David Beckham, Robbie Williams, Echt – nun auch Tocotronic. Wir befinden uns in einer großen Erinnerungsära, wie es scheint.
Dirk von Lowtzow: Ich muss gestehen, dass ich davon nicht so viel mitbekomme. Ich bin kein Netflix- und Podcast-Typ. Ich kenne es natürlich, aber ich könnte nicht gesichert darüber Auskunft geben, ob das ein kulturelles Paradigma ist. Es scheint mir ziemlich normal, das sind alles Phänomene der späten 90er, frühen Nullerjahre. Ich erinnere mich, als ich Mitte der 80er angefangen habe, bewusst Musik zu hören und mich für abseitige Bands zu interessieren. Da gab es gerade ein 60s-Psychedelic-Revival, mit Dream Syndicate, Rain Parade, dem Paisley Underground in Los Angeles. Als diese Platten neu rauskamen, waren die 60s halt ungefähr 20, 25 Jahre her und jetzt wiederum ist diese Zeit so lange her, das entspricht etwa einer Generation. Wenn eine neue kommt, entdecken Leute Bands und Persönlichkeiten und damit eine Popkultur von vor 30 Jahren. Sie finden das irgendwie interessant, gleichzeitig auch bizarr oder cool. Und wenn man es selbst erlebt hat, wundert man sich immer nur.
Wie ist es bei dir mit der Nostalgie, bist du ein Typ für einen Abend mit der Fotokiste?
Überhaupt nicht. Ich bin ein Wegschmeißer und kein Sammler. Ich habe überhaupt keine alten Fotos, keine nostalgische Ader. Das ist völlig langweilig. Mich interessiert das Autofiktionale, so wie wir das auch beim Album “Die Unendlichkeit” gemacht haben. Memoiren interessieren mich, weil das ein sehr aufgearbeiteter Zugang zu jemandes Vergangenheit ist. Man kann sich natürlich immer fragen kann, ob das eigentlich stimmt, was der oder die mir da erzählt, aber das macht auch die Spannung dieses Genres aus. Selbst in der Vergangenheit kramen, dazu habe ich überhaupt keinen Hang.
Ich habe in meinen Tocotronic-Erinnerungen gekramt und mich an ein frühes Konzert von euch erinnert, ein Soli-Festival 1997 in Lübeck auf der Walli, unter anderem zusammen mit Fettes Brot. Ihr habt die Bühne betreten und du hast das Publikum mit den Worten “Guten Tag, liebe Radikalinskis” begrüßt.
Das war in den 90ern so ein kollektiver Humor in der Band. Wir wurden damals alle in der linken bis linksradikalen Ecke sozialisiert. Jan und Arne durch Konzerte im Störtebeker in der Hafenstraße, ich auf einem viel provinzielleren Level durch meine Schülerbands in Offenburg, wo wir auch schon in sogenannten autonomen Zentren aufgetreten sind.
Ihr brecht das Ganze mit einem Opa-Ausdruck, das hat mich sehr amüsiert.
Wir haben unzählige Solidaritäts- und Benefizkonzerte gespielt, immer im linken Zusammenhang. Wir wissen das alles sehr zu schätzen, weil es ganz viele Dinge überhaupt erst ermöglicht hat. Gleichzeitig haben wir uns über diese Diktion, über diese Selbstgerechtigkeit, die dem Ganzen immer auch ein bisschen innewohnt, oft ein wenig lustig macht. Dass man das mit diesem Opa-Jargon bricht, bei gleichzeitiger Anteilnahme und Solidarität, klingt sehr nach uns, nach frühen Tocotronic.
Wann kam die Idee zum Podcast erstmals auf?
Das war vergangenes Jahr. Wir probten gerade in Berlin, das ist immer auch ein Anlass, um bestimmte Sachen zu besprechen. Da lag uns die Anfrage vom RBB vor, diesen Podcast zu machen. Wir hatten selbst keine Ambitionen, so etwas an den Start bringen, das wäre uns auch ein bisschen selbstgerecht vorgekommen. Das entspricht nicht unserer Art, über Sachen oder auch über uns nachzudenken, aber diese Idee, auf diese Weise, das fanden wir spannend. Podcast-Host Stefanie Groth hat uns dann bei einigen Konzerten begleitet, ist im Nightliner mitgefahren und hat erste Stimmen und Stimmungen eingefangen.
Tagt da vorher der Bandrat, wie ihr es angehen wollt?
Nein, wir haben das auf uns zukommen lassen. Wir sind ja schon ein paar Jährchen zusammen, jeder einzelne weiß, wie weit das gehen kann. Stefanie Groth war bei den Interviews auf Tour und später in den langen Einzelgesprächen sehr einfühlsam und empathisch. Die Interviews fanden im alten Funkhaus in Berlin statt, jeweils zweimal vier Stunden, das war sehr intensiv. Die Atmosphäre, die Stefanie da geschaffen hat, auch die räumliche Situation, in denen diese Gespräche abliefen, fand ich sehr inspirierend.
Bedeutet diese erweiterte Geschichtsstunde mit Jubiläumskonzerten und Podcast so etwas wie eine Zäsur?
Wir sind da so ein wenig reingeschlittert. “Nie wieder Krieg” sollte schon 2021 erscheinen. Dann kam Corona und brachte alles durcheinander. Später haben wir das Jubiläumskonzert in Hamburg nachgeholt, die Berlin-Shows, in Wien beides an zwei Tagen. Das war zum damaligen Zeitpunkt auch genau das Richtige, es war lustig, so retrospektiv zu gucken, wie man solche Setlists zusammenstellt, allein vom Kuratorischen her. Aber irgendwann muss man auch wieder nach vorne blicken. Wir sind an einem neuen Album dran, das ist natürlich aufregend. Man muss aufpassen, dass man sich nicht allzu bequem in der Nostalgie einrichtet, da hätte ich doch gewisse Bedenken, aber jetzt so für den Moment fand ich das genau richtig.