Tucholsky nannte Kafkas Roman “Amerika”, dessen Schlusskapitel in diesem Musiktheaterstück den Auftakt bildet, “ein Amerika-Buch, das eigentlich gar keines ist und doch eines ist”. Ähnliches gilt für diese Arbeit von Regisseurin Angela Richter und der Goldenen Zitrone Ted Gaier, die letztes Jahr in Hamburg inszeniert wurde. Natürlich geht es hier um das Amerika der immer noch anhaltenden Apartheid (“Der weiße Mann, er möchte das Gehirn sein und er möchte, dass der schwarze Mann der Muskel, der Körper ist.”), der Angstkultur, der ihre ‘Freiheit’ schwer bewaffnet gegen alles Fremde verteidigenden Bürgerwehr. Es geht aber auch um wehrhafte amerikanische Bürgerrechtler wie Martin Luther King oder die Black Panther, und es geht um die Faszination des von der Realität verdorbenen amerikanischen Traums, die bei Kafka ambivalent und im Titelsong von Joe Dassin begeistert ihren Ausdruck findet. Theaterszenen, Originaldokumente und Songs wechseln sich ab, und Melissa Logan von Chicks On Speed liest und singt zur Begleitung von Les Robespierres, die üblicherweise schwer verdaulichen Kreisch-Rock’n’Roll spielen, indem sie auf Kunst-Portugiesisch Unterdrückungsmechanismen thematisieren. Hier musizieren sie häufig zugänglicher, was dennoch nicht heißt, dass Freunde unterhaltsamer Kapitalismuskritik mit USA-Bezug à la Michael Moore oder Anti-Flag hier einen leicht verdaulichen Gesinnungssoundtrack vorfänden. Das hier ist insofern Kunst, als dass die Form dafür sorgt, ein ernstes Thema nicht zum kurzweiligen Konsumgut zu machen. Dabei ist es trotz Tiefenschärfe und grandioser literarischer Bezüge wie Boyle oder Cleaver oft derart direkt, dass Gegner moralpolitischer Kunstauffassung schreiend Reißaus nehmen werden.