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    Kettcar
    Ich vs. Wir

    VÖ: 13.10.2017 | Label: Grand Hotel van Cleef/Indigo
    Text: Matthias Möde / Florian Schneider
    Kettcar - Ich vs. Wir

    Vier-Ohren-Test

    Mit Sturm und Drang: Kettcar sind 2017 ganz die Alten und besser – und so gut und wichtig wie nie zuvor. Vielleicht hat es die Spannungen in der Band rund um den Vorgänger „Zwischen den Runden“ (2012) nicht nur gebraucht, damit Marcus Wiebusch sein Soloalbum „Konfetti“ (2014) veröffentlichte, sondern auch damit die Band nun so stark zurückkehrt. Abgeschrieben hatten sie sich ohnehin nie. Nach fünfeinhalb
    Jahren haben Kettcar ihre Art, Melodien zu schreiben, Akzente zu setzen und mit Pop zu flirten, nicht beiseitegelegt. Ihre Rückkehr fühlt sich deshalb heimisch, aber trotzdem erfrischend anders an: Kettcar sind musikalisch experimentierfreudiger geworden, so nimmt sich etwa das wunderbar erzählte „Trostbrücke Süd“ nach drei Minuten kurz zurück, um sich für ein breit instrumentiertes Finale zu öffnen: „Wenn du das Radio ausmachst/ Wird die Scheißmusik auch nicht besser“ – Kettcar brennen wieder, was sich an manch galliger Gitarre, aber vor allem an doppeldeutigen Zeilen wie diesen zeigt. Wiebusch dokumentiert und kommentiert mit trister Euphorie das Zeitgeschehen: Nicht wegschauen, nicht abschalten in Zeiten ohne Oppositionen und Optionen; die Menschen in der Masse erkennen und „von den verbitterten Idioten nicht verbittern lassen!“, wie es im finalen „Den Revolver entsichern“ heißt. Der Kurzgeschichten-Song „Sommer 89…“ handelt von einem Fluchthelfer, der Löcher in den Zaun schneidet, um Menschen Träume zu erfüllen, die für viele keine sind. Er könnte kaum aktueller, Kettcar kaum besser und wichtiger sein.
    10/12 Matthias Möde

    „Musik wie gute Literatur“, heißt es über Sommer 89… Damit ist das Problem von „Ich vs. Wir“ auch schon zusammengefasst. Unbestritten sind Marcus Wiebuschs Texte inhaltsstark, bei genauerer Betrachtung erfüllen sie womöglich auch die Kriterien für gute Literatur. Nur warum verpackt sie seine Band in den immer gleichen, gefühligen Wohlfühlpop, zu dem Wiebusch seine Zeilen mit einer Betroffenheit raunt, als müsste er alleine die Lösung für alle Probleme finden, die er auf „Ich vs. Wir“ so treffend benennt. Blumfeld ist es zuletzt mit „Old Nobody“ gelungen, auf Deutsch Politik und Pop miteinander in Einklang zu bringen – sie
    vollzogen dabei aber auch eine stilistische Weiterentwicklung, die nicht allen gefiel. Kettcar haben die vergangenen fünf Jahre nicht dazu genutzt, sondern allein darauf vertraut, dass ihr Frontmann nicht nur unter eigenem Namen Songs wie „Der Tag wird kommen“ schreibt, sondern auch für sie selbst. Das Ergebnis ist „Sommer
    89…“. Es ist die Diskrepanz zwischen inhaltlicher Progressivität und musikalischem Stillstand, die an Kettcar so nervt. Das garstige Gesellschaftsklima findet auf „Ich vs. Wir“ keinerlei musikalische Entsprechung, sondern führt zu einem Angela-Merkel-artigen „Einfach so weitermachen“. Hauptsache man kann sich in den großen Hallen, in denen Kettcar unterwegs sind, gegenseitig versichern, wie scheiße doch alles ist und sich dabei trotzdem total wohl, verstanden und im Recht fühlen. Kettcar wollen das vermutlich gerne als Subversion verkaufen, am Ende ist es aber nur für Leute, die „Das Literarische Quartett“ vermissen.
    5/12 Florian Schneider

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