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Debatte Kunstfreiheit und Rap: Journalistin Birgit Gärtner im Interview

Debatte Kunstfreiheit und Rap: Journalistin Birgit Gärtner im Interview
Nach dem Echo-Eklat um Kollegah und Farid Bang stellte die Hamburger Journalistin Birgit Gärtner Strafanzeige wegen Volksverhetzung gegen die beiden Rapper, unterstützt von über 50 Gleichgesinnten. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft ihr Anliegen abgelehnt. Gärtner hatte fast damit gerechnet – und ohnehin Höheres im Sinn, wie uns die 58-Jährige im Interview erzählt.

Frau Gärtner, wieso haben Sie Anzeige gegen die Rapper Kollegah und Farid Bang gestellt, hatten Sie vor diesem Schritt einen persönlichen Bezug zum Thema Gangsta-Rap?
Ehrlich gesagt ist Gangsta-Rap nicht gerade meine Altersklasse, und bis zum Echo-Skandal hatte ich mich mit der Musik von Farid Bang und Kollegah überhaupt nicht beschäftigt. Dann aber habe ich mir einige ihrer Texte angesehen und war einfach nur entsetzt. Sie sind zutiefst menschenverachtend, voller Gewaltphantasien, auch gegen Kinder, voller Frauenverachtung, Homophobie und Rassismus. Ich wusste schon vorher, dass es beim Gangsta-Rap darum geht, sich gegenseitig niederzumachen. Wer am heftigsten austeilt, gewinnt. Nur war mir nicht klar, dass dabei mitunter auch die Partnerin und Kinder des Gegenübers mit einbezogen werden. Das erinnert mich an Frauen als Kriegsbeute, die vergewaltigt werden, um den Eroberten zu schaden. Frauen und auch Kinder gelten als Besitz von Männern. Sonst würde das gar nicht funktionieren. Nach der Echo-Verleihung sprachen alle nur noch über die verbale Entgleisung in puncto Auschwitz. Mir war aber wichtig, dass auch über die Frauenverachtung gesprochen wird. Deshalb habe ich – unterstützt von über 50 Personen – eine eigene Anzeige gestellt.

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat nun entschieden, keine Ermittlungen in der Sache aufzunehmen. Was halten Sie von dem Entschluss und der Begründung, die kritisierten Textzeilen seien ein Merkmal von Gangsta-Rap und so durch die Kunstfreiheit gedeckt?
Mit einer Verurteilung habe ich kaum gerechnet. Solche Fälle enden fast immer zu Gunsten der Kunstfreiheit. Der Bescheid der Staatsanwaltschaft hat mich dann aber doch überrascht, denn darin steht: „Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass sich die verfahrensgegenständlichen Liedtexte als überwiegend zusammenhanglose Aneinanderreihung vulgärer, menschen- und frauenverachtender Gewalt- und Sexphantasien in Reinform darstellen, ersichtlich geleitet von dem Bestreben, die typischen Merkmale der Musikrichtung des Gangsta-Rap bestmöglich zu erfüllen.“ Dem Grunde nach wird uns also Recht gegeben – nicht nur die beanstandeten Texte, sondern das Genre Gangsta-Rap an sich wird als menschenverachtend, frauenfeindlich, homophob, rassistisch, antisemitisch klassifiziert. Trotzdem wird es von vorneherein als nicht justiziabel eingeschätzt, es werden keine Ermittlungen aufgenommen: „Strafrechtlich relevant sind die Inhalte indes nicht“, sagt die Staatsanwaltschaft. Damit ist Menschenverachtung ein juristisch attestiertes und abgesegnetes Markenzeichen des Genres Gangsta-Rap. Das halte ich für eine verheerende Botschaft.

Warum sollte in Ihren Augen die Musik der beiden Rapper nicht von der Kunstfreiheit gedeckt sein? Wo ziehen Sie persönlich eine Grenze, welche Botschaften tolerieren Sie vor dem Hintergrund der Kunstfreiheit, welche nicht?
Meiner Meinung nach muss die Menschenwürde über allem anderen stehen. Kunst- und Meinungsfreiheit darf nicht höher bewertet werden als die Menschenwürde. Das Problem ist, dass sehr viele Menschen, vor allem Jugendliche, sich offensichtlich von dieser Art Kultur angesprochen fühlen. Farid Bang und Kollegah haben auf Facebook Millionen Follower. Die Frage, die sich mir stellt, ist: Was macht das mit den Jugendlichen? Welche Auswirkungen hat das auf das Frauenbild von jungen Männern – und auf die Selbstwahrnehmung junger Frauen, auf ihr Selbstbewusstsein? Welche Zumutung, wie viel Gewalt werden sie als normal empfinden? Gibt es einen Zusammenhang zwischen der steigenden Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen und der Gewaltverherrlichung in den Texten? Solche Fragen stehen ja auch nicht im luftleeren Raum, sondern Gewalt, unter Jungen, gegen Mädchen und Frauen, gegen Minderheiten, Rassismus und Antisemitismus – das sind grundlegende Probleme unserer Gesellschaft.

Können Sie das konkretisieren?
Ein Beispiel: Im Jahr 2016 wurde statistisch gesehen jeden Tag eine Frau von ihrem Partner in Tötungsabsicht angegriffen, und jede Dritte überlebte nicht. Wie werden die heutigen Jugendlichen später mit ihren Partnerinnen umgehen, wenn sie mit Hass auf Frauen gefüttert werden und Gewalt ihnen völlig selbstverständlich als Sanktionsmittel vorgelebt wird? Wenn ihnen vermittelt wird, es sei das Recht des Mannes, sich zu nehmen, was er will? (überlegt) Das sind allerdings Fragen, die nicht ein Gericht beantworten kann, sondern die wir als Gesellschaft beantworten müssen. Insofern war unser primäres Anliegen nicht, vor Gericht Recht zu bekommen. Wir wollten diese Diskussion anschieben.

Halten Sie Frauenverachtung und Gewaltverherrlichung für spezifische Phänomene des Battle- und Gangsta-Rap – oder finden Sie diese Botschaften in anderen musikalischen Genres oder Kunstformen ebenfalls?
Gangsta-Rapper haben sicher kein Patent darauf. Verachtung oder zumindest Diskriminierung von Frauen begegnet mir überall. Dazu muss ich nur Radio hören oder fernsehen: die heile Welt in der Volksmusik mit Mutti hinterm Herd, die freizügig gekleideten Go-go-Girls, ohne die viele Popsänger heute nicht mehr auskommen. Dazu die Objektivierung von Frauen, auch in der Musikindustrie, die weibliche Unterpräsenz in fast allen Sparten. Und was die Gewalt betrifft: Es werden sicher auch in anderen Bereichen solche Phantasien ausgelebt, aber dass Gewaltverherrlichung der eigentliche Inhalt ist, das ist wohl tatsächlich das Markenzeichen des Gangsta-Rap. Dort wird die Harte-Kerle-Kultur regelrecht zelebriert, und genau deswegen fahren die Kids drauf ab.

Nun, da Sie von der Staatsanwaltschaft abgewiesen wurden – was sind Ihre nächsten Schritte? Wäre es für Sie ein Plan B, eine Indizierung der von Ihnen kritisierten Musik anzustreben?
Ja, die Indizierung wäre eine denkbare Maßnahme. Zum Teil stehen Texte von Farid Bang und Kollegah bereits auf dem Index, das ist ja das Verrückte. Denn trotzdem können sie immer neue Alben produzieren und erhalten Auszeichnungen wie den Echo. Aber noch mal: Viel wichtiger finde ich eine gesellschaftliche Debatte, in der auch über Grenzen geredet wird, auch die der Meinungsfreiheit. Allerdings reicht reden allein nicht. Sinnvoll fände ich zum Beispiel auch eine Initiative „Hör hin“, analog zu der Kampagne „Schau hin – was dein Kind mit Medien macht“. Eltern müssen sich damit beschäftigen, welche Musik ihre Kinder hören und mit ihnen drüber reden. Das könnte ein Ergebnis einer breiten gesellschaftlichen Debatte sein.

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