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Kommentar: "Der Ruf nach Zensur im Battle-Rap ist furchtbar bequem"

Kommentar: „Der Ruf nach Zensur im Battle-Rap ist furchtbar bequem“
In VISIONS 304 haben wir zur Debatte gestellt, ob im Zuge homophober, frauenverachtender oder antisemitischer Battle-Rap-Texte neu über Zensur diskutiert werden muss. Nein, schreibt VISIONS-Redakteur Florian Schneider in seinem Kommentar – wir als Gesellschaft müssen gemeinsam immer wieder aufs Neue diskutieren und aushandeln, was in der Musik akzeptabel ist und was nicht.

„Jag Opfer, bang Sidos dämliches scheiß Flittchen/ Sie ist zu eng, ich nutz ihre Tränen als Gleitmittel“ – sollte angesichts solcher Battle-Rap-Texte nicht neu über Zensur verhandelt werden, wie in VISIONS 304 zur Diskussion gestellt? Nein, denn mehr Kontrolle ist furchtbar bequem. Überlassen wir dem Gesetzgeber festzulegen, was zumutbar ist, wird jeder einzelne aus seiner gesellschaftlichen Verantwortung entlassen. Außer Acht lässt der Ruf nach Zensur, dass wir aus unserer Erfahrung heraus durchaus in der Lage sind, hetzerische Inhalte von Provokationen unterscheiden zu können.

„Eine Zensur findet nicht statt“, wie es im Grundgesetz heißt, ist deshalb die Aufforderung, im öffentlichen Diskurs auszuhandeln, was innerhalb einer Gesellschaft durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt ist – das ist vermutlich mehr, als jeder einzelne für verkraftbar hält. Was dadurch nicht gedeckt ist, regeln Gesetze wie das Jugendschutzgesetz oder das Strafgesetzbuch im Paragraphen zur Volksverhetzung. Außerdem steht es jedem offen, die Indizierung von Medien zu beantragen. Das Zensurverbot entbindet uns keinesfalls davon, uns etwa mit beleidigenden oder herabwürdigen Texten von Musikern auseinanderzusetzen. Im Gegenteil: Es fordert uns auf, diese Dinge zu benennen und zu kritisieren. Nur so kommt eine Diskussion in Gang, an deren Ende ein Konsens stehen kann.

Umso wichtiger ist es, die Debatte, die wir in VISIONS 304 angestoßen haben, nicht auf ein Genre zu fokussieren, sondern sexistische, rassistische und antisemitische Tendenzen überall zu benennen. Die Geschichte lehrt außerdem, dass Verbote meist das Gegenteil bewirken. Vermutlich wurde in den USA nie mehr gesoffen als während der Prohibition, indizierte Alben verkaufen sich exorbitant – es ist der Reiz des Verbotenen. Stattdessen muss man das Gespräch suchen, die Mittel des Rechtsstaats nutzen, Kritik üben, aufklären. Dafür braucht es einen langen Atem. Den sollten wir unbedingt haben, auch wenn man teilweise tief Luft holen muss, um alles auszuhalten, was derzeit kursiert. Aber es lohnt sich.

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großer Essay zu Homophobie, Antisemitismus und Frauenverachtung im Battle-Rap