0,00 EUR

Es befinden sich keine Produkte im Warenkorb.

    Mspaint
    Post-American

    VÖ: 10.03.2023 | Label: Convulse
    Text: | Erschienen in: VISIONS Nr. 360
    Schönheit
    Mspaint - Post-American

    Eine Band, die sich nach einem altertümlichen Zeichenprogramm benennt und Synthies, Rap und Hardcore-Grooves mischt, klingt nach einem schlechten Witz. Doch bevor man zum Lachen kommt, walzt einen der krude, aber effektive Mix aus Sound und Attitüde von Mspaint platt.

    Die Wucht, mit der sich Mspaint in ihr Amalgam aus Noiserock, Post-Punk, Hardcore, Dance-Punk und Nu Metal stürzen, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Elemente und vereinzelte musikalische Phrasen nicht neu sind. Auch wenn das Presseinfo anderes suggerieren möchte: Groovender 90er-Hardcore und dazugehörende potthässliche Artworks sind seit Turnstile wieder stark im Kommen, den aggressiven Mix aus Synthies, Noise und Punk spielen Bands wie An Albatross oder Antitainment schon seit Jahrzehnten. Neu ist hingegen, dass die US-Band auf Gitarren verzichtet. Mit ihnen wären Mspaint zwar kompetent und unterhaltsam, aber ehrlich gesagt auch nichts Besonderes.

    Saiten durch Tasten zu ersetzen, ist im Fall von „Post-American“ also ein ziemlicher Geniestreich. Denn mit Synthesizern sind weitaus vielfältigere Klangtexturen möglich als mit Gitarren, egal wie viele Meter Effektpedale man zum Ausgleich auf die Bühne oder in die Studiokabine stellt. Die hypernervöse Hi-Hat und die Sägezahn-Synthies aus dem Opener „Information“ klingen nach einer entsexualisierten Version der durch unangenehme Assoziationen mit dem Proud-Boys-Chef Gavin McInnes in Ungade gefallenen Death From Above 1979, während Sänger Deedee schon mal seinen Claim zwischen Hardcore und Rap absteckt. „Decapitated Reality“ mit seinem Gastbeitrag von Soul Glo-Frontmann Pierce Jordan mutet wie eine elektronischere B-Seite früher Turnstile an, bevor der Song in orgeligen Doom abdriftet. „Free From The Sun“ hingegen speist sich aus No Wave und 90er-Alternative. Zwischendurch hört sich gerade der Gesang so an, als wäre er an Nu Metal und Bands wie Papa Roach geschult worden, allerdings ohne ironischen Zwischenboden.

    Das Kunststück von „Post-American“ ist es also, Gitarrengenres zu synthetisieren, statt sie neu zu konstruieren. Bekannte Strukturen mit dem Meißel abzutragen, die Trümmer aber nicht liegen zu lassen, sondern neu zusammenzusetzen. Oder: „Burn all the flags and the symbols of men/ Now you’re living out the dream, Post-American, wie Mspaint im Titelsong selbst sagen. In diesen zwei Zeilen kristallisiert sich der Ansatz der Band heraus. Trotz Desillusionierung mit der digitalen und analogen Welt, trotz Untergangsstimmung lässt sich mit den verkohlten Resten der abgebrannten alten Welt eine neue, bessere Zukunft zeichnen, in der alle ihren Platz haben.

    Das steckt drin: Death From Above 1979, Devo, Turnstile