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    The Mars Volta
    De-Loused In The Comatorium

    VÖ: 23.06.2003 | Label: Motor/Universal
    Text: Patrick Großmann
    Platte des Monats
    The Mars Volta - De-Loused In The Comatorium

    Der Drogentod von Sound-Manipulator Jeremy Michael Ward überschattet ein eh schon monumentales Werk: „De-Loused In The Comatorium“ könnte das „The Wall“ des 21. Jahrhunderts werden!

    Wie bespricht man ein Konzeptalbum zum Thema Suizid, wenn just ein Mitglied der betreffenden Band einer Überdosis zum Opfer fiel? Wo das Faktische die Fiktion einholt, gewissermaßen degradiert, beginnt Sprache per se zu versagen. Versuchen wir es dennoch: Wind. Es beginnt mit atmosphärischem Rauschen und einer gezupften Gitarrenfigur. Kurz darauf ein Zeppelin-esker Einstieg, und drin bist du in einer der verstörendsten, intelligentesten, rätselhaftesten, visionärsten und ergreifendsten Platten, die je aufgenommen wurden. „De-Loused In The Comatorium“ präsentiert sich als nie dagewesener Husarenritt quer durch Raum und Zeit, mit einer Finesse gesungen und gespielt, dass man enthemmt losheulen möchte. Als Post-Hardcore-Prog-Oper ohnegleichen, die die Konkursmasse At The Drive-Ins ohne Achselzucken mit an Pink Floyd geschulter Sphärik, vertrackter Rhythmik à la Police sowie bollernden Bonham-Grooves verschraubt. Gekrönt von Rick Rubins einmal mehr (und mehr denn je!) bahnbrechender Produktion, die jede Minute neue Türen aufstößt, den Laden bei allem tonalen Overkill aber stets zusammenhält. Vergesst Sparta! Wer das hier hört, der weiß, warum Flea unbedingt dabei sein wollte: Formvollendeter hat der Mann seinem Bass jedenfalls nie die Sporen gegeben!

    Geht der Opener „Inertiatic E.S.P“ noch vergleichsweise nachvollziehbar an den Start, so folgt danach ein tonaler Absprung aus 3.000 Metern Höhe ohne Netz, aber mit doppeltem Boden. „Take The Veil Cerpin Taxt“, das grandiose „Cicatriz E.S.P“, „Eriatarka“ – allein die zehn Songtitel zu dechiffrieren wäre Stoff für eine soziokulturelle Studienarbeit. Nimmt man Cedric Bixler-Zavalas Lyrics genauer unter die Lupe, so finden sich an jeder Weggabelung fein gedrechselte, surreale Wort-Kaskaden von eigentümlicher, lautmalerischer Schönheit. „Ruse of metacarpi/ Caveat emptor to all that enter here/ Exoskeletal junction at the railroad delayed“, bemüht der Lockenschopf da etwa im kurvenreichen Hirnfick „Roulette Dares (The Haunt Of)“ medizinisch anmutende Phrasen. Ergebnis: eine wie im Fieberwahn entfesselte, vor Melodien strotzende Sprache, im Angesicht des Todes aufgezeichnet. Im verträumt Fahrt aufnehmenden, wundervoll gesungenen „Eriatarka“ wiederum ist die Rede davon, einen „Bandwurm“ anzuziehen „wie ein Haustier“, bevor der Song zu einer wahren (Dub-? Noise-? Emocore-? Was eigentlich-?!) Hymne erblüht. Man kann Samuel Beckett und James Joyce förmlich feixen sehen.

    Bloß einen halben Meter daneben steht Pseudo-Chaos-Maestro Frank Zappa und kichert ebenfalls. Ein Teufelsbraten wie „Drunkship Of Lanterns“ nämlich dürfte mit seinem lupenreinen Latino-Einstieg, dem urplötzlich aufflackernden Irrsinn und der unnachahmlich getrommelten Zeppelin-Abfahrt am Schluss selbst gestandene Progrocker zur Raserei treiben. Überall wimmelt es von wie trunken durchs Dickicht torkelnden Gitarren, die sich selbst davon zu laufen scheinen – und dennoch stets den Weg ins Ziel finden. Was Omar Rodriguez-Lopez hier treibt, erinnert an eine Katze, die du aus dem vierten Stock schmeißt und die doch auf allen Vieren landet (etwa im verspulten Solo von „This Apparatus Must Be Unearthed“). Am Ende bleibt die Überzeugung, dass The Mars Volta gleich mit ihrem ersten Wurf nicht nur einen Klassiker, sondern ein eigenes Genre erschaffen haben – und eine angesichts der eingangs erwähnten, tatsächlichen Entwicklung bittere, gleichsam prophetische Textpassage: „Autodafe/ A capulary hint of red/ Everyone knows the last toes are/ Always the coldest to go.“ R.I.P., Jeremy Michael Ward.

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