Tag 8 – 08.10. Augsburg – Kantine
Augsburg heißt es endlich. Am Ende des Gewitterregenbogens liegt es da. Freudig schweigend. Wenn hier nicht der Herbst ist, werden wir ihn nie finden. Mit Ingwertee und Lutschpastillen auf den Abend warten. Als er kommt, haben eben diese ihr übriges getan, trotz Schnupfen sind wir zufrieden mit uns und dem Teil der Welt, der Augsburg heißt. Der fahnenschwingende Jüngling auf dem Etikett lächelt verheißungsvoll der Nacht entgegen. Bevor wir uns aufmachen, versuchen wir uns darin, die dargebotene Teigware beim Überqueren der Tanzfläche zu essen, bevor sie auf den Boden fällt.
Später sind wir im Weißen Lamm, Schritte vom Schwarzen Schaf. Humor.
Weil wir unser Herz vergessen haben, wird eine Schnapsgranate zum neuen Allgemeingetränk. Wir überleben mehrere Treppenstürze mit ihr und verziehen immer wieder tapfer das Gesicht.
Dann mit einem Regenschirm bewaffnet den Armor mimen. Als mobilen Mistelzweig wird er durch den Salon getragen, fremde Menschen vereint. Wir gefallen uns im Dienst von Liebe und Gesellschaft, bis einer, der nicht lieben will, den Schirm zerbricht. Sein Nebenmädchen weint ihm eine Träne nach. Ihr Glück wird harte Arbeit werden. Und auch der Bote zieht geknickt den Hut und davon.
Vor der Tür exerzieren wir chorisch alle Schlager der Zeit durch. Von Kapitän Griffey bis Seemat Skrotzki, alle stimmen an und alle stimmen ein. Kim Frank und Chris Martin in zärtlich-lyrischer Umarmung. Dann Küsse des Abschieds, Taxis verstreuen uns in die Richtungen des Winds. Unser Taxifahrer heißt Aslan, der Löwe, sagt er. Uns gefällt das gut. Während er fährt, trägt uns Aslan Fetzen aus seiner SMS-Korrespondenz mit einer Geliebten vor. Alles beginnt und endet immer mit Schatz, später einige Schätze dazwischen. Um uns davon abzuhalten, uns Rachenspray in die Augen zu schießen, lässt er uns seiner Flamme zurückschreiben. Doch sein strenges Auge enttarnt jeden unserer Witze und wir beten das alte Schatz-Schatz-Schatz-Spiel herunter, bis er zufrieden ist. Als wir zahlen, zahlen wir viel zu viel, doch der Löwe ist noch nicht besänftigt. Mit einem Purzelbaum flüchten wir ins Hotel. Die mütterliche Dame am Schalter schickt uns fürsorglich und bestimmt ins Bett. Das obligatorische „Ja, Mama“ in den Dreitagebart nuschelnd betreten wir den Aufzug und auf, auf, auf, der verdiente Traum ist nah.
Mit Schirm, Charme & Hormonen
Tag 9 & 10 – 10.10. Freiburg – Jazzhaus
Wir sitzen in der Lobby und lecken unsere Wunden. Die Hotel Mama stellt uns neue Gummibärchen hin. Die Mitglieder der Reisegruppe trudeln ein, das Mütterchen verabschiedet mich mit einem verschmitzten „Ich kann dich nicht mehr sehen“, und wir fahren für die Hälfte des Löwengeldes zurück zum Ausgangspunkt.
In unserem Bus schläft dann jeder, der darf, mehr und minder gerecht. Die Landschaft liegt gelangweilt und schön neben dem Fenster.
In Freiburg treffen wir die Casperbande, dann schwärmen wir aus, ein Lokal für ein amtliches Abendessen suchend. Nicht weit gekommen trete ich in eines der berühmten Freiburger Bächle und verknackse mir den Fuß. Ich, zur ungünstigsten Zeit Optimist, halte den Schmerz für vorübergehend und hinke weiter.
Dann im Lokal macht man uns eine große Tafel bereit, um die wir uns setzen und Italienisches essen. Einige zieht es danach ins Lichtspiel-, mich dann schließlich doch ins Krankenhaus.
Ich werde untersucht, gemustert, geröntgt, dann wie im schlechten Scherz, gute und schlechte Nachrichten. Mein Mittelfuß sei gebrochen sagt der müde Chirurg, doch ich dürfe, ja müsse sogar, eine Freiburgerin heiraten, so sei das, wenn man ins Bächle trete. Man händigt mir einen riesigen Skischuh aus und die nette Schwester verschwindet, bis sie mit farblich abgestimmten Krücken zurückkommt. Dann noch einige knackige Medikamente und das Versprechen der Schwester, am nächsten Abend zum Konzert zu kommen.
Zurück im Hotel werde ich mit Applaus und Gelächter im Gemeinschaftswohnzimmer empfangen.
Dabei sieht das Zimmer aus, als säße Wes Anderson im nächsten Ohrensessel und putzte seine Kamera.
Erst am nächsten Morgen fällt mir mein Fuß wieder ein und ich begrüße den Tag mit einigen Flüchen. Wir frühstücken Apfelkuchen und fahren zur Konzertstätte. Mein erstes Konzert mit gebrochenem Fuß nun also. Es ist schmerzhaft und heiß. Doch floskellos schön. Ich bin erleichtert, dass es geht.
Beim Einladen erzählt mir Casper-Busfahrer Dave, wie er sich auf Zypern den Fuß brach. Seine Geschichte ist glorreicher als meine und er lacht schallend, als ich das zugebe. Er klopft mir auf den Rücken und wir fahren ins Zwischenheim. Mein Fuß pocht. Ich weiß nicht, warum ich euch so hasse, Denkmalschützer dieser Stadt.
Walking on the moon (Foto: Badische zeitung)
Tag 11 – 11.10. Frankfurt – Batschkapp
Jetzt, nur einige Tage später, kann ich genau sagen, dass ich nichts weiß von Frankfurt. Die Schmerzhemmer haben sich wohl satt gefressen an meiner Erinnerung und kaum genug Krümel gelassen, um den kleinen Wissenshunger zu stillen. Sicher war es schön in Frankfurt, das Essen gut, die Menschen munter, nur kann ich leider weder das noch eben das Gegenteil sagen. Gerecht ist das nicht, nur ist meine Not für Lügen doch nicht groß genug. Nur eins kann ich dir versprechen, du Frankfurt, ich werde für dich Worte finden, irgendwann.
Mein Ruf ist wie ein Schrei (Foto: Christoph ‘Chichu’ Oetzmann)
Tag 12 – 12.10. Bielefeld – Kamp
Wir sind in Casperstadt. In der Künstlerwohnung über dem Kamp sitzen wir und löffeln eifrig gegen den Herbstschnupfen an. Wieder Kürbissuppe. Es scheint, als stünden die Städte im ewigen Wettstreit um unsere Suppengunst. Leere Schüsseln werden vor unseren Augen wieder aufgefüllt.
Ein Kartoffelchip bleibt hier nicht lange einsam. Zwei nette Damen kümmern sich rührend um uns.
Wie plötzlich gealtert, wir nun Senioren im betreuten Wohnheim. Ich kämpfe mit dem Drang, den Mädchen einen Taler zuzustecken und ihnen in die Wangen zu kneifen. Bei unserem täglichen Kollektivausflug in die Landschaft der Sprechgesang-Blogs stoßen wir auf unsere Herausforderung. Kollegah, der Boss, isst mit sich und der Welt abschließend 31 Chevape und sucht würdige Gegner in der Essenschlacht. Da stehen wir nun, 1,3 Kilo Hackfleisch vom Weltruhm entfernt. Christian ist unser Kandidat, das Datum wird abgemacht. Heute soll es sein. Davor Schlachtgesang. Doch zuerst das Ernstere:
Wir klettern ein verwunschenes Treppenhaus hinunter, dann stehe ich vor den Toren des Rockpalasts. Die Schlossgarde begrüßt uns. Auf der Kaiserliege sitzend sprechen wir mit dem Kurfürsten. Dann lässt man uns vor Kaiser und Hofstaat singen. Die Vierkanttretbarden scheinen für heute ihre Gunst zu genießen. Froh und erleichtert die Wendeltreppe hinauf, die letzten Reste der kostbaren Suppe zusammenkratzen.
Als dann die Bänder rollen und wir die Bühne betreten, verabschiedet sich die Furcht endlich einsam in einen fernen Bühnenwinkel. Wir wissen, dass es nun gilt. Da durchzuckt es uns und mich, bis ich schließlich aufstampfe mit dem Fuß, der doch gar nicht aufstampfen darf. Im Rückspiegel des dritten Auges sehe ich, wie der Schmerz mein Gesicht verzieht. Das heiterste Humpeln von der Bühne. Die vorher anberaumte Chevape-Wette wird vertagt, Christian muss alle Sinne beisammen haben, um Kollegah, den Boss, zu besiegen. Am nächsten Morgen heißt es, ein anderer hätte uns den Sieg vorweg genommen. Voller Trauer fallen wir über die nun nutzlosen Fleischstriemen her.
Erst jedoch das: Die Casperbande will uns ins Epizentrum der dörflichen Tanzlokal-Romantik führen. Weil wir wissen, dass Romantik hier heißt, sich nur von seinem Co-Trinker gestützt auf dem Tresenhocker zu halten, gehen wir mit. Für mich scheitert das Großvorhaben mit dem ersten Schritt in die Tür des Salons. Man sorgt sich wohl um meine Tanzqualitäten, so als Einbeinmensch, und der Mann an der Tür schickt mich trotz Protest der Nebenkläger heim.
Ich verbringe den Restabend mit Hühnerbeinen und Betroffenheitsfernsehen auf der Liegewiese.
Nach und nach strandet das Nachtgut in die umliegenden Betten. Den nächsten Tag verbringe ich im Bett, wir haben frei. Unsere Vertreter von Kraftklub trudeln ein und in großer Runde wird das Pfannkuchenbuffet ermordet. Wieder lege ich mich schlafen, abends dann das erste Mal mit der Casperbande auf der Bühne. Schön ist´s.
Mein nächster Versuch zu schlafen wird von munter aufgelegten Kraftklubs unterbrochen, die Schlafzimmerstille in Videodrehlärm verwandeln. Doch auch das ist schön, wir wohnen dem Spektakel noch weiter bei. Schließlich doch ins Bett. Im Nebenzimmer machen die Kraftklubs Rührei. Ich bin zu jung für Rock’n’Roll.
Im Thronsaal des Rockpalasts (Foto: WDR Rockpalast)
Text: Max Richard Leßmann
Unter vierkanttretlager.de könnt ihr den den Song ‘Drei Mühlen’ kostenlos herunterladen.