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Lemmy: Anekdoten der VISIONS-Mitarbeiter & das letzte Interview

Lemmy: Anekdoten der VISIONS-Mitarbeiter & das letzte Interview
Wie drückt man angemessen aus, was Lemmy Kilmister von Motörhead für den Rock und für uns bedeutet hat? Wir nähern uns dem Phänomen Lemmy von der persönlichen Seite – mit den Geschichten, die die VISIONS-Mitarbeiter mit ihm verbinden. Außerdem veröffentlichen wir hier noch einmal das letzte Interview, das der Kollege Flo Hayler für VISIONS 270 mit Lemmy geführt hatte. Darin sprach der Musiker unter anderem über das letzte Album seiner Band, seine Idole und seine Sammelleidenschaften – und auch über Alter und Tod.

Area 4 Festival, 25.06.2005: Gerade haben sich Aereogramme im Zelt mit zwei Schlagzeugen in einen Rausch gespielt, nun feuern Motörhead von der Hauptbühne aus ihren brüllend lauten Hardrock auf die noch überschaubare Menge ab. Mindestens bei zwei Mittvierziger-Pärchen im blau-ausgewaschenen Jeansjacken-Partnerlook vor mir zeigt der seine volle Wirkung: Die Männer werfen ihre Ruhrpott-Vokuhilas immer wieder nach hinten, die Frauen deuten mit ausgestrecktem Zeigefinger auf den Rockgott und schütteln den Minipli; alle fünf Minuten holt jemand aus der Gruppe vier halbe Liter Bier, deren Reste das Quartett vor Begeisterung immer wieder in die Menge schleudert. Eine Stunde geht das so, auf und vor der Bühne, dann ist Motörheads Slot vorbei – was Motörhead aber nicht weiter schert. 70 Minuten, 80 Minuten, noch immer dreschen die Hardrocker ungerührt ihre Songs heraus. Nach eineinhalb Stunden kommt zum dritten Mal jemand zu Lemmy auf die Bühne und flüstert ihm etwas ins Ohr. Ungerührt wendet sich der Frontmann seinem Mikro zu: „Sorry, wir müssen jetzt leider gehen. Das hier ist ‚Ace Of Spades.'“ Dennis Drögemüller

Rainbow Bar & Grill, 2004:: Lemmy schaut unter dem Rand seines schwarzen Cowboyhuts hervor. Sein Blick ist eingefroren. Erst nach Sekunden macht sich seine linke Mundfalte langsam und völlig eigenständig auf den Weg nach Norden. Der Blick aber verharrt, als er die Kippen (Marlboro, Weichbox) aus der Hemdtasche zieht, von unten gegen die Packung schnippt und die Schachtel zwischen unsere Augen hält. Ich rauche nicht. Und ich habe mich nie mit einem Musiker fotografieren lassen. Aber in Lemmys linker Hemdtasche steckt ein ehemals weißer Kamm, seine enge Hose zeichnet die Konturen seines Gemächts dreidimensional ab, sein Hemd steckt offen darin, und wir stehen vor der Rockstarkneipe Rainbow am Sunset Boulevard in Los Angeles. Lemmys letzter Satz im Interview war: „Und denk dran, Mann: Bloß weil du nicht paranoid bist, heißt das nicht, dass sie nicht hinter dir her sind.“ Sein Finger zeigte dabei auf mich und zeichnete kleine Kreise. Jochen Schliemann (zuerst erschienen in VISIONS 150)

Sonisphere Open Air, 18.06.2010: Vor allem zwei Dinge sind mir vom Sonisphere 2010 in Erinnerung geblieben. Die unglaubliche Menge Schlamm, unter der das Festival im Schweizer Hinterland regelrecht begraben wurde. Und Motörheads denkwürdiger Auftritt. Der wirkt zunächst vor allem deplatziert: Lemmy bei Tageslicht, noch dazu lieblos eingeschoben zwischen Megadeth und Metallica, die zweite Hälfte der Thrash-Metal-Big-Four (neben Anthrax und Slayer), für die wohl die allermeisten Leute hierher gekommen sind. Hinterher aber schwärmen fast alle nur von Motörhead. Von Lemmys Spielfreude und selten so schillernder Bühnenpräsenz. Vom trockenen, druckvollen und kompromisslos heruntergeprügelten Best-of-Set: 15 Hardrock-Hits, die als vergleichsweise kraftlose Lückenfüller im allgeminen Thrash-Inferno des Sonisphere hätten enden können, aber stattdessen so mitreißend auf die Bühne gebracht wurden, dass sie als heimliches Highlight der Schlammschlacht von Jonschwil in mein persönliches Rockgeschichtsbuch eingegangen sind. Dennis Plauk

Köln, 1993: Das gefühlt dritte Interview ever und dann direkt an die Front: Motörhead haben kurz zuvor einen Deal beim deutschen Label ZYX unterschrieben und legen den Vorschuss für „Bastards“ auf ihrer Interviewstrecke in Whiskey-Cola an. Schon vor dem Treffen schnorrt ein höflicher Würzel mich vergeblich um Gras an. Lemmy hat schon mächtig getankt und das kleine Hotelzimmer im Kölner Cafè Central mit dichtem Kippenrauch verdunkelt. „Bevor wir über Songs sprechen, musst du die Songs hören!“ gebietet Kilmister wie eine Mischung aus Darth Vader und John Cleese. Kopfhörer auf, Walkman auf 10 gedreht. Die Augen quellen mir aus den Höhlen. „Leiser? Du machst wohl Witze.“ Keine Gnade. Durch mindestens zwei Nummern muss ich bei 110db durch. Vom Album „Bastards“ bekomme ich nur amorphen Lärm mit, Lemmy und Würzel kichern sich halbtot. Soll meine Schreiberkarriere so zu Ende gehen? Nach zwei Songs bricht der bizarre Stummfilm ab. Dann ist auch schon die halbe Interviewzeit vorbei. „So – jetzt können wir über die Musik sprechen!“ Ich kämpfe mich durch Lemmys kantingen Midlands-Akzent und meine artig vorgetragenen Fragen. Am Ende gibt es Fotos, die für mindestens 20 Jahre unter Verschluss gehalten werden müssen. Treffen mit Lemmy wird es in den Jahren danach wieder geben. Lustig sind sie immer. Irgendwann auch für mich. Martin Iordanidis

Rainbow Bar & Grill, circa 1998: Lemmy kommt in Badelatschen in sein ‚Wohnzimmer‘, um ein bisschen zu daddeln. Eine durchgestylte Gruft-Sleaze-Trulla meint mit Blick auf seine Füße, dass der Mann sich unbedingt mal einen Hornhauthobel kaufen sollte. Blöde Kuh. Ich bin nach einem wohldosierten Long Island Ice Tea in der Stimmung rüberzugehen und ihm zu erzählen, wie ich ’79 als Prä-Teenager mal eine ziemlich kostbare, nur geliehene Gitarre geschrottet habe, weil ich zu „Stone Dead Forever“, „Bomber“ und „All The Aces“ wie bekloppt mit der Faust auf die Halbakustische eingedroschen habe. Bis ich meinen neuen Drink bekomme, ist er aber schon wieder weg. Chance vertan… forever. Dirk Siepe

Wacken Open Air, 06.08.2011: Pünktlich um 0:30 Uhr betreten in der Nacht zum Sonntag Eläkeläiset die kleine Party Stage, ihre Humppa-Cover sind der Rausschmeißer auf der dritten Bühne des gerade endenden Festivals. Die Finnen horchen kurz in Richtung der Hauptbühnen, zucken ratlos mit den Schultern – und verschwinden vorerst wieder Backstage. Auf der großen True Metal Stage wüten sich nämlich gerade Motörhead mit einem stinkbesoffenen Lemmy am Mikrofon durch ihr Set, das eigentlich seit zehn Minuten vorbei sein sollte. Und zwar in Düsenjäger-Lautstärke, gegen die auch einige hundert Meter entfernt niemand anspielen kann, der nicht selbst brutal laute Gitarren im Gepäck hat. „Everything Louder Than Everything Else“ war für Motörhead nie bloß ein T-Shirt-Spruch. Dennis Drögemüller

The Westin Grand Hotel, Frankfurt, 2005: Selbst ein Laie würde erkennen, in wer in der Suite haust, in der ich Lemmy 2005 zum Interview für MTV treffe. Alle Insignien sind da: Der Generalshut, die Custom-Westernstiefel, die Stange Marlboro Softpack, die Jack-Daniels-Pulle nebst einiger kleiner Flaschen Coke, britische Tageszeitungen und Weltkriegsliteratur. Lemmy darf im Vorfeld nicht wissen, dass er ein TV-Interview gibt, sonst hätte er nicht zugestimmt. Als er aber vor vollendete Tatsachen in Form von Kamera und Beleuchtung in seiner Suite gestellt wird, ergibt er sich seinem Schicksal und erweist sich als der erwartet aufmerksame Interviewpartner, der im Minutentakt Bonmots raushaut: „Was finanziell in Betracht zu ziehen wäre, ist eine Auflösung der Band und anschliessende Reunion. Aber was sollte ich in der Zwischenzeit machen? Origami?“ Und auf die Frage, ob er sich eine Soap in der Form von „The Osbournes“ vorstellen können?: „Wer sollte das schauen? Ich kann mir nichts Langweiligeres vorstellen, als mir den ganzen Tag beim Lesen, Flippern und Videospielen zuzuschauen.“ Angeblich ist er ja auch bei letzterem Hobby abgetreten, erschreckend ist aber, wie alt und krank er aus der Nähe schon vor zehn Jahren aussieht, fahle, schwitzige Alkoholikerhaut, unsicherer Gang, ein Geist. Dabei aber voller natürlicher Autorität und mit tatsächlichem Interesse am Interviewer: Wo ich herkomme, will er wissen – aus der Nähe von Braunschweig. „Ah, that’s close to the Harz mountains, right?! – Do you know the song ‚Glück auf, glück auf, der Steiger kommt‘?“ Geschichtlich und geografisch bewandert, wie man es erwartet. „Gluck auf!“ hat er mir dann auch auf meine „Orgasmatron“ geschrieben. Toby Schaper

Zeche Bochum, Herbst 2000: Blinddate mit Lemmy in der Bochumer Zeche, Es ist kein Whiskey da. „Freddy, where’s the fucking booze?“ Peter Hesse und ich zucken verschüchtert zusammen. Der Alkohol kommt. Lemmy hört sich alles brav an („Ist das eure Band?“) und hat auch nichts gegen ein Erinnerungsfoto. Schwein gehabt! Jörg Staude (zuerst erschienen in VISIONS 150)

Lemmys letztes VISIONS-Interview (VISIONS 270): Audienz beim Papst

Zwischen den Eiswürfeln in seinem Glas vibriert neuerdigs Wodka-O statt Whiskey-Cola, aber ansonsten ist Ian Fraser Kilmister alias Lemmy ganz der Alte: hellwach, schlagfertig, um keine Antwort verlegen – so kontrovers sie auch sein mag. Flo Hayler trifft Lemmy beim Zwischenstopp in Berlin, um mit dem 70-Jährigen über das neue Motörhead-Album „Bad Magic“, seine Idole und entarteten Sammelwahn zu sprechen.

Hi, Lemmy. Ich darf doch Lemmy sagen?
Lemmy: Klar. Rauchst du?
Gerade nicht. Und, Lemmy, wie war dein Tag bisher?
Gut. Ich bin aufgewacht, habe rumgesessen und Fernsehen geschaut.
Ist das meist der erste Handgriff des Tages: der nach der Fernbedienung?
Nein. Manchmal mache ich den Fernseher gar nicht erst an, und Nachrichten vermeide ich völlig. Ich werde bald 70 und schaue lieber Zeichentrickfilme, als zu erfahren, wer gerade wen in die Luft jagt. Es ist mir egal. Man kann es eh nicht ändern. Es sei denn, man zieht in den Kampf gegen den IS. Aber nach Spaß klingt das in meinen Ohren auch nicht.
Eher ein bisschen desillusioniert. Dabei kommst du aus einer Generation, die in den späten 60ern und frühen 70ern maßgeblich zum Wandel der Gesellschaft beigetragen hat.
Sicher. Zum Beispiel hatte meine Generation großen Anteil am Ende des Vietnamkriegs. Wir wollten, dass sich in der Politik ein anderes Bewusstsein durchsetzt, eine andere Art der Konfliktlösung. Aber schaut man sich heute in der Welt um, ist es uns nicht gelungen. Wir waren eben in der Unterzahl. Oder wir hatten zu wenige Knarren. (lacht)
Freut es dich denn, wenn sich noch heute ein Volk erfolgreich für eine Sache engagiert? So wie in Irland, wo sich eine breite Mehrheit jüngst für die gleichgeschlechtliche Ehe ausgesprochen hat.
Das ist mir egal. Was auch immer die Leute unterstützen wollen: Viel Glück dabei!
Das heißt, dein Interesse an Homosexualität hält sich in Grenzen?
Ich wollte nie mit einem Typen schlafen. Ich bin nicht bisexuell, ganz einfach. Schon in den 70ern, als jeder mit jedem bumste, unabhängig vom Geschlecht, habe ich mich an die Damen gehalten. Es wäre mir nie in den Sinn gekommen, es mal mit einem Mann zu probieren. Das habe ich lieber anderen überlassen.
Eines deiner Prinzipien besagt, dass sich Rock’n’Roll und Politik nicht kreuzen sollten. Dennoch waren Motörhead-Songs doch auch immer eine Reaktion auf gegenwärtige Entwicklungen, gesellschaftlich wie politisch.
Das stimmt, sie waren eine Reaktion. Aber wir waren nie aktiv Teil einer Bewegung. Das Einzige, was wir immer wieder gesagt haben, war, was Politiker für riesige Arschlöcher sind. Egal wie sie heißen oder wie groß ihre Namen in den Geschichtsbüchern stehen. Winston Churchill, Willy Brandt, Napoleon – alles Idioten.
Gibt es auf eurem neuen Album denn auch wieder eine Reaktion? Etwas, das dich in den letzten zwei Jahren so beschäftigt hat, dass du es auf „Bad Magic“ verarbeitet hast?
Da musst du schon konkreter werden.
Ich meine eine Reaktion auf wirklich einschneidende, lebensverändernde Ereignisse. Lottogewinne, Todesfälle, Geburten…
Hätte ich im Lotto gewonnen, würde ich nicht hier sitzen. Es sind ein paar Leute gestorben in letzter Zeit, und es versetzt mir immer einen Stich, wenn ich davon höre. Aber das letzte Mal, dass mir der Tod eines Bekannten wirklich hart zugesetzt hat, das war die Überdosis von Sid Vicious.
Das ist über 35 Jahre her.
Ja, und dabei war ich mit ihm gar nicht so dicke. Ich habe mal zwei Tage lang versucht, ihm das Bass-Spielen beizubringen, aber es war völlig aussichtslos. Drei Wochen später treffe ich ihn in einer Bar wieder und er sagt: „Lem, du wirst es nicht glauben, aber ich habe einen Job bei den Sex Pistols.“ Ich antwortete: „Toll, als Roadie?“ Und er: „Nein, am Bass!“ Es war sein Todesurteil. In dem Moment, als diese Frau ihn unter Kontrolle bekam, war es für ihn vorbei.
Und seitdem hat dich nie wieder etwas so getroffen wie sein Tod?
Nicht so sehr, nein. Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben, aber das war abzusehen. Sie war 97 und konnte kaum noch sehen. Wir mussten sie am Schluss in ein Heim überweisen, für ein Haus war nicht genügend Geld da. Eigentum in England ist unbezahlbar geworden.
97? Wenn du ihre Gene geerbt hast, bleiben dir noch ein paar Jahre.
So alt wie sie werde ich sicher nicht. Und ich glaube auch nicht, dass ich es möchte. In den letzten fünf Jahren war sie nur von Krankenschwestern umgeben. Alleine der Gedanke daran löst Panik in mir aus. Ich war in den letzten zwölf Monaten zwei Mal im Krankenhaus, und glaub mir, es hat mir dort nicht gefallen.
Warst du auf ihrer Beerdigung?
Nein. Ich konnte nicht, weil wir mit Motörhead auf Tour waren. Außerdem halte ich nichts davon, auf ein Grab zu starren. Was soll mir das bringen? Ich glaube nicht, dass man viel Weisheit gewinnt, wenn man sich mit einem Haufen Erde unterhält. Aber vielleicht fahre ich eines Tages mal vorbei. Ich weiß ja, wo ich sie finden kann. Zigarette?
Nein, danke. Wenn schon nicht deine Familie, gab es überhaupt mal etwas, das dir so wichtig war wie deine Band? Eine Frau vielleicht?
In ein paar Frauen war ich schon sehr verliebt. Aber sie alle haben früher oder später versucht, mich zu ändern und ganz allein für sich zu haben. Aber meine Bands waren mir eben immer wichtiger als jede Beziehung. Das war schon früher so, nur hatte ich weder bei den Rockin’ Vickers noch später bei Hawkwind eine Position, die mich unersetzlich machte. Und weil ich nicht noch einmal zwei Jahre Dope verdealen wollte, habe ich Motörhead gegründet. Hier kann mich niemand feuern, weil es meine Band ist.
Das heißt, du steht auf der Bühne gerne im Mittelpunkt?
Richtig. Und ich habe gerne das letzte Wort.
Auch in geschäftlichen Fragen? Als Band, die seit 40 Jahren Alben veröffentlicht und Konzerte spielt, müsst ihr doch auch in finanzieller Hinsicht eine gewisse Disziplin vorweisen.
Stimmt, aber ich wäre dafür mit Sicherheit der falsche Kandidat. Ich kann nicht erst eine Show spielen und danach noch den Kontostand kontrollieren. Das sind zwei Dinge, die sich ausschließen. Ich habe keine Ahnung, woher all das Geld kommt und wofür ich es ausgebe. Alles, was ich mache, ist mir einmal im Jahr die Bücher anzuschauen. Meistens passt es.
Das heißt, Geld spielt für dich keine Rolle?
Nein. Alles, was ich wollte, war, in einer Band zu spielen. Und das tue ich seit 40 Jahren. Ich habe Glück. Fast alle meine Träume sind in Erfüllung gegangen.
Viele sind der Meinung, du hast inzwischen den Status einer generationsübergreifenden Ikone, und deine Band ist ein international anerkanntes Kultur-Phänomen. Wie findest du das?
Es ist okay. Wenn die Leute schon ein Vorbild haben müssen, dann sind wir sicher nicht die schlechteste Wahl. Ich meine, wir haben in vielerlei Hinsicht versagt, andererseits haben wir auch viel richtig gemacht. Es kommt also drauf an, welche Seite der Medaille man sich zum Vorbild nimmt.
Wer waren für dich Vorbilder? Welche Menschen oder Musiker haben dich geprägt?
Die ersten Rock’n’Roll-Sänger, alle von ihnen: Elvis, Buddy Holly, Little Richard, Eddie Cochran, Billy Haley. Obwohl Bill Haley damals eigentlich schon zu alt und zu fett war, um als Idol zu dienen. Elvis mochte ich für seine Tolle und für ein paar schlechte B-Seiten. Die Frisur von Little Richard war einfach nur ein Turm aus Haaren, sehr außergewöhnlich. Und schwul war er auch. In den 50ern, als Schwarzer, in den Südstaaten! Das muss man sich mal vorstellen. Alle diese Typen waren für damalige Verhältnisse „alternativ“, aber leider hielten sie es nicht lange durch: Elvis ging zur Armee, Chuck Berry in den Knast und Little Richard wurde Priester.
Es scheint, als hätte dich auch Adolf Hitler nachhaltig beeindruckt. Immerhin hast du hunderte Nazi-Devotionalien zuhause aufgereiht.
Ich bewundere seine Öffentlichkeitsarbeit, seinen Propaganda-Feldzug. Die Wahlplakate, mit denen er für sich warb, zeigten nur sein Gesicht auf schwarzem Hintergrund. Das war clever, denn damit hat er jeden Betrachter sofort in sich hineingezogen, nichts auf dem Poster hat von ihm abgelenkt. Hitler hat den Deutschen in den ersten fünf Jahren sehr gut getan, aber dann hat er alles versaut. Er hat sich innerhalb eines Tages von Dr. Jekyll in Mr. Hide verwandelt, mit dem Überfall auf Polen am 1. September 1939.
Viele, die Erinnerungsstücke aus dem Dritten Reichs bei sich horten, sprechen sicher nicht so gerne über ihr Hobby.
Die meisten, die so etwas sammeln, sind Ärzte oder Anwälte aus Amerika. Leute mit Geld. Und die haben meist auch kein Problem damit, das zuzugeben. Sie betrachten die Sachen nicht als anrüchig, sondern als Beute. Schließlich hat ihr Land ja den Krieg gewonnen. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie groß die Sammlerszene ist, die sich auf Nazi-Relikte spezialisiert hat. Es gibt ja noch so viele davon. Zigarette?
Nein, danke. Und wo findet man das Zeug? In Katalogen?
Genau. Das meiste davon ist in den USA, weil die GIs es damals mit nach Hause brachten. Souvenirs, verstehst du. Ich habe von einem Typen gehört, der hat auf einem Flohmarkt ein altes Messer erstanden, für 50 Dollar. Er hat es für 34.000 Dollar weiterverkauft.
Wenn Leute bereit sind, für den Plunder solche Summen auszugeben, musst du immer gut deine Tür verriegeln.
Das ist einer der Gründe, warum der Film über mich kaum Aufnahmen meiner Sammlung enthält. Es gibt zu viele Idioten da draußen, die meinen, der Welt etwas Gutes zu tun, indem sie Sammler wie mich erschießen, am besten auf der Bühne. Verrückte mit Knarren, davon gibt es in Amerika reichlich. Ich selbst besitze keine Knarre, ich bevorzuge das Messer. Wenn du jemanden tötest, indem du ihn erstichst, indem du sein Blut an der Hand spürst und das Leben aus seinen Augen weichen siehst, ist das etwas ganz anderes, als jemanden einfach nur abzuknallen. Wenn jeder Mörder seine Tat mit einer Klinge vollziehen müsste, gäbe es auf jeden Fall weniger Tote.
Wie viele Messer hast du denn zuhause?
400.
Letzte Frage: Gibt es einen Unterschied zwischen Ian Fraser Kilmister, dem Privatmann, und Lemmy, dem Frontmann von Motörhead?
Ian, so hat mich schon lange niemand mehr genannt. Nein, ich bin immer dieselbe Person. Manchmal singe ich, und manchmal nicht.

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