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Mark Lanegan im Interview zu seinem letzten Buch

Mark Lanegan über sein letztes Buch

Die Büchse der Pandora
Drin ist, was draufsteht: Mark Lanegans Autobiografie, die jetzt auf Deutsch mit dem Titel „Alles Dunkel dieser Welt“ erscheint, führt direkt ins finstere Herz der Seattle-Jahre. War es kathartisch, sich dieser Zeit zu widmen, hat ihn das befreit oder gibt es womöglich gar keine Erlösung? Lanegans Antworten fallen eindeutig aus.
Mark Lenegan sitzt auf einer Treppe
Zurück ins Dunkel gestiegen: Mark Lanegan (Foto: Travis Keller)

Mark, das letzte Mal, als wir uns unterhalten haben, ging es um dein Album „Somebody’s Knocking“. Würdest es heute als Erfolg bezeichnen?
Mark Lanegan: Ich habe keine Ahnung. Ich lese keine Reviews, das ist völlig sinnlos.

War das schon immer so?
Als junger Mann habe ich sie gelesen. Aber irgendwann stellte ich fest, dass es egal ist. Ob es nun eine schlechte Kritik ist oder eine gute, hat keine Auswirkung auf meine Musik. Eine einzige Zeitverschwendung. Es ist für einen Künstler nicht gut, sich allzu sehr mit der Kritik an der eigenen Arbeit zu beschäftigen.

In der Zwischenzeit hast du nicht nur ein weiteres Album, sondern mit „Alles Dunkel dieser Welt“ auch eine Autobiografie veröffentlicht. Gab es diese Idee schon länger?
Das passierte relativ spontan. Nach meinem ersten Buch „I Am The Wolf“ meinten Freunde, ich könnte eins schreiben, ohne dass es die nächste beschissene Rock-Biografie wird, sondern etwas von literarischem Wert. Die Voraussetzung war, dass ich brutal ehrlich sein musste.

Wie lange hast du am Buch gesessen?
Um die drei Monate. Es musste so schnell gehen wie möglich. Das war alles dermaßen schmerzvoll, ich wollte auf keinen Fall, dass sich die Arbeit daran über Jahre hinzieht.

Wie konntest du dich so gut erinnern? Die Drogen, der Alkohol, das endlose Touren – hast du Tagebuch geführt?
Nein, ich habe ein ziemlich gutes Gedächtnis, gerade was die schmerzhaften Erfahrungen angeht. An die glücklichen Sachen konnte ich mich kaum erinnern, einfach weil es davon so wenige gab. Es war eine raue Phase, zumal ich hier kein komplettes Leben aufgeschrieben, sondern mich auf diese zehn Jahre in Seattle konzentriert habe. Wenn ich mal Lücken hatte, habe ich mich mit Freunden unterhalten – denen, die noch leben – und sie gefragt: War es so, ist es auf diese Art passiert, wann war dieses oder jenes?

Was war der schwerste Teil des Schreibens?
Die erneute Begegnung mit dem Schmerz, mit dem Verlust, den ganzen Fehlern, die ich gemacht habe. Die Verletzungen, die ich mir und anderen Menschen zugefügt habe. Das ist wie die Büchse der Pandora, randvoll mit schlimmen Erinnerungen. Dinge, die ich aus offensichtlichen Gründen lange Zeit verdrängt habe. Niemand hat Bock, sich wieder knietief in das eigene Dilemma zu stellen. Ich hatte mich ja auch lange Zeit nicht damit beschäftigt. Ich habe nach vorn geschaut, ich habe weitergemacht und versucht, ein glückliches Leben zu führen. Mit diesem Buch bin ich wieder zurück ins Dunkel gestiegen. Ich würde es nicht noch mal machen.

Hast du dir über die Reaktionen Gedanken gemacht?
Nicht zu viele. Aber natürlich habe ich an die Freunde gedacht, die damit jetzt auch einen Teil ihrer Geschichte lesen. Ich habe ihnen bestimmte Stellen geschickt und sie gefragt, ob es okay ist. Alle waren einverstanden. Anders ist es bei den Leuten, die mir egal sind, weil sie damals einfach Idioten waren. Die wollen es nicht anders. Am Ende kommt ohnehin niemand im Buch so schlecht weg wie ich selbst.

Gab es Freunde, die dich gefragt haben, ob du das wirklich alles über dich auspacken willst?
Ich selbst habe mich das oft gefragt. Aber das Buch ist, was es ist, gerade, weil ich so ehrlich bin. Offen bis zum Anschlag. Wie sagte man so schön in den 70ern: Let it all hang out. Das habe ich gemacht, deswegen hat das Buch diese Kraft.

Haben dich die Conner-Brüder, deine Mitstreiter bei den Screaming Trees, nach der Veröffentlichung kontaktiert?
Die waren natürlich nicht besonders glücklich. Dabei habe ich etliche Male versucht, Van zu erreichen, aber er hat mich komplett ignoriert, hat auf keine E-Mail, keinen Anruf, keine SMS geantwortet. Außer sich selbst kann er also niemandem etwas vorwerfen. Ich hätte Dinge im Buch anders geschrieben, wenn er mich darum gebeten hätte, aber diese Gelegenheit hat er nicht genutzt. Ich weiß, dass er während dieser Zeit selbst eine schwierige Phase in seiner Ehe hatte, dennoch hätte er sich irgendwann mal zurückmelden können. Bei Gary Lee war es mir egal, was er denkt. Wenn Leute in meinem Buch als miese Typen rüberkommen, dann deswegen, weil sie welche waren.

Hast du an deine Fans gedacht, wie sie wohl reagieren?
Nein, an die denke ich nicht, wenn ich Songs schreibe, warum sollte ich beim Buch an sie denken? Entweder gibt es eine Verbindung oder nicht. Ich würde sie auch nicht Fans nennen, das sind Menschen, die einen Draht zu meinem Schaffen haben. Meine Songs verraten letztlich nicht viel von mir. Mit dem Buch offenbare ich jetzt mehr, und die Leute können entscheiden, ob es sie interessiert oder nicht.

Hat dir das Schreiben eine Art von Erlösung verschafft?
Nein, überhaupt nicht. Als würde man nackt einen Felsen erklimmen. Das ist kein Spaß, nichts daran. Ich wollte es einfach so schnell wie möglich fertigstellen.

Hast du in der Retrospektive einen Punkt in deinem Leben entdeckt, von dem du sagen würdest: Wäre ich da anders abgebogen, wäre das alles nicht passiert?
Einen? (lacht scheppernd) Millionen. Aber warum sollte ich darüber jammern? Es hätte besser laufen können, aber auch viel schlechter, wenngleich das kaum möglich scheint. Aber es ist so. Ich hätte auch sterben können, wie so viele meiner Freunde.

Mark Lanegan verstarb am 22. Februar 2022 im Alter von 57 Jahren.

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