8 Loud Like Love
VÖ: 2013 | Label: Vertigo
Ein Album über Brian Molkos Lieblingsthema: die vielen Facetten der Liebe. Von der Eigenliebe und Freundschaft bis zu kriminellen und zerstörerischen Formen. Wirklich neue Erkenntnisse erlangt Brian Molko mit diesen Songs aber nicht. Auch er spürt, dass die Liebe als Sujet für Rocksongs im Prinzip auserzählt ist. Das Problem an “Loud Like Love” (neben dem wohl hässlichsten Album-Cover der Placebo-Diskografie) ist, dass die Band den soliden Lovesong-Ideen von Molko keine zusätzlichen Ebenen geben kann. Nur an wenigen Stellen öffnet sich der Kosmos, zum Beispiel, wenn bei zu Beginn von “Scene Of The Crime” oder im Refrain von “Hold On To Me” Handclaps für Schwung und Leichtigkeit sorgen. Wobei auch “Scene Of The Crime” nach kurzer Zeit im Bombast-Sumpf steckenbleibt. Ambivalent ist auch “Too Many Friends”, ein Song über die Abwesenheit von Liebe im digitalen Zeitalter, über die Einsamkeit am Computer. Ein relevanter Song. Doch kann er mehr lyrischen Tiefgang und etwas weniger offensichtliche Reime gebrauchen.
7 Battle For The Sun
VÖ: 2009 | Label: PIAS / Vagrant
Die Schlacht um die Sonne ist für Molko eine Metapher für seine Entscheidung, sich gegen die Dunkelheit und für das Licht zu entscheiden. Nicht, um die Düsternis zu negieren, sondern um sich der Sonne zuzuwenden. Wie das im Placebo-Kontext klingt, zeigt “Ashtray Heart”, ein Song zwischen Indie- und Punkrock, wie gemacht für Festivalwiesen. Der Titel erinnert an den Namen, den sich Molko und Bassist Stefan Olsdal geben, als sie Mitte der Neunziger als Ashtray Heart starten, angelehnt an einen Song von Captain Beefheart. Auch “For What It’s Worth” erinnert mit der schmissigen Strophe schmissig an das Frühwerk. Im Refrain lassen Placebo dann jedoch mit Backgroundstimmen und Bläsern großes Besteck auffahren. Das macht Spaß, verhindert aber nicht den Eindruck, dass Molko beim Ausarbeiten der Melodie ein wenig gedankenfaul war. Zu hören ist auf dem Album erstmals der damals neue Drummer Steve Forrest, der tendenziell ein bisschen mehr wirbelt als der langjährige Schlagzeuger Steve Hewitt. Was dazu führt, dass diese Platte zwar wenig Überraschungen bietet, aber ein wenig unruhig wirkt.
6 Black Market Music
VÖ: 2000 | Label: Virgin
Neun Monate lang arbeiten Placebo an dem vielleicht wichtigsten Album ihrer Karriere. Die Band ist Anfang der Nullerjahre eine große Nummer, die Erwartungen sind hoch. Placebo reagieren darauf mit einer zweigeteilten Taktik. Das Album beginn mit drei grandiosen Songs, die alles zeigen, was diese Band einzigartig macht. “Taste In Men” nimmt den Industrial-Electro-Stil des Hits “Pure Morning” auf, “Days Before You Came” hätte ein Song vom Debütalbum sein können, “Special K” spielt in der Strophe mit zuckersüßem Pop, um zunächst trotzig zu stampfen und in einem der besten Refrains der Placebo-Diskografie aufzugehen. Nach diesen drei sicheren Nummern entschließen sich Placebo für einige Spielerein wie den Auftritt des Rappers Justin Warfield bei “Spite & Malice”. “Passive Aggressive” erhält viel Zeit für den Aufbau des ganzen Dramas, die Sentimentalität von “Blue American” kratzt an der Grenze zum Kitsch. Beim Wiederhören merkt man, dass diese Stücke nicht übel sind, man aber schnell den Bezug zu ihnen verliert. Bis das gloriose “Slave To The Wage” alle Aufmerksamkeit auf sich zieht – nicht nur, aber auch wegen eines Samples aus dem Pavement-Song “Texas Never Whispers”.
5 Never Let Me Go
VÖ: 2022 | Label: Elevator Lady / Rise
Fast neun Jahre Pause, die beiden Alben davor vergleichsweise mittelmäßig, dazu nach dem Ausstieg von Steve Forrest nun eine Band ohne Drummer: Man stellt sich 2022 die bange Frage, was Placebo noch zu bieten haben. Na, so einiges! “Forever Chemicals” ist ein bitterer Abgesang auf das, was die Menschen täglich auf diesem Planeten anrichten. Die Kernzeile: Wer Freunde wie dich hat, braucht keine Feinde. Brian Molko singt tiefer, die Stimme hat viel Volumen, was dem Song viel Kraft gibt. Mit “Beautiful James” bietet das Album die beste Placebo-Single seit den Auskopplungen von “Meds”. “Hugz” ist ein betörendes Lärmgewitter mit kreischenden und dröhnenden Gitarren. Mit “Happy Birthday In The Sky” kommt das Album kurz zur Ruhe, bevor die Band das Stück nach knapp drei Minuten zur Hymne macht. Ein ungewöhnlicher Triumpf ist “Sad White Reggae”, Molkos selbstironischer Kommentar auf seinen misslungenen Versuch, einen Song im Stil von The Police zu schreiben. Was ihm aber gelingt: Ein Stück mit starken 80s-Pop-Referenzen. Molko ist großer Fan von Nik Kershaw, weshalb das Stück für ihn eine Herzensangelegenheit ist.
4 Sleeping With Ghosts
VÖ: 2003 | Label: Astralwerks / EMD
Dass das vierte Album mit dem Instrumental “Bulletproof Cupid” beginnt, das auch von Motorpsycho stammen könnte (wobei diese es wohl länger als 2:20 Minuten gespielt hätten), ist ein Zeichen: Brian Molko will, dass Placebo für mehr stehen als für seine Stimme. Erfüllt wird dieser Wunsch nicht, dafür singt auf dem folgenden Stück “English Summer Rain” zu prägnant, ein faszinierendes Lied mit Anleihen an deutsche Electro- und Krautrock-Pioniere wie Kraftwerk, Can und Neu!. Kaum schwächer: “This Picture”, mit einem Sprechgesang-Intro und der Geschichte über ein „ashtray girl“, die ihren Partner als emotionalen Aschenbecher missbraucht. Das Album bietet ein paar solcher Geschichten, der Titel bezieht sich auf die Geister alter Beziehungen, die auch dann nicht verschwinden, wenn man sie beendet. Wobei Molko diesen Umstand im Titelstück positiv bewertet: Seelenpartner bleiben Seelenpartner, was immer auch passiert. Ob mit positivem oder negativem Dreh: Auf keiner Placebo-Platte passen Text und Musik so gut zusammen. Das gilt auch für den großen Hit des Albums: “The Bitter End” sind drei perfekte Minuten zwischen Pop und Alternative Rock.
3 Meds
VÖ: 2006 | Label: Virgin
Als Placebo für dieses Projekt ins Studio gehen, haben sie das Ziel, ein elektronisches Album aufzunehmen. Doch der französische Produzent Dimitri Tikovoï hat andere Pläne. Als Bewunderer der Band hat er bereits Remixe angefertigt. Nun wünscht er sich, dass Placebo zurück zu ihren Wurzeln gehen. Der Sound von “Meds” zeigt: Tikovoï setzt sich durch. Die Band findet Gefallen an der Einfachheit, zumal diese sehr gut zu den Themen der Songs passt. Molko singt über Süchte und Abhängigkeiten, über den Kontrollverlust und die Probleme, die sich daraus ergeben. Der Song “Infra-Red” steht am deutlichsten für diesen Ansatz: „Someone call the ambulance/ There’s gonna be an accident.“ Ebenfalls das Titelstück, bei dem Alison Mosshart von den Kills einen wunderbaren Auftritt hat, wenn sie Molko die Frage zuraunt: „Baby, did you forget to take your meds?“ Und es gibt noch einen zweiten Gaststar: Bei “Broken Promise” singt Michael Stipe von R.E.M. mit. Das Stück beginnt mit einem Piano und dessen Stimme. Dass es dennoch wie Placebo klingt, zeigt, wie hoch der Wiedererkennungswert von Molkos Songwriting ist. Ebenfalls grandios ist der abschließende “Song To Say Goodbye” über eine zerstörte Liebe im Junkie-Umfeld: „Your needle and your damage gone.“
2 Placebo
VÖ: 1996 | Label: Virgin
Ein solches Album kann nur ein Debüt sein. Eine junge Band hat etwas zu sagen, nichts zu verlieren, spielt mit großer Dringlichkeit. Als Drummer ist noch Robert Schultzberg dabei, dessen Spiel an Indie-Rock-Bands wie Dinosaur Jr. oder Sonic Youth erinnert. Von letzterer Band ist auch Molko großer Fan, was man dem Erkennungsriff von “Bruise Pristine” sowie dem ersten Stück des Albums anhört: “Come Home” ist die Debüt-Single, die Placebo einen Deal mit dem großen Indie-Label Hut Records einbringt, eine der Plattenfirmen, die Mitte der Neunzigerjahre selbst eigenwillige Gitarrenbands in die Charts bringt. Dass ihnen das mit Placebo gelingen wird, steht außer Frage. Dazu sind die Songs viel zu gut. “Teenage Angst” – eine Art Gegenstück zu Sonic Youths “Teenage Riot” – thematisiert die Panik der Adoleszenz. “Nancy Boy”, 1996 ein Hit in der Britpop-Bewegung, ist ein ätzender Kommentar auf sexuelle Hypes. “36 Degrees” handelt von Haut und Körper, menschlicher Wärme und Kaltblütigkeit. Bei allem eingängigen Furor gibt die Ballade “Lady Of The Flower” einen Hinweis auf die vielen weiteren Dimensionen, die diese Band im Laufe der Jahre noch entdecken wird.
1 Without You I'm Nothing
VÖ: 1998 | Label: Virgin
Das beste Album von Placebo ist auch eine der wichtigsten Alternative Rock-Platten aller Zeiten. Es beginnt mit einem ersten Stück, das eigentlich gar nicht für “Without You I’m Nothing” vorgesehen ist. Die Platte ist schon im Kasten, die Band nimmt potenzielle B-Seiten auf, da kristallisiert sich “Pure Morning” als der perfekte Startpunkt für das zweite Album der Band heraus. Auf dem Album geht es um allerhand desaströse Beziehungen, gekennzeichnet von toxischen Verhaltensweisen, Substanzmissbrauch oder Egoismen. “Pure Morning” erzählt die Geschichte nach einer langen Nacht – und dem Gefühl, in den frühen Morgenstunden einem Menschen im Arm zu haben, der so etwas wie Heimat ist. Seliger wird das Album danach nicht mehr. Das zeigt schon das zweite Stück “Brick Shithouse” über Menschen mit viel Muskeln und wenig Hirn. Placebo spielen das Stück rasant, als wollten sie klarstellen, dass diese zweite Platte nicht unter dem Diktat der Kommerzialität entstanden ist. Ist sie auch nicht. Und trotzdem reiht sie Hit an Hit. Neben “Pure Morning” koppelt die Band auch “You Don’t Care About Us”, “Every You Every Me” sowie das Titelstück als Singles aus. Jedes dieser Stücke dominiert auf Jahre die Indiediscos. Die Singles allein hätten das Album groß gemacht, aber atemberaubend gut ist die Platte bis in die Tiefe hinein. Bei “Allergic (To Thoughs Of Mother Earth)” verarbeitet Molko seine Kindheit in einer religiösen Familie. Seine These: Wer so sehr auf den Himmel zuarbeitet, dem geht das Wohlergehen der Erde am Arsch vorbei. Wie visionär der Gedanke von damals ist, zeigt aktuell der Einfluss der Evangelikalen auf die US-Gesellschaft. Die Platte schließt mit dem vielleicht schönsten Lied der Placebo-Diskografie: “Burger Queen” ist das zarte Porträt einer tragischen Figur. Die Geschichte eines Menschen vom Rande der Gesellschaft: schwul, in der Provinz in Luxemburg zu Hause, heroinabhängig. Molko verbringt als Kind einige unglückliche Jahre im Herzogtum: Die besten Lieder erzählen Storys über das, was nicht ist – aber sein könnte.
Inhalt
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