Torres
What An Enormous Room
Mackenzie Ruth Scott alias Torres wird mit jedem Album besser: War schon “Thirstier” von 2021 herausragend gut, legt die* nonbinäre Musiker:in aus Orlando mit ihrer sechsten Platte noch ein paar Schippen obendrauf. Torres spielt die meisten Instrumente (Gitarre, Bass, Synthesizer, Orgel, Klavier, programmiertes Schlagzeug) selbst, unterstützt von der texanischen Multiinstrumentalistin und Singer/Songwriterin Sarah Jaffe. Produziert und gemastert haben das Album TJ Allen aus Bristol und Heba Kadry in New York City– ein interkontinentales Gemeinschaftswerk, versehen mit der klaren beziehungsweise immer klarer werdenden Handschrift von Torres.
Das ist insofern ein nennenswerter Hinweis, weil es auf “What An Enormous Room” keinen eindeutigen Hit gibt, keine Hymne wie “Don’t Go Putting Wishes In My Head” auf “Thirstier” oder eindringliche Synthieballaden, die vor allem “Three Futures” (2017) auszeichneten. Die vorab veröffentlichte Single “Collect” sticht dennoch hervor. Der Rachesong scheint langsam aufzukeimen, hat eine Laut-Leise-Dynamik, die man von Indie-Göttern wie den Pixies kennt, inklusive markanter Bridge und Stimmungswechsel – das Stück wandelt sich in einen wuchtigen, breitbeinigen Aufschneider, die* 33-Jährige* lässt mit Hammer-Klavier und ordentlich Hall die Rock-Muskeln spielen und streut genüsslich Salz in anderer Leute Wunden. “Did I hit a nerve?”, wiederholt sie* wieder und wieder und scheint förmlich auf die Hörer:innen zuzustapfen. Ja, Torres trifft einen Nerv, und zwar nachhaltig.
Ganz offensichtlich hat Scott großes Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und keine Furcht, blank zu ziehen. In den zehn Songs von “What An Enormous Room” groovt, rockt, flüstert, shoutet und jubiliert eine Künstler:in, die lesbisches/queeres Begehren völlig selbstverständlich formuliert und keine verschämten Kompromisse eingeht. Im gefühlvollen “Jerk Into Joy” gibt es neben der albumtitelgebenden Zeile (“What an enormous room/ Look at all the dancing I can do”) sehr explizite Vorstellungen davon, wenn sich die Aufmerksamkeit “down south” verlagert. Torres lässt ohnehin häufig introspektive Momente zu: In den balladesken Stücken “I Got The Fear” und “Ugly Mystery” schimmern Verletzlichkeit und (Selbst-) Zweifel durch, was die Stärke von Album und Künstler:in noch betont.
“What An Enormous Room” schöpft aus Vergangenheit und Gegenwart des Indierocks, hat Liz Phairs feministisch-sexpositiven Punkansatz ebenso verinnerlicht wie knurrende Grunge-Gitarren und einen Hauch zickigen Wave-Sound. Ihrer* Herkunft aus dem Süden der USA zollt Torres mit lichtdurchflutetem Songwriting Tribut, besonders schön gelingt das in “Artificial Limits”, in dem Torres mit nostalgischer Orgel und großzügigem Echo geradezu transzendente Effekte erzielt. Eindrucksvolle Platte einer Künstler:in, die Zweifel in Mut und Power verwandelt.
Das steckt drin:
Wolf Alice – “Blue Weekend” (2021, Dirty Hit)
Wolf Alice aus London verfolgen auf ihrem dritten Album einen ähnlichen Ansatz wie Torres: Sängerin und Texterin Ellie Rowsell legt Verletzlichkeit und Selbstzweifel kompromisslos offen. In Kombination mit der prachtvollen Produktion von Markus Dravs (Florence + The Machine) entsteht schier unbesiegbare Superpower mit hymnischen und tanzbaren Momenten.
Phoebe Bridgers – “Punisher” (2020, Dead Ocean)
Auf ihrem zweiten Album kombiniert die kalifornische Singer/Songwriterin Indie- mit Emo-Folk. Ein insgesamt recht düsteres Werk, in dem es um Depression, Verlangen und Einsamkeit geht – aber auch um Hoffnung und Erlösung. “Punisher” ist Bridgers letztes Soloalbum vor dem Erfolgsalbum mit Boygenius (Julien Baker, Lucy Dacus, Bridgers) von 2023.
Sharon Van Etten – “Are We There?” (2014, Jagjaguar)
Diese Platte zeigt die Verbundenheit zwischen den beiden Künstler:innen: Torres singt Backing Vocals in mehreren Songs auf “Are We There?”. Vergleichbar mit Torres’ aktuellem Album geht es bei Van Etten ebenfalls um Selbstfindung und -bewusstsein, musikalisch repräsentiert durch die mutige Mischung von orchestralem Pop und knarzigem Indiepop. Der Schlüsselsong ist “Afraid Of Nothing”.
Zweitstimmen:
Nicola Drilling: “Torres’ Musik bleibt eigenwillig, aber so eingängig, dass man sich ihrem Sog nur schwer entziehen kann. Mal lässt sie ihrer Wut auf das Leben in “Collect” freien Lauf, mal klingt sie zart und verletzlich wie in “I Got The Fear”. Vor allem aber klingt jeder der zehn Songs befreiend.”
Juliane Kehr: “Auf hohem Niveau gemeckert: Ich ziehe die satten Gitarren und den energischen, übersteuerten Gesang vom Vorgänger “Thirstier” den taumelnden Gitarren, dem charmant stolpernden Klavier und dem lieblichen Gesang des Nachfolgers vor. Wundervoll ist das trotzdem.”
weitere Platten
A Decoration (EP)
VÖ: 09.08.2024
Thirstier
VÖ: 30.07.2021
Live In Berlin
VÖ: 03.07.2020
Silver Tongue
VÖ: 31.01.2020
Three Futures
VÖ: 29.09.2017
Sprinter
VÖ: 15.05.2015
Torres
VÖ: 22.01.2013