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Soko Linx über 10 Raritäten von Die Ärzte, die man unbedingt kennen sollte

10 Songs mit...

Soko Linx
In unserer Rubrik „10 Songs mit …“ stellen Musiker:innen zehn Songs zu einem Thema zusammen und erzählen, was diese ihnen bedeuten. Heute mit Siko Lonx und Oxon Kils von Soko Linx und zehn musikalischen Raritäten der besten Band der Welt.
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Soko Linx (Pressefoto: Bakraufarfita)

„Die beste Band der Welt (Abk. Die Ärzte) hat circa drölfmilliarden Lieder geschrieben, aufgenommen und veröffentlicht. Viele dieser Werke haben sich im kollektiven Musikgedächtnis des deutschsprachigen Raumes verbarrikadiert. Dennoch gibt es Songs dieser Band, die nur am Rande oder gar nicht von der breiten Masse wahrgenommen werden. Siko Lonx und Oxon Kils, Sänger der Tanzkapelle Soko Linx, haben zehn dieser unbekannteren Perlen ans Tageslicht geholt und präsentieren sie jetzt dem Mainstream. Warum ausgerechnet Soko Linx diese Aufgabe anheimfällt, wird wohl für immer ein maskiertes Geheimnis bleiben …“

01. „Rennen nicht laufen!“

Siko Lonx: Wie ich finde einer der untypischsten Die-Ärzte-Songs überhaupt. Er fängt mit einer Fanfare an, die ganz am Ende des Albums „Im Schatten der Ärzte“ (1985) rückwärts abgespielt noch einmal erklingt. Denn ursprünglich sollte das Album mit diesem Lied beginnen. Aber nach Willen der Plattenfirma kam es doch anders und es wurde auf den 5. Platz in der Tracklist verwiesen. Der Song wird selbst von der Band brutal unterschätzt. Denn es gibt von ihm weder eine Live-Version noch eine weitere Veröffentlichung auf einem anderen Tonträger (vom „Seitenhirsch“ mal ausgenommen). Im Text wird die Geschichte eines jungen Menschen beschrieben. Offensichtlich erfuhr er viel Ablehnung im Laufe seines Lebens. Aufgrund dieser Erlebnisse ist aufgeben keine Option mehr für ihn. Somit schlägt er sich nun rennend durch trotz aller Widrigkeiten. Verbissen und vermutlich komplett auf sich allein gestellt, denn er rennt so schnell, dass sich viele vor ihm fürchten. Doch scheint er dabei ohne Kompromisse viel zu viel von sich selbst abzuverlangen und lässt somit wohl keine Pausen zu. Wahrscheinlich aus dem Wunsch heraus, nie mehr wieder „zu verlieren“. Das hat etwas sehr Tragisches. Ich glaube, in einem ihn liebenden und ihn anerkennenden Umfeld wäre dieser Mensch zu anderen Überzeugungen gekommen. Ob er jemals wieder stehenbleiben und innehalten kann, löst der Song nicht auf.

02. „Liebe und Schmerz“

Oxon Kils: Vielleicht eines der schönsten Liebeslieder (und auch Schmerzlieder) überhaupt von der besten Band der Welt aus der Feder des Stehtrommlers. 1998 auf dem Überalbum „13“ erschienen, fristet dieser Song eher ein Schattendasein im musikalischen Ärzte-Kosmos. Liebeslieder kann die Band. Allen voran Farin Urlaub. Dies dürfte hinlänglich bekannt sein. Das Album „13“ hätte auch „Eine Stunde Hitkunde“ heißen können, derart viele Ärzte-Klassiker befinden sich auf dieser Langspielplatte. Da hat es „Liebe und Schmerz“ schwer sich gehörig in Szene zu setzen. Dennoch reiht der Song sich zwischen all den Evergreens nahtlos als musikalisches Kleinod in das Album ein und wertet dieses auf, ohne es zu merken. „Liebe und Schmerz“ gehört schon jetzt präventiv auf jede Trennungsschmerzkompilationskassette für die Regentage des Herzens.

03. „Shit Piece“

Siko Lonx: Dieser Song hat es noch nicht mal auf den „Seitenhirsch“ geschafft. Frechheit! Dabei enthält er doch alles, was einen guten Die-Ärzte-Song ausmacht. Eingängige Hook im Refrain mit E-Gitarren auf Anschlag und mehrstimmige Uhus von Farin Urlaub. Gekonnt kontrastiert wird der Chorus durch die reggae-esken Strophen. Außerdem sticht er heraus, weil dieses Lied eines der wenigen ist, dass in englischer Sprache verfasst wurde. Ursprünglich ist das Lied auf dem Sampler „Extreme Terror“ (2000) erschienen, fälschlicherweise (Who knows?) mit dem Titel „Shit Peace“. Absolutes Nerdwissen. Diesen Sampler besitze ich sogar. Warum auch immer.

04. „Dobly“

Oxon Kils: Eine B-Seite der ersten Singleauskoppelung des letzten DÄ-Albums „Dunkel“ (2021). Für mich ist dieses Lied ein Hit. Eigentlich sogar ein Überhit. Absurder Text, eingängige Melodie. Farin singt an Bela und Rod gerichtet, dass er sich einen Synthie gekauft hat und untermauert dies musikalisch eindrucksvoll. Warum dieses Lied nicht direkt auf den sowieso mit Songs überladenen „Hell“/“Dunkel“-Alben erschien, weiß die Band wohl nur selbst. Richtig Ärzte-like wäre es eigentlich sogar gewesen, wenn das die erste Single des Albums gewesen wäre. Oder zumindest die zweite. Oder dritte. Aber egal. Ich geh mir jetzt einen Synthie kaufen …

05. „Die Welt ist schlecht“

Siko Lonx: Eines der wenigen Lieder, das aus der Feder von Farin Urlaub und Bela B stammt. Bela schrieb den Text auf das bereits bestehende Instrumental von Farin Urlaub mit dessen Vorgabe, dass die Zeile „Die Welt ist schlecht“ Verwendung finden muss. Entstanden ist ein Song, in dem die Geschichte eines Mannes erzählt wird, der von seiner Freundin verlassen wurde, um nur etwas später mit anfänglicher Skepsis ein neues Liebesglück in den kraftvollen und doch zärtlichen Armen eines anderen, warmherzigen Mannes zu finden. Heteronormative Standards wurden von Die Ärzte nicht nur in diesem Lied, sondern immer wieder mal humoristisch aufgebrochen und somit infrage gestellt. Die Melodie ist eingängig und der Text mit dem Twist am Ende einfach mal wieder gutes Storytelling à la Bela B. Nur steht das für mich leider schon auch im deutlichen Widerspruch zu manchen Ansagen der Die Ärzte, die letztes Jahr mit Recht einen gewissen Shitstorm im Internet auslösten.

06. „Quadrophenia“

Oxon Kils: Wieder eine B-Seite. Dieses Mal aus der Singleauskopplung „Zeidverschwändung“ des Albums „Auch“ (2012). B-Seiten kann die Band. „Quadrophenia“ – ein Lied von Rodrigo González. Die Stücke von Rod, vielleicht mal abgesehen von „1/2 Lovesong“ und „Dinge von Denen“, stehen wie ich mittlerweile bei Rockkonzerten eher in den hinteren Reihen. Unverdienterweise. Rod schreibt sehr schöne Ärzte-Songs. Ob nun „nur“ musikalisch beteiligt (z.B. „Friedenspanzer“, „Die Banane“) oder aber auch textlich (u.a. „Rock’n’Roll Übermensch“, „Anti-Zombie“, „Breit“, „Polyester“) – der Chilemann aus BRD hat es mir mit seinen Liedern angetan. „Quadrophenia“, für mich ganz klar eine A-Seite, steht dafür stellvertretend. Rod – we love you!

Siko Lonx:
Hier stimme ich in allen Punkten zu. Der Song ist einfach ein kleines Meisterwerk, das viel zu wenig Aufmerksamkeit genieszt.

07. „Sex Me, Baby“

Siko Lonx: Dass es dieser Song nicht aufs Album „Planet Punk“ (1995) geschafft hat, ist mir nach wie vor ein unerklärliches Rätsel. Das Gitarrenriff u. a. im Intro von Rod holt mich auch jetzt noch nach fast 30 Jahren total ab. Auch klingt Rods Gesang irgendwie anders als bei anderen Songs. Nur der Text wirkt auf mich inhaltlich doch irgendwie schlecht gealtert und hinterlässt hier und da ein kleines Störgefühl. Vor allem an der Stelle, wo das lyrische Ich bei dem Thema Abtreibung plötzlich Lust auf Sex bekommt. Für mich nicht ganz nachvollziehbar. Aber wir betrachten diesen Song einfach mal als Zeugnis seiner Zeit. Denn dieser inhaltliche Diskurs liest sich konsequenterweise auch auf andere Songs dieses Jahrzehnts wie „Alles aus Liebe“ (1993) von Die Toten Hosen erweitern, in dem das lyrische Ich sogar einen Femizid aus Liebe gnadenlos romantisiert.

08. „Freundschaft ist Kunst“

Oxon Kils: Ein Stück von Bela B aus dem Album „Auch“ (2012). Einem Album, das bei Fans und Kritikern ungerechtfertigt gehörig unter dem Radar mäandert. Mit Liedern wie „Tamagotchi“, „Fiasko“, „Cpt. Metal“, „Angekumpelt“ (ROD <3!), „M&F“, „Ist das noch Punkrock?“ oder eben „Freundschaft ist Kunst“ hat der Longplayer für mich reihenweise gute Musik zu bieten. Letzteres Stück setzt sich bitterböse und zynisch mit Menschen aus der Kunstbranche auseinander, die sich wohl für etwas Besseres halten und deren Darmwinde scheinbar angenehmer riechen als die herkömmlicher Erdenbewohner:innen. Das lyrische Ich des Liedes begibt sich in die tiefen Abgründe der Künstler:innenszene, hängt in dieser rum und weiß dabei mit vortrefflichen Aussagen zu glänzen: „Sie leben exzessiv, nur in der Enge frei. Sie sind stets depressiv und haben ihren Spaß dabei.“ Ganz große Kunst.

Siko Lonx: Auch bei mir fällt das Album trotz einiger guter Songs als Gesamtwerk durch. „Freundschaft ist Kunst“ ist da einer der Songs, den ich in seiner ironischen Überheblichkeit sehr unterhaltsam finde.

09. „Am Ende meines Körpers“

Siko Lonx: Dieser Song enthält einen der absurdesten und aberwitzigsten Texte der Bandgeschichte von Die Ärzte. Den Hardcore-Musikkenner:innen wird dabei die Ähnlichkeit zum Lied „Astronomy Domine“ nicht entgangen sein, die ich als eine wertschätzende Verbeugung und gelungene Reminiszenz an das Frühwerk von Pink Floyd um den damaligen Sänger und Gitarristen Sid Barrett verstehe. Doch wie „Am Ende meines Körpers“ führt in meiner Wahrnehmung das gesamte Album „Le Frisur“ (1996) zu Unrecht eher eine Nischenexistenz als unliebsames Sandwichkind zwischen „Planet Punk“ und „13“. Dabei sticht dieses Album wie alle Alben der 1990er der Die Ärzte für mich als besonders gelungen hervor. Denn der Humor der besten Band der Welt erreichte in dieser Dekade nach meinem Verständnis seinen absoluten Höhepunkt. Zusätzlich ist der Sound dieser Platte noch der konsistent härteste und raueste, den Die Ärzte nur kurz davor, aber danach bis jetzt nie wieder mehr erreichten. „Am Ende meines Körpers“ ist deswegen eine universale Hörempfehlung für alle Menschen, die einen Sinn haben für surreale Texte sublimiert durch psychodelische Harmonien. Eine Klimax der Groteske.

10. „Himmelblau“ (Economy Version)

Oxon Kils: (Die durchs Internet surfenden Ärzte-Nerds hören ab hier bitte auf zu lesen, ihr wisst das doch eh alles schon und könnt woanders weiterreiten.) Ende 2007 erschien von der „Jazz ist anders“ eine Economy Version. Das reguläre Album wurde neu vertont und eingespielt, Texte und Musikstile nach Herzenslust verändert. Gleich zu Beginn ertönt wie im Original das Lied „Himmelblau“. Jedoch ist der Himmel dieses Mal grün, woran die Russen schuld sind. Weiterhin wird die Frage aufgeworfen, warum „wir“ für Gas und damit verbundener Wärme bezahlen sollen. Unter Freunden sei dies nicht üblich. Zitat Farin: „Mensch Putin, gib dir mal nen Stoß! Wir wollen nicht frieren, wir sind alle Freunde! […] Schon mal was von Druschba gehört? Druschba heißt Freundschaft und Freundschaft heißt Menschen warmzuhalten!“ Insgesamt eine Albumversion, welche mir sehr viel Freude bereitet und in diesem speziellen Fall mit einem herrlich absurden Text. Dieser kam mir unvermittelt wieder in den Sinn, als fucking Despoten-Putin und Russand vor zwei Jahren die Ukraine überfielen. Nicht das dies lustig wäre, mitnichten. Die anschliessend geführte Debatte um die Energieversorgung Deutschlands und die bis dahin resultierende Abhängigkeit von russischem Gas hoben den Text jedoch auf eine Aktualität, die seinerzeit zum Erscheinen des, nun ja, Albums noch nicht in der Form gegeben war. Die Band bewies ungeahnten Weitblick. Die Ärzte – Die Simpsons der Musikbranche. (Ey, Ärzte-Nerds, noch da?! Hat Farin nun eine Freundin? Wisst ihr da was Noise?)

Mit „Blosz keinen Stresz“ erscheint am 26. April das neue Album von Soko Linx über Bakraufarfita.

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