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Geschichten aus dem Plattenladen: Supersize Me

Geschichten aus dem Plattenladen

Supersize Me
Vinyl hat ein Problem. Vinyl ist zu dick. Doppelvinyl, Triplevinyl, Gatefold Cover und diese vermaledeiten Deluxe-Boxen. Im Plattenladen sind unsere Fächer dermaßen prall gefüllt, dass man dort eigentlich schon eigene Platten pressen könnte. Vom Lagern will ich gar nicht sprechen. Aber auch daheim platzen meine Regale aus allen Nähten und bremsen mich sogar beim Kauf neuer Platten. Aber warum ist das denn so und vor allem muss das sein?
Underdog Recordstore (Foto: Gunnar Schulz)
Underdog Recordstore (Foto: Gunnar Schulz)

Kurz vorweg: Deluxe-Boxen lasse ich hier heute aus. Hab es ein paar Mal probiert sie einzubinden, aber das sprengt einfach meinen Rahmen hier.

Denn heute soll es hier nur um das einstige Großprojekt ambitionierter oder größenwahnsinniger Künstler:innen gehen: das Doppelalbum. Zwei Schallplatten, am besten im Klappcover. Gedacht, um dem zeitlichen Gefängnis einer einfachen Schallplatte mit schnöden 40 Minuten zu entfliehen und die ganze momentane Kreativität in die Welt mit zwei wunderschön gestalteten Flügeln zu entlassen. „Flatter, Flatter, Flatter“ sozusagen.

Das Doppelalbum an sich ist älter als die Mondlandung und somit alles andere als neu. Und von fünf Doppelalben waren bestimmt auch damals schon mindestens drei mehr „Filler“ als „Killer“, also warum ist das in meinen Augen erst heutzutage ein Problem? Nun, was damals eben eine Ausnahme war, etwas Besonderes, ist heute so ziemlich das Standardformat in Pop, HipHop, immer öfter sogar Punk und vor allem Metal. „Aber das ist doch toll, dass alle so kreativ sind und das mit uns teilen!“, höre ich irgendwo jemanden denken. Jein, antworte ich jetzt mal.

Das Problem, das ich sehe, ist, dass zwar alle gerne Vinyl herausbringen wollen, aber immer weniger davon in Vinyl denken – vor allem die physische Limitation dieses Formates mitdenken. Es passt eben nur eine bestimmte Menge an Musik auf eine Platte. Und damalige Bands waren auf diese Begrenzung getrimmt. Wenn dir nur 40 Minuten zur Verfügung stehen, die du veröffentlichen kannst, dann wirst du alles dran setzten, dass es die besten 40 Minuten sind, zu denen du in der Lage bist. Da wurde verworfen, gestrichen und umgeschrieben, bis man in dieses Korsett passte und auf dem Ball der Veröffentlichung die beste Figur darbot.

Mit der Einführung der CD wurde dieses Limit auf über eine Stunde gestreckt. „Hurra mehr Platz für Musik“, riefen die einen, „Oha weniger Qualitätsfilter“, bemerkten die anderen. Jetzt gab es schon 20 Minuten mehr, um das Ergebnis zu verwässern. Und gerne wurden die zusätzlichen Minuten dann zunächst auch mit Bonusmaterial gefüllt, welche dann auf der Vinyl-Version des Albums einfach nicht auftauchten. Natürlich ärgerte man sich damals darüber, dass einem etwas entgeht, aber genau genommen war es ja nur Ausschussware und wurde diese tatsächlich als gut genug empfunden, so fanden die Lieder letztendlich auch einen Weg in Vinyl geritzt zu werden.

Mit dem Streaming wurden jetzt aber einfach alle Filter-Dämme dieser Welt eingerissen und wir schwimmen – ja vielleicht sogar ertrinken wir – einfach nur noch in einer einzigen digitalen Flut an Musik. Keine Zurückhaltung, keine Filter, irgendwer wird es schon irgendwo irgendwie gut finden. Also raus in die Welt damit. Klingt befreiend und ist es ja auch irgendwie. Für Künstler:innen und für Fans. Ich picke mir halt die drei Lieder von Album X, die ich gut finde und schiebe sie in meine Playlist. Trivial, digital, scheißegal.

Problematisch wird es aber jetzt, wenn diese Masse an virtueller Freiheit auch in echtes Plastik gepresst werden soll. Sich wieder in dieses verkrustete Korsett reinzwängen? Auf keinen Fall. Da werden jetzt ebenso viele von den Dingern zusammengenäht bis wir einen Ballon haben, in den die ganze Luft reinpasst, die produziert wurde. Das Doppelalbum ist nun nicht mehr das ambitionierte Projekt, welches man bewusst mit Leben füllen will, sondern plötzlich die Notwendigkeit, weil die Hose einfach nicht mehr passt.

Und so füllen sich unsere Regale im Laden und eure daheim exponentiell bis es irgendwann einfach nicht mehr geht und nichts mehr reinpasst, denn nicht jeder Mensch und Laden ist in der Lage anzubauen nur um seine oder ihre Musik unterzubringen. Es gibt großartige Doppelalben, von denen ich keine Minute missen möchte und nicht wenige davon sind aus den letzten zehn Jahren und trotzdem wünsche ich mir von jeder Platte einer Band immer am liebsten nur 30 bis 40 Minuten pure Qualität, die ich sofort wieder hören will. Also liebe Bands: Think vinyl before you do vinyl!

 

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