Manchmal überschlägt sich die Zeit, und die Dinge gewinnen plötzlich ganz neue Bedeutungen, so wie die
neue, energische Platte des Berliner Trios Shirley Holmes. Die Single “Das Licht” verweist in ihrer vorpreschenden Art auf Kraftklub und vermischt diesen Eindruck mit einer Verve, die an Songs von Farin Urlaub erinnert. Zeilen wie “Ich warte auf das Leben oder ist das schon Wirklichkeit” oder “Ich könnte einfach springen, aber ich wüsste nicht wohin” scheinen so bekannt, als seien sie aus dem eigenen Kopf abgezapft und erst im Moment des Hörens wie ein akustischer Spiegel in den Song gepflanzt worden. “Auszeit” schlägt den kernigen Ton von DAF an, vereint Spoken-Word-Passagen mit Punk-Elementen und verfremdeten Kinderreimen und spielt mit dem trügerischen Verlangen nach dem schnellen und einfachen Ausstieg aus dem Hamsterrad aus Alltags- und Gedankenschleifen. Während man noch glaubt, Shirley Holmes hätten sich ihre Grenzen sauber zwischen NDW und Pop-Punk gesteckt, entwischt der “Wolf von Brandenburg” in eine Improvisation verwinkelter Unsinnspoesie und man erkennt, dass überstürztes Kategorisieren hier fehl am Platz ist. Wie gefangen wir tatsächlich alle in unseren Mustern sind, greift der Epilog “Geleitete Meditation” erneut auf und lädt ungewohnt leise und gewohnt scharfzüngig zum Nachdenken ein.