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Label-Report Dine Alone Records

Label-Reports, Teil 5: Dine Alone

Wollen statt müssen
Für die einen ist Dine Alone Records nur der kanadische Vertrieb für Größen wie Jimmy Eat World. Doch wer genauer hinschaut und vor allem hinhört, dem wird schnell klar, dass die moderne Punk- und Hardcore-Szene Ontarios und eigentlich des ganzen Landes ohne Joel Carrieres Label nicht dort stünde, wo sie jetzt steht. Sein Erfolgsgeheimnis: Trotz Enttäuschungen korrekt zu bleiben und Fans und Bands an allererste Stelle zu setzen.
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Klamotten, Platten, Skatedecks: Wer heute etwas braucht, shoppt immer häufiger online, während Traditionsläden aus der und für die Subkultur sich mal mehr, mal weniger erfolgreich gegen die Gentrifizierung wehren. Früher dagegen streunte man durch Fußgängerzonen oder Szenebezirke und besorgte sich die gewünschte Ware häufig von den Geschäftsinhaber:innen selbst. Manchmal verschlug es einen sogar in einen der großen Einkaufstempel, in denen sich auch heute noch Boutique an Boutique reiht, sich aber manchmal auch ein Nerd-Kleinod finden lässt. Ein Treffpunkt für Subkulturen waren diese Einkaufszentren hierzulande aber nie.

Anders sah es auf dem nordamerikanischen Kontinent aus, dessen Malls vor allem von jungen Leuten als Ausflugsziel genutzt wurden. Zwischen den 60ern und 90ern hatten diese Orte, trotz ihres Fokus auf ungebändigten Konsum, fast schon eine magische Aura. Als Joel Carriere den Grundstein für sein späteres Label legt, liegt diese Form des Einkaufszentrums schon im Sterben. Wissen kann Carriere das natürlich nicht, als er als Verkäufer im Plattenladen Sam The Record Man in der Pen Centre Mall in St. Catharines südlich von Toronto arbeitet, aber es hat etwas Poetisches, dass er den Grundstein für seine Karriere in einer sterbenden Umgebung legt. Carriere ist zwar laut eigener Aussage nicht musikalisch begabt, brennt aber schon immer für Musik. „Solange ich denken kann, habe ich am Soundtrack meines Lebens geschraubt“, sagt der Dine-Alone-Gründer. „Ich liebe Musik nicht nur, ich brauche sie. Sie hat mich nicht beeinflusst, sie ist Teil meiner Seele.“

Vielleicht ist es Zufall, vielleicht Bestimmung, dass er neben zahlreichen Kontakten in die Musikbranche während seiner Arbeit auch eine Art Seelenverwandten trifft: Dallas Green, der zu dieser Zeit im selben Konsumtempel in einem Skate-Shop arbeitet. „Joel hatte eine Abteilung im Laden, die er mit Sonderbestellungen von tollen Punk- und Hardcore-Platten auffüllte“, sagt Green im Buch „Hearts On Fire: Six Years That Changed Canadian Music 2000-2005“ über seinen zukünftigen Freund und Geschäftspartner. „Wenn du auch nur einen Hauch Ahnung von etwas abseits des Mainstreams hattest, hast du mit Joel gesprochen. Er hat mir die Constantines gezeigt, und sie haben mich total weggeblasen.“ Als sich Carriere und Green um die Jahrtausendwende herum das erste Mal begegnen, beendet der Labelmacher in spe gerade seine kurze Karriere als Kundendienstmitarbeiter bei Polygram Records und sein Musiker-Freund spielt in einem Trio namens Helicon Blue. Green ist überzeugt, dass Carriere seine Band lieben wird. „Wir hatten sofort eine Verbindung zueinander, dank unserer Obsession für Musik“, erzählt Carriere. „Ohne die über 20-jährige Partnerschaft mit Dallas säße ich heute nicht hier und würde nicht über Dine Alone reden.“

»Solange ich denken kann, habe ich am Soundtrack meines Lebens geschraubt.«
Joel Carriere

Zu Beginn fällt diese Partnerschaft noch überschaubar aus. Carriere, zu dessen Jobs auch das Veranstalten von Shows gehört, hilft der Band als Promoter aus, bevor sie sich Anfang der 00er Jahre auflöst. Die Beziehung von Green und Carriere vertieft sich ab diesem Zeitpunkt allerdings nur noch mehr. Als Green zusammen mit Sänger George Pettit, Gitarrist Wade MacNeil, Bassist Chris Steele und Schlagzeuger Jesse Ingelevics Ende 2001 Alexisonfire gründet, ist Carriere von Anfang an als Manager mit im Boot. Der durchschlagende Erfolg der Band im Rahmen des Emocore-Booms der frühen 00er Jahre kommt dem zukünftigen Labelchef mehr als gelegen, denn sein Job bei Polygram motiviert ihn, auf eigenen Füßen zu stehen. „Ich saß in diesen riesigen Meetings mit wichtigen, mächtigen Leuten und keiner hörte sich meine Ideen an“, erzählt Carriere im Interview mit dem Onlinemagazin Exclaim. „Das hat mich irgendwie gestört, und führte letztlich dazu, dass ich mein eigenes Ding machen wollte.“

Carrieres eigenes Ding sind zu Beginn die Webseite Bedlam Society und Bedlam Management, das sich Stand 2015 nicht nur um die Belange von Alexisonfire kümmert, sondern auch um die von Dallas Greens Soloprojekt City And Colour, Moneen, Say Yes und You+Me, Greens Kooperation mit Popstar Pink. Es fällt auf: Green ist in Carrieres musikalischem Werdegang die einzige wirkliche Konstante. Trotzdem kommt der Dine-Alone-Chef trotz des langgehegten Wunsches erst mal nicht auf die Idee, ein eigenes Label zu gründen, und hält sich als Manager beschäftigt. Das ändert sich erst, als City And Colour Form annimmt. „Dallas und ich waren uns einig, dass City And Colour ein eigenes Label-Zuhause brauchte“, sagt Carriere. Alexisonfire hatten ihre ersten beiden Platten „Alexisonfire“ und „Watch Out!“ auf dem befreundeten Label Distort veröffentlicht. „Alexisonfire waren damals die klare Priorität, und uns war klar, dass wir die Karriere von City And Colour nicht so steuern können, wie wir uns das wünschen, wenn wir einen Vertrag mit einem anderen Label unterzeichnen.“ Die Idee stand also bereits, fehlte nur noch der passende Name.

Neue Ufer

Als Carriere im Dezember 2004 ein Konzert der Eagles Of Death Metal besucht, schließt sich der Kreis – so erzählt der Firmengründer es zehn Jahre später in einem Blogbeitrag auf der Dine-Alone-Homepage, in dem er anlässlich des Jubiläums über die Anfänge seiner Firma sinniert. Quicksand gehörten laut Carriere schon immer zu seinen Lieblingsbands, und Walking Concert, die neue Band von Quicksand-Sänger Walter Schreifels, gibt an besagtem Abend den Support. Über sein Management-Netzwerk organisiert Carriere ein Aftershow-Treffen mit Eagles-Of-Death-Metal-Sänger Jesse Hughes, zu dem auch Schreifels stößt. Carriere fragt sein musikalisches Idol, ob er seine neue Plattenfirma nach seinem Lieblingssong von Quicksand Dine Alone nennen darf. Schreifels war laut Carriere „geschmeichelt und mochte die Idee“, der Rest ist Geschichte.

Mit einem Namen, einer Idee und einer ersten potenziellen Veröffentlichung im Gepäck macht sich Carriere in den nächsten Monaten Gedanken über die Finanzierung seines neuen Babys. Wie bei vermutlich jedem Label ohne Major-Rückhalt regelt der frisch gebackene Dine-Alone-Chef seine Geschäfte von zu Hause aus seinem Schlafzimmer und konzentriert sich zu Beginn darauf, Platten von Freund:innen zu veröffentlichen. Leichter hat es das Ganze aber nicht gemacht. „Wenn du nicht aus einer vermögenden Familie kommst, lernst du schnell, unkonventionell zu denken und wie du möglichst viel aus einem Dollar rausholst“, sagt Carriere. „Dine Alone hat keine Investor:innen und keine Partner. Es gibt keine superreiche Person, die das Label insgeheim finanziert. Meine ersten Veröffentlichungen stammen von meinen Klienten und Freunden, und danach musste ich einfach sehen, dass ich klug reinvestiere und darauf aufbaue.“

Neben „Sometimes“, dem Debütalbum von City And Colour, veröffentlicht Dine Alone innerhalb weniger Monate zwei weitere EPs von Dallas Green, das zweite Album der UK-Metalcore-Band Johnny Truant, eine Split von Alexisonfire und Moneen sowie die dritte Platte der kanadischen Melodic-Hardcore-Punks The Fullblast. 2006 wird es wieder etwas ruhiger um das Label. Das dürfte auch daran liegen, dass Carriere aus dem heimischen St. Catharines einmal quer über den Lake Ontario nach Toronto zieht, um seine Pläne in einem fruchtbareren Umfeld in die Tat umzusetzen. Der Labelgründer bezieht ein Büro direkt gegenüber von der Kultkneipe und Konzertlocation Horseshoe Tavern, zwischen Chinatown und Containerhafen, nicht weit weg von den ebenfalls legendären Locations Sneaky Dee’s und Bovine Sex Club. Auch das folgende Jahr ist eher eine Fahrt auf dem Beschleunigungsstreifen als auf der Überholspur, legt aber zwei weitere wichtige Grundsteine für die Zukunft des Labels: Zum einen veröffentlicht Dine Alone die dritte Platte der Ska-Band Bedouin Soundclash, die auf Platz zwei der kanadischen Albumcharts einsteigt – ein Fakt, der laut Carriere auch gefährlich hätte enden können. „Du kannst dich darin verlieren, in Kanada groß zu werden“, sagt er gegenüber Exclaim. „Wenn du wirklich ambitioniert sein willst, musst du dich auf die USA konzentrieren.“

Zum anderen erscheint 2007 auch „Marriage“ von Attack In Black, einer dramatisch unterschätzten Band unter der Ägide von Gitarrist und Sänger Daniel Romano und seinem Bruder Ian am Schlagzeug. Die Platte ist nicht nur ein von der Industrie verkannter, von Fans und Kritikern aber heißgeliebter Mix aus Punkrock, Folk und Indie, der die musikalische Marschrichtung des Labels über die kommenden Jahre bestimmen soll, sondern auch Carrieres aktuelle Lieblingsplatte aus seinem Backkatalog. „Diese Platte war ihrer Zeit voraus. Wenn du das Album jetzt auflegst, kannst du es keiner bestimmten Periode zuordnen, aber du weißt, dass du eine perfekte Platte hörst“, so der Labelboss. „Jeder Song geht perfekt in den nächsten über, sodass du nicht aufhören kannst, zuzuhören, und textlich ist das Album auf einem Level, das viele gerne erreichen würden, aber es niemals schaffen. So klingt für mich Perfektion.“

Ehrlich, ethisch, integer

Auch 2008 macht Carriere wieder an der Gabelung zwischen Folk und Punk Halt, als er Sleepercar unter Vertrag nimmt. Das Soloprojekt von Sparta-Sänger Jim Ward veröffentlicht nicht nur sein Debütalbum „West Texas“ auf Dine Alone, sondern tourt 2008 auch mit Labelkollege City And Colour. „Joel hat uns während der Toronto-Konzerte in seiner Wohnung pennen lassen“, erzählt Ward. „Es hat sich direkt wie Familie angefühlt.“ Trotz der Tiefschlafphase von Sleepercar kehrt Ward 2020 zu Dine Alone zurück, um das Comeback-Album von Sparta zu veröffentlichen – eine Entscheidung, die seitens eines Labels „Glaube und Unterstützung“ brauchte, die Ward nirgendwo anders bekommen hätte. „Ich weiß, dass es letztlich eine Geschäftsbeziehung ist und wir unterschiedliche Meinungen haben werden, aber Dine Alone ist so künstlerfreundlich wie kein anderes Label, auf dem ich je war. Und das waren einige.“

Nach stilistischen Ausflügen in Richtung Folk mit dem zweiten City-And-Colour-Album – und im Rahmen der Veröffentlichung des Arkells-Debütalbums Jackson Square auch in Richtung Soul – wird 2009 mit der Rückkehr zu den Punk- und Hardcore-Wurzeln seines Gründers wohl zu einem der prägendsten Jahre für das noch junge Label. Inmitten von Gerüchten um die Auflösung von Alexisonfire, Greens alter Band, die er in gewisser Hinsicht abgestreift hatte, gibt das Post-Hardcore-Quintett am 1. Februar bekannt, dass es ein neues Album namens Old Crows/Young Cardinals aufnehmen wird. Rund zwei Monate später macht die Band auch das zugehörige Label öffentlich: Dine Alone. Mit der vierten Platte der kanadischen Band schließt sich also der Kreis, den Carriere als Manager von Alexisonfire begonnen hatte, zum ersten Mal vollends.

Wohl auch wegen Carrieres Geschäftsphilosophie: Eine Band und sein Label sollen nach seiner Überzeugung nur dann eine Beziehung eingehen, wenn beide auch längerfristig zusammenarbeiten und gemeinsam wachsen wollen. „Ich sehe Dine Alone nicht als Sprungbrett. Unser Label basiert auf ehrlicher Arbeitsmoral und folgt einem klaren moralischen Kompass“, sagt er. „Wir wollen unsere Zeit nicht damit verschwenden, mit Menschen zu arbeiten, die das nicht respektieren oder nicht an die gleichen Werte glauben.“ Das Konzept geht auf: 2009 erreichen die jeweils aktuellen Platten von Alexisonfire und City And Colour die Top 3 der kanadischen Albumcharts und Carrieres Plattenfirma kann sich vor allem auf dem heimischen Markt etablieren. Nur der internationale Durchbruch lässt noch ein paar Jahre auf sich warten.

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Foto: Jesse Deflorio

»Dine Alone ist so künstlerfreundlich wie kein anderes Label, auf dem ich je war.«
Jim Ward, Sparta

Die Grundsteine dafür legen Dine Alone ab 2010 mit zahlreichen Vertriebspartnerschaften für Bands wie Tokyo Police Club oder The Jezabels. Zu einer festen Größe in der internationalen Labellandschaft wird Carrieres Firma 2012 mit dem Vertriebsdeal zum achten Marilyn Manson-Album „Born Villain“. Im selben Jahr veröffentlicht Dine Alone auch Platten von DZ Deathrays und den Folkrock-Durchstartern The Lumineers in Kanada, 2013 folgen so illustre Künstler*innen wie Kate Nash, Fidlar, Billy Bragg, We Are Scientists und Jimmy Eat World. Labelseitig hat Carriere das Phänomen „Canada Big“ spätestens jetzt abgewendet. „Das war unser ursprüngliches Erfolgsmodell“, erklärt Carriere sein Vorgehen. „Dadurch konnten wir wachsen und auf der internationalen Bühne sichtbar werden.“

Whisky und Kinderbücher

Trotz des Strebens in die große weite Welt bleibt Dine Alone fest in der kanadischen Szene verwurzelt. Auch wenn Carriere mit seinem Büro mittlerweile in das deutlich ruhigere Viertel Cabbagetown gezogen ist, liegen ihm trotzdem immer noch junge Bands am Herzen. The Dirty Nil zum Beispiel, die auf ihrem Debütalbum „Higher Power“ von 2016 – natürlich veröffentlicht von Dine Alone – Weezer den Schneid abkaufen. Die gemeinsame Historie beginnt allerdings schon vier Jahre früher. „Wir haben Joel im Sommer 2012 nach einer Show in St. Catharines getroffen. Wir waren sehr daran interessiert, mit ihm zusammenzuarbeiten, wollten uns aber erst mal die Hörner auf internationalen Touren abstoßen“, sagt Sänger und Gitarrist Luke Bentham. „Als wir aber ein Album zusammenhatten, waren sie unsere erste Wahl. Wir wussten, dass sie uns so laut und aneckend sein lassen würden, wie wir wollen. Dine Alone unterstützt aggressive Musik auf eine Art und Weise, wie es die meisten kanadischen Labels nicht tun.“

Zu seinem zehnjährigen Bestehen im Jahr 2015 wird die Motivation und Leidenschaft von Carriere nochmal deutlich. Statt nur einen Jubiläumssampler oder eine Labeltour zu organisieren, stellt der Dine-Alone-Chef eine ganze Armada besonderer Events zusammen. Spezielle Kassettenveröffentlichungen, ein Bus als mobile Konzertlocation, ein fahrbarer Plattenladen, ein eigener Whisky, limitierte Poster, Geldbörsen, Schlüsselanhänger, ein Kinderbuch, Retrospektiven auf der Label-Homepage: Carriere lässt nichts aus, um sich selbst und seine Bands gebührend zu feiern. Auch die kanadische Musikindustrie stimmt in den Reigen mit ein und wählt das Label 2015 bei den Canadian Music Industry Awards zum zweiten Mal in Folge zum „Canadian Independent Of The Year“.

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Alles unter einem Dach: Das Dine-Alone-Hauptquartier in Kanada beinhaltet Kneipe, Plattenladen, Studio, Konzertlocation und mehr (Foto: privat)

Trotz der Feierlichkeiten zur erfolgreichen Vergangenheit seines Labels blickt Carriere im Freudentaumel auch weiter in die Zukunft. Denn: Dine Alone ist auch seinem zweiten Zuhause, dem unscheinbaren Haus im viktorianischen Stil in Cabbagetown, längst entwachsen. Deswegen geht er eine Partnerschaft mit dem Architekturbüro BDP Quadrangle ein, um sich nur fünf Kilometer entfernt in einem kleinen Gewerbegebiet einen Traum zu erfüllen: Er schafft einen kulturellen Hotspot, der weit über die Dimensionen eines bloßen Büros und Lagers hinausgeht. Auf rund 930 über zwei Stockwerke verteilte Quadratmeter entsteht das neue Hauptquartier von Dine Alone, das alles beinhalten soll, was das Musikfanherz begehrt. „In unserem Gebäude gibt es einen Plattenladen, eine Kneipe, eine Konzertlocation, ein Studio, ein Restaurant, eine Dachterasse, und natürlich auch Büros und Lagerräume“, erklärt Carriere. „Es ist ein besonderer Ort. Die Pixies haben in unserem Büro gespielt, Bob Geldof hat hier eine Veranstaltung zur Veröffentlichung der Doku „Boomtown Rats“ abgehalten, Alexisonfire haben ihr neues Album hier geschrieben – und Gary Clark Jr. hat mich beim Tischeishockey abgezogen.“

Mall im Geiste

Rein äußerlich macht Dine Alone 2022 den Anschein eines multinationalen Konglomerats mit zusätzlichen Büros in Los Angeles und Nashville, aber eigentlich ist Carrieres Label immer noch dasselbe wie 2005. Bands stehen für den Firmenchef immer noch an erster Stelle, zusammen mit dem von ihm zitierten moralischen Kompass. Das ist vielleicht auch der Grund dafür, dass City And Colour trotz internationalem Erfolg seinem Ursprungslabel treu geblieben sind, dass Alexisonfire ihre am 24. Juni erscheinende Platte „Otherness“ in den Räumlichkeiten von Dine Alone geschrieben haben und auf dem Label veröffentlichen werden, dass Alexisonfire-Sänger George Pettit das kommende Album seines Projekts Dead Tired über Carriere herausbringt und dass ein Musiker wie Jim Ward nach zwölf Jahren mit seiner Hauptband ein neues Zuhause bei seinem alten Geschäftspartner findet.

Auch Max Bemis, seit neuestem unter seinem Künstlernamen Maxim Mental bekannt, schätzt die Offene-Arme-Mentalität von Carriere. Kurz nachdem seine Band Say Anything ihr Album „Oliver Appropriate“ über Dine Alone herausbringt, lösen sich die Indie-Emo-Punks auf. Trotzdem ist für Carriere klar, dass Bemis seine Solo-EP „Fucking“ und das kommende Album „Maximalism“ auf Dine Alone veröffentlichen kann – wenn er denn will. „Dine Alone war an meiner Seite, als ich die schwerste Zeit meines Lebens durchlebt habe“, so Bemis. „Sie haben mich als Freund und Kreativen unterstützt, trotz der Herausforderungen, die die Arbeit mit einem bipolaren Künstler mit sich bringt, der in einer Lebenskrise steckt und Musik als Performance-Kunst behandelt. Sie sind so liebenswürdig wie punk, was einer der Gründe ist, dass ich immer wieder versucht bin, einfach nach Toronto zu ziehen.“

Ob es Carriere bewusst ist oder nicht: Mit seiner Attitüde, der Behandlung seiner Bands und nicht zuletzt dem von ihm als „kulturelles Rock’n’Roll-Zentrum Kanadas“ betitelten Dine-Alone-Hauptquartier ist sein Label 2022 näher am Jahr 2000 als jemals zuvor. Denn auch wenn Malls und die dazugehörige Abhängkultur schon länger auf dem Sterbebett liegen, atmet Dine Alone genau diese Kultur und bringt Gleichgesinnte zusammen, physisch und im übertragenen Sinne. Wenn es nach Carriere geht, wird das auch die nächsten Jahre so bleiben. „Ich habe noch so viel, was ich schaffen möchte“, sagt er. „Ich muss das nicht tun, ich will es tun. Und hoffentlich bin ich nie in der Situation, das tun zu müssen.“


Label-Reports
Put a label on it

Inhalt

  1. Label-Reports, Teil 6: Ipecac – Vorzügliche Brechmittel
  2. Label-Reports, Teil 5: Dine Alone – Wollen statt müssen
  3. Label-Reports, Teil 4: Relapse – Sandsturm der Liebe
  4. Label-Reports, Teil 3: Rise – Rise Above!
  5. Label-Reports, Teil 2: Fat Wreck Chords – Eine schrecklich fette Familie
  6. Label-Reports, Teil 1: Hassle – The Nice Guys
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