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    Bipolar Feminin
    Ein fragiles System

    VÖ: 19.05.2023 | Label: Buback
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 363
    Schönheit
    Bipolar Feminin - Ein fragiles System

    Wegen ihres wachsenden Erfolgs will die österreichische Punkband Bipolar Feminin verantwortungsbewusster sein. Dass diese reflektierte Haltung nicht mit inhaltlichen oder musikalischen Kompromissen einhergehen muss, zeigen die vier Wahl-Wiener:innen auf ihrem Debütalbum „Ein fragiles System“.

    Das folgt auf die EP „Piccolo Family“ aus dem vergangenen Jahr. Gitarristin, Texterin und Sängerin Leni Ulrich fordert nun nicht mehr zum Typen-Abstechen auf wie noch vor einem Jahr mit „Süß lächelnd“ und verbreitet keine doppeldeutig-triggernden Trinksprüche mehr („Kalaschnikow/ Schießt dir in den Kopf“). Aber die Band ist nach wie vor nicht einverstanden mit den Verhältnissen im patriarchalisch bestimmten Kapitalismus. Die Wut aufs System wird in jedem der zehn neuen Songs von Ulrich und ihren Mitstreitern Jakob Breicha (Gitarre), Samuel Reisenbichler (Schlagzeug) und Ulrichs Bruder Max (Bass) deutlich – wobei sich die dezidiert feministische Band nicht mit schlichten Hau-Drauf-Gesten begnügt.

    In Ulrichs Texten spiegeln sich Verzweiflung, Widerstand und Ironie, für Heuchelei und übertriebene Zurückhaltung gibt es keinen Anlass. Mental Health ist für Bipolar Feminin kein hohler Modebegriff, die Band zieht buchstäblich blank: „Jetzt kannst du auf alles scheißen/ Kack in die Ecke, nichts ist widerlich/ Lass uns die Wände einreißen“, singt Ulrich im erschütternden Am Boden und höhnt in Struktur über wohlgemeinte, nutzlose Ratschläge zur Depressionsbewältigung („Nimm‘ ein Bad/ Räum‘ mal auf“). Mami handelt nicht von Ulrichs eigener Mutter, sondern generell von sich aufopfernden Personen – die meistens weiblich sind („Wegen mir muss das nicht sein/ Ich brauche immer gar nichts“). In „Attraktive Produkte“ nimmt sich die Band unhinterfragtes Konsumverhalten vor, während Herr Arne eine ganz ernst gemeinte Liebeserklärung an Tocotronic-Schlagzeuger Arne Zank ist.

    Musikalisch machen Bipolar Feminin gleich mehrere spannende Entwicklungsschritte auf einmal. Harscher Punkrock ist nach wie vor die Basis, die jede Menge Spielraum bietet, Aufruhr und Katharsis gehen bei Bipolar Feminin Hand in Hand: Tonnenschwere Gitarrenparts leiten über zu poppig-leichten Melodien, verlangsamte Emo-Passagen münden in wahre Soundgewitter wie etwa in Tüchtig. Sie reden so laut dagegen könnte mit seinen jubilierenden Riffs, kombiniert mit ordentlich Feedback und Fuzz, glatt ein Stück von Dinosaur Jr sein. Bipolar Feminin sind explizit und verletzlich zugleich – und damit die Band zur Zeit. Ihrer Verantwortung für ihre Fans und sich selbst werden sie mehr als gerecht.

    Das steckt drin: Friends Of Gas, Isolation Berlin, Östro 430