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    Sprints
    Letter To Self

    VÖ: 05.01.2024 | Label: City Slang
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 370
    Platte des Monats
    Sprints - Letter To Self

    Das Debütalbum von Sprints zeichnet die eigene Rolle im großen Ganzen nach und ist dabei so melodisch wie laut, so persönlich wie universell und so unnachgiebig wie resignativ. Das macht „Letter To Self“ nicht nur außergewöhnlich atmosphärisch, sondern Sprints auch zu einer der am meisten beachteten Bands 2024.

    „Maybe I should do it better“ ist der erste, „Any night can become day“ der letzte Satz auf „Letter To Self“. Zwischen diesen Polen aus Selbstkritik und vorsichtigem Optimismus findet sich eine Verhandlung mit dem eigenen Selbst, mit der eigenen Identität, mit dem Zurechtfinden in einer für queere FLINTA rauen Gesellschaft.

    Sprints sind ein Quartett aus Dublin, das sich schon mit gefeierten Auftritten beim Reeperbahn Festival und dem Eurosonic, aber auch mit seiner Debüt-EP „A Modern Job“ von 2022 zum Geheimtipp entwickelt hat. Wie groß der Sprung von dieser ersten Band-Ära in die Debütalbum-Welt ist, zeichnet der Song „Literary Mind“ nach. Erstmals erschienen im Sommer 2022 war diese Punk-Hymne über queere Liebe so geradlinig wie wunderbar. Und Sprints damit mental erstmal in der gleichen Ecke zuhause wie Bands mit ähnlichem Sound-Inhalts-Mix wie Dream Nails oder Dream Wife.

    Auf „Letter To Self“ sind Sprints aber nun nicht nur eine scheinbar völlig andere Band, auch der Song selbst hat sich verändert. Vom gemäßigten, aber dafür umso melodischeren Playlist-Liebling zum kantigen, rasend schnellen Stampfer geht die Neuaufnahme einen spannenden Weg. Das ist einerseits programmatisch für das gesamte Album – andererseits läuft es ihm auch völlig konträr.

    „Letter To Self“ ist zwar neben all der Intimität immer noch laut und melodisch, jedoch strukturell auch deutlich komplexer und voller intensiver Höhepunkte. Schon der eingangs zitierte Opener „Ticking“ führt ein ungemütliches Drängeln in diese Reise ein, während Sängerin und Gitarristin Karla Chubb mit tiefer Stimme über den Perfektionsdrang der Gegenwart sinniert. Ihr Fazit: „Maybe I should cut my hair off“.

    Non-Konformität in einer Gesellschaft der Gleichheit ist ein zentrales Thema – und überhaupt: die Gesellschaft im Allgemeinen. Im gellenden „Up And Comer“ heißt es „They say she’s good for an Up-and-comer“, bei „Adore Adore Adore“ wiederum „They never called me beautiful, they only called me insane“ und bei „Cathedral“ zerreißt einem die Frage „Mother, Father, Holy Spirit, I pray – when I’m gonna be happy? Can anybody be happy?“ das queere Herz.

    Um diese Reflexion durch andere herum wütet ein dramaturgisch umwerfendes Schauspiel aus Post-Punk-Slow-Motion und Garage-Krach. Wie „Shaking Heads“ in einem letzten Kraftakt verzweifelt übereinander purzelt, das über das Leben im Albtraum sinnierende „Can’t Get Enough Of It“ mit verhuschtem Sound spielt oder die Gitarrenwand von „Shadow Of Doubt“ den Raum einnimmt, ist dazu herausragende Songwriting-Kunst.

    Von vorne bis hinten verfügt das Album über eine Dynamik, bei der „Literary Mind“ der offensichtlichste, aber nicht der einzige von vielen Höhepunkten ist. Dass der letzte Satz der Platte mit der kürzlich stattgefundenen Verlobung von Sängerin Karla Chubb mit ihrer Lebenspartnerin korreliert und damit symbolisch für die möglichen Happy Ends der queeren Subkultur steht, ist die Gänsehaut nach dem Sturm.

    Das steckt drin:

    Press Club – „Endless Motion“ (2022, Hassle)

    Auf „Endless Motion“ gehen Press Club viele Schritte weg von ihrem markanten LoFi-Punk und hin zu mehr Storytelling, Songwriting und Spannungsbögen. Die Unbekümmertheit der ersten Platten ist angesichts der immer drängenderen Krisen vergessen. Eine Entwicklung, die auch „Letter To Self“ in sich trägt. Von den Verstärkern bis zum Rhythmus gibt es vielschichtige Parallelen.

    Idles„Crawler“ (2021, Partisan)

    Die Großmeister der drängelnden Laut-Leise-Dynamik sind per se deutlich Hit-lastiger als Sprints. Doch in Sachen Dramaturgie stehen sich die unheilvolle Atmosphäre von „Crawler“ und „Letter To Self“ näher als Zwillinge. Joe Talbot bellt seinen Seelenstrip ähnlich kompromisslos durchs Mikro wie Chubb. Zwei antreibende Frontpersonen vor einer düsteren Kulisse.

    Savages„Adore Life“ (2016, Matador)

    Am Anfang war die Faust. Genauer genommen die vom ikonischen Savages-Albumcover, das die konfrontative Natur beider Bands verbindet. Beim Auftritt der Band um Jehnny Beth beim Electric Picnic 2016 fanden Karla Chubb, Colm O’Reilly, Jack Callan und Sam McCann zusammen. Die Inspiration lag auf der Hand: Wütende Musik als Katharsis tanzen nur wenige so gut vor wie diese Post-Punk-Band.

    Zweitstimmen:

    Juliane Kehr: „Sprints überzeugen zwischen Idles-Post-Punk, Dry Cleaning-Spoken-Word-Mystik und The Distillers-Vibes. Songs wie „Literary Mind“ oder „Up And Comer“ garantieren dann noch das richtige Maß an Indie-Tanzbarkeit on top – was für eine schöne Debüt-Überraschung zum Jahresanfang.“

    Jan Schwarzkamp: „Karla Chubb führt als charismatische Frontfrau die Songs ihrer Band in ungeahnte Tiefen und Höhen. Das ist schön stimmungsvoll, atmosphärisch und Post-Punk mit Indie-Breitseite. Nur das bereits 2022 veröffentlichte „Literary Mind“ übertreffen sie leider nicht.“