Erst im April letztes Jahr hat das Indierock-Duo Neøv die Band Tom Allan & The Strangest auf ihrer Deutschlandtour begleitet. Nun kommen die beiden erneut nach Deutschland – auf eigene Headliner-Tour. Diese ist in zwei Teile geteilt: vier Konzerte finden Anfang Juni statt, zehn weitere im Herbst inklusive eines Festivalauftritts in Nürnberg.
Im Juni kommen Neøv nach Wiesbaden, Köln, Langenberg und Alfred (Leine), ab Ende September spielen die Finnen auch unter anderem in Berlin, Hannover und Hamburg. Ihr aktuelles Album “Picture Of A Good Life” erschien 2021, seitdem gab es allerdings noch ein paar neue Singles zu hören. Im März 2023 kündigten Neøv auf ihrer Website an, dass sie ihr fünftes Studioalbum aufnehmen würden. Dazu haben sie sich mit Birgir Jón Birgisson (u.a. Björk, Sigur Rós) zusammen getan und nehmen im Studio von Sigur-Rós-Keyboarder Kjartan Sveinsson auf. Ein Veröffentlichungsdatum ist noch nicht bekannt.
Auf ihren Konzerten im Juni wird das Duo von der Indierock-Band Macky Messer aus Dortmund unterstützt. Die Band hatte sich bereits 2011 rund um Menny Leusmann, den Besitzer des Dortmunder Aufnahmestudios Monkey Moon Recordings, gegründet. Von 2016 an bis Mitte 2023 legten sie eine Pause ein und veröffentlichten Anfang dieses Jahr einen Re-Release ihres Albums “Insomnia” (2016). Ihr neues Album “All For The Goo” soll im Sommer erscheinen, für dieses Album holt sich Leusmann Jens Vetter (Ex-Mitglied von Suzan Köcher’s Suprafon) am Schlagzeug dazu. Macky Messer sind dieses Jahr auch auf dem Dortmunder Festival Juciy Beats zu sehen.
Die Support-Acts für die Neøv-Tour im Herbst stehen noch nicht fest. Tickets für die Tour im Juni und im Herbst gibt es im Vorverkauf über die Website von Neøv.
Die Londoner Global-Beat-Band Los Bitchos kündigt sein zweites Album “Talkie Talkie” für Ende August an. Wie sein Vorgänger “Let The Festivities Begin” (2022) verspricht das Album einen knallbunten Mix aus Cumbia, Surf und 60s-bis-80s-Pop zu werden.
Während die erste Single “La Bomba” sich musikalisch eher in Richtung türkischem Psych à la Altin Gün und Retro-Disco wiederfindet, lehnt sich die zweite Single “Don’t Change” eher in die Richtung tropischem Surf-Rock. Das Ergebnis ist ein warmes, sommerliches Instrumental-Stück, das gedanklich zu einem Tag am Strand einlädt – und zwar mit voller Absicht. Immerhin sagen Los Bitchos selbst über die Single: “‘Don’t Change’ ist ein reiner Wonne-Song; denkt mal an Urlaubs-Vibes mit Eis, Beachballs, Sonnenuntergänge und Margaritas.”
Den Klang von ihrer neuen Single beschreibt die Band selbst als “Wohlfühlfaktor mit sonnengetränkten Melodien, vibrierendem Arpeggiator-Synthie-Bass und verschiedenen Perkussions-Schichten”. Dieses Bild vom Strandausflug spiegelt die Band in ihrem Musikvideo wider. “Wir hatten so viel Spaß beim Videodreh, als wir kleine Tänze erfunden haben und im Sand und Meer umher toben konnten”, erklären Los Bitchos dazu.
Die Euphorie soll stilprägend für das kommende Album “Talkie Talkie” sein. Wenn das Debüt “Let The Festivities Begin” den Startschuss ihrer Party darstellt, könnte das zweite Album der Londonerinnen mit seinem Mix aus Funk, Disco, Latin und türkischen Rhythmen den Höhepunkt auf dem Dancefloor darstellen.
Das Album erscheint am 30. August über City Slang und kann bereits jetzt als CD oder LP über die Website von Los Bitchos vorbestellt werden.
Mit dem neuen Album geht es für die Band dann auch auf Europa-Tour, in deren Rahmen Los Bitchos sechs Konzerte im deutschsprachigen Raum spielen. Tickets dafür gibt es im Vorverkauf.
Los Bitchos – “Talkie Talkie”
01. “Hi!”
02. “Talkie Talkie, Charlie Charlie”
03. “Don’t Change”
04. “Kiki, You Complete Me”
05. “Road”
06. “1K!”
07. “La Bomba”
08. “Open The Bunny, Wasting My Time”
09. “It’s About Time”
10. “Naughty Little Clove”
11. “Tango & Twirl”
12. “Let Me Cook You”
Live: Los Bitchos
16.11.24 Zürich – Mascotte
18.11.24 München – Strom
19.11.24 Wien – WUK
22.11.24 Berlin – Festsaal Kreuzberg
25.11.24 Hamburg – Knust
03.12.24 Köln – Gebäude 9
Der Himmel über Berlin ist blau. Am Spreeufer tummeln sich an diesem Freitagmittag die ersten Radler und Sonnenanbeter, während am Hafen nur ein paar Meter weiter Beatsteaks-Sänger Arnim Teutoburg-Weiß und -Schlagzeuger Thomas Götz entspannt in der Sonne warten. “Wir können uns entweder hier oben in mein kleines Studio setzen und gemütlich quatschen, oder wir fahren eine Runde Boot”, stellt Teutoburg-Weiß die Optionen für die nächsten Stunden vor. Die Entscheidung fällt schnell: Klar fahren wir Boot, auch wenn Götz keine Badehose dabeihat: “Ach, die Unterhose tut’s ja sonst auch”, sagt er und lächelt. Los geht’s: Der Sänger steuert das kleine Motorboot flussabwärts, der Schlagzeuger gibt den Tourguide: “…da drüben ist der Plänterwald, wo dieser verfallene Rummel ist, mit den umgestürzten Dinosauriern. Ein richtiger Lost Place. Und da hinten sieht man das Funkhaus.” Da werden wir später selbst noch vorübergehend “lost” sein, aber erst mal wirft Teutoburg-Weiß vor einer kleinen Insel Anker, hält prüfend den Finger ins Wasser und stellt an Götz gerichtet fest: “Nicht kalt, man kann baden”, nur um dann grinsend zu ergänzen: “Aber erst mal die Arbeit.”
Sprung vom Fünfer
Während das Boot träge in den Wellen schwankt, berichten die anwesenden zwei Fünftel der Band, wie sich zum Ende der “Yours”-Tour 2018 die schwelenden Zerwürfnisse plötzlich hochschaukeln: 25 Jahre an unbereinigten und zu Beginn vielleicht auch banalen Konflikten können in Summe und über die Jahre ein gefährliches Explosionspotenzial entwickeln. “Irgendetwas hat sich nicht richtig angefühlt”, fasst Götz rückwirkend zusammen. “Es ist wie in vielen langen Beziehungen, wenn man bestimmte Punkte einfach nicht mehr anspricht. Dann baut sich unbemerkt so eine Müllhalde auf, und irgendwann steht man plötzlich mitten auf einem Schrottplatz.” Es ist die berühmte Mücke, die zum Elefanten mutiert, sagt auch Teutoburg-Weiß: “Manchmal wird es im eigenen Kopf größer, als es eigentlich ist. Wir waren einfach abgespielt.”
»Eigentlich gilt es oft nur, die richtige Stimmung zu kreieren, dann ist ganz viel möglich.«
Arnim Teutoburg-Weiß
Die Beatsteaks kriegen die Kurve – jedoch nicht, ohne noch einmal heftig auf die Bremse zu treten. Ob das die Band zum kompletten Stillstand bringt, ist zwischenzeitlich ungewiss. Es ist die Zeit, als 2020 die Cover-EP “In The Presence Of” erscheint, in der sich die fünf Freunde zusammensetzen, um mithilfe intensiver Gespräche aufzuräumen im bandinternen Miteinander: “Der eine sagt nicht mehr, was ist, und der andere fragt nicht mehr, was ist”, so Götz. “Damit können Leute ins Grab gehen, das kann man ewig treiben. Man muss dann neu lernen, zu reden. Das ist, wie wenn man sich das Bein gebrochen hat und wieder laufen lernen muss. Ehrlich gesagt ist es auch jetzt noch schwierig, über diese Zeit zu reden. Es kam uns so vor, als ob etwas kaputt war, dass wir erst wieder reparieren mussten.” Die endgültige Gewissheit, dass die Berliner auch in Zukunft mehr als eine Best-of-Band sein wollen, der Bruch verheilt und die Genesung abgeschlossen ist, bringt der Auftritt beim Fusion Festival 2023. Es ist ein “magisches Konzert”, wie Teutoburg-Weiß es nennt, der zu jener Zeit ironischerweise durch eine Knöchelverletzung eingeschränkt ist.
Dieser Festivalauftritt ist das letzte Zeichen, das die Band nötig hatte: Die Beatsteaks laufen wieder! Nun ist es eine Sache, den Entschluss zu fassen, ein neues Album zu machen – eine ganz andere ist es, auch wirklich loszulegen: “Je länger man Platten macht, so geht es mir auf jeden Fall, desto mehr Schiss kriegt man davor”, gibt Teutoburg-Weiß zu, und Götz hat abermals die passende Metapher parat: “Das ist wie, wenn du vom Fünfer springst. Du stehst da oben und denkst: ‘Soll ich jetzt wirklich springen?’ – und dann gehst du halt wieder runter und holst dir lieber noch ein Bier oder trinkst noch einen Kaffee. Wenn du dann aber mal springst und schwimmst, ist auch alles gut, dann bist du ja eh drin.” Am Ende ist es ein einfacher Auslöser, der zum Sprung führt, grinst der entspannt im Bootsheck sitzende Sänger: “Der Hunger nach neuer Musik ist irgendwann größer als die Angst.”
So beginnen die Beatsteaks mit ihrem Stammproduzenten Moses Schneider die Arbeit an ersten Demos. Doch keiner der Songs wird fertig, der kreative Funke will nicht recht zünden. Das liegt, wie sich Teutoburg-Weiß beeilt klarzustellen, weniger an Schneider, sondern daran, dass die Band „einfach nicht ready“ ist. Immer deutlicher drängt sich der Gedanke auf, dass die Aufnahmen, wie schon vor der Arbeit an Smack Smash (2004), von einer Veränderung auf dem Produzentenstuhl profitieren könnten, schlicht um einen neuen Impuls zu setzen. Man trennt sich schließlich im Guten von Schneider, der – ganz Mentor, der er für die Beatsteaks so lange war – eine letzte väterliche Empfehlung mit auf den Weg gibt, so Teutoburg-Weiß: “Moses meinte: ‘Okay, dann macht mal mit jemand anderem, aber nur mit Olaf Opal!'”
Ein Schlag von einem Typ
Olaf Opal, Produzent unter anderem von The Notwists Meisterwerk “Neon Golden” (2002) ,ist ein Routinier im Musikbusiness und ein erfrischender Neuzugang im Team Beatsteaks. “Ein ‘Schlach’ von einem Typ”, sagt Götz grinsend und spielt damit auf den Herkunftshumor des Ruhrpottlers an. “Er hat mich als Sänger extrem rangenommen, und das fand ich ganz toll”, schwärmt Teutoburg-Weiß und erinnert sich an Opals gängige Redewendungen während der Aufnahmen: “Manchmal hat er sich zu Thomas umgedreht und gefragt: ‘Ist das noch BS?’ oder ‘Das ist hot!’, wenn ihm was gefallen hat.” So nehmen die elf neuen Songs allmählich Form an. Etwa als Teutoburg-Weiß mit der Melodie zur ersten Single “Detractors” um die Ecke kommt, in einer vorläufigen, sehr poppigen Version, die nach Meinung des Produzenten deutlich nach mehr Unruhe verlangt: “Er ging dann im Proberaum rum und schrie ‘The Jesus And Mary Chain‘! Da wusste Thomas direkt, okay, das braucht ganz, ganz viel Hall. Dann ist er auf alle Gitarreneffektgeräte getreten, und plötzlich wurde aus dem Song eine Wand. Dit war schön! Ich hoffe, wir bekommen das live noch viel krasser hin, das ist auf Platte für mich fast nur angedeutet, aber ja, vielleicht übermorgen.” Opal ist als “egofreies” Neutrum immer zur Stelle, wenn die Beatsteaks drohen, sich in einer Mikroanalyse des eigenen Schaffens zu verlieren und alles nur noch unter der Lupe zu betrachten. Die Anweisung des Produzenten ist laut Teutoburg-Weiß klar: “Vielleicht auch mal nach einer Stunde die Session beenden und ein Bier aufmachen. Es kommt so ein Perfektionismus mit der Zeit, dann denkst du die Ideen tot und laberst dir einen. Das kennen wohl alle, die lange Musik machen.”
Schon mit dem Albumopener “Goodbye” setzen die Beatsteaks den Rat ihres Neuproduzenten um. Der Song verfügt über einen für die Band untypischen, vor Bass triefenden Low-Tempo-Puls, der einen langsamen, lasziven und daher umso stärkeren hypnotischen Sog entwickelt und nicht nur den Hörenden beim ersten Mal perplex zurücklässt: “Den Eindruck, den du beschreibst, hatten wir auch alle gleich. Das kam aus seinem Rechner geschossen”, erklärt Teutoburg-Weiß den Ursprung des Songs und zeigt dabei auf Götz: „Die anderen und ich waren so: ‘Oh, da will ich mitmachen!’ Es gibt diese Bands, die einmal ihr Konzept finden und das dann durchziehen, aber das waren nie meine Lieblingsbands”, sagt er. “Ich bin Fan von den Neugierigen, von denen, die nicht stehen bleiben. Ich weiß auch, dass man manchmal diese eine Sache, diese fünf Jahre, diese zwei Platten einer Band für immer liebt, aber gerade, weil sie weiter gehen, folge ich diesen Bands bis heute. Und wenn wir da so ein bisschen dazugehören, mit unserem Hunger nach ‘Was können wir alles so machen zwischen unserem ersten Song ‘Unminded’ und dem aktuell letzten Song ‘Tonight’?’ – das ist doch geil!” Am Ende der Weiterentwicklung steht die Erkenntnis, dass die Alben der Band seit jeher nach Gefühl und nicht am Reißbrett entstehen. „Wir sind so eine vibe-abhängige Band. Eigentlich gilt es oft nur, die richtige Stimmung zu kreieren, dann ist ganz viel möglich.”
Zeitkapseln
Ein Ort, der einen ganz einzigartigen Vibe versprüht, kommt plötzlich am linken Spreeufer in Sicht: das Funkhaus Berlin (siehe Kasten). “Ich rufe da kurz an, dann können wir uns den Raum anschauen, wo wir Teile des neuen Albums aufgenommen haben”, verkündet Götz, als Steuermann Teutoburg-Weiß uns in Ermangelung einer offiziellen Anlegestelle nur kurz absetzt. Zu zweit geht es weiter durch den holzvertäfelten Haupteingang des historischen Gebäudekomplexes. Treppen hoch, über einen Flur mit charmant altem Parkett bis zu einer abgeschlossenen Tür. “Wir müssen einen anderen Weg nehmen, wir sind ganz nah dran, aber hier kommen wir nicht weiter”, sagt Götz und ergänzt beiläufig: “Guck mal hier, Studio K4, da haben wir ‘1998 Launched’ aufgenommen.” Es geht zurück in ein anderes Treppenhaus, der Blick wandert unwillkürlich an den Wänden entlang, bleibt am blätternden DDR-Putz hängen und an den zahlreichen Graffitis, Stickern und Edding-Kritzeleien, die noch jeden Proberaum wohnlich gemacht haben – und die man nur einen Steinwurf vom großen Orchestersaal mit seiner beeindruckenden Orgel oder dem repräsentativen Foyer nicht erwartet hätte.
Während wir außen ums Haus laufen, erzählt Götz, was die Beatsteaks mit dem Funkhaus verbindet: “Wir waren hier schon in allen möglichen Räumen. Hier gibt es ja unzählige Aufnahmestudios, vom großen Orchestersaal bis hin zum kleinen Raum, wo man nur mit seinem Laptop aufnehmen kann. Ich hatte hier lange einen Raum, da haben wir auch Teile von “Smack Smash” aufgenommen und unser Album Beatsteaks von 2014.” Ein weiteres Mal scheitern wir an einer verschlossenen Tür, wieder kehren wir um, wieder hat Götz schon die nächste Trivia parat: “Da oben im Turm war das Büro des Funkdirektors, ich durfte mir das mal anschauen, das sieht noch genau so aus, wie damals. Da steht noch das Blaupunkt-Tonbandgerät und alles.” Ein letztes Treppenhaus und wir stehen vorm ehemaligen Probe- und Aufnahmeraum des Schlagzeugers.
Von den orange-schwarzen Fließen vor der Eingangstür bis zum Kronleuchter im kleinen Regieraum wirkt es, als wäre man in eine Zeitkapsel getreten und deutlich vor 1989 gelandet: Gegenüber der rechten Fensterseite ist die Wand mit einem asymmetrischen Knick versehen, gesäumt von alten Steckverbindungen. Auf einem Paneel steckt noch mit den zugehörigen Steckern das Wort “Please”. Götz freut sich: “Witzig, dass das noch hier ist. Das haben wir gemacht, nachdem wir eines Mittags den Albumtitel entschieden haben. Dann war wohl nach uns niemand mehr hier drin.” Hinter den Steckpaneelen, die den Raum selbst von der linken Fensterfront abschirmen, verbirgt sich eine alte DDR-Telefonanlage unter einer ähnlich antiken Staubschicht, dahinter ein Synthesizer, zu dem Götz beiläufig einwirft: “Damit haben wir damals den Song ‘French Disko’ aufgenommen.”
Es ist nicht schwer, sich vorzustellen, wie wohl sich die Beatsteaks in diesen Räumen fühlen und sich der passende Vibe fast von selbst kreiert. Draußen in der Sonne lautet die nächste Quest: Teutoburg-Weiß und das Boot wiederfinden, Zeit also, um noch ein bisschen über die Aufnahmeorte von “Please” zu quatschen. “Wir waren auch im Columbia-Theater”, so Götz, “einem ehemaligen Kino für amerikanische Soldaten, mit sehr guter Akustik. Da haben wir sicher die Hälfte der Platte aufgenommen.” Auch bei diesem historischen Ort kommt er ins Schwärmen: “Das ist vor allem imposant, wenn du da drinstehst. Wenn du auf die Trommel haust, macht es dschjschjschjschjsch, das ist schon klasse. Wir haben uns vor der Bühne aufgebaut im Publikumsbereich, und Olaf hat ganz viel Technik mitgebracht.” Er stockt. “Hey, das Boot da kenn ich doch!” Mission erfüllt.
Don’t fuck with it!
Zurück auf der Spree kommt die Sprache auf die Coverversion “The Lunatics” vom neuen Album zu sprechen. Die Auswahl des Songs ist einem Kennenlernritual zu verdanken. So wie sich Hunde beschnuppern, wenn sie sich zum ersten Mal treffen, spielen sich Band und Produzent Musik vor, die sie mögen. Opal und Teutoburg-Weiß stellen so schnell eine geteilte Begeisterung für Fun Boy Three fest, die britische New-Wave-Band, der Terry Hall, Sänger der Specials, vorsteht. Vor allem deren erstes Album “The Fun Boy Three” läuft während der Aufnahmen zu “Please” rauf und runter. Zeitgleich arbeitet die Band an einem Loop, den ihnen DJ Illvibe (Seeed, Peter Fox) schenkt. Doch so richtig will sich daraus nichts entwickeln, bis Teutoburg-Weiß eine Idee hat: “Irgendwann kam Arnim aus seinem Räumchen und meinte: ‘Ey, wir können einfach dieses Fun-Boy-Three-Ding da drübermachen, ich kann da so drüber singen.’ Und das ist dann die Coverversion geworden.”
Zusätzlich holt die Band mit Sophie Labrey “eine alte Freundin der Familie” ins Boot, die den Song mit einem aufrüttelnden Rap-Part à la The Streets würzt. Dann folgt der Moment der Wahrheit: “Wir haben mit zittrigen Fingern das Ergebnis Olaf vorgespielt. Das war uns ganz wichtig, denn es gibt Musik und es gibt so unantastbaren Shit, und das ist für ihn diese Fun-Boy-Three-Platte. Da versteht er keinen Spaß. Don’t fuck with it!” Teutoburg-Weiß lacht und erinnert sich weiter an Opals Reaktion: “Zu unserem Cover meinte er: ‚Das ist eine große Geste. Das finde ich gut.'” Es ist diese neue Gelassenheit, die man
deutlich hören kann auf dem fertigen Album, was nicht heißt, dass es nicht auch mal Unstimmigkeiten im Studio gab, wie der Sänger einwirft: “Unsere fünf Köpfe musst du halt auch erst mal zusammenkriegen, und trotzdem darf kein fauler Kompromiss rauskommen. Die Musik muss der Sieger sein und nicht der Bandfrieden. Das ist die Herausforderung.”
Ein musikalischer Sieg geht auf “Please” an die Gitarren, die sich ein bisschen mehr Luft zum Atmen erlauben, gleichzeitig mehr Hall und generell größere Gesten. Eine Anmerkung, die Teutoburg-Weiß direkt aufgreift: “Das sind großartige Gitarren, und da denkt Peter die ganze Zeit, das ist keine Gitarrenplatte! Dabei haben die so upgelevelt, finde ich. Ich höre Peters Humor und Bernds Liebe zu hallenden Melodien”, wird er nicht müde, seine Bandkollegen Bernd Kurtzke und Peter Baumann zu preisen. Die Kunst, einen Ton auch mal stehen zu lassen und mit Pausen zu arbeiten, ist nichts, was den Beatsteaks im Studiokontext leicht von der Hand geht. Zu groß ist das Bedürfnis immer noch, etwas mehr in einen Song zu packen: “Love Like That” zum Beispiel, nennt Teutoburg-Weiß den ruhigsten Titel der Platte. “So ein einfaches, wunderschönes Lied, aber manchmal traut man sich das auch erst vor Leuten, weil einem im Studio das Publikum fehlt.” Götz stimmt zu. “Dann fügt man hier und da noch eine Harmonie zu. Live dagegen kann man dann auch mal Zeit vergehen lassen, ohne dass ständig irgendwas passieren muss.”
Beatsteaks (Foto: Timmy Hargesheimer)
»Der eine sagt nicht mehr, was ist, und der andere fragt nicht mehr, was ist. Damit können Leute ins Grab gehen, das kann man ewig treiben.«
Thomas Götz
Endorphine für alle
Die Beatsteaks wären nicht die Beatsteaks, wenn sie die Veröffentlichung ihres neunten Albums nicht mit einer riesigen Konzertsause in der Wuhlheide feiern würden – Live-Adel verpflichtet, und ausverkauft sind die Open-Airs auch schon längst. Die Sehnsucht nach einer Tour ist nicht nur auf Seiten der Fans groß. Das wird klar, wenn man den Schwärmereien des Sängers zuhört: “Unsere Crew ist voll toller Menschen. Auch das bedeutet Touren für mich: mit Richy vom Merch ein Bier zu trinken und einfach wieder die Leute zu treffen, die schon immer zu uns kommen, immer und immer wieder. Dann bekommst du plötzlich wieder eine Gänsehaut, weil wir “Ain’t Complaining” spielen, da gibt es so viele Chancen, eine gute Zeit zu haben.” – “Endorphine für alle!”, wirft Götz von der Seite ein. Nicht zu vergessen, die neuen Songs, die ja auch noch in die Setliste eingefügt werden wollen und bei deren Erwähnung Teutoburg-Weiß euphorisch wird: “Ich würde sie gerne alle versuchen. Wir wollen viel von der Platte live spielen. Ganz sicher. Mindestens fünf Songs. Drunter mach ich’s nicht. Sonst schreib ich “I Don’t Care As Long As You Sing” nicht auf die Setliste.”
Das wäre gerade im Jubiläumsjahr von “Smack Smash” für Fans eine herbe Enttäuschung, und so zieht sich eine Sekunde später schon wieder ein schelmisches Grinsen über das Gesicht des Sängers: “Das ist natürlich ein Witz, den spielen wir immer. Natürlich spielen wir die Songs, die es uns ermöglicht haben, immer noch das zu machen, was wir machen.” Der Beatsteaks-Livesommer kann also kommen – und was dann? Die Frage drängt sich auf, immerhin nennt die Band Please den “Beginn eines neuen Kapitels”. Wer weiß, wo die Reise hingeht, aber eines wünscht sich Teutoburg-Weiß schon jetzt: “Das dauert jetzt bitte nicht noch mal sieben Jahre bis zur nächsten Veröffentlichung. Was auch immer wir uns da jetzt so ausspinnen.”
“Please” erscheint am 28. Juni über das neue bandeigene Label BeatRec im Vertrieb von Warner und kann immer noch vorbestellt werden.
Viele Musikschaffende, Fans und andere Streaminganbieter waren über Daniel Eks Aussagen alles andere als glücklich. Der Spotify-CEO hatte vor einer knappen Woche einen Post auf X (Twitter) abgesetzt, in dem er behauptete, dass “die Kosten für die Musikproduktion heutzutage praktisch gegen null gehen”, deshalb “können die Menschen eine unglaubliche Menge an Content teilen”. Mit dieser Aussage löste er jedoch eine Kontroverse aus.
Ähnlich kontrovers schrieb er in dem Tweet weiter über das Konzept von Haltbarkeit der Musik. Während vieles von dem, was wir sehen und hören, schnell veraltet sei, gebe es zeitlose Ideen oder sogar Musikstücke, die über Jahrzehnte oder sogar Jahrhunderte relevant bleiben können. Ek denke darüber nach, was die unintuitivsten, aber beständigsten Ideen seien, die heute nicht häufig diskutiert werden, aber eine lange Lebensdauer haben könnten.
Today, with the cost of creating content being close to zero, people can share an incredible amount of content. This has sparked my curiosity about the concept of long shelf life versus short shelf life. While much of what we see and hear quickly becomes obsolete, there are…
Die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten. Viele Künstler:innen und weitere Menschen aus der Musikbranche fühlten sich offensichtlich ungesehen und falsch behandelt. Die Hauptkritikpunkte in den Reaktionen waren, dass Musik zum einen mehr sei als “Content”. Zum anderen, dass die Produktion und Veröffentlichung bei weitem nicht kostenlos oder billig sei.
Die konkurrierende Streaming-Plattform Tidal meldete sich daraufhin zu Wort. Sie stellte sich gegen die Aussagen des Spotify-Chefs und betonte, dass sie Musik als Kunst betrachtet und nicht nur als “Content”. Tidal erklärte, dass Kunst unbezahlbar sei und dass die Kosten viel mehr als nur Geld seien. Es gehe auch um Herz und Mühe. KT Tunstall bezeichnete Eks Aussagen etwa als kurzsichtig und erklärt, dass es zwar möglich sei, Musik billig zu machen, aber man braucht trotzdem Equipment und muss seine Mitarbeiter:innen fair bezahlen.
Come on, Daniel. Art is priceless and its “cost” is much more than just money, it’s heart and effort. We thought everyone knew that. https://t.co/5yaoGhkwK6
It’s *possible* to make music cheaply, but you still need equipment. And making music the way I make it also employs other people and takes time, so yes. It’s such a completely fucking myopic thing for him to say.
Auch die Organisation The Future of Music Coalition und die Primal Scream-Bassistin Simone Marie Butler äußerten sich kritisch zu Eks Aussagen, wobei Letztere Ek sogar als “realitätsfremden Milliardär” bezeichnete.
It actually can still be expensive to make records, especially if you care about paying your collaborators fairly. https://t.co/Um5DNDNeS7
— Future of Music Coalition (@future_of_music) May 29, 2024
Fünf Tage, nachdem Daniel Ek behauptet hatte, Musik lasse sich heute quasi gratis produzieren, rudert der Spotify-CEO zurück. Er habe sich zu vage und ungeschickt ausgedrückt, veröffentlichte er in einem weiteren Update und entschuldigte sich für seine Äußerungen. Er erkannte an, dass sein ursprünglicher Beitrag schwammig und seine Definition von “Content” ungeschickt war. Seine Absicht sei nicht gewesen, die Schwierigkeiten und den Aufwand, die mit der Schaffung von Kunstwerken verbunden sind, herunterzuspielen. Er betonte, dass sein Fokus darauf lag, wie man in einer Welt der ständigen Schöpfung bedeutungsvolle Ideen und Kunstwerke erkennen kann, ohne dass sie im Lärm untergehen.
Obviously seeing the feedback to this one and wanted to respond. It’s clear I was far too vague in the post, including with my clumsy definition of content. I understand how it came across as very reductive and that wasn’t my intent. Just to clarify – my original point was not to… https://t.co/kMR0zE17Ay
Ein Grund für die starke Gegenreaktion zu seiner Aussage könnte auch sein, dass Spotify sich mit seinen wirtschaftlichen Entscheidungen in letzter Zeit ebenfalls unbeliebter gemacht hat. In den jüngsten Berichten werden Rekordgewinne des Unternehmens verzeichnet. Dennoch wurden Stellen abgebaut und die Abonnementpreise erhöht. Spotify kündigte Ende 2023 an, 17 Prozent seiner Belegschaft zu entlassen, um Kosten zu sparen. Zuvor hatte das Unternehmen bereits beschlossen, weitere 6 Prozent der Mitarbeiter zu entlassen. Darüber hinaus hat Spotify beschlossen, alle Songs mit weniger als 1.000 Streams auf der Plattform zu demonetarisieren, was zu Kritik geführt hat. Trotzdem verzeichnet Spotify einen Anstieg von 14 Prozent bei den Premium-Abonnent:innen im ersten Quartal und plant erneut, die Preise für die monatliche Premium-Mitgliedschaft zu erhöhen. Immer wieder melden sich Künstler:innen zu Wort, die sich über die aktuelle finanzielle Unsicherheit durch die Streaminglandschaft beschweren.
Leprous aus Norwegen haben ihr mittlerweile achtes Studioalbum “Melodies Of Atonement” für diesen Sommer angekündigt. Neben der Albumankündigung veröffentlichen die Prog-Metaller die Single “Atonement”, auf der sie sich klanglich weiterentwickeln. “‘Atonement‘ ist eine andere Art von Single als das, was wir bisher gemacht haben. Sie ist hart, eingängig und kommt direkt auf den Punkt”, erklärt Frontmann Einar Solberg. “Es ist ein Song, von dem wir glauben, dass er alte und neue Fans vereint, während er gleichzeitig einen frischen und neuen Sound hat … das ist der Sound von Leprous im Jahr 2024.”
Beim offenbar neuen Leprous-Sound fehlen also die Orchester-Elemente. Die Band begründet die Entscheidung damit, dass sie den Fokus so mehr auf die Bandmitglieder legen möchten. “Atonement” scheint dabei stilprägend für das Album zu sein. Auf Social Media schreiben Leprous über ihr neues Album weiter: “Es kommt direkt zum Punkt und ist härter, als wir seit einer Weile waren.”
Dass sowohl die neue Single, als auch vermutlich das neue Album, “immer noch Leprous” sind, liegt nicht zuletzt an dem dominanten Gesang und dem Stimmumfang von Solberg. Dieser schafft es in “Atonement” eine Bandbreite von trist und niedergeschlagen bis hin zu epischem Gefühlsausbruch abzudecken.
Wer aber die Orchester-Elemente vermisst, muss nicht traurig sein. Denn der Sänger kündigte bereits an, “die symphonischen Teile später in [sein] Soloprojekt mitzunehmen”. Als Solokünstler veröffentlichte Solberg vorheriges Jahr sein Album “16”. Das noch aktuelle Album mit seiner Band, “Aphelion”, erschien 2021.
“Melodies Of Atonement” erscheint am 30. August über InsideOutMusic. Das Album ist bereits jetzt vorbestellbar.
Jonas, parallel zu deinem Buch erscheint beim NDR eine Dokumentation über die Hamburger Schule – sind die beiden Projekte unabhängig voneinander entstanden?
Jonas Engelmann: Ja, tatsächlich. Wir haben erst während des Prozesses festgestellt, dass beides parallel passiert, und haben uns letztlich getroffen. Das Thema liegt wohl in der Luft.
Woran liegt das? Gab es einen aktuellen Anlass für dein Buch?
Nein, den gab es nicht, aber ich habe eine Ahnung, warum das Thema gerade jetzt interessant sein könnte: Die Hamburger Schule war eine Szene, die weniger über homogene Musik funktionierte, sondern eher über einen gemeinsamen kritischen Blick auf Gesellschaft. Und zwar auf eine, die in den frühen 90ern in einer politisch aufgeladenen Situation war. Es gab die Brandanschläge der Rechten kurz nach der Wiedervereinigung, es herrschte eine diffuse, bedrohliche Stimmung. So ähnlich fühlt sich das gerade vielleicht auch an. Wir leben in einer politisch aufgeladenen Zeit, in der man sich wünschen würde, dass eine Musikszene geschlossen darauf reagiert und sich dem entgegenstellt. Manchmal sind es solche Grundgefühle, die etwas wieder aufleben lassen.
War die Hamburger Schule zu Beginn eine explizit politische Bewegung?
Gerade die allerersten Bands, die später unter diesem Begriff subsumiert wurden – etwa Kolossale Jugend oder Cpt. Kirk &. –, hatten explizit ein politisches Programm. Die haben versucht, eine neue Sprache zu finden, um auf politische Situationen zu reagieren, und haben sich auch jenseits ihrer Platten politisch positioniert. Es gab unter anderem eine gemeinsame Tour durch Ostdeutschland, die Aufklärungscharakter haben sollte. Der Impuls, über Musik politische Aufklärung zu betreiben, stand anfangs im Zentrum. Das hat sich später aufgelöst.
Die Haltung ist geblieben, ebenso wie die Bedeutsamkeit der Texte, auf die auch der Buchtitel “Der Text ist meine Party” anspielt?
Die Texte waren und sind für diese Bands sehr wichtig. Der Titel stammt aus dem Kolossale-Jugend-Song “Party”, den Kristof Schreuf gesungen hat. Er war der erste neben Tobias Levin von Cpt. Kirk &., der versucht hat, andere Texte zu schreiben – auf Deutsch. Die Hamburger Schule war eine Musikszene, in der zum ersten Mal seit langem wieder auf Deutsch getextet wurde. Nach der Kommerzialisierung der Neuen Deutschen Welle hatte keiner mehr Lust dazu. Die Hamburger Schule hat versucht, ihre Texte und die deutsche Sprache als Werkzeug zu benutzen, um damit Fragen an Gesellschaft zu stellen.
Gibt es Ausläufer der Hamburger Schule heute noch?
Im Buch habe ich bewusst eine zeitliche Klammer gesetzt, von den Anfängen bis ungefähr zur Jahrtausendwende, weil in der Zeit das Zentrale passiert ist. Es gab oder gibt danach aber immer noch einige Bands – Tocotronic sind mittlerweile groß und funktionieren ganz anders als noch vor 25 Jahren. Das Ganze hat sich geöffnet: von Tomte bis Kettcar, aber auch 2raumwohnung. Einige Bands davon sind viel größer geworden als die Hamburger-Schule-Bands selbst, Sportfreunde Stiller oder Kettcar etwa. Bands wie Ostzonensuppenwürfelmachenkrebs kennt hingegen kaum jemand. Letztlich haben die aber das vorbereitet, was später erfolgreich wurde.
Konntest du bei den Interviews, die du geführt hast, so etwas wie Neid der ersten Generation auf die erfolgreichere zweite feststellen?
Jan Müller von Tocotronic sagt in dem Buch, dass die zweite Generation sehr wohlwollend aufgenommen wurde in die Szene. Das war – zumindest am Anfang – eine erstaunlich neidlose Szene. Man hat sich gegenseitig unterstützt und ist zusammen auf Tour gegangen. Es gab ein starkes Gemeinschaftsgefühl, wobei das im Rückblick auch etwas verklärend sein kann. Denn es gibt auch Leute, die es als problematisch beschreiben, dass andere Bands von dem profitiert haben, was sie vorbereitet haben. Eine Band wie Kolossale Jugend, die von allen als der wichtigste Startpunkt für die Hamburger Schule genannt wird, hat vielleicht 2000 Platten verkauft und sich nach zwei Jahren aufgelöst. Die waren einfach zu früh dran. Es steht also schon im Raum, dass manche nicht die Aufmerksamkeit bekommen haben, die sie verdient hätten. Neid ist vielleicht zu viel gesagt, aber ein gewisses Bedauern merkt man schon. Dieses Gemeinschaftliche hat sich ab Mitte der 90er jedenfalls recht schnell ausdifferenziert.
Hat dich bei deinen Recherchen etwas überrascht, was du damals anders erlebt hattest?
Ich habe vieles gelernt, zum Beispiel wie die Anfänge der Szene aussahen und wie die Strukturen entstanden sind. Ich habe Bands wie We Smile entdeckt. Mein grundsätzlicher Blick der Sympathie hat sich aber nicht geändert, der hat sich eher noch verstärkt. Die Leute reden sehr bestimmt davon, wie wichtig diese Szene, die Musik und die Strukturen für sie waren; darüber, welche Rolle das für ihren Werdegang gespielt hat und bis heute spielt. Es hat etwas Lebensbestimmendes für sie gehabt, dass sie damals entschieden haben, auf diese Art und Weise Musik zu machen, anders zu leben und Kritik zu üben über die Kunst. Das finde ich eine schöne Erkenntnis.
“You’re So Impatient” gibt sich als explosiver Indiepunk-Song mit Iggy Pop auf der Schulter, der laut Frontmann Black Francis auf eine wildromantische Zombie-Attacke im Einkaufszentrum anspielt. Ab dem 19. Juli gib es den Song auch als limitierte 7-Inch-Single. Die Platte kann schon vorbestellt werden.
Auf der B-Seite nehmen sich die Pixies umso mehr zurück und covern Doris Days Klassiker “Que Sera Sera” von 1956 mit einem croonenden Black Francis und etwas zu viel Kitsch. Mit den neuen Songs will die Band ein makabres, cineastisches Bild der US-Popkultur zeichnen.
Während die Pixies dieses Jahr rund 70 Shows in Europa und Nordamerika spielen, steht in Deutschland am 8. August nur ein Termin in Schwetzingen bei Musik im Park an. Dann hat die Band vielleicht aber auch schon mehr neue Songs im Gepäck, neue Musik soll nämlich schon bald angekündigt werden. Noch aktuell: Ihr 2022er Album “Doggerel”.
Am 26. April ist Alex Henry Fosters neues Album “Kimiyo” erschienen, das den Auftakt zu seiner Projektreihe “Voyage À La Mer” darstellt, die auf einer prägenden Reise von Foster nach Japan im Jahr 2010 beruht. Heute veröffentlicht Foster mit dem Video zum Song “A Vessel Astray”, der ebenfalls mit “Kimiyo” erschienen ist, einen Ausschnitt aus seinem selbstproduzierten Kinofilm, der im Herbst Premiere feiern soll.
Laut Foster ist das Video “inspiriert von der spirituellen Idee der Seelenreinigung, die der japanischen Kultur eigen ist”. Der Song soll sich außerdem um “das Gefühl der Akzeptanz, das durch Ehrlichkeit und Eingeständnis definiert wird” drehen. Auch für diese Single hat Foster Unterstützung von der in Montreal lebenden japanischen Künstlerin Momoka Tobari bekommen, die auch maßgeblich an der Gestaltung des Albums mitgewirkt hat.
Erst am Freitag spielte Foster nach seiner Comeback-Show beim Orange Blossom Special eine weitere enthusiastische Show mit reichlich Fankontakt beim Freak Valley Festival. Das Konzert wurde live vom Rockpalast übertragen. Das rund 70-minütigen mit drei unveröffentlichte Songs sowie zwei seiner üblichen Fan-Favoriten kann man sich auch noch nachträglich anschauen.
Im Juli spielt Foster noch einige weitere Konzerte und Festivalauftritte in Deutschland. Tickets dafür gibt es an allen bekannten Vorverkaufsstellen.
Live: Alex Henry Foster
19.07. Loreley – Night Of The Prog
24.07. Tübingen – Sudhaus Peripherie
25.07. Breitenbach am Herzberg – Herzberg Festival
27.07. Köln – Kantine Open Air
Regelmäßig landet das 1972 veröffentlichte “Ege Bamysi” der Krautrock-Legenden Can auf diversen Hitlisten der besten, wichtigsten, einflussreichsten, tollsten, superlativsten Alben aller Zeiten. Trotz des kommerziellen Erfolges und des anhaltenden Lobes von Kritikern gilt die Band bis heute eher als etwas für Liebhaber – ganz so wie die auf dem Albumcover abgebildeten Okraschoten.
In fetten, weißen Lettern steht das Wort “CAN” auf einer Dose. Die Buchstaben schweben vor einer körnigen Aufnahme frischer Okraschoten, deren grünes Wirrwarr lediglich von einer knallroten Tomate und einem weiteren Schriftzug unterbrochen wird – “Ege Bamyasi – Okraschoten”. Der leichte Schwung der Aluminiumränder sowie die schwindenden Rundungen setzen sich deutlich vom schwarzen Hintergrund ab. Das vom Grafik-Duo Ingo Trauer und Richard J. Rudow gestaltete Cover lebt von einer genialen Einfachheit, die einen absolut schnöden Alltagsgegenstand in einem vollkommen neuen Kontext erscheinen lässt. Einem Interview mit Keyboarder und Komponist Irmin Schmidt aus dem Jahr 2006 zufolge fand sein Bandkollege und Schlagzeuger Jaki Liebezeit die Dose in einem türkischen Lebensmittelgeschäft, und der Markenname “Can” ist das türkische Wort für “Leben”.
Das Cover ist eine klare Referenz zu einer der bekanntesten Ikonen amerikanischer Pop-Art, Andy Warhols “Campbell’s Soup Cans”. Das Kunstwerk besteht aus zweiunddreißig Leinwänden, auf denen jeweils eine Campbell’s Soup-Dose abgebildet ist – eine von jeder der damals angebotenen Dosensuppen-Sorten. Produziert zwischen November 1961 und Juni 1962 ist vor allen Dingen die Tomatensuppe zum unverwechselbaren Markenzeichen einer ganzen Bewegung geworden. Dieses Kunstwerk, das heute in fast jedem Museumsshop als Poster erhältlich ist, ist Teil einer langen Reihe künstlerischer Experimente und Versuche, eine Haltung und ein Verhältnis zu einer Welt zu entwickeln, in der visuelle Erzeugnisse im Überfluss verfügbar sind. Als Urheber der schamlosen Verwendung vorproduzierter Gegenstände gilt Marcel Duchamp mit seiner 1917 entstandenen Readymade-Skulptur “Fountain”, die aus einem mit “R. Mutt” signierten Porzellanurinal besteht.
Gemein ist diesen in verschiedenen Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts entstandenen Kunstwerken und Produkten visueller Kultur, dass sie unsere Sehgewohnheiten herausfordern, moderne Lebens- und Wahrnehmungsräume kritisieren und nach Wegen suchen, das Erhabene im Alltag erlebbar zu machen oder dessen Fehlen durch ironische Verschiebungen zu betonen. Die Musik von Can spiegelt diese Qualitäten wider. “Ege Bamyasi” wird häufig als psychedelischer Rock beschrieben, der Funk mit esoterischen Klängen und ausschweifenden Soundeskapaden vermischt. Die treibenden Rhythmen des Schlagzeuges, die wilden Gitarrenriffs, der stampfende Bass, die experimentellen Klänge der Synthesizer sowie der unberechenbare Gesang sorgen für eine seltsame Balance aus Chaos und Wohlklang, die dem ganzen Album eine extrem einprägsame Spannung verleihen.
“Vitamin C”, der dank wiederholter Verwendung in verschiedenen Hollywood-Produktionen wahrscheinlich bekannteste Titel des Albums, ist ein erstaunlich emotionales und melancholisches Lied über Materialismus, Armut und Privilegien. Der aus den Worten “Hey you, you’re losing your Vitamin C” bestehende Refrain ist eine Hymne gegen das Abreiben an der Monotonie des Alltages und eine Musik gewordene Erinnerung daran, dass das Leben mehr ist als Geld und Güter. Ein Hinweis an all jene, die an einem Defizit wichtiger Spurenelemente leiden: Okraschoten sind voller Ballaststoffen und auch reich an Vitamin C.