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Depeche Mode: Die Coveranalyse von "A Broken Frame" (Brian Griffin)

By Its Cover

Depeche Mode – “A Broken Frame”
Am 29. Januar 2024 ist der britische Fotograf Brian Griffin im Alter von 75 Jahren gestorben. Seine Fotografien für etliche erfolgreiche Alben und Porträts von Popmusikern der 1980er Jahre führten dazu, dass er 1989 von The Guardian als “Fotograf des Jahrzehnts” bezeichnet wurde. Ein Blick auf die kunsthistorischen Wurzeln seiner Fotografie für Depeche Modes “A Broken Frame”.  
Cover: Depeche Mode -
Cover: Depeche Mode - "A Broken Frame"

Vor einem dramatisch erleuchteten, wolkenbedeckten Himmel schwingt eine Frauengestalt kraftvoll eine Sichel. Ihre Figur setzt sich deutlich von den bläulichen Wolken, der fast schwarzen Horizontlinie und den im Vordergrund durch ein künstliches Blitzlicht hervorgehobenen Ähren ab. Ihr rotes Kopftuch ist ein klarer Akzent in einem Bild, das voll und ganz komponiert wirkt. Obwohl es sich um eine Fotografie handelt, soll das Titelbild den Stil eines Gemäldes nachahmen. Fotograf Brian Griffin ließ sich vom sozialistischen Realismus in Sowjetrussland inspirieren, insbesondere vom Maler Kasimir Malewitsch. Der Künstler ist heute vor allen Dingen für seine abstrakten Werke bekannt, allen voran sein schwarzes Quadrat, ein Klassiker moderner Kunst und auch ein Jahrhundert nach seiner Erstellung noch Gegenstand von Debatten darüber, was man als Kunst bezeichnen kann und was nicht. Doch in den letzten Jahren seines Schaffens konzentrierte sich Malewitsch erneut auf figürliche Darstellungen und ganz konkret auf Szenen arbeitender Bauern in kräftigen Rot-, Gelb- und Blautönen. Dass Griffin derlei Malereien aus dem Spätwerk Malewitschs bekannt waren, zeigt, wie sehr sich der Fotograf mit visueller Kultur beschäftigte und wie weit seine Einflüsse reichen.

Musikalisch zählt “A Broken Frame” in der langen Karriere von Depeche Mode nicht als Meilenstein. Bekannt als Pioniere elektronischer Texturen und futuristischer Industrial-Sounds, hat die Band jenes Genre geprägt, das heute gemeinhin als “Synth-Pop” bezeichnet wird. Auf der ganzen Welt verbindet das Publikum mit dem Bandnamen eine Mischung aus dunklen, atmosphärischen Kompositionen und eingängigen, synthiegetriebenen Melodien. “A Broken Frame” klingt in seiner Gesamtheit noch nicht wirklich danach, was vor allen Dingen daran liegt, dass der bisherige Hauptsongschreiber Vince Clark die Band nach der Veröffentlichung ihres ersten Albums “Speak & Spell” verlässt. Für Martin Gore beginnt eine hörbare Findungsphase, die als “A Broken Frame” die Gestalt eines Albums annimmt. Der vielleicht bemerkenswerteste Song des Albums ist “Shouldn’t Have Done That”, der mit einem A-capella-Teil beginnt, mit minimaler Begleitung auskommt und mit dem Rauschen des Windes ausklingt.

Kasimir Malewitsch - "The Reapers" (1909)
Kasimir Malewitsch – “The Reapers” (1909)

Die klare Struktur von “Shouldn’t Have Done That” scheint die von Griffin gestaltete visuelle Ebene des Albums voll und ganz aufzugreifen und die Aufnahme des Windes klingt geradezu, als wäre sie derselben Szene im ländlichen Osten der britischen Insel entsprungen. Und überhaupt ist die weniger stark produzierte und düstere Atmosphäre ein klanglicher Spiegel für Griffins Referenzen zum sozialistischen Realismus, deren zentraler Gegenstand die Darstellung von Arbeit und dem Leben in der sozialistischen Gesellschaft sein sollte.

Mit Blick in die Kunstgeschichte sind die Wahrnehmungen und Realitäten von Arbeit tendenziell sehr ernst. Von antiken Darstellungen von Sklaven in der ägyptischen Grabkunst und der griechischen Vasenmalerei über Malereien von Bauern in der Renaissance bis zu roh-realistischen Zeichnungen und Drucken von Fabrikarbeitern in der industriellen Revolution, die Herausforderungen und die Lebensumstände der arbeitenden Bevölkerung wurden meist so dargestellt, wie sie es bis heute sind, nämlich verdammt hart. Der sozialistische Realismus wollte dieser Härte mit stolzen Darstellungen begegnen und die Schönheit der kollektiven Bemühung auf dem Weg in die Utopie betonen. Dieser Traum zerbrach letztlich mit dem Zerfall der Sowjetunion. Ob Griffin 1982 eine hellseherische Eingebung hatte, dass die von ihm gewählten Stilmittel einmal derartige Kreuzverweise zum Albumtitel “A Broken Frame” aufweisen würden, ist fraglich. Fakt ist, dass er der Welt ein grandioses Cover hinterlassen hat.

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