14 Tocotronic (Das rote Album)
VÖ: 2015 | Label: Vertigo
Das “rote Album” trägt diese Farbe auch, weil sich seine 13 Pop-Songs vor allem um die Liebe drehen. Tocotronics Pop klingt zwar (auch hier) vielschichtig, trotzdem sind manche Songs kurz davor, aus ihrem eigenen Universum zu kippen. So zum Beispiel „Die Erwachsenen“, das etwas von New Order hat und in dem das Lyrische Ich knutschen will „bis wir müde sind“. Der Refrain ist so überzuckert, dass man sich fragt, was Dirk von Lowtzow uns mit seinem ungewöhnlich hohen Gesang sagen möchte: „Wir sind Babys/ Sie erziehen uns nicht/ Wir sind Babys/ Wir spucken ihnen ins Gesicht.“ An (eindeutigen) Interpretationen sollte man sich bei Tocotronic (spätestens seit “K.O.O.K.”) zwar ohnehin nicht mehr probieren, im Kontext dieses Albums sind diese Zeilen trotzdem Teil der Unstimmigkeiten. Diese liegen weniger an den musikalisch guten bis okayen Songs, sondern vielmehr am teils anders affektierten Gesang und an den Texten, die an der Kitschgrenze wandern. Unterm Strich bleibt so immerhin die einzig eindeutige Entscheidung in diesem Ranking.
Lieblingszeilen:
»Man kann den Erwachsenen nicht trauen/ Ihr Haar ist schütter, ihre Hosen sind es auch/ Wir werden viele Mauern bauen/ Denn sie sind grauenvoll«
Aus »Die Erwachsenen«
13 Wie wir leben wollen
VÖ: 2013 | Label: Vertigo
Tocotronic nehmen nach der sogenannten Berlin-Trilogie, die drei Jahre zuvor mit dem überragenden „Schall und Wahn“ endet, weiterhin mit Moses Schneider in Berlin auf. Rick McPhail ist mittlerweile nicht mehr aus der Band wegzudenken, hält sich mit seinen Gitarren-Sprenkeln auf „Wie wir leben wollen“ jedoch vergleichsweise zurück. Der Albumtitel klingt nach jeder Menge Forderungen und würde auch als Wahlwerbung funktionieren, musikalisch packen die 17 Songs allerdings wenig zu, sie sind oft luftig instrumentiert und hallen sanft „Auf dem Pfad der Dämmerung“, „Unter dem Sand“ und auf dem Grund des Swimmingpools. Die Texte klingen herrlich ehrlich, etwa wenn das lyrische Ich sich in „Neutrum“ als Kaiser mit desolatem Sex bezeichnet oder in „Ich will für dich nüchtern bleiben“ – ausnahmsweise mit dringlichen Gitarren – dem Rausch für weniger Scham und Koma entsagt. Das zentrale Stück der Platte, das fast fünfminütige „Vulgäre Verse“, berichtet im Element-Of-Crime-Walzer von, nun ja, hilflosen Nächten im Palasthotel. Tocotronic sind hier besonders schwer zu greifen.
Lieblingszeilen:
»Es warten schon die Guillotine/ Und das Bajonett/ Auf meine Nackenlinie«
Aus »Vulgäre Verse«
12 Golden Years
VÖ: 2025 | Label: Epic
Das aktuelle Album von Tocotronic kann sich zwar noch häuten und wachsen, ziemlich sicher aber wird es sich nicht mehr in die Top 5 hocharbeiten können. Dafür ist es zu wankelmütig und stückhaft, auch wenn gleich die ersten beiden Songs, „Der Tod ist nur ein Traum“ und „Bleib am Leben“, wunderbar als Leben-und-Tod-Doppelpack funktionieren – und quasi das Ende sind, während der Ursprung im finalen „Jeden Tag einen neuen Song“ steckt. Ein Stück, in dem von Lowtzow über sein tägliches Songwriting singt. Andere Songs sind weniger konkret und greifbar, eher träumerisch. Sie schweben, verzichten aber nicht gänzlich auf verzerrte Gitarren. Ein Highlight des Albums ist der melodisch-melancholische Titeltrack, der nostalgisch klingt, aber die kleinen Dinge im Alltag beleuchtet. Und „Denn sie wissen, was sie tun“ ist textlich nicht nur deshalb eindeutig, weil Tocotronic ihn als Reaktion auf die hohen Umfragewerte der AfD ins Netz stellen: „Diese Menschen sind gefährlich […] Terror als Identität“. Die Kommentarfunktion bei YouTube ist aus Gründen deaktiviert.
Lieblingszeilen:
»Die Menschen in der zweiten Klasse/ Erscheinen jetzt im gold‘nen Licht/ Der Dampf aus meiner Kaffeetasse/ Steigt mir ins Gesicht«
Aus »Golden Years«
11 Nach der verlorenen Zeit
VÖ: 1995 | Label: L'Age D'Or
Nur knapp fünf Monate nachdem Tocotronic mit ihrem ersten Album „Digital ist besser“ in aller Indie-Munde sind, erscheint schon ihr zweites. „Nach der verlorenen Zeit“ knüpft an das Debüt an, stellt schräge Gitarren neben schrägen Gesang. Es klingt also nach Proberaum und zügiger DIY-Arbeitsweise – und damit perfekt für die damalige Zeit und für das, was Tocotronic in ihren engen, unförmigen Trainingsjacken verkörpern. Mit nur zehn Songs – und dazu zählt auch das 53-sekündige Stück „Ich werde nie mehr alleine sein“, das Schlagzeuger Arne Zank zu verzerrten Gitarren singleiert (und das man früher genau deshalb so geliebt hat) – wirkt das Album auf den ersten Blick wie aus Überbleibseln zusammengestellt, doch handelt es sich nicht um B-Seiten, sondern um Tatendrang: lieber weitermachen als abzuwarten. „Du bist ganz schön bedient“ ist ein mutiges Liebeslied; „Es ist einfach Rockmusik“ eine launige Ode an Rockmusik, ausnahmsweise gesungen von Bassist Jan Müller, und „Ich hab 23 Jahre mit mir verbracht“ sollte noch heute auf jedem 23. Geburtstag laufen. Trotzdem bleibt das Album das schwächste der frühen Tocotronic-Phase.
Lieblingszeilen:
»Ein Lied mehr/ Zur Lage der Nation/ Und zur Degeneration meiner Generation/ Zur Unentschlossenheit der Jugend/ zur Verdrossenheit der Tugend.«
Aus: »Michael Ende, du hast mein Leben zerstört«
10 Nie wieder Krieg
VÖ: 2022 | Label: Vertigo
Die Tocotronic-Bandmitglieder sind schon lange keine 23 Jahre mehr, sondern haben mehr als ein halbes Jahrhundert erlebt. Sie wissen also, wie das ist mit den Zweifeln und dem Krieg gegen sich selbst ist, und sie wissen schon längst, wie man daraus den zweideutig schillernden Slogan „Nie wieder Krieg“ macht. Dass der ausgerechnet kurz vor dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine in dicken Lettern auf ihrem Album steht, ist Zufall – oder eben das „sensorisches Talent“ von Lowtzows, wie Bassist Jan Müller es im VISIONS-Interview zu diesem Album nennt. Auch „Ich hasse es hier“ spielt mit der Zweideutigkeit, klingt beschwingt, verzweifelt aber selbst am Aufpeppen von Tiefkühlpizza und klärt erst mit den letzten Zeilen auf: „Ich hasse es hier/ Seitdem du mich verlassen hast“. Auf „Nie wieder Krieg“ sind Ernsthaftigkeit und Verspieltheit, Ironie und Zweifel sehr gut ausgewogen, Tocotronic klingen alles andere als altersmüde, nicht nur mit der stampfenden Dringlichkeit von „Jugend ohne Gott gegen Faschismus”.
Lieblingszeilen:
»Ich hab’ den Boden schwarz gestrichen/ Wie komm ich aus der Ecke raus?«
Aus »Hoffnung«
9 Wir kommen um uns zu beschweren
VÖ: 1996 | Label: L'Age D'Or
Auch für ihr drittes Album benötigen Tocotronic nicht viel Zeit, es erscheint nur etwa acht Monate nach „Nach der verlorenen Zeit“. Musikalisch hat sich nicht viel geändert, und das ist gut so: Im programmatischen Opener „Jetzt geht wieder alles von vorne los“ knistert es kurz in den Rhythmus, dann schrebbelt die Gitarre herrlich drauf los, von Lowtzow schreit auf und singt dann mit kratziger Stimme, bis der Song ausbricht und er mit lang gezogenen Vokalen singschreit: „Hahahahahahahaha“. Es folgen zwei Minuten Krach, vorgetragen von einer Band, der man anhört und -merkt, wie ernst sie es damit meinen, wie sie alles in diesen Song und diese Platte legen, die junge (und ältere) Herzen zwischen Schmerz, Verzweiflung, (Selbst-)Verachtung und Euphorie einfängt. Es folgt das etwa 100-sekündige „Die Welt kann mich nicht mehr verstehen“, Tocotronics größter Hit der Frühphase, und mit „Der Cousin“ und „Ich werde mich nie verändern“ weitere, punkige Smasher, aber mit „So jung kommen wir nicht mehr zusammen“ auch ein Song, der sich fast sechs Minuten um diesen Kneipenspruch dreht.
Lieblingszeilen:
»Nach der verlorenen Zeit/ Hab‘ ich erstmal weniger gehasst/ Man findet ja nicht immer etwas/ Was einem grad‘ nicht passt«
Aus »Jetzt geht wieder alles von vorne los«
8 Kapitulation
VÖ: 2007 | Label: Vertigo
In der Mitte der Berlin-Trilogie glänzt und drängt Tocotronics achtes Album “Kapitulation”, auf dem sich ihre poetischen Songtexte verfestigen, die stets genügend Raum für individuelle Interpretationen lassen. Zudem ist das zweite Album, an dem Gitarrist Rick McPhail im Studio beteiligt ist, geprägt von (dessen) Gitarrenarbeit. Nicht in der Art, wie es die Vollgas-Vorab-Single „Sag alles ab“ in rabiaten, an die frühen Tage erinnernden zwei Minuten vorgetäuscht hat, aber mit spielerischen und lauten Gitarren, hypnotischen Rhythmen und kaum zur Ruhe kommenden Songs, die sich meistens zwischen vier und fünf Minuten einpendeln. Auf „Kapitulation“ sind es dabei weniger einzelne Songs, die herausstechen, sondern ein nahtlos aufgehendes Album, das einen mitnimmt und manchmal sogar mitreißt, das “Kapitulation” im Titeltrack gut gelaunt als etwas Erstrebenswertes in Aussicht stellt und in „Imitationen“, dem besten Song des Albums, mitleidet: „Dein wahr ist mein wahr […]/ Dein schlimm ist mein ganz schlimm.“
LieblingSzeilen:
»Alles gehört dir/ Eine Welt aus Papier/ Alles explodiert/ Kein Wille triumphiert«
Aus »Explosion«
7 Pure Vernunft darf niemals siegen
VÖ: 2005 | Label: L'Age D'Or
Auf dem Cover tauchen die vier Musiker (Gitarrist Rick McPhail gehört nun fest zur Band) halb unsichtbar in die Wirrungen eines Waldes ab, während der Albumtitel einer ihrer klarsten und besten Slogans ist, der wie gemacht ist für den Brustdruck eines T-Shirts. „Pure Vernunft darf niemals siegen/ Wir brauchen dringend neue Lügen“, heißt es in dem Song und von Lowtzow singt leicht wahnsinnig: „Lalalalalalala“. Das Schlagzeug scheppert und die Gitarre spielt unbeirrt fort. Tocotronic fremdeln auf ihrem siebten Album ein wenig mit der Welt, weshalb die sinnhafte Platzierung im Wald so gut passt. „Völker! Auf zum Gefecht!/ Die Illusion wird Menschenrecht“, heißt es in “Gegen den Strich”, das musikalisch den Ton der Platte vorgibt: melodiöser Indierock, der seine Grenzen kennt und im neuen, von Produzent Moses Schneider mit beeinflussten Soundgewand romantisch klingt. Die Phrase „Aber hier leben, nein danke“ habe von Lowtzow einst bei einem alten Paar aufgeschnappt – und sofort erkannt, um was für einen perfekten Songtitel es sich dabei handelt.
Lieblingszeilen:
»Ich mag den Weg, ich mag das Ziel/ Den Exzess, das Selbstexil«
Aus »Aber hier leben, nein danke«
6 Es ist egal, aber
VÖ: 1997 | Label: L'Age D'Or
Mit dem vierten Album lassen sich Tocotronic nicht nur zum ersten Mal etwas mehr Zeit (etwa 15 Monate), sondern sie stellen auch erste Weichen für die Öffnung ihres Sounds. Der Opener „Gehen die Leute“ brettert zwar verzerrt drauf los, zeigt aber auch die feine, schillernde Ironie und Zweideutigkeit in von Lowtzows Texten: „Gehen die Leute auf der Straße eigentlich absichtlich so langsam?/ Wollen sie verhindern, dass wir vorwärts kommen?“ Das folgende „Sie wollen uns erzählen“ wirkt mit seiner Mundharmonika-Fanfare und Melodieseligkeit ziemlich konträr und bildet gemeinsam mit Songs wie „Ein Abend im Rotary Club“ oder „Vier Geschichten von dir“ eine neue, träumerische und zugleich melodiösere Seite von Tocotronic. Die Mischung macht „Es ist egal, aber“ so besonders: Die 70 wütenden Sekunden von „Alles was ich will, ist nichts mit euch zu tun haben“ stehen etwa den mit Streichern unterlegtem, elegisch voranschreitenden Titeltrack gegenüber. Das Schöne ist: Man kann und muss sich für keine Seite entscheiden.
Lieblingszeilen:
»Und ich wühlte mit der Hand/ In meinen Taschen und ich fand/ Einen Zettel, auf dem stand/ Das ist der schönste Tag in meinem Leben«
Aus »Der schönste Tag in meinem Leben«
5 K.O.O.K.
VÖ: 1999 | Label: L'Age D'Or
Zwei Jahre nehmen sich Tocotronic für ihr fünftes Album Zeit, außerdem drei Monate im Studio – in ihrer damaligen Zeitrechnung also eine halbe Ewigkeit. Und dementsprechend machen sie mit „K.O.O.K.“ auch einen Schritt in Siebenmeilenstiefeln. So großartig wie die ersten drei Alben in ihrer unperfekten Direktheit sind, so großartig ist dieser Schritt nach vorne. Die Synthesizer und Streicher, die Tocotronic auf „Es ist egal, aber“ noch zaghaft einbrachten, prägen den neuen, weiten Klang. In „Das Unglück muss zurückgeschlagen werden“ hört man den kurzweilig aufbrausenden Gitarren und Dirk von Lowtzows Stimme die Verachtung und Wut nur noch latent an, stattdessen ist dieser wunderbare Song von Blasinstrumenten untermalt. Die Texte bewegen sich zudem auf die schillernde Lyrik zu, die bald typisch sein wird für Tocotronic. Auf „K.O.O.K.“ loten sie „Die Grenzen des guten Geschmacks“ gleich zweimal aus, zitieren AC/DC und Europes „The Final Countdown“ in „Let There Be Rock“, schließen mit dem über elfminütigen Song „17“ und schweben über ihren eigenen Dingen.
Lieblingszeilen:
»Und die Alltäglichkeit/ Die man uns jederzeit/ Aus vollen Fässern zapft/ Macht uns nicht mehr betrunken, sondern vielmehr bewusst/ Dass das Unglück überall zurückgeschlagen werden muss.«
Aus »Das Unglück muss zurückgeschlagen werden«
4 Schall und Wahn
VÖ: 2010 | Label: Vertigo
Von den LoFi-Vier-Akkorde-Ich-verachte-euch-Songs der ersten Jahre bis zu der schwebend-krachenden Soundästhetik der Berlin-Trilogie war es ein weiter Weg, den es mit jeder Platte wert war, mitzugehen. Auf „Schall und Wahn“ finden Tocotronic ihren soundwandlerischen Höhepunkt. Schon der Opener „Eure Liebe tötet mich” ist mit über acht Minuten ein echter Hingucker, der sich ganz bedächtig und mit schön verzahnten Gitarren warmgroovt, von von Lowtzows sonorer Stimme davongetragen wird und sich nach rund fünf Minuten für Gitarreneskapaden öffnet. Wenn man es nicht besser wüsste, könnte man glauben, Tocotronic seien nun eine Prog-Band. Die Wahrheit ist: Rick McPhails Gitarreneinschübe und -feedbacks sorgen immer noch für frischen Wind und den richtigen Ton, der wie gemacht ist für die undurchsichtigen Songtexte. In „Macht es nicht selbst“ sind die Gitarren zum Zerbersten laut, in „Im Zweifel für den Zweifel“ kommen sie ganz ohne Strom aus. „Schall und Wahn“ ist ein wandelbares, niemals ruhendes Meisterwerk.
Lieblingszeilen:
»Im Zweifel für den Zweifel, das Zaudern und den Zorn/ Im Zweifel fürs Zerreißen der eigenen Uniform.«
Aus »Im Zweifel für den Zweifel«
3 Die Unendlichkeit
VÖ: 2018 | Label: Vertigo
„Ich zieh’ mir den Pulli vor dem Spiegel aus/ Teenage Riot im Reihenhaus/ Ich gebe dir alles und alles ist wahr/ Electric Guitar“ – man kann Dirk von Lowtzow in „Electric Guitar“ quasi dabei zusehen, wie er sich die E-Gitarre umschnallt, die ihm den Weg „aus der Schwarzwaldhölle“ zeigt. So heißt es im Song “1993” (dem Gründungsjahr Tocotronics), in dem die Band antithetisch Autotune einsetzt. Dass dieser Weg auch beschwerlich war, davon erzählt “Hey Du” (ähnlich wie 1995 im Song „Digital ist besser“) unmissverständlich: „Bin ich was, das du nicht kennst?/ Dass du mich Schwuchtel nennst/ Ist mein Stil zu ungewohnt/ Für den Kleinstadthorizont?“. Die Magie der E-Gitarre lässt von Lowtzow trotzdem nicht los und im Stich! Der intensivste Song des Albums, „Unwiederbringlich“, kommt trotzdem ohne Gitarren aus: Er ist von Cello und Klarinette untermalt und spielt im Zug in die Heimat, der erst ankommt, als ein Freund dort bereits verstorben ist. Tocotronic haben zum Zeitpunkt der Album-Veröffentlichung 23 Jahre mit ihrem Debüt verbracht, und bringen das Kunststück fertig, von der damaligen Zeit zu singen, aber anders und vielseitig zu schimmern und schillern.
Lieblingszeilen:
»Es gab noch keine Handys/ Nur an Bord ein Telefon/ Als ich endlich ankam/ Wussten’s alle schon.«
Aus »Unwiederbringlich«
2 Digital ist besser
VÖ: 1995 | Label: L'Age D'Or
Den Nostalgiefaktor wird man nicht herausrechnen können, doch auch aus heutiger Sicht ist „Digital ist besser“ noch ein unglaublich intensives und mitreißendes Debüt, das den ersten Tocotronic-Slogan im Titel trägt. Vor über drei Jahrzehnten munkelte man in Hamburg bereits, dass diese drei schluffigen Typen zu etwas Großem imstande seien. Das lag weniger an ihrem auffälligen Look, sondern an ihrem Tatendrang und an der Dringlichkeit, mit der auch „Digital ist besser“ loslegt: „Ich weiß nicht, wieso ich euch so hasse/ Fahrradfahrer dieser Stadt“, lauten die ersten Albumzeilen zum langsam stampfenden Rhythmus von „Freiburg“. Auch wenn hier schon feine Ironie im Text steckt, stehen die folgenden Zeilen stellvertretend für die Attitüde, die Tocotronic verkörpern: „Ich bin alleine und ich weiß es/ Und ich find‘ es sogar cool“. Songs wie „Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ oder „Drüben auf dem Hügel“ sind wunderbar tagträumerisch und „Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ ist ein programmatischer Fünf-Minuten-Smasher, das ganze Album ist in seiner wütenden Verzweiflung und romantischen Entrücktheit alles, was man sich als (junger) Musikmensch wünschen kann.
Lieblingszeilen:
»Gestern um halb drei/ Habe ich noch ein Lied gemacht/ Und ich rufe eine Freundin an/ Mitten in der Nacht/ Und ich singe es ihr durch’s Telefon/ Und es sagt: ‚Ich liebe dich‘/ Kurz bevor ich auflege/ Schäme ich mich«
Aus »Die Idee ist gut, doch die Welt noch nicht bereit«
1 Tocotronic (das weiße Album)
VÖ: 2002 | Label: L'Age D'Or
Was sich auf „Es ist egal, aber“ zaghaft ankündigt und auf „K.O.O.K.“ zum großen musikalischen Umsturz in die Weite führt, fangen Tocotronic auf ihrem unbetitelten, weißen Album wieder ein und zurren es fest. Das Trio ist den zweiten Schritt bereits gegangen und befindet sich kurz vor dem nächsten, der mit Produzent Moses Schneider und Gitarrist Rick McPhail (der live schon seit zwei Jahren dabei ist und dem in den „Tocotronic“-Credits gedankt wird) auf „Pure Vernunft darf niemals siegen“ in Berlin vonstatten geht. Hier ist der Stein aber schon ins Rollen geraten: Tocotronic suchen nach einer neuen musikalischen Identität und finden diese mit Produzent Tobias Levin nach langer Arbeit in dessen Hamburger Studio. Ihr sechstes Album trägt nicht einmal einen Namen, so sehr soll es für das neue Gewand der Band stehen. Dazu passt auch der Titel des Openers: „This Boy Is Tocotronic“, ein Hit, der laut und angriffslustig klingt, aber nicht auf Synthesizer und verzerrte Stimme verzichtet: „Ja, das ist jetzt“! Tocotronic klingen reifer und atmosphärischer, die Gitarren hallen und der Gesang schwebt darüber, etwa im fast sechsminütigen „Alles wird in Flammen stehen“ oder im sogar über siebenminütigen und trotzdem nicht langweiligen „Schatten werfen keine Schatten“. Mit „Hi Freaks“ ist ein weiterer, beschwingter Hit, der größte des Albums, an Bord, der sich ebenfalls mehr als sechs Minuten Zeit nimmt: „Was sein muss, das muss schließlich sein“. In Tocotronics jahrzehntelanger Karriere wirkt das Album wie eine Momentaufnahme, die diese Zwischenzeit perfekt und mit so guten Songs wie „Näher zu dir“, „Dringlichkeit besteht immer“ oder „Hier ist der Beweis“ wie aus einem Guss abbildet.
Lieblingszeilen:
»Auf dem Weg näher zu Dir/ Gehe ich durch eine Tür/ Die den Umriss von uns beiden hat«
Aus »Näher zu dir«
Inhalt
- Von Flop bis Top – Alle Alben der Donots im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von The Smiths im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Soundgarden im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Jack White im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Joy Division und New Order im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Placebo im Ranking
- Die 30 wichtigsten Konzeptalben – Die Schönheit des Konzepts
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Tocotronic im Ranking
- Metalcore: die Album-Highlights – Der harte Kern
- Die 50 Alben des Jahres 2024 – Harte Musik für harte Zeiten
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Linkin Park im Ranking
- Die besten Soloalben: 2012-2024 – Für sich (auf)genommen
- Die besten Soloalben 1994-2011 – Einzig und allein
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Primal Scream im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von The Cure im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Blur im Ranking
- Die 50 wichtigsten Noiserock-Platten – Mutwillig am Hit vorbei
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Oasis im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Nick Cave & The Bad Seeds im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Weezer im Ranking
- Die 50 wichtigsten Soundtracks – Bilder hören
- Zwölf umweltbewusste Alben – Sendungsbewusstsein
- Von Flop bis Top – Alle Alben der Beatsteaks im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben von Frank Turner im Ranking
- Von Flop bis Top – Alle Alben der Foo Fighters im Ranking
- Global Beat - Die wichtigsten Platten – Der Beat geht weiter
- Jahresrückblick 2023: Die 50 Alben des Jahres – Es müsste immer Musik da sein
- 1993 in 50 Platten – Re(ar)viewmirror
- Die 25 besten Heartland-Rock-Platten – Bewusstsein schaffen
- Shoegaze: Die 40 besten Platten – Dream On
- Tribute-Alben: 25 Meilensteine – Wem Ehre gebührt
- Supergroups: Die 50 besten Alben – Alles super
- Supergroups: Superduos – Ein Fall für zwei
- Die 33 wichtigsten Koop-Alben – Kommt zusammen
- Sludge Metal: Die besten Platten – Schlammschlacht
- Die 2010er: Die Plattenliste – Die 100 besten Alben der 2010er
- Okkult-Rock - Die Plattenliste – Diabolus in Musica
- Proto-Punk: Die wichtigsten Platten – Paten des Punk
- Jahresrückblick 2022: Die 50 Alben des Jahres – Kommentare zur Zeit
- Britpop - Die Plattenliste – Cool Britannia
- Post-Punk: Die besten Alben der ersten Welle – Pinke Flagge, schwarzes Gewand
- Post-Punk: Die besten Alben des Revivals – Widerhall in der Fabrikhalle
- Von Grunge bis Drum'n'Bass – Die 100 wichtigsten Platten der 90er