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Scott Weiland (1967 - 2015): Ein Nachruf

Scott Weiland (1967 – 2015): Ein Nachruf
Im Frühjahr 2015 traf unser Autor Martin Iordanidis Scott Weiland zu einem letzten VISIONS-Interview. Anlässlich von Weilands plötzlichem Tod erinnert er sich nun noch einmal an die Begegnung mit dem Alternative-Rock-Musiker, der ein großer Sänger, aber auch ein zerrissener Charakter war – und wir veröffentlichen hier erneut die Geschichte von damals, die zuerst in VISIONS 266 erschienen war.

Kulturjournalismus lebt davon, Bilder und Projektionsflächen zu konstruieren, sie regelmäßig zu hinterfragen und manchmal auch wieder abzureißen. Welcher Mensch dabei zum Vorschein kommt ist einer der spannendsten Aspekte des Jobs. Das letzte Interview mit Scott Weiland führt VISIONS im März 2015. Mit seiner Band The Wildabouts unternimmt Weiland noch einmal einen passablen Versuch, einem auf Skandal abonnierten Negativimage nichts anderes als Musik entgegenzusetzen. Gleichzeitig scheint durch, wie sehr Weiland durch zwanghafte Selbstsabotage – und inakzeptables Verhalten gegenüber den eigenen Fans – auf seinem persönlichen Crashkurs bleibt.

Trotz zahlloser Läuterungsversuche scheinen Weiland immer noch die Katastrophen vorauszueilen. Im Interview legt Weiland einfach überfordert den Hörer auf. Die Minuten davor sind für beide Seiten eine schmerzhafte Pflichterfüllung. Was Rock’n’Roll wirklich ist und wie viel davon jeder von uns als gesund ansieht, ist eine der Fragen, die danach übrig bleiben.

Mit dem Tod von Scott Weiland dünnt eine immer seltener werdende Spezies weiter aus. Der Bad Boy ist ein Auslaufmodell des längst erwachsen gewordenen Rock’n’Roll, auch wenn wir uns gerade wegen der Verheißung der Unsterblichkeit damals in ihn verliebt haben. Zu Recht: Obwohl Weiland als Mensch geht, bleibt sein Rock’n’Roll bei uns.

Scott Weiland im VISIONS-Porträt (aus VISIONS 266)

Anders als Keith Richards

Scott Weiland wurde mit Stone Temple Pilots und Velvet Revolver zur Rockstar-Ikone, droht aber mitsamt Diskografie hinter fiesen Schlagzeilen zu verschwinden. Mit seiner neuen Band The Wildabouts und ihrem Album „Blaster“ will er das ändern. Ein Neuanfang mit Problemen, auch alten.

„Keine alten Kamellen bitte!“ Die Ansagen vor einem Interview mit Scott Weiland sind deutlich, denn mit dem streitbaren Künstler ist nicht immer gut Kirschen essen. Weiland gilt als schwieriger Typ mit verletzlichem Kern. Das würde eine Armee von Menschen so unterschreiben, die mit ihm in den letzten 25 Jahren als Ex-Bandkollegen, Ex-Ehepartner, Ex-Freunden, Ex-Geschäftspartnern oder Pressevertretern zu tun hatten. Andererseits lebt Weiland bis heute ganz gut von seinem Ruf als Enfant terrible. Das nämlich schöpft objektiv betrachtet mit beiden Händen aus einer Kamellenkiste, bis oben hin gefüllt mit Skandalen, Schicksalsschlägen und öffentlichen Schlammschlachten. Wie anders klingen dagegen Scott Weiland And The Wildabouts, eine neue Band, die die Schlagzeilen über Weilands Rechtsstreit mit den Stone Temple Pilots oder dem Modelabel-Betreiber Chris Wick endlich ablösen könnte.

Mit „Blaster“ hat das Quartett ein traditionsbewusstes Rockdebüt abgeliefert, das trotz vieler gekonnter Hooklines ein bisschen wie gut produzierter Dienst nach Vorschrift klingt. Oder eben wie Marius Müller-Westernhagen, wenn er statt Altbier in Düsseldorf das Drogenarsenal von Hollywood durchprobiert hätte. Was zumindest noch wie authentischer Rock’n’Roll wirken kann. Um das böse H-Wort soll sich bei Weiland indessen nichts mehr drehen, nach eigener Aussage seit 15 Jahren nicht mehr. Zwei gedruckt verfügbare Biografien ernähren sich prächtig von Weilands zahllosen Drogen-Anekdoten, aber auch ohne diese alte Kamelle gäbe es 2015 genug interessante Dinge zu besprechen. Dinge, die sich mit Weilands Gegenwart und Zukunft befassen. Oder die den Blick zurück auf musikalische Leistungen richten, die in zweiter Reihe hinter den Stone Temple Pilots und Velvet Revolver versteckt liegen.

Bereits 1998 entsteht mit „12 Bar Blues“ sein erstes Soloalbum, und auch 2009 gelingt es ihm, auf „Happy In Galoshes“ der zerrissenen Persönlichkeit hinter dem Medienphänomen Weiland eine Stimme zu geben. Ein neues Album unter der kreativen Ägide von Weiland kann sich daher eher an seinen früheren Soloplatten messen lassen als an dem Publicity-trächtigen Zerrspiegel Stone Temple Pilots.

Irgendetwas zieht den Weiland-Kosmos aber wie ein schwarzes Loch immer wieder in die vertraute Dunkelheit. Dorthin, wo der unkaputtbare Mythos des strauchelnden, aber doch unverwüstlichen Rockstars zuhause ist. Mittendrin sitzt jemand, der nicht von seinen inneren Schatten lassen kann, selbst wenn im äußeren Leben gerade die Sonne scheint: Scott Weiland selbst. Eine lange Fahrt von Boston nach Texas liege hinter ihm, entschuldigt der sich vorab. Die brüchige Stimme aus dem Telefonhörer und ihre mürrisch-einsilbigen Antworten lassen sich nicht mit der Vorstellung eines bequemen Nightliners vereinbaren, der Weiland und seine Band in den letzten 48 Stunden nach Houston kutschiert hat. Ein katastrophaler Kater mit Filmriss schon eher.

Scott, dein neues Album ziert ein Retro-Ghettoblaster. Was verbindest du ideell mit den 80ern?
Scott Weiland: Meine Highschool-Zeit und meine erste Band.
Was hat dir Musik damals bedeutet, bevor eine aufregende Profikarriere daraus wurde?
Ich habe immer gerne gesungen. Zu der Zeit noch im Chor.
Scott Weiland war mal ein Chorknabe?
Ja, ich konnte sogar Noten lesen. Und ja, ich habe die High School auch zu Ende gemacht.
Gibt aus deiner Sicht mit den Wildabouts auch musikalische Bezüge zu den 80ern?
Wenig, ein bisschen The Cure vielleicht. Aber das ist nur ein Einfluss von vielen. Ich finde das Album klingt eher nach den 70ern.
Nach welchen Kriterien stellst du eine Band zusammen? Adressbuch durchblättern und herumtelefonieren?
Das musste ich gar nicht. Die meisten Leute haben schon auf meinem Soloalbum gespielt.
Bis auf Joey Castillo, der gerade Urlaub von den Queens Of The Stone Age nimmt.
Ja, er ist nur unser Tour-Drummer.
Wie fühlt sich das an für dich, nach Stone Temple Pilots und Velvet Revolver wieder eine eigene Karriere anzuschieben?
Ich habe ein paar hunderttausend Platten verkauft und Grammys gewonnen. Die Leute wissen schon, dass sie abends zu Scott Weiland gehen.
Darauf wollte ich gar nicht hinaus. Warum ist es musikalisch gesehen attraktiver für dich, deine eigene Band zu haben?
Weil ich hier das letzte Wort habe.
Bist du ein guter Chef?
Ja, das bin ich.
Was zeichnet den deiner Meinung nach aus?
Ich kann gut zuhören.
Sind Scott Weiland And The Wildabouts eher ein weiteres Soloprojekt oder eine Band im üblichen Sinn? Der Name ja kann beides bedeuten.
Wir haben die Songs zusammen geschrieben, also ist das wohl eher eine echte Band.
Ich finde „Blaster“ überraschend glatt – gerade für jemanden, der sich als hoffnungslosen Romantiker bezeichnet und das auch öffentlich gern inszeniert.
Romantisch bin ich nur mit meiner Frau.
Deine musikalische Biografie ist vielseitiger, als man zuerst denkt. Warum wird Scott Weiland oft erst auf den zweiten Blick als Musiker wahrgenommen?
Keine Ahnung. Meinst du Keith Richards macht sich um so etwas Gedanken?
Wahrscheinlich nicht. Er hat aber auch nicht mehr die Hälfte seines Künstlerlebens vor sich.
Wenn du die Skandale um mich meinst: Seit 15 Jahren hat es vor mir keine mehr gegeben.
Wie viel von dem extravaganten Bühnen-Scott-Weiland bleibt denn nach einer Show von dir übrig?
Gar nichts. Ich bin ein ganz normaler Typ.
Was ist am wenigsten rockstarmäßig an dir?
Das beantworte ich nicht.
Selbstdarstellung gehört aber schon zu deinem Berufsbild. Es gibt mindestens zwei Bücher darüber.
Falls du das von meiner Ex-Frau meinst – da stehen Drogen und seelische Krankheiten ja schon im Buchtitel. Mary Forsberg ist eine durchgedrehte Hausfrau, total verrückt. Du kannst sie ja mal ausfindig machen und schauen, wie sie heute aussieht.
In ihrem Buch geht es sehr viel um dich. War das der Grund, zwei Jahre später deine eigene Autobiografie nachzuschieben?
Mein Buch war vorher schon fertig. Es ist nur später erschienen aus irgendwelchen Gründen.

Zieht man die Bannmeile um Weilands alte Kamellen ab, gibt es mit dem etwas unpässlichen Sänger plötzlich nicht mehr viel zu bereden. Nach gut 20 Minuten zähflüssiger Konversation hat irgendjemand keine Lust mehr und zieht den Stecker. Technisches Versagen ist ausgeschlossen, denn beim Rückruf hebt niemand mehr ab. In den sozialen Medien ist bald darauf nachzulesen, warum Scott Weilands Magen mal wieder übersäuert gewesen sein könnte. Der Abend in Boston zwei Tage zuvor war nach einem halbwegs gelungenen 75-Minuten-Set der Wildabouts für alle Beteiligten peinlich geendet. Für 150 US-Dollar konnten Fans dort ein Meet & Greet mit Weiland kaufen, und in Fan-Foren ist am Tag darauf nachzulesen, was Weiland an dem Abend für sein Honorar geleistet hat. Augenscheinlich sturzbesoffen beleidigte er Fans und ließ sich nur abfällig fluchend mit seinen Anhängern fotografieren. Wieder nüchterner entschuldigt sich Weiland Tage später im Netz für sein Verhalten als „totales Arschloch“. Widersprechen will ihm dort niemand.

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