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Debatte Kunstfreiheit und Rap - Interview Don't Let The Label Label You

Debatte Kunstfreiheit und Rap – Interview Don’t Let The Label Label You
In unserer aktuellen Titelgeschichte in VISIONS 304 haben wir uns mit Antisemitismus, Frauenverachtung und Homophobie auseinandergesetzt und dabei vor allem Entwicklungen im Battle- und Gangsta-Rap kritisch betrachtet. Bevor in VISIONS 305 eine ausführliche Fortsetzung zum Thema erscheint, lassen wir online Protagonisten der Rap-Szene zu Wort kommen. Dieses Mal im Interview: JollyJay, Mitveranstalter von Don’t Let The Label Label You, einer Veranstaltungsreihe, in deren Rahmen authentische Battle-Kultur in Deutschland gelebt wird. Für ihn ist der Begriff klar an konkrete Situationen geknüpft, in deren Rahmen sich höchsten die Protagonisten selbst Regeln vorschreiben sollten.

Ist Musik im Stil des Kollegah-&-Farid-Bang-Albums „Jung, brutal, gutaussehend 3“ für euch Battle-Rap?
Nein, Battle-Rap ist kein Musikgenre, sondern eine Competition. Das bedeutet, dass sich mindestens zwei Gegner gegenüberstehen und beide versuchen, besser zu sein als der andere. Nur weil ein Rapper in seinen Songs ein paar Punchlines und Battle-ähnliche Texte hat, ist es noch lange kein Battle-Rap. Viele gute Battle-Rapper schreiben außerhalb ihrer Battles ganz andere Texte. Man muss zwischen dem Sinn eines Battles und dem eines anderen Kunstwerkes wie einem Lied unterscheiden können.

Verändert sich Battle-Rap also, wenn er eine konkrete Situation verlässt?
Ohne wirklichem Gegner gibt es wie gesagt auch kein wirkliches Battle. Wenn Leute ihre kontroversen Aussagen mit Battle-Rap begründen, ohne dass sie in einem Battle standen, wirkt dass für mich eher wie eine Ausrede. Dennoch sollte man die Sprache eines Kunstwerkes, egal ob eines Battles, Songs oder Drehbuchs, immer offener und abstrakter betrachten als in einer gewöhnlichen Aussage.

Regelt ihr, was bei euch gesagt werden darf und was nicht?
Die MCs können sich vor dem Battle gegenseitige Grenzen und Regeln vorgeben, wenn sie wollen – etwa, dass keine echten Namen von Familien und Freunden verwendet werden.
Sonst hat jeder MC seine eigene moralische Grenze, da wollen wir keine Regeln setzen, das ist nicht der Sinn von HipHop, Battle-Rap oder künstlerischer Freiheit allgemein. Natürlich wollen wir zum Beispiel keinem Rechtsradikalen eine Plattform bieten. Einmal haben wir wegen einer Line, die wir zu geschmacklos fanden, ein Battle gar nicht erst hochgeladen. Aber grundsätzlich ist Zensur da meiner Meinung nach die falsche Herangehensweise. Wo hört man denn da auf?

Wie habt ihr die Reaktionen auf das Battle zwischen Nedal Nib und Pilz wahrgenommen, die bis hin zu Todesdrohungen gegen die Rapperin reichten?
So blöd es klingt, Battle-Rap ist eine Kultur in der man stecken muss, um sie zu verstehen. Als Außenstehender hört man da Sachen, die absolut unter die Gürtellinie gehen. Als involvierter MC oder Fan kann man aber zwischen der Kunstform und der realen Welt unterscheiden. Nedal Nib versus Pilz war monatelang in unserem PayPerView zu sehen, dann tagelang auf Youtube, und hatte ursprünglich nicht für Drama gesorgt. Erst als außenstehende Medien ein Zitat aus dem Battle geschnitten hatten, und dies dann einzeln, völlig aus dem Kontext, hochgeladen haben, fing das ganze Drama an. So gesehen wurden die kontroversen Lines von Pilz, im wahrstem Sinne, aus dem Kontext gerissen. Wir fanden das schade und unfair ihr gegenüber.

Verlaufen die immer wieder aufkommenden Debatten um den Sprachgebrauch im Rap denn zu deiner Zufriedenheit?
Da jeder eine andere Wahrnehmung hat und Stilmittel wie Sarkasmus verschieden interpretiert werden, dreht sich da leider vieles im Kreis. Dennoch sind solche Debatten immer sinnvoll, da so das gegenseitige Verständnis innerhalb der Szene wächst. Sexismus, Rassismus, Antisemitismus, Homophobie: Das ist alles furchtbar, damit ist der absolute Großteil der HipHop Szene klar einverstanden! Das heißt aber nicht, dass man diese Themen nicht in seiner Kunst verarbeiten darf. Wenn man Rassismus nicht humorvoll verwenden dürfte, dann ginge dadurch auch viel Kritik an Rassismus verloren. Für mich ist in einem Battle immer wichtiger, von wem die Line kommt und wie sie gemeint ist, als wie sie andere Wahrnehmen könnten. Bei Battle-Rap lachen wir nicht über eine Minderheit, nicht über den Inhalt einer rassistischen Line, sondern über die dumme Absurdität der plumpen Aussage.

Wie sieht es in diesem Kontext mit dem N-Wort aus?
Ich war schockiert, als ich damals Deutschland kam und gemerkt habe, wie gewöhnlich es unter weißen Rappern war, das N-Wort zu verwenden. HipHop ist eine schwarze Kultur, und diese Kultur hat uns immer beigebracht, dass Weiße das Wort nicht nutzen sollen. Ich bin froh, dass das hier langsam auch angekommen ist.

Gibt es auch in anderen Bereichen Unterschiede zwischen Deutschland und den USA, was Battle-Rap angeht?
Die USA und England sind Deutschland in Sachen Battle-Rap noch ein paar Jahre voraus. Nicht nur was die Qualität der Künstler betrifft, sondern auch wie alles von den Fans wahrgenommen wird. Dieser Unterschied zwischen auch mal unkorrekten Battles und dem normalen, politisch korrekten Umgang mit Menschen ist dort selbstverständlicher. Darum gibt es dort diese endlosen Debatten nicht. Und mich nerven sie hier in Deutschland auch langsam ehrlich gesagt. Es fühlt sich so an, als müsse man einen sarkastischen Witz mit schwarzem Humor immer wieder aufs Neue erklären, weil Außenstehende ihn nicht verstehen.

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