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    Neutral Milk Hotel
    In The Aeroplane Over The Sea

    VÖ: 06.09.2005 | Label: Domino
    Text: Daniel Gerhardt
    Neutral Milk Hotel - In The Aeroplane Over The Sea

    Vor zehn Jahren taumelte der Tag-, Nacht- und Albträumer Jeff Mangum einer Platte in die Arme, von der er sich bis heute nicht erholt hat: „In The Aeroplane Over The Sea“ ist das definitive Meisterwerk des Fuzz-Folk, mindestens, und ebenso Vermächtnis wie Verhängnis der ewig rätselhaften Neutral Milk Hotel.

    Auf dem Papier waren Neutral Milk Hotel 1998 eine Band mit vier Mitgliedern, aber alles, was ihnen jemals wichtig war, ist im Kopf von Jeff Mangum passiert. Heute spricht der 37-jährige Songwriter aus Louisiana, dessen Ansichten, Verhalten und Aussehen stets quer standen zu allen Klischees, die es über Amerikas Südstaaten gibt, so gut wie gar nicht mehr von seiner Musik. Damals schon tat er es ungern, weil sich nur schwer erklären ließ, welche Melodien ihm durch den Kopf schwirren, wie die Worte dazu aus seinem Mund kommen und was für Schlachten er schlägt, um seine bruchstückhaften Ideen zu verbinden. Also erzählte Mangum lieber, wie er beim Schlafwandeln mit Geistern in Kontakt kommt, welchen Einfluss sein religiöses Elternhaus auf Neutral Milk Hotel hat, weshalb er schon mal aus Kinderperspektive singt und warum niemand wichtiger ist für seine Musik als das jüdische Holocaust-Opfer Anne Frank. Deren Tagebuch wurde nach dem zweiten Weltkrieg posthum veröffentlicht und eines der bedeutendsten Zeitdokumente des Dritten Reichs. Mangum las es in zwei Tagen und schrieb sich anschließend mit einer emotional völlig offen stehenden, häufig bedrückenden, aber niemals hoffnungslosen Platte die Seele leer. Es tut heute noch im Brustkorb weh, wenn man sie anstellt und ihr wirklich zuhört. „In The Aeroplane Over The Sea“ greift einige Ideen auf, die schon sein Vorgänger „On Avery Island“ angerissen hatte. Es setzt sie aber so viel reifer, vielseitiger und selbstbewusster um, dass man kaum noch von zwei Alben derselben Band sprechen möchte. Außerirdische Tapemanipulationen stellen Ufolandungen in den Kulissen der Songs nach. Abenteuerliche Blas- und Tasteninstrumente sind immer auf der Flucht vor einer brutal verzerrten Zerstörer-E-Gitarre, mit der einige Lieder feucht durchgewischt werden. Selbst der Dudelsack im Zwischenstück „Untitled“ kann aber nicht verbergen: Es sind immer Mangums strenge Akustikgitarre und sein näselnder, quengelnder Gesang, die am Herzen der elf Stücke stehen. „In The Aeroplane Over The Sea“ vollbrachte damit das Kunststück, als Meilenstein aus dem Indierock der Neunziger herauszuragen, ohne viel mit ihm zu tun zu haben. Es wurde sofort euphorisch aufgenommen, aber es scheint bis heute, als habe es niemand wirklich begreifen können. Mangum übrigens eingeschlossen – seine Seele ist weiterhin leer, er hat danach nie wieder einen Neutral-Milk-Hotel-Song veröffentlicht. Was sollte er auch noch schreiben, nachdem er diese Platte gemacht hat?

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