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    Carpe Diem

    VÖ: 22.10.2001 | Label: Music For Nations/Zomba
    | Erschienen in: VISIONS Nr. 110
    6 / 12

    4-Ohren-Test

    Bei dieser Platte braucht man weder falsche Drogen noch einen Kopfhörer, es reicht gesunder Menschenverstand, frei von allen geistigen Hilfsmitteln. Oder einfach nur ein anderes Musikverständnis. Das fängt bei mir zumindest beim Sänger an. Der muss was können, und nicht ‘nur’ ein Schreihals sein, sondern auch mal andere Tonlagen treffen. Was Jochen hier mit Atmosphäre beschreibt, mag für die Musik durchaus zutreffen, das Ganze ist dicht und fett und meinetwegen auch überaus eigenständig. Trotzdem nervt es durch die eintönigen Rifffolgen nach einiger Zeit ganz schön. Und erst recht in Kombination mit dem ‘Gesang’. Der Vergleich zu den Deftones scheint doch etwas zu weit hergeholt zu sein – auch wenn Will Haven ebenfalls aus Sacramento kommen. Grady Avenell ist kein facettenreicher Chino Moreno, sondern eher ein weiterer auf der Stelle tretender Shouter vom Schlage eines Max Cavalera, der übrigens auch ein Bewunderer von Will Haven ist – kann das Zufall sein? Es ist genauso unmöglich, diese Platte komplett am Stück zu ertragen, wie jemand eine Dreiviertelstunde lang schreien kann. Wut ist eine Momentaufnahme, doch hier wird sie zur Endlosschleife. Das kann nicht gut gehen – geschweige denn gut tun. 6


    Will Haven kommen mit einer weiteren kompromisslos harten Platte recht nahe an die Deftones-Atmosphäre heran, das will anfangs allerdings gar nicht so recht auffallen. Noise-Attacken wie „Saga“ oder „Alpha Male“ schmettern einen mit ihrer Brutalität zunächst einmal schlicht an die Wand – vergleichbar mit einem Menschen, der die Puste hat, einen über 40 Minuten hinweg durchgehend und in voller Rage anzuschreien. Rücksicht auf Gängiges wird dabei nicht genommen: Ein Stück wie „Finest Hour“ zum Beispiel besteht aus drei grundverschiedenen Teilen, „BATS“ oder das Opener-Fragment „S.H.R.“ ergeben für sich allein überhaupt keinen Sinn, im Kontext der Platte jedoch tun sie es. Die Stilmittel, musikalischen Feinheiten und Lyrics hingegen benötigen ein paar konzentrierte Durchläufe und machen die dunkle Schönheit dieses Werkes erst nach und nach greifbar. Im Endeffekt verhält es sich hier so wie mit dem Deftones-Stück „Elite“: Will Haven sind anfangs fast unerträglich und böser als all die, die sich nicht gehen lassen können. Mit einer Mischung aus atmosphärischen Stilmitteln, sorgfältig ausgewählten Elektronik-Akzenten, Dramatik und Brutalität im Stile von Neurosis schafft es diese Band, ein musikalisches Horrorszenario zu erschaffen. Die falschen Drogen und ein Kopfhörer könnten beim Genuss dieser Platte verheerend sein. 10