Ein Chicago-Album wollte Ryley Walker machen, und das geht so: Chicago klingt wie ein Zug, der beständig auf einen zufährt, aber nie ankommt. Guter Vergleich, weil wirr genug, um gleich schon mal einen Einblick in Walkers assoziatives Denken zu geben. Ein bisschen mehr Zeit muss man auch für “Deafman Glories” einplanen, denn das Album nähert sich auf leisen Pfoten, wie eine Katze in einer neuen Wohnung, und scharwenzelt ähnlich vorsichtig um sein stilistisches Mobiliar herum. Walker hat seine Musik scheinbar genau in dem Moment abgepasst, wo sie sich eigentlich zwischen getragenen Improvisationen und kompakteren Songs hätte entscheiden müssen, es aber nicht tut. Dieser Schwebezustand ist reizvoll, wenn man seinen Herzschlag für eine Dreiviertelstunde herunterdimmen kann und nur Walkers luftiger Stimme – irgendwo zwischen Stuart Staples und Stuart Murdoch – zuhört. Ein bisschen erinnert das an das Vorgehen von genialischen Geheimtipp-Songwritern à la Nick Drake, die drei obskure Alben aufnahmen und dann ein schlimmes Ende fanden. Bei “Deafman Glories” liegt gleichzeitig aber immer etwas Jazz in der Luft, und zwar in seiner verspielten Form, die sich mit Klarinetten-, Flöten- und Glöckcheneinsatz ankündigt. Dafür, dass Walker das Album als sein persönlichstes bewertet, geht man am Ende erfrischt und entspannt aus der Begegnung hervor. Und philosophisch gewappnet. Ist der Zug, der nie ankommt, nicht der Zug, mit dem man am liebsten fahren würde?
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