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Sziget - Komische Typen

Sziget – Komische Typen
Mehr Besucher, mehr Bands – der erste richtige Festivaltag des Sziget, Tag eins, geht mit Rise Against, Interpol und Pulp gleich in die Vollen. Von Metal über Punkrock bis hin zu tanzbaren Weltmusikbeats.

Statt mit dem holprigen Shuttle-Bus oder der dunklen U-Bahn, kann man das Fesivalgelände auch mit der Sziget-Fähre erreichen, die regelmäßig die Donau-Ufer anfährt und Besucher zur Festivalinsel fährt. Nicht nur am Programm, das heute ab 15 Uhr auf diversen Bühnen startet, sondern auch am Mehr an Zuschauern und Zelten ist unmittelbar zu spüren, dass das Sziget am Mittwoch erst richtig startet. Tag minus eins und Tag null waren die Aufwärmphase – dennoch ist um 18 Uhr vor der Hauptbühne, auf der nun Tim McIlrath breitbeinig in die Saiten haut und ins Mikro schreit, weniger los als noch gestern zu Princestreitbarem Auftritt. Dafür fliegen zu Rise Againsts gewohnt energischem Auftreten umso mehr Bierbecher durch die Luft. Wo gestern noch Prince über den Laufsteg stolzierte, regiert nun der Moshpit, der einzig bei dem akustisch vorgetragenen ‚Hero Of War‘ stillsteht.

Nach Rise Against ist vor Interpol. Überraschend wenig Publikum tummelt sich zur Festival-Prime-Time vor der Pop-Rock Main Stage – das ist wohl der Preis, den man für 32 verschiedene Bühnen, Kulturprogramme und Freizeitangebote wie das Hugging Tent zu bezahlen hat. Paul Banks nimmt es gelassen und intoniert mit geradezu stoischer Ruhe ein Festival-Best-Of, das er nur selten für ebenso unaufgeregte Danksagungen und Ansagen unterbricht. Im Anschluss an Interpol bricht für einen Teil der Reisegruppe Terminstress aus. Während der ursprüngliche Plan, die letzten Songs von Motörhead zu sehen, den großen Massen vor der Rock-Metal Main Stage und der Erkenntnis, dass ja eigentlich noch The Bloody Beetroots Death Crew 77 auf der A38-WAN2 Stage spielen müssten, zum Opfer fallen, besteht auch noch ein innerer Konflikt zwischen zwei Parteien, die unterschiedlicher kaum sein könnten. Die eine trägt Hornbrille, zerzaustes Haar und lederne Absatzschuhe für Männer, die andere Baggypants, Glatze und – na klar – Bandanas. Pulp oder Suicidal Tendencies? Britischer Schick oder amerikanisches Westküsten-Testosteron? Irgendwie beides.

Jarvis Cocker hat ja mal den schönen Satz „Wenn so komische Typen wie wir es geschafft haben, dann kann es wirklich jeder schaffen“ gesagt. Was genau er damit meint, begreift man erst so richtig, wenn man ihn dann mal zusammen mit Pulp auf der Bühne stehen sieht: In Jackett und Krawatte, mit Wuschelfrisur und der Urform des nerdigen Kassenbrillengestells ist er der so ziemlich unwahrscheinlichste Frontmann der Welt. Aber dieser schlaksige, verhuschte Kerl besitzt ein Charisma von Großformat und hat die Leute ganz schnell in seinen Bann geschlagen. Nach 2002 gastiert Cocker mit Pulp in diesem Jahr das zweite Mal beim Sziget und ist selbstverständlich bestens vorbereitet: Mindestens drei Zettel hat er sich zurechtgelegt, darauf stehen die gängigsten ungarischen Redewendungen, die er im Laufe des Abends zum Besten gibt. Genauso selbstverständlich sind darunter auch charmante Komplimente an die Damenwelt. Pulp kommen auch musikalisch ganz geschmeidig aus der Hüfte und liefern ein hitgespicktes Set ab, bei dem die Klassiker ‚Disco 2000‘ und zum großen Finale ‚Common People‘ natürlich nicht fehlen dürfen. Im Hintergrund leuchtet ihr Bandname in großen, neonfarbenen Lettern. Auf und vor der Bühne wird gemeinsam getanzt und gehüpft, dass es eine Freude ist. Und man stellt fest: mal wieder so richtig schön den inneren Nerd rauslassen geht mit keiner Band besser. Dass so komische Typen wie Pulp es geschafft haben, kann man wirklich nur gut finden.

Nach einer halben Stunde Pulp gewinnt das innere Hardcore-Kid die Oberhand, das immer wieder lauthals „Suicidal“ zu schreien scheint. Optisch bilden Suicidal Tendencies und das Publikum eine Einheit, nicht selten könnte man meinen, Mike Muir sei von der Bühne in die Menge gesprungen. Die Band trägt nach wie vor konsequent die eigenen Basketballtrikots und Caps mit Aufschrift im Schirm (natürlich über dem obligatorischen Bandana) und man mag kaum glauben, dass im Anschluss an diese Show die neuen Stilikonen und Berufsanzugträger Hurts auf derselben Bühne stehen werden. Interessiert auch keinen, denn hier zählt nur Suicidal. In zwei aufeinander folgenden Songs lässt sich das Publikum zu einer Wall Of Death animieren und grölt sowohl bei ‚Join The Army‘, als auch bei ‚Suicidal For Life‘, was die Stimmbänder hergeben.

Anschließend ist erstmal wieder Ruhe angesagt. Um 23 Uhr sind auf dem Sziget Festival die großen Live-Konzerte in der Regel bereits über die Bühne gegangen. Zeit also, sich dem Rahmenprogramm zu widmen. Zum Beispiel DJ Goulasch im Roma-Zelt, das wir nach Abstechern zum Hugging Tent und Cökxpon Ambient Tent Garden erreichen, eine spärlich beleuchtete, abgegrenzte Fläche mit Räucherkerzen, Sitzsäcken und –würsten, in der ein junges einheimisches Duo seine Feuershow präsentiert. Der lange Weg zum Roma-Zelt wird flankiert von unzähligen Essensständen und Händlern. Bei unserer Ankunft werden wir Zeuge, wie die Budapester Besh o droM fast das Zelt abreißen. In ihrer zehnjährigen Bandgeschichte ist dies bereits der neunte Auftritt auf dem Sziget Festival – wahrscheinlich einer der Gründe für die unglaubliche Partystimmung, die um uns herum herrscht. Nach einer Zugabe leert sich das Zelt innerhalb von zwei Minuten beinahe komplett und wir ahnen, dass DJ Goulasch vielleicht doch hauptsächlich von seinem Namen lebt. Einen Song später die Gewissheit: für Balkan Grooves ist es definitiv zu spät.


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