Dead Pioneers
Po$t American

Am Anfang ist das Bild, gekoppelt mit einer Zeile, einem Namen. Wer 1980 das Debüt der Dead Kennedys in die Hände bekommt, verbrennt sich daran fast die Finger. Die in Flammen stehenden Polizeiwagen, ein Menetekel zerstörter Staatsgewalt, dazu der Bandname als Peitschenhieb ins Gesicht einer ganzen Politkaste. “Po$t American” funktioniert ähnlich direkt, aber fast noch intensiver. Dead Kennedys damals, Dead Pioneers heute – die Gründerväter eines auf Blut und Ausrottung errichteten Staates, gefällt durch eine indianische Axt. Allein die Verpackung des zweiten Albums der Band um Sänger, Multimedia-Künstler und Aktivist Gregg Deal, Mitglied des Pyramid Lake Paiute Tribe, lässt keine Zweifel aufkommen: Hier geht es zur Sache.
Schon mit ihrem Debüt sorgte die Band für Aufsehen, ihr Mix aus Deals vielschichtigen Texten und einer Art postmodernem Hardcore-Punk traf einen Nerv. Mit dem Nachfolger dürfte sich der Fan-Kreis entscheidend erweitern. In den USA wurde die Band bereits von Pearl Jam eingeladen, sie auf ihrer aktuellen Tour zu begleiten. Bei der Veröffentlichung ihrer ersten Single “Bad Indian” erhielten die Dead Pioneers Unterstützung von Jello Biafra, der die Platte auf Alternative Tentacles unterbrachte.
Seine Texte singt Deal aus der Sicht der indigenen Ureinwohner, mal so ironisch grundiert wie in “My Spirit Animal Ate Your Spirit Animal”, dann wieder so zeitlos in die Magengrube wie bei “Mythical Cowboys”, in dem er die Wildwest-Gewinnler Hollywoods allesamt in einen Sack steckt: „Your idea of us is a sports mascots, the antagonists in a John Wayne or Kevin Costner film, we are D-list characters, eliminatable characters“.
Als „kollektive Entmündigung und Desillusionierung des sogenannten amerikanischen Traums“ definiert Deal den Albumtitel: „Fed hopes and the American Dream, fed equality and star-spangled themes, we are a nation of death and the gun, we’re all nearly post American“, heißt es im Titelsong, die Gitarren im Intro klingen wie ein Update des charakteristischen Twang-Sounds der Dead Kennedys.
Wie Biafra weiß auch Deal, dass all die Botschaften sich mit einem eigenständigen Grundton viel besser an den Mann, die Frau und alle dazwischen und außerhalb bringen lassen. Sein Gesangsstil kombiniert klassische Shouts, siehe “Pit Song”, mit Spoken Word durch einen dokumentarisch anmutenden Duktus ganz besonders eindringlich. Auch stilistisch sprengen Dead Pioneers die Genre-Grenzen. Da ist zum einen das klassische Hardcore-Uptempo, immer wieder jedoch, geprägt von Algiers-Gitarrist Lee Tesche, öffnen sich Klangräume, die mal ans atmosphärische Drama der Idles erinnern, im zu Herzen gehenden “Fire And Ash” sogar an R.E.M. denken lassen. Großartig ist auch der Gastauftritt von Ren Aldrige (Petrol Girls) im düster verhangenen “Love Language”. So erweist sich “Po$t American” am Ende als künftiger Klassiker, inhaltlich schmerzhaft deutlich, musikalisch so aufwühlend wie visionär.
DNA:
Algiers – “The Underside Of Power” (2017, Matador)
Schon im Auftakt “Walk Like A Panther” finden sich DNA-Anteile der Dead Pioneers, proklamierender Gesang und dystopischer Vibe bestimmen das Bild. Lee Tesches Stammband agiert außerhalb der Koordinaten, malt Soundscapes wie in “Cleveland” und “Bury Me Standing”, schwoft mit “Mme. Rieux” durch den Ballroom, während “The Cycle/The Spiral: Time To Go Down Slowly” Hardcore im Soul-Gewand ist.
Rollins Band – “The End Of Silence” (1992, Imago)
Der HC-Generalüberholung auf “Po$t American” nicht unähnlich, heben auch Henry Rollins und Band Anfang der 90er Hardcore und Punk auf ein neues Level. Die brachiale Wut und die speichelnasse Aggression von Black Flag werden in Leadsongs wie “Low Self Opinion” und “Tearing” durch muskulöse Grooves und eine Affinität zum Langformat (siehe “Blues Jam”) erweitert.
Dead Kennedys – “Fresh Fruit For Rotting Vegetables” (1980, Cherry Red)
„I will be Führer one day“, singt Jello Biafra über Jerry Brown, damals Gouverneur von Kalifornien und aus heutiger Sicht ein Waisenknabe angesichts der rasanten Entwicklungen im Staate Trump. Unverändert aktuell ist die Energie dieser Platte, Songs wie “Forward To Death”, “California Über Alles” oder “Holiday In Cambodia” sind der Soundtrack zum Untergang des amerikanischen Traums.
Zweitstimmen:
Martin Burger: „Wenn Henry Rollins Native American wäre. Dead Pioneers bringen die Angepisstheit der Marginalisierten ins AZ und Hardcore in den Vorlesungssaal. Damit rennen sie hoffentlich viele Türen ein, bei mir offene, woanders bislang geschlossene. Auf dass die ‘Caucasity’ stoppe.“
Juliane Kehr: „Ein kluger, bissiger Kommentar zum politischen Trauerspiel in den USA auf einem Bett aus solidem Hardcore. Die Neuerfindung des Rades ist das nicht, es ist trotzdem gut und wichtig, dass die Platte so klar in der Spur und beladen mit kritischen Wortsalven ins Ziel rollt.“
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VÖ: 09.08.2024