Alles nimmt seinen Anfang in einem Örtchen namens Fagersta im Nordosten Schwedens. Anfang des 17. Jahrhunderts entsteht hier eine erste Siedlung, mit dem Hüttenwerk Fagersta Bruk – das erst Mitte der 1980er seine Pforten schließt – wächst im Zuge der Industrialisierung auch die Gemeinde. Stahl in allen Formen ist die Währung, mit der hier gezahlt wird. 1944 werden Västanfors und Fagersta zusammengelegt, auf den Industrieboom folgt die Stahlkrise, der Ort um das Stadtzentrum zwischen Järntorget und Brinelltorget entwickelt sich Richtung Moderne. Heute zählt die Kleinstadt in der Provinz Västmanlands Län gut 12.000 Einwohner, der Lebensstandard ist vergleichsweise hoch, den Menschen geht es gut, besser als in vielen anderen Industriestädten Schwedens. Unter den berühmten Söhnen und Töchtern Fagerstas sind Schriftsteller Lennart Helsing, die ehemalige Staatssekretärin Anitra Steen, Stabhochspringer Allan Lindberg – und zwei Brüder namens Pelle und Nicholaus Almqvist. Die beiden nennen sich Howlin’ Pelle Almqvist und Nicholaus Arson und schicken sich mit Beginn der 90er an, die Musikwelt zu erobern.
Klingt alles so ein bisschen nach schwedischer Mys (dt. Gemütlichkeit) mit Fika (dt. Kaffeepause) und Lucia-Fest, irgendwo zwischen “Michel aus Lönneberga” und “Fimpen, der Knirps”, und auf eine gewissen Art ist es wohl tatsächlich so. “In Fagersta leben die Leute fast noch wie in den 50ern. Ein eigenes Haus, zwei Autos vor der Tür, ein Garten, es geht einen eher ruhigen Gang”, bestätigt Pelle Almqvist mit heiserer Stimme. Am Vortag haben die Hives auf dem Glastonbury Festival gespielt, direkt danach ging es mit dem Tourbus weiter nach Glasgow, von wo er und sein Bruder Nicholaus Arson sich an ihrem spielfreien Tag per Zoom melden für einen Spaziergang über die Memory Lane.

»Was die Stones, AC/DC und Iggy können, warum sollten das nicht auch The Hives schaffen?«
Nicholaus Arson
Was das Schicksal der Hives angeht, sind es zwei Faktoren, die in Fagersta aufeinandertreffen und sich gegenseitig befeuern: Auf der einen Seite die Lust an Punk, an wilden Klängen, die die Almqvist-Brüder schon früh im Griff hat, auf der anderen Seite die Tatsache, dass in ihrer Heimatstadt nicht nur die wohl größte Rock’n’Roll-Band des Landes im Entstehen begriffen ist, sondern mit Burning Heart Records auch gleich noch das passende Label ansässig ist. Stilprägende Plattenfirmen – eine Angelegenheit allein für Großstädte? Mitnichten, gerade im Suburbanen, in den Kleinstädten, den etwas ereignisarmen Kaffs, pulsieren Teenage Angst und die Lust an Aufbruch und Ausbruch zuweilen besonders heftig. Labelgründer Peter Ahlqvist ist bereits in den 80ern mit Uproar Records aktiv und betreibt sein Geschäft zunächst vornehmlich auf Tauschbasis.
1993 hebt er Burning Heart aus der Taufe, mit Epitaph entsteht bald eine enge Zusammenarbeit, später übernimmt das US-Label sogar 51 Prozent der Anteile. Ahlqvist betreibt jedoch nicht nur sein Label, als umtriebiger Konzertveranstalter sorgt er zudem für eine florierende Liveszene in Fagersta. Zukünftige Größen wie Green Day, Radiohead und Soul Asylum, Dauerbrenner wie Biohazard, NOFX, Youth Of Today und The Exploited machen hier allesamt Station, nicht nur angesichts der Bevölkerungsdichte ein ziemlich spektakuläres Aufgebot.
Ein Kulturprogramm, dessen Einfluss nicht ohne Folgen bleibt, dabei spüren die Almqvist-Brüder dieses besondere Kribbeln bereits, da haben sie gerade mal die Schultüte aus der Hand gelegt. “Die erste Band hatten wir mit fünf oder sechs”, sagt Pelle Almqvist. “Wir dachten, es würde wie AC/DC klingen, aber in Wirklichkeit war das mehr so eine Art Grindcore. Es gibt sogar noch Aufnahmen davon.” – “Genau so muss es sein”, ergänzt Arson. “Du fängst mit irgendetwas an, dass du für Punk oder Rock’n’Roll hältst. Vom Gefühl her denkst du, es klingt wie die Musik, die du hörst und gut findest. In Wirklichkeit ist es aber nur die pure Energie und irgendjemand schreit sich die Lunge aus dem Hals. So ging das damals vielen Kids bei uns. Man spielte mal auf einer Party, später traten wir in unserer Schule auf, spielten Ramones-Cover und sowas.” Die Geburtsstunde der Hives schlägt am Silvesterabend 1992, Randy Fitzsimmons entert die Szene, der geheimnisumwitterte Manager, der zukünftige Band-Mogul, Songwriter und Konzeptioner der Hives, sorgt für die Initialzündung.
“Es war seine Idee, die Band zu gründen”, erzählt Pelle Almqvist an diesem Sommertag mehr als drei Jahrzehnte später, da das aktuelle Album im Titel den Tod ebenjenes Fitzsimmons’ thematisiert, die neuen Songs sein Vermächtnis sind – so heißt es jedenfalls. Die große Fitzsimmons-Sage… wäre dies nicht womöglich der Zeitpunkt, die wahre Geschichte zu erzählen? Oder gab es ihn tatsächlich?
Ein Bandname, der bei der Frage nach der Inspiration für die Hives immer wieder fällt, auch von Nicholaus Arson selbst: The Monks. Mitte der 60er aktiv, die Musiker in Deutschland stationierte US-Soldaten, ihr Sound ein ungewöhnlich dichter Rock’n’Roll an der Grenze zum Proto-Punk, dabei nicht nur stilistisch in der DNA der Hives wiederzufinden, sondern auch, was eine Art Betriebsanleitung für diese Formation angeht. Die Kunststudenten Karl-Heinz Remy und Walther Niemann, der sechste und der siebte Monk, wie sie genannt wurden, hatten die Bandmaxime klar umrissen: Kurze Haare und Tonsur waren Pflicht, schwarze Kleidung, ein Strick um den Hals anstelle einer Krawatte, die Musikmönche sollten betont dominant auftreten, selbstbewusst an der Grenze zum Arroganten.
Klingelt da kein Glöckchen? Die Anzüge, der Habitus als “your new favourite Band”, die Selbstbezeichnung als “Muhammad Ali des Rock”, die klangliche Nähe: Man muss kein Verschwörungsgläubiger sein, um hier eine Verbindungslinie zu ziehen. Und bei einem so schmucken Gesamtkonzept erfindet man sich den Macher im Hintergrund einfach dazu. Oder? Die Chancen auf Enthüllung sind gering, allein die Frage, wo Randy Fitzsimmons, der sechste Hive, damals eigentlich herkam, stößt auf schwedisches Granit. “Well…”, setzt Arson an und grinst. “Das ist privilegierte Information.”
Kurs auf Garage Rock!
Nun denn, belassen wir es bei diesem unbestritten unterhaltsamen Narrativ. Es heißt, Fitzsimmons habe Briefe an die zukünftigen Bandmitglieder verteilt, darin genaue Anweisungen für die Musiker bis hin zum Künstlernamen, die Formation der folgenden zwei Jahrzehnte steht damit unverrückbar fest: Howlin’ Pelle Almqvist, Nicholaus Arson, Dr. Matt Destruction, Vigilante Carlstroem und Chris Dangerous. Das Abenteuer beginnt, “Sounds Like Sushi” nennen sie ihr erstes Demo, der Weg der Band führt – wie soll es anders sein – zu Burning Heart Records, wenn auch mit Umwegen. Vielleicht ist es die Unerfahrenheit der jungen Musiker, das Ungewisse oder ein überdrehter Songtitel wie “Some People Know All Too Well How Bad Liquorice (Or Any Candy At That Matter) Can Taste When Having Laid Out In The Sun Too Long, And I Think I Just Ate Too Much”, der Peter Ahlqvist zunächst zögern lässt. Die Debüt-EP “Oh Lord! When How?” erscheint im Sommer 1996 jedenfalls beim Unter-Label Sidekicks. “Ich glaube, wir passten damals nicht so ganz zu Burning Heart”, so Arson. “Dieser ganze kalifornische Punk war total angesagt, das klang ja doch ziemlich poliert und auf Melodien getrimmt. Wir waren von Anfang an mehr in Richtung Garage Rock unterwegs, das war um einiges unaufgeräumter und schräger. Man wollte das Risiko wohl minimieren, also ging es erst mal zu Sidekicks. ‘Barely Legal’, unser Debütalbum, wurde dann auf Burning Heart veröffentlicht.”
Es bleibt nicht allein bei der Veröffentlichung, das Ganze ist der Auftakt zur ersten großen Europatour. Pelle Almqvist ist da gerade einmal volljährig. Was sagten eigentlich die Eltern zum Aufbruch ihrer Söhne in die weite Welt des Rock’n’Roll? Die beiden grinsen bei dem Gedanken daran. “Die waren schon ziemlich in Sorge, vor allem, was Drogen angeht”, so Pelle Almqvist. “Wenn wir wieder nach Hause kamen, fragten sie als erstes, ob wir was genommen hätten. Dann seufzten sie erleichtert, wenn wir das verneinten. Oh, und ich erinnere mich an eine Show ganz oben im Norden Schwedens, auf so einem Ski-Wettbewerb. Da meinten unsere Eltern, wir sollten in getrennten Zügen fahren. So ein bisschen wie bei der Königsfamilie: Wenn der eine verunglückt, dann hat man immer noch den anderen.” Beide lachen. “Nach einer gewissen Zeit entspannten sie sich. Als sie mitbekamen, dass wir das alles okay hinbekommen, dass wir mit dem, was wir da machen, Erfolg haben, waren sie sogar ziemlich beeindruckt.” Auch Arson erinnert sich gut an diese ersten Monate und Jahre. “Uns gefiel das Unterwegssein. Ich meine, was macht man als Band? Eine Platte veröffentlichten und anschließend auf Tour gehen. Für uns war das völlig selbstverständlich. Abgesehen von den Konzerten passierte in Fagersta ja nicht allzu viel. Und nun zogen wir plötzlich in einer Metropole wie Paris um die Häuser. Das war großartig.” Ein vielversprechender Anfang also. Dennoch ist das, was Arson im Rückblick als “perfect storm” bezeichnet, diesen Orkan von einem Durchbruch einige Jahre später, zu diesem Zeitpunkt noch nicht abzusehen.
Die populäre Gemengelage fußt noch auf anderen Geschmacksrichtungen, der Schlüssel zur Garage ruht noch in irgendeiner Schatulle, stattdessen ziehen große Namen wie Oasis und U2 durch die Stadien und über die Festivals der Welt. Wenn überhaupt ein bestimmter Sound in jenen Tagen die (kurzen) Hosen anhat, dann ist es Nu Metal. Aber es braut sich etwas zusammen rund um die Jahrtausendwende. Im April 2000 erscheint mit “Veni Vidi Vicious” das zweite Album der Hives. Mit Blick auf die Karriere, die wenig später so richtig Fahrt aufnimmt, tummeln sich hier bereits die Prognosen der Zukunft. Zum einen die Punk-Adaption des caesarischen “Ich kam, ich sah, ich siegte”, dazu das schlaumeierische “Siehste, hab’ ich dir doch gesagt” im Titel ihres damals wie heute erfolgreichsten Songs “Hate To Say I Told You So”.
Im Zuge des Garage-Rock-Revivals findet sich schließlich der Kontext, einer “Bewegung”, wie Arson es nennt, “denn die Leute lieben eine Bewegung.” Aber im Grunde genommen sind die Hives von Anfang an, sei es nun von Randy Fitzsimmons ersonnen oder ihrer eigenen Proberaum-Fantasie entsprungen, auf Weltherrschaft, auf Erfolg, auf Popularität ausgerichtet. Sie sind eben keine der Bermudashorts-Schlabbershirt-Bands mit umgedrehten Basecaps und schäumender Bierdose: Die jungen Herren tragen Anzug. Es gibt Künstlernamen, Manifeste und einen Mythos, der sich praktisch selbst erschafft. Ihre Lieblingsbands mögen die Ramones, die Sonics, New Bomb Turks – und vielleicht auch die Monks sein – aber für ein bloßes Nacheifern auf Dreikäsehoch-Art sind die Almqvists und ihre Kumpels viel zu informiert. Im schwedischen Fernsehen laufen US-Serien am Stück, der Comedy-Klassiker “Saturday Night Live”, vor allem die zahlreichen Wiederholungen der Show, prägen ihre Auffassung von Entertainment: anarchisch, offensiv, dabei immer kurzweilig und mit der Zunge in der Wange.
Vielleicht ist es sogar gut, dass die Szene in Fagersta zwar quicklebendig ist, die Situation, was Plattenläden angeht, jedoch suboptimal. Ihren Sound müssen sie so zu großen Teilen selbst kreieren, anstatt Bestehendem nachzueifern. Soundpartikel von so unterschiedlichen Künstlern wie Bill Haley oder Little Richard, Stooges oder Devo hinterlassen Eindruck. Um all das jedoch in einen Überwältigungssound wie den der Hives zu verbauen, braucht es einiges an selbstangerührtem Klangzement. Über den verfügen die Hives: Hate To Say I Told You So? Im Gegenteil: Es ist vielmehr eine diebische Freude darüber, es doch von Anfang irgendwie gewusst zu haben, die den Puls dieser Band auch heute noch zum Glühen bringt.
Beatles, Sex Pistols, Oasis
Im Herbst 2001 schließlich entert die Band jene Phase, die ihre Karriere entscheidend prägen wird. Von “Supply And Demand” singt Pelle Almqvist auf “Veni Vidi Vicious”, und in der Tat, das Angebot ist ausreichend vorhanden, die Nachfrage steigt fortan extrem, ein Rad greift jetzt ins andere. Smartphone und Breitband noch in den Kinderschuhen, spielt das gute, alte Pantoffelkino eine entscheidende Rolle, und das gleich mehrfach. The Hives touren zu dieser Zeit durch die USA, zusammen mit The (International) Noise Conspiracy (die übrigens einen Song von den Monks covern, um den Querverweis ein letztes Mal zu strapazieren). In Deutschland macht zu dem Zeitpunkt ein gewisser Alan McGee gerade Promo für sein frischgegründetes Label Poptones, als er Pelle & Co. im Fernsehen sieht. Dass der Mann eine gute Nase hat, ist bekannt, und so nehmen die Dinge ihren Lauf. McGee nimmt die Band für Poptones unter Vertrag, sein Kniff zur Eroberung des britischen Marktes: Er macht aus den ersten beiden Alben eine Best-of-Compilation, der Titel das adäquate Statement in jeglicher Hinsicht: “Your New Favourite Band”.
Die Rechnung geht auf: Am Ende erreicht das Album Platz 7 der UK-Charts, verkauft sich aus dem Stand um die 100.000 Mal. Im November ist die Band in der Fernsehsendung “Later With Jools Holland” zu Gast und manifestiert qua “Hate To Say I Told You So” ihren Durchbruch nach Ed-Sullivan-Art. Gekleidet wie die Beatles, rotzig wie die Sex Pistols, selbstbewusst wie Oasis. “We are the Hives! We’re from Sweden”, proklamiert Howlin’ Pelle im Bass-Breakdown vor dem Wiedereinstieg in den Song. “Wanna know how to spell the Hives? G-E-N-I-O-U-S. The Hives!” Deine neue Lieblingsband? Worauf du wetten kannst.
Drei Monate später treten die White Stripes bei “Top Of The Pops auf”, mit einer ähnlich euphorisierenden Version von “Fell In Love With A Girl”, spätestens jetzt hat sich Garage Rock auf der popkulturellen Landkarte sein Territorium ein weiteres Mal erobert. Dabei wirkt der Terminus Garage im Wortsinn insbesondere mit Blick auf die Hives und ihr Gesamtkonzept immer auch etwas limitierend. Mitnichten ist dies eine Band, die zwischen verrostetem Motorrad, Farbeimern und Tischtennisplatte ein bisschen herummuckt. Dies ist keine Garage, sondern vielmehr ein Ballroom, eine Halle, ein Stadion, anders gesagt: ganz großes Kino. James Brown und Chuck Berry, Ramones und Stooges, Gospel und Punk, alles drin. Und mit “the Freeze”, dem kompletten Stillstand aus dem Clip zu “Hate To Say I Told You So”, live zuweilen minutenlang ausgedehnt, bevor die Band wieder in den Song kickt, gibt es obendrein einen Signature-Move, als wären Fagersta und Las Vegas nur ein paar Schlipslängen voneinander entfernt.
Kein Wunder, dass man auch in den USA die Bleistifte spitzt, um Verträge zu skizzieren. Epitaph Records jedoch, Burning Hearts US-Partner, übernimmt lediglich die Rolle des Durchlauferhitzers. Warners CEO zu jener Zeit, Tom Whalley, ist ein alter Geschäftsfreund von Brett Gurewitz – und extrem erpicht darauf, die angesagten Schweden, die mittlerweile bei angesagten Radiosendern wie KROQ-FM auf Rotation laufen, unter Vertrag zu nehmen. Zu Zeiten von The Offspring hatte Gurewitz sich den Majors noch verweigert, diesmal läuft es anders. The Hives landen einen US-Deal bei Warner, doch der Schritt zieht einiges an juristischen Auseinandersetzungen nach sich. Anlass ist ein weltweiter Deal mit Universal, eine Entscheidung, die in der Chefetage von Burning Heart Records mehr als kritisch aufgenommen wird. Peter Ahlqvist und sein Team blicken auf eine langjährige Geschichte mit der Band, sehen sich um die Früchte ihrer Arbeit gebracht.
“Wir wurden da im Prinzip hineingezogen, in dieses Major-Ding. Epitaph hat uns ohne unsere Zustimmung an Warner verkauft, also dachten wir uns nichts dabei, zu Universal zu gehen”, erläutert Pelle Almqvist. “Das ist natürlich alles Schnee von gestern, aber damals waren wir echt sauer darüber, wir fühlten uns betrogen. Die nannten sich alle Indies und Punks, und dann wirst du von denen über den Tisch gezogen? Klar hauen dich auch die Majors übers Ohr, aber auf diese Weise war es besonders hart. Wir hatten ja auch keinen Manager, wir haben alles selbst gemacht.”
Arson nimmt den thematischen Faden sofort auf. “Gefühlt war man jeden Tag in irgendwelchen Telefon-Konferenzen, Marketing, Promotion, Veröffentlichungspläne, die unterschiedlichen Labels. Das war eine echte Herausforderung. Man muss auch bedenken, wie jung wir noch waren, zudem ständig auf Tour, wir spielten 200, 250 Shows im Jahr. Eins stand für uns immer im Vordergrund: Wir wollten es nicht versauen. Wir waren im Begriff, mit unserer Band so richtig Erfolg zu haben, mit so etwas rechnest du ja nicht unbedingt. Wir hatten das Gefühl, es uns selbst auch mit Blick auf die Zukunft schuldig zu sein, alles wirklich gut überlegt durchzuziehen.”

»Es geht um das, was wir geschaffen haben, nicht um die Typen dahinter, nicht um mich oder Nicholaus.«
Pelle Almqvist
Woher diese Ambitionen kommen, diese Disziplin, der Sinn fürs Geschäftliche? Arson zuckt mit den Schultern, versucht sich dennoch an einer Erklärung. “Vielleicht gibt es eine bestimmte Art von Arbeitsethos, das du in dir trägst. Wir haben uns von Beginn an um alles selbst gekümmert. Es gibt ja dieses Rockstar-Klischee: Typen, die alles hinterhergetragen bekommen, die nichts allein auf die Kette kriegen, umgeben von Assistenten. Das gab es bei uns nie. So wie wir uns bei den ersten Shows in kleinen Punkclubs um den Van, um Benzin und Verpflegung gekümmert haben, so betreiben wir die Band bis heute. Das ist eine Menge Arbeit, aber für uns funktioniert es nur auf diese Weise.”
Eine Maxime, die sich vollends auszahlt: Zwischen den Polen Garage-Rock-Revival und den gleichzeitig hohen Popularitätswerten ihrer Landsleute in jenen goldenen Jahren Anfang bis Mitte der 00er Jahre, da Bands wie The Hellacopters, The Soundtrack Of Our Lives, Millencolin und etliche mehr höchst erfolgreich ihre Kreise ziehen, werden die Hives zur universellen Erfolgsstory, touren unablässig, räumen nicht nur live ab, sondern platzieren ihre Hits auch lukrativ in Computerspielen und Werbespots, Kinofilmen und TV-Serien.
Zurück zu den Wurzeln
Mit ihrem dritten Album “Tyrannosaurus Hives” von 2004 räumt die Band gleich fünf schwedische Grammys ab, ihr Video zur Single “Walk Idiot Walk” gewinnt bei den MTV Video Music Awards, im Jahr zuvor hatte der englische New Musical Express den Hives bereits einen zweifachen Ritterschlag erteilt, als “Künstler des Jahres” und “Rockband des Jahres”. Wenn es überhaupt noch Zweifel gab, dann sind sie nun endgültig vom Tisch: The Hives sind in der Beletage des Alternative Rock angekommen.
Ein Zeitpunkt wie gemacht für einen Karriere-Move, der im Rückblick zumindest diskussionswürdig erscheint. Hatte man sich zuvor gerade noch experimentell ausgetobt und versucht, stilistisch ein Verbindungsstück zwischen Kraftwerk und Devo herauszuarbeiten, wird nun zum kommerziellen Großangriff geblasen. Firesides Pelle Gunnerfeld, langjähriger Weggefährte und eine der entscheidenden Personalien in der Entwicklung des Bandsounds, ist out, die großen Namen sollen die Hives aufs nächste Level hieven: Timbaland und Pharrell Williams, Dennis Herring und Jacknife Lee.
Noch eine offenkundige Veränderung: “The Black And White Album” (2007) wird mit über einer Dreiviertelstunde Spielzeit zum bis dato längsten der Band. Die erste Auskopplung “Tick Tick Boom” reißt eine kommerzielle Schneise. NFL, NHL und WWE, gleich drei große Sportverbände schmücken ihre Übertragungen mit dem Song, der ebenfalls in Videospielen von Lego bis XBox zu hören ist. In einer Kooperation von Apple und Nike entsteht der “Black, White And Run”-Mix mit Hives-Material als Workout-Musik. Was nach außen kommerziell glänzt, wird intern zumindest hinterfragt. Die Erträge aus dem Nike-Deal überlässt die Band einer Anti-Sweatshop-Initiative. Fans der ersten Stunde tritt gleichzeitig der Schweiß beim Anblick des Tourplans auf die Stirn: The Hives touren nun im Vorprogramm von Maroon 5.
Der Spreizsprung in den noch tieferen Kommerz hat Konsequenzen. Schon die trefflich betitelte “Tarred And Feathered”-EP (2010) schreibt sich mit Coverversionen von unter anderem Songs der Zero Boys und Easybeats eine Art Rückbesinnung
auf die Fahne. Nach dem Ende der Majorlabel-Verträge gründet die Band mit Disques Hives ihr eigenes Label, für die Aufnahmen zum nächsten Album “Lex Hives” (2012) geht es zurück in die Heimat, zurück zu den Wurzeln, in Stockholm und Fagersta findet ein großer Teil der Produktion statt. Wiederum liegen fast fünf Jahre zwischen zwei Alben, der schlichte Grund: Die Band ist nach wie vor fast ununterbrochen auf Tour, zudem agieren die fünf diesmal als Produzenten-Team, eine Situation, die kreative Entscheidungen zuweilen schwer macht. Mit dem gesundheitsbedingten Ausstieg von Dr. Matt Destruction ändert sich zum ersten Mal das Line-up, seine Nachfolge gestalten die Hives mit historischer Logik. Den Bass übernimmt fortan The Johan And Only alias Johan Gustafsson aus den Reihen der Kollegen Randy, deren Sound in den 90ern zu den entscheidenden Einflussen des aufkommenden Rock-Phänomens aus Skandinavien zählt.
In den 10er Jahren wird es zunehmend ruhiger um die Band, die Touren sind getourt, die Songs gesungen, ab Mitte des Jahrzehnts gibt es nur noch vereinzelte Festivalauftritte. Der Faden wird gerade wieder aufgenommen, da macht das Corona-Virus einen Strich durch sämtliche Rechnungen. Die Single “I’m Alive” erscheint im Frühjahr 2019, mit den wiedervereinten Refused geht es auf US-Tour, am Schlagzeug ersetzt Joey Castillo (ex-QOTSA) Chris Dangerous, der sich bei einem vermeintlich kleinen Eingriff eine schwere Infektion zuzieht, die ihn außer Gefecht setzt.
Nach den “World Wide Web Shows” 2020 und einer Tour mit The Offspring melden sich The Hives am Vorabend der UK-Tour im Vorprogramm der Arctic Monkeys mit der Single “Bogus Operandi” zurück, im Clip zur zweiten Single “Countdown To Shutdown” gibt es ein Cameo-Wiedersehen mit Dr. Matt Destruction. Mit “The Death Of Randy Fitzsimmons” erscheint nun, elf Jahre nach “Lex Hives”, über ein Vierteljahrhundert nach “Barely Legal”, ein neues Album. Und der Grund für den langen Atem? Wie haben The Hives all das geschafft, wie haben sie derart hochtourig so lange durchgehalten? Die Antwort aus dem Munde von Pelle Almqvist ist so schlicht wie das Schwarz-Weiß ihrer Anzüge: “Weil wir einfach gut sind.”
Arson führt etwas weiter aus, auch mit Blick darauf, dass wenig bis nichts bekannt ist über interne Querelen. So etwas wie Band-Gossip gibt es nicht: “Wir kümmern uns umeinander, wir achten auf den anderen. Wenn du 25 Jahre in einer Band spielst, kannst du nicht davon ausgehen, dass das alles immer ganz geschmeidig abgeht und alle grundsätzlich einen klaren Kopf behalten. So läuft das einfach nicht. Umso wichtiger, dass man die Dinge miteinander bespricht und klärt.” Pelle hakt ein weiteres Mal ein. “Es dreht sich einzig und allein um die Band. Es geht um das, was wir geschaffen haben, nicht um die Typen dahinter, nicht um mich oder Nicholaus.”
Eine reife Einstellung für jemanden, der jüngst noch so treffend konstatierte, dass der Rock’n’Roll keine Vernunft, kein Erwachsenwerden vertrage. Interne Ruhe, externes Durchdrehen: Es scheint immer noch zu funktionieren, da reicht allein ein Blick in die Videos der beiden neuen Singles. Und was das Alter angeht, da sind die Almqvist-Brüder sich einig: Was die Stones, AC/DC und Iggy können, warum sollten das nicht auch The Hives schaffen? Überhaupt: Die Sache mit den Brüdern in einer Band, man muss nicht weit schauen, um zu sehen, wie schwierig bis zersetzend das sein kann. Wie haben die beiden es hinbekommen? “Früher war unser Verhältnis beschissen, wir haben uns nur gestritten. Dafür klappt es mit der professionellen Zusammenarbeit bestens”, erklärt Pelle Almqvist. “Heute ist es eher umgekehrt. Wir sind gute Freunde, dafür ist das Teamwork manchmal knifflig, wobei es da meist nur um blöde Details geht. Letztlich vertrauen wir einander und darauf, dass der andere einen guten Job macht. Es hat keinen Sinn, sich die Köpfe einzuhauen.” Bleibt der vorsichtige Blick in die Zukunft: Randy Fitzsimmons in den ewigen Jagdgründen, was bedeutet das für die Kreativarbeit, darf man schon nach der nächsten Platte fragen und wie das wohl laufen könnte? Pelle Almqvist lacht laut auf. “Nein, auf keinen Fall. Dazu bin ich nicht bereit. Wir haben zehn Jahre gebraucht, um dieses Album hinzubekommen. Das reicht erst mal!”