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    Clowns
    Endless

    VÖ: 20.10.2023 | Label: Fat Wreck
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 368
    Platte des Monats
    Clowns - Endless

    Ausufernde Keytar-Solos bietet „Endless“ keine, dafür bleiben zwischen angriffslustigen Bekenntnissen zur Bisexualität und auf wahren Begebenheiten beruhenden Spaghetti-Western keine Wünsche offen. Clowns sind weiterhin die vielseitigste Rotzpunk-Kapelle, die man sich vorstellen kann.

    Als Nachfahren entflohener Häftlinge wurden die sogenannten „Bushrangers“ zu zentralen Figuren der australischen Geschichte. Ned Kelly, der bekannteste von ihnen, lieferte sich mit der Polizei ein Gefecht auf Leben und Tod. Trotz seiner selbstgebauten Rüstung ging es zu seinen Ungunsten aus. Nicht nur wegen dieser Räuberpistole hat er sich fest in die Popkultur eingeschrieben, auch über Down Under hinaus. 1906 erscheint mit dem nur noch in Bruchstücken existierenden „The Story Of The Kelly Gang“ der erste Langspielfilm der Welt, Country-Outlaws wie Waylon Jennings und Johnny Cash huldigen ihm musikalisch – Clowns schließen sich ihnen nun an.

    „I am a widow’s son, outlawed and my orders must be obeyed“, mit diesen Worten aus einem Brief Kellys beenden sie ihre epische Hommage „A Widow’s Son“, eine wilde Mischung aus Spoken-Word-Geschichtsstunde, Twang-Gitarren, Metal-Riffs und der Trompete von Feine Sahne Fischfilet-Mitglied Max Bobzin. Dieses großspurige Finale ergibt für „Endless“ absolut Sinn, denn auf ihrem fünften Album lachen die Australier:innen wie Kelly dem Tod ins Gesicht. Das Thema Unsterblichkeit taucht in den unterschiedlichsten Ausprägungen immer wieder auf. Etwa wenn Sänger Stevie Williams in „Formaldehyde“ großspurig verkündet: „And I’m pretty sure I’ll never die, ‚cause I’m soaking in formaldehyde“, während seine Band um ihn herum eine Punk-Eskalation sondergleichen entfacht. Sollte es bald Neues von „Jackass“ geben, ist das der Soundtrack.

    „Z3r0s&0n3s“ setzt sich mit der Möglichkeit auseinander, mit technischen Mitteln ein unendliches Leben in der Cloud zu führen. Wie es sich für eine Episode „Black Mirror“ in Hardcore-Punk-Manier gehört, endet das Experiment in dystopischem Binärcode-Limbo. Glücklicherweise gibt es auch vollkommen natürliche Wege, um zumindest kurzzeitig die eigene Sterblichkeit zu verdrängen: „I’m so scared to die/ But when we fuck/ I feel like I’m gonna live forever.“ Passend dazu findet sich mit „Bisexual Awakening“ einer der besten Coming-Out-Songs seit Against Mes „True Trans Soul Rebel“: „I’m awake/ Shut your mouth.“ Klare Ansage, richtig so. Für den größten Ohrwurm einer an Ohrwürmern nicht armen Platte sorgt Bassistin Hanny J, die in „Thanks 4 Nothing“ den Gesang übernimmt. Weniger geradlinig kommt „Quicksand“ daher, das Punk, Metal und dezente 80s-Synthies so zusammenbringt, wie es das Cover von „Endless“ verspricht.

    Die Vielfalt an Einflüssen, die Clowns zu ihrem Punk-Cocktail zusammenmixen, ist nichts neues. Das Ausmaß an Chuzpe, das sie auf ihrem fünften Album an den Tag legen, hingegen schon. Dank exakt null gegebener Ficks und unbändiger Spielfreude funktionieren selbst die abseitigsten Ideen, was in einem solchen Kontext nicht selbstverständlich ist. Ein historisch so relevantes Zeitzeugnis wie Ned Kellys Brief ist „Endless“ natürlich nicht, ein Highlight im Punk-Jahr 2023 aber definitiv.

    Das steckt drin:

    The Dirty Nil „Fuck Art“ (2021, Dine Alone)

    Genau wie Clowns kondensieren auch The Dirty Nil ihrer vielen Einflüsse aus sämtlichen Spielarten der härteren Gitarrenmusik zu ihrem ganz eigenen Stil, exemplarisch steht dafür der Metal-Power-Pop „Doom Boy“. Ein feines Näschen für Hits haben beide Bands, Live-Shows voller Energie sind die logische Konsequenz. Eine gemeinsame Tour ist demnach überfällig.

    Against Me! „Transgender Dysphoria Blues“ (2014, Xtra Mile)

    Zwar zieht sich das Thema sexuelle beziehungsweise geschlechtliche Identität nicht so konsequent durch „Endless“, wie es hier der Fall ist, der offensive Umgang damit ist dennoch begrüßenswert. Laura Jane Grace’ schonungslos authentische Texte dürften auch bei Stevie Williams Eindruck hinterlassen haben. In seiner Gesamtheit hat es ihr bestes Album mit Sicherheit.

    The Bronx „The Bronx“ (2003, V2)

    Clowns werden seit jeher mit The Bronx verglichen, daran wird sich mit „Endless“ nichts ändern. Für die Band ist das kein Problem, vielmehr witzelt sie selbst gerne darüber. Da die besseren Bronx-Songs inzwischen aus Melbourne kommen, müsste man den Vergleich eventuell langsam mal umdrehen – wobei das Debüt der Straßenköter aus Kalifornien ungeschlagen bleibt.

    Zweitstimmen:

    Nicola Drilling: „Clowns ätzen sich durch ausgelutschten Hardrock und finden darin zum Glück auch Ansätze ihres räudigen DIY-Hardcore-Punks wieder. So richtig überspringen will der Funke zwischen der Suche nach dem ewigen Leben, der Entdeckung der Bisexualität und dem Hass auf AI-Technologien aber einfach nicht.“

    Juliane Kehr: „Schon wieder machen Clowns alles richtig: Holen zu großen Gesten aus, liebäugeln plötzlich mit Metal-Gitarren, vergessen dabei trotzdem nie, dass sie eigentlich längst dem Harcore-Punk versprochen und mit Hardrock zumindest dick befreundet sind. Kann so weiter gehen.“

    weitere Platten

    Nature/Nurture

    VÖ: 12.04.2019

    Lucid Again

    VÖ: 14.04.2017

    Bad Blood

    VÖ: 08.04.2016

    I'm Not Right

    VÖ: 10.10.2013