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VISIONS 350: Motorpsycho

VISIONS 350: Motorpsycho
In Kürze erscheint unsere Jubiläumsausgabe VISIONS 350, in der wir unsere Heftgeschichte anhand der bisherigen 350 Platten des Monats feiern. Online geben wir euch schon vorab einen Vorgeschmack darauf, was euch im Heft unter anderem erwartet. Heute: Bent Sæther über das Motorpsycho-Album „Blissard“.
Terje Visnes

„Als wir im Winter 95/96 „Blissard“ gemacht haben, hatten Motorpsycho zuvor schon fünf Alben aufgenommen, zwei davon Angelegenheiten mit mehreren Discs und eines eine Country-&-Western-Soundtrack-Parodie. Wir hatten Misserfolg erlebt (mit den ersten beiden, härteren Alben), aber auch schon ein bisschen Erfolg (mit den beiden danach). Letztere waren eine etwas schizoide Angelegenheit gewesen, aufgenommen von einer Band, die mehr damit beschäftigt war, ‚dem Song gerecht zu werden‘, als eine Klang-Identität oder stilistische Kohärenz zu etablieren. Daher erschien es uns logisch, nun ein Album zu versuchen, das fokussierter war und Songs enthielt, die alle mehr ‚aus einem Guss‘ waren.

Dadurch, dass wir Stück für Stück die verbliebenen Screamo-Vocals bei uns ausgemustert hatten und in eine Art Post-Sonic Youth-Avant-Pop-Richtung gegangen waren, wurden die neu entstandenen Stücke alle mehr oder weniger aus Experimenten mit alternativen Gitarren-Stimmungen geboren. Und sie entwickelten sich zu Nummern, die sich Doppel-Gitarren-Attacken hingaben und insgesamt zu einem stärker Gitarren-zentrierten Ansatz führten, als es ihn bei uns vorher gab. Wir suchten nach einem Weg, die Intensität zu bewahren, aber die Cartoonhaftigkeit des ‚Alternative Rock‘ in seinen heftigeren Momenten zu vermeiden: Wir wollten es weird und knorrig, keinen sich auf die Brust trommelnden Macho-Gymnasten-Rock. Das fühlte sich für uns echter an.

Unser Lichttechniker Morten Fagervik hatte zögerlich die Lücke gefüllt, die sein Vorgänger am Keyboard, Lars Lien, Anfang ’95 hinterlassen hatte. Und obwohl er in erster Linie Schlagzeuger war, übernahm er auch die zweite Gitarre, als wir im Oktober ’95 für einen zweiwöchigen Aufenthalt in Stockholms legendäre Atlantis Studios einkehrten. Unser ehrgeiziges Ziel war, in dieser kurzen Zeit elf neue Songs aufzunehmen und zu mixen. Daher brachten wir zusätzlich zu unserem üblichen Produzenten Deathprod auch unseren Live-Tonmischer Pieter ‚Pidah‘ Kloos mit, weil uns Schichtarbeit angezeigt schien.

Weil die Zeit knapp war und wir wussten, was wir wollten, hatten wir die Songs (zum ersten Mal) vorab in unserem Proberaum sorgfältig geprobt und arrangiert, sodass es quasi ein ‚Malen nach Zahlen‘-Prozess war, sie aufzunehmen. Das sorgte für Spannungen, bald fühlten sich die Session etwas frustrierend an: Ohne den üblichen kreativen Spaß und mit einem strikten Zeitplan litt die Energie, litt die Stimmung und es drehte sich alles nur noch um Arbeit, Arbeit, Arbeit.

Und wie wir gearbeitet haben! Oder habe ich das schon geschrieben? Wir standen um 9 Uhr für ein wahrlich mieses Hotel-Frühstück auf und lieferten anschließend 14- bis 17-Stunden-Tage ab, um das ganze Ding rechtzeitig ins Ziel zu bringen. Harte Nummer, aber wir haben es geschafft. Irgendwie.

Verführt vom fantastischen Vintage-Equipment und dem opulenten Sound, den dieses – für uns – neue Studio bot, wurde nach unserer Rückkehr nach Hause schnell klar, dass wir eine hübsche, aber vergleichsweise nachlässige Platte gemacht hatten. Es war auch deutlich, dass Teile der Gitarrenarbeit nicht gut genug waren, und zwei oder drei Songs schlicht nicht der Bringer. Nach einer kleinen Krise entschlossen wir uns daher, im Rodeløkka Studio in Oslo einige Sachen neu aufzunehmen und die Tapes durchzugehen und zu schauen, was gut genug war und welche Art Album wir aus den Stockholm-Sessions retten konnten.

Am Ende hat es für acht von elf Stockholm-Songs gereicht, teils in Form eines kompletten Auf-den-Kopf-Stellens (‚The Nerve Tattoo‘ hat nur seine Drums behalten, der Rest wurde neu aufgenommen, in einer anderen Tonart!), teils mir nur kleinen Anpassungen, und von diesen acht ist ‚Manmower‘ der einzige überlebende Original-Mix.

Inspiriert vermutlich von Dinosaur Jr.s ‚Poledo‘ auf ‚You’re Living All Over Me‘ (1987) haben wir eine Aufnahme von einem tragbaren Vier-Spur-Gerät ans Ende des Albums gestellt, zusammen mit Deathprods Gruß an den Schöpfer der Danelectro-Gitarre – um dem Album noch einen Hauch von Andersartigkeit hinzuzufügen, der die überarrangierten Rocker ins Verhältnis setzt. All diese Songs wurden dann von Ulf Holand im Rainbow Studio in Oslo gemixt.

‚Blissard‘ war unser erstes Album für Sony/Columbia in Norwegen und bekam einen großen Promotion-Push. Ich weiß nicht mehr, ob es in den Charts auf Nummer 1 ging, aber wir haben dafür in dem Jahr den ’norwegischen Grammy‘ Spellemannsprisen bekommen und es war überall ein solider Erfolg, sogar australische und schwedische Pressungen wurden veröffentlicht. Es brachte auch zwei Top-10-Singles/-Videos/-Ten-Inches hervor, und hat Motorpsycho als tourende Band etabliert. Es ist ein gutes Album, und wir spielen bis heute gelegentlich Songs davon.“

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