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    Citizen
    Calling The Dogs

    VÖ: 06.10.2023 | Label: Run For Cover
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 367
    Platte des Monats
    Citizen - Calling The Dogs

    Emo-Bands erfinden sich selten neu. Vor allem, weil es immer ein Publikum für tieftraurige Texte und Midtempo-Gitarren in Moll geben wird. Dass gerade eine vom Auftreten her hypermaskuline Band wie Citizen ihren Sound auf „Calling The Dogs“ weiter aufweicht, ist daher ein kleines Wunder.

    Einer Band bei ihrer Entwicklung zuzusehen ist etwas Besonderes. Manche brauchen Jahrzehnte, um sich von einem liebgewonnenen Sound oder einer gewachsenen Routine loszueisen, sich nochmal neu einzustellen und Frisches zu wagen. Manche schaffen diese Wendungen um 90 oder 180 Grad in ein paar Jahren. Und wieder manche legen es bewusst darauf an, auf jedem Album anderen Facetten, anderen Einflüssen Raum zu geben und alten Ballast abzuwerfen. Frei nach dem Motto: Was interessiert mich mein Gesinge von gestern? Citizen sind so eine Band.

    Als die Band aus Ohio 2013 ihr Debüt „Youth“ veröffentlicht, katapultiert sie die Platte an die Spitze der Emo-Grunge-Szene, zusammen mit Bands wie Balance & Composure oder Basement. „Everybody Is Going To Heaven“ von 2015 ist dann mehr Hardcore als Emo, „As You Please“ 2017 so düster und schwerfällig wie noch nie. Und dann kommt 2021 „Life In Your Glass World“, das tanzbarem Poprock die Bühne überlässt. Wie also von diesem Punkt aus weitermachen?

    Andere Bands würden vermutlich versuchen, ihre 90er-Einflüsse nochmal ordentlich auszuwringen, aber zehn Jahre seit „Youth“ haben Citizen auch was ihre Einflüsse betrifft zehn Jahre älter werden lassen. Statt Mid-90s heißt es auf „Calling The Dogs“ Mid-Naughties. Konkret: Garage-Revival und superpoppiger Indierock mit einer ordentlichen Dosis Akustikgitarre. Da ist etwa „Hyper Trophy“, das in seinen zuckenden Bassläufen und präzisen Beats, für die seit diesem Jahr Ex-Title Fight-Schlagzeuger Ben Russin zuständig ist, an The Hives und The Strokes erinnert. Da ist „If You’re Lonely“, ein Rückgriff auf die 90er mit seinem durch die 2020er-Brille gefilterten, fuzzigen Twang mit Replacements– und Violent Femmes-Vibe. Da ist „Options“, eine kaum verhohlene Hommage an Depeche Mode.

    Und dann ist da „Needs“, das Schellenkranz, Akustikgitarre und Sänger Mat Kerekes‘ Gesangslinien zu einem beschwingten Dancefloor-Indie-Hit verdichtet. Der entpuppt sich bei genauerem Hinhören als eines der wenigen Liebeslieder der Band, wenn Kerekes Zeilen singt wie „You’re not bothered by what you see or what you’ve read/ You’re not impressed by what I do or what I dress“, gefolgt von „I can’t believe your wasting your life with me/ Baby, you have got somebody to love“.

    Der Rest der Texte von „Calling The Dogs“ verbirgt sich allerdings hinter einem dünnen grauen Schleier. Das macht sie präzise genug, um Bilder im Kopf zu erzeugen, und hält sie zugleich so vage, dass sich genaue Orte oder Bedeutungen nicht ausmachen lassen. Ihren Sinn für Melancholie ohne Pathos, für „Ist gerade nicht so super, aber geht auch irgendwie weiter“ haben Citizen immerhin aus ihrer Frühphase beibehalten. Wenn Kerekes also im Opener „Headtrip“ davon singt, einen großen Grabstein haben zu wollen und im Kugelhagel unterzugehen, dann ist das keine Angst vor der Zukunft, sondern Motivation für das Jetzt. Und möglicherweise ein Indiz dafür, dass die Entwicklung von Citizen lange nicht abgeschlossen ist.

    Das steckt drin:

    Angel Du$tPretty Buff (2019, Roadrunner)

    Kann eine Platte von 2019 eine von 2023 beeinflussen? Wenn man so verbunden ist wie Angel Dust und Citizen schon. Zudem teilen die Bands nicht nur eine Affinität für 90er-Indierock und Garage-Rock-Drive, sondern auch einen ähnlichen Werdegang. Vom Hardcore und Emo hin zu poppigem Indierock – hätten es Angel Dust nicht vorgemacht, wer weiß, ob Citizen heute so klingen würden.

    Ted Leo & The PharmacistsThe Brutalist Bricks (2010, Matador)

    Klar, es gab auch in den 90ern Bands, die Punk mit dem Gummihammer sommersonnige Melodien einklopften und flott geschrammelte Lagerfeuerakustikgitarren gleichberechtigt neben breitgewalztem Indie-Twang stehen ließen. Keiner hat diesen Vibe allerdings so schön ins 21. Jahrhundert herübergerettet wie Ted Leo, auch wenn er es etwas krachiger als die neuen Citizen mag.

    The HivesTyrannosaurus Hives (2004, Polydor)

    Eigentlich ist es egal, welche der mal mehr in die Garage, mal mehr auf die Tanzfläche gehörenden The-Bands man hier aufführt, aber gerade der hypernervöse Throwback-Sound der Hives steht Pate für einige der glänzendsten Momente auf „Calling The Dogs“, wenn die gute Laune zur Neige geht, und Citizen vor dem Nachfüllen noch kurz Druck vom Kessel nehmen.

    Zweitstimmen:

    Martin Burger: „Ich habe nichts gegen Citizen. Sich an ihnen zu reiben, fällt ohnehin schwer. Es gibt sogar Situationen, in denen mich der hibbelige Middle-of-the-Road-Indierock auf „Calling The Dogs“ nicht mit den Schultern zucken lässt. Etwa, wenn ich mitten im dritten Song einschlafe.“

    Nicola Drilling: „Citizen klangen selten besser. Weniger verspielter Indierock, mehr klare Gitarrenarbeit machen „Calling The Dogs“ zum energiegeladenen Erlebnis, das jeden Fuß wie von selbst zum Wippen bringt, während sich jeder einzelne der elf Songs direkt im Gedächtnis festklebt.“

    weitere Platten

    Life In Your Glass World

    VÖ: 26.03.2021

    As You Please

    VÖ: 06.10.2017

    Youth

    VÖ: 12.07.2013