Welt produziert hat, sondern auch Iggy Pops letztes Album “Every Loser”. Für die darauffolgende Tour hatte der 32-jährige US-Amerikaner dann noch schnell eine kleine Supergroup zusammengetrommelt: Chad Smith von den Red Hot Chili Peppers, Duff McKagan von Guns N’Roses und eben Jamie Hince. Seitdem sind die beiden dicke. So dicke, dass Watt seinen Kumpel zu einer spontanen Pre-Listening-Session eingeladen hat, bei der “Hackney Diamonds” nur für Hince aus den Boxen knallte. Und zwar laut. Bei der Erinnerung muss der Kills-Gitarrist immer noch lachen. “Andrew hat sich vor mich gestellt und den Mick Jagger gemacht”, sagt er. “Er konnte alle Songtexte auswendig und ist vor mir auf und ab gegockelt, als wäre er der Sänger.” Für Hince war es ein echtes Fanboy-Privileg, denn er bewundert die Rolling Stones schon seit langem.
»Wenn ich in Los Angeles bin, werde ich immer an mein Englischsein erinnert. Nirgendwo fühle ich mich englischer als im Ausland.« Jamie Hince
Was die Natur vielleicht auch so eingerichtet hat. Nicht nur teilt sich Hince dasselbe Geburtsdatum mit Keith Richards (wenn auch schätzungsweise hundert Jahre später), er hat auch eine ziemlich überzeugende Richards-Parodie anzubieten, die ab und zu in den eigenen Alltag schwappt. Das Berliner Hotel, in dem die Kills für ihre Interviewtermine abgestiegen sind, ist eins von der schicken und teuren Sorte, in dem die Kellner besser angezogen sind als der Papst. Hince und seine Spießgesellin Alison Mosshart sitzen im Atrium an einem weiß gedeckten Tisch vor leeren Rotweingläsern von einer Größe, in der sich auch Goldfische wohlfühlen würden. Mosshart trägt Sonnenbrille und Basecap, Hince ein offenes schwarzes Hemd, diverse Halsketten und eine kriminelle kalifornische Bräune. Als wieder einmal ein Kellner vorbeischwebt, fragt der Gitarrist nach mehr Wein, nur um dann innezuhalten. “Oder nein. Ich hatte gerade schon ein Glas bei Ihrem Kollegen bestellt”, sagt er. “Nicht, dass Sie mir dann zwei bringen.” Kurze Pause. “Ach, was soll’s. Bringen Sie mir zwei!” Es ist vier Uhr nachmittags, und irgendwo auf der Welt bekommt ein Rock’n’Roll-Engelchen seine Flügel.
Abgewöhnte Gitarren
“Wenn ich mir Kopfhörer aufziehen und mir sieben Metallica-Alben hintereinander anhören würde, würde das nicht die Art und Weise beeinflussen, wie ich Musik mache”, sagt Jamie Hince, bei dem man manchmal nicht weiß, was ernst gemeint ist und was nicht. Dann muss Alison Mosshart als Übersetzerin her. Was ihr Kollege damit meint, sagt sie, ist, dass Kills-Songs immer nach Kills-Songs klingen werden, egal wie die Musiklandschaft drumherum aussieht. Inspirationen mögen kommen und gehen, doch der Sound, den das Duo anno 2003 etabliert hat, wird auf ewig derselbe bleiben, wie ein Ramones-Cover von Motörhead. Auch in dieser Hinsicht seien die Rolling Stones ein Vorbild, schließlich hat noch jedes neue Album von Mick Jagger & Co. ein Riffmonster à la “Brown Sugar” an Bord, als Markenzeichen quasi. Die Kills würden das gerne genauso handhaben, wobei Mosshart auch immer einen gewissen Widerstreit zwischen Rhythmus und Melodie erkennt. Und dieses Mal ganz besonders. “Ich bin immer auf der Suche nach Melodien, die ich noch nie gehört habe”, sagt sie. “Weil Melodien einfach immer die besten Träger für Texte sind.”
Für “God Games”, das neue Album ihrer Band, trifft das ganz besonders zu, denn in den bleiernen Corona-Jahren haben sich Hince und Mosshart eine neue Arbeitsweise antrainiert, die von einem vorsätzlichen Minimalismus geprägt war. “Ich habe auf einem Hundert-Dollar-Keyboard geschrieben, was ich vorher noch nie gemacht habe”, sagt die Sängerin. “Das hat mir so viel Spaß gemacht, dass ich kaum aufhören könnte. Und es hat mir neue Möglichkeiten eröffnet, weil ich ansonsten immer nur auf der Gitarre rumklimpere.” Ihr Kollege hatte sich ebenfalls die Gitarre abgewöhnt und erstmals zu nackten Drumbeats komponiert. “Dabei habe ich die Erfahrung gemacht, dass dadurch die Melodien umso stärker werden”, sagt er. “Für mich war das ein Novum, weil ich mich dadurch zum ersten Mal so richtig in Melodien verliebt habe.” Beide vergleichen die Arbeit an God Games mit den Aufnahmen zu ihrem allerersten Album; eine Wiedergeburt im Zeichen neu gewonnener Unschuld. So schwierig die Zeit abseits der erzwungenen Konzertpause, so befriedigend die Wiederbegegnung im Studio. “Ich habe heute erst gesagt: Ich will positiv sein und nicht negativ”, sagt Alison Mosshart. “Einsamkeit tut mir nur eine bestimmte Zeitlang gut. Und das sage ich als jemand, der sehr gut alleine sein kann. Aber das war dann doch ein bisschen viel. Ich bin so stolz auf diese Platte. All die Zweifel, die ich im Vorfeld hatte, haben dafür gesorgt, dass die Aufnahmen zu diesem Album die aufregendsten seit unserem Debüt waren. Es war, wie wieder ein Kind zu sein. Und dafür bin ich unglaublich dankbar.”
Für Jamie Hince lassen sich die Veränderungen der letzten Zeit auch an seinen Texten ablesen. “Ich habe das Gefühl, dass sie wesentlich philosophischer geworden sind”, sagt er. “Normalerweise handeln meine Texte von Dingen, die ich so erfahre oder beobachte. Aber dadurch, dass ich jetzt zwei Jahre kaum etwas erfahren oder beobachtet habe, hat sich der Fokus mehr ins Innere gerichtet. Es klingt albern, aber dadurch habe ich mich mit den größeren Fragen des Lebens beschäftigt. Für eine Weile ist mir die eigene Sterblichkeit viel bewusster geworden.” Rechtzeitig zu den Aufnahmen zum neuen Album war es mit derartigen Gefühlen zum Glück auch wieder vorbei. Wenn es ein Wort gibt, um “God Games” zu beschreiben, dann wäre es wohl “lebensbejahend”, meint Jamie Hince. Lebensbejahend aber nicht in dem Sinne, als dass dauernd Sprühsahne und Konfetti durch die Gegend fliegen, sondern als dass man endlich wieder zum Spielen vor die Tür darf. Bei all dem Frust der Vergangenheit findet sich deswegen auch kein Song auf der neuen Platte, der so richtig angepisst ist. “Man fühlt jeden Tag alle möglichen Gefühle”, sagt der Sänger. “Und deswegen ist es schwer, lange genug in der gleichen Stimmung zu bleiben, um einen schön angepissten Song zu schreiben.” Stattdessen haben sich The Kills ausgerechnet an Björk ein Beispiel genommen, um ihrer Musik eine eigene Aufrichtigkeit mit auf den Weg zu geben und den Corona-Blues nachhaltig zu verscheuchen. “Björk ist ein gutes Beispiel für positive Vibes”, sagt Jamie Hince. “Die wenigsten ihrer Songs sind traurige Songs, die überwältigende Mehrzahl von ihnen sind wahre Freudenausbrüche. Für mich ist das pure Magie, denn es ist unglaublich schwierig, fröhliche Songs zu schreiben und dabei aufrichtig zu wirken.” Natürlich hört sich God Games deswegen mitnichten an wie die Werke der isländischen Ausnahmeerscheinung, sondern zunächst einmal recht vintage. Der Opener “New York” kommt lederbestiefelt in die Stadt spaziert und fühlt sich sofort nach dem Ort an, “where the city runs out of streetlights”, wie es einmal in einem anderen Kills-Song hieß. Keine Spur von Hundert-Dollar-Keyboards und Drum-Computern, sondern geradliniger Garage-Rock ohne Verfallsdatum.
Nichtexistente Götter
Mit der dazugehörigen Stadt hat die Band dabei inzwischen gar nicht mehr so viel zu tun. Hince wohnt das ganze Jahr über in Los Angeles, Mosshart zumindest die Hälfte davon. Wer den zerschossenen Glam, der auf dem neuen Album ab und zu aufblitzt, mit der kalifornischen Metropole in Verbindung bringt, liegt trotzdem falsch. “Ich fühle mich immer am Wohlsten, wenn ich der Ferne in einer fremden Stadt bin”, sagt Jamie Hince. “Und wenn ich in Los Angeles bin, werde ich immer an mein Englischsein erinnert. Nirgendwo fühle ich mich englischer als im Ausland.” Auch in musikalischer Hinsicht hält sich der Gitarrist meistens dort am liebsten auf, wo er nicht hingehört. Zumindest nicht traditionell. „Ich habe einen Heißhunger auf neue Musik”, beteuert er. “Dazu muss ich allerdings sagen, dass mir die typische Rock’n’Roll-Produktion sehr simpel und ziemlich gleichförmig vorkommt. Zumindest in puncto Gitarrenmusik. HipHop-Produktionen dagegen sind teilweise so zukunftsgewandt, dass es mir vorkommt wie eine eigene Kunstform. Das würde ich gerne auch in unsere Musik einbauen.” Um genau diesem Plan auf die Sprünge zu helfen, wurde mit Paul Epworth ein Produzent engagiert, den die Band seit 20 Jahren kennt und der in der Zwischenzeit die unterschiedlichsten Acts aus den verschiedensten Genres betreut hat. Seinen Einfluss kann man nicht nur in den Arrangements der neuen Stücke heraushören, sondern spätestens zur Mitte des Albums hin auch in einer gewissen Abenteuerlust, die ganz im Widerspruch zu dem zu stehen scheint, was der Gitarrist eingangs über seine Bewunderung für die ewig zuverlässigen Rolling Stones gesagt hat. Trockene Riffs und ein leicht lasziver Gesang mögen auch zukünftig die Markenzeichen seiner Band sein, auf der neuen Platte wird trotzdem so oft über den Rand gemalt wie nie zuvor. “Wasterpiece” und “My Girls, My Girls” sind zwei der ungewöhnlichsten Songs, die The Kills je eingespielt haben, mit denen man als Fan aber trotzdem schnell warm werden kann.
“Ich hatte das Gefühl, dass die Songs alle ziemlich unterschiedlich sind, untereinander aber befreundet sein können”, erklärt Hince, der bei dieser Gelegenheit auch verrät, wie Mosshart und er sich die Kompositionsarbeit teilen. “Es ist eine einfache Gleichung: Wenn sie einen Song schreibt, singt sie ihn. Und wenn ich einen Song schreibe, singen wir beide.” Das geteilte Mikro hat für den Sänger stets einen besonderen Reiz, denn so lässt sich oft eine zweite Bedeutungsebene in einen Song einziehen, den er sonst nicht hätte. Bestes Beispiel: “My Girls, My Girls”. “Eine Zeile wie ‘My girls, my girls, I’m the worst’ bekommt eine ganz andere und auch interessante-re Konnotation, wenn eine Frau sie singt”, sagt Hince. “Der Song ist mehr oder weniger aus einer autobiografischen Perspektive geschrieben worden, wobei das aber nicht zu 100 Prozent mein wahres Ich ist. Durch die Änderung des Geschlechts ändert sich auch der Tonfall. Als Mann käme ich rüber wie jemand, der Frauen mies behandelt, Alison dagegen kommt mit dieser Zeile rüber wie die Coolste in ihrer Clique.” Diese Doppeldeutigkeit erfreut ihn auch im Fall von “Wasterpiece”. Der Songtext legt nahe, dass sich hier ein etwas älteres Semester über Social Media, die Digitalisierung und all die lästigen Herausforderungen eines technologisierten Alltags beschwert – dabei handelt das Stück mit seinem “It’s not our time”-Refrain ganz klassisch von einer gescheiterten Beziehung.
Missverständnisse dieser Art schon gleich miteinzubauen, gehört für Jamie Hince zu den spaßigsten Aspekten seiner Arbeit; die Verwirrung als Lust und Spiel. Trifft das auch auf den Albumtitel zu? “Ich bin Atheist, aber für mich steht der Ausdruck “God Games” quasi für die Spielchen, die Gott mit uns spielt”, sagt der Sänger. “Den Begriff hatte ich eines Tages einfach so im Kopf, also bin ich sofort ins Internet gegangen, um zu sehen, ob jemand diesen Ausdruck schon mal für irgendetwas verwendet hat. Als Bandname zum Beispiel, was aber nicht der Fall war. Wie sich herausstellt, gibt es aber ein eigenes Genre von Videospielen, das so heißt. Spiele wie “The Sims” oder “Afterlife”, bei denen der Spieler quasi als Schöpfer auftritt und Erdbeben und Springfluten von der Leine lassen kann. Das hat mir sogar noch besser gefallen, denn die Vorstellung ist so meta. Man erschafft einen nichtexistenten Gott für eine nichtexistente Welt. Das ist quasi dasselbe wie Songschreiben.”
Hince, Atheist, Rockstar, Songwriter-Gott und Bezwinger großer Rotweingläser muss lachen, und seine diebische Freude ist ihm förmlich anzusehen. Wie auf der Suche nach Bestätigung blickt er herüber zu Alison Mosshart, mit der ihn ganz eindeutig eine Chemie verbindet, wie sie nur in gut funktionierenden Bands anzutreffen ist. “Ich bin besessen von diesem Albumtitel, auch weil ich eben nicht genau weiß, was er zu bedeuten hat“, meint sie. “Für mich fühlt es sich an, als würde mit einem gespielt. Als müsste man ein Rätsel lösen, was aber nicht geht, weil sich die Fragestellung ständig verändert. Klingt das nicht irre und gleichzeitig irgendwie gefährlich? Verwirrend und irgend-wie sexy?” – “Genau das ist es!”, ruft Jamie Hince. “Verwirrend und sexy. Guter Rock’n’Roll muss immer verwirrend und sexy sein. Und wenn das nicht die Überschrift des Artikels wird, melde ich mich noch mal bei dir!”
Der Gastauftritt des My Bloody Valentine-Masterminds war Teil einer Reihe von Shows, die Dinosaur Jr. zurzeit anlässlich des 30-jährigen Jubiläums von “Where You Been?” im The Garage in London spielen und bei denen jeden Abend Überraschungsgäste auftreten. Bei den ersten beiden Konzerten der Reihe stand die Band dabei mit Blur-Gitarrist Graham Coxon, Schauspieler Richard Ayoade und Deb Googe (ebenfalls My Bloody Valentine) auf der Bühne. Am dritten Abend war nun Kevin Shields Ehrengast, der Dinosaur Jr. bei drei Songs unterstützte.
Die vier “Where You Been?”-Jubiläumsshows fanden bis gestern in London statt, sieben weitere folgen im Dezember in New York. Dinosaur Jr. spielen das 1993 veröffentlichte Album dabei in voller Länge. Wer mehr über die Platte und weitere essenzielle Veröffentlichungen des Musikjahrs 1993 lesen will, kann das in unserer Liste der 50 besten Alben von 1993 tun.
Bereits im September hatte Evan Dando angekündigt, dass es 2024 ein neues Lemonheads-Album geben würde; es wäre das erste der Bostoner seit ihrer nach der Band benannten Platte vor inzwischen 17 Jahren. Zwischenzeitlich gab es mit “Varshons” (2009) und “Varshons II” (2019) zwei Coveralben. Genauere Informationen zum neuen Album gibt es bislang nicht, mit “Fear Of Living” aber bereits einen ersten Song daraus. Alle Instrumente hat Dando selbst eingespielt, produziert hat den Song Apollo Nove.
Beteiligt an der Entstehung von “Fear Of Living” war auch der im Juni verstorbene Songwriter Dan Lardner von QTY, von dem die ursprüngliche Idee zum Song stammt. Dando sagt, dass Lardner ihm eine Skizze des Stücks bereits 2022 schickte und er diese um einige Elemente erweitert habe, was Lardner zusagte. Herausgekommen ist am Ende ein zweiminütiger Indierocksong mit leichter Janglepop-Ästhetik.
Bei der Ankündigung des neuen Albums im September hatte Dando auch einige Konzertdaten für die Lemonheads bekannt gegeben, die kurz vor Silvester in Chicago stattfinden sollen. An zwei Terminen spielen The Lemonheads die Platten “It’s A Shame About Ray” und “Come On Feel The Lemonheads” in voller Länge, an Silvester 2023 dann eine spezielle “New Year Extravaganza”. Zusätzlich hat Evan Dando eine Solotour für Februar und März angekündigt, die bisher aber nur in den USA stattfindet.
“Come On Feel The Lemonheads” war vor kurzem auch Thema in unserer Top 50 der wichtigsten Alben von 1993.