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Sziget - Sozialismus und Riot

Sziget – Sozialismus und Riot
Während die Deftones die Metal-Bühne zur Hauptattraktion machen, bieten sich auf der und um die Hauptbühne Abwechslung und grenzüberschreitende Erfahrungen – mit Kate Nash, Dizzee Rascal und einem sozialistischen Rummel.

‚Viel Spaß bei uns im Sozialismus‘, sagt der Grenzwächter mit ernster Stimme, nachdem er unsere Pässe kontrolliert hat. Wir überschreiten zum ersten Mal die Grenze Richtung Osten, wie der Stempel in unserem frisch ausgefüllten und gezeichneten Passport belegt. Vor der Grenze patrouillieren Soldaten, auf dem Wachturm dreht der Suchscheinwerfer seine Runden. Drüben erwartet uns ein kleiner, nostalgischer Rummelplatz, der Eastern-European Funfair. Gegen Spielgeld bekommt man von flüsternden und fein gekleideten Personen auf Stelzen Kekse angeboten. Im Fernsehzimmer sitzt eine Familie am Tisch, spielt ein Gesellschaftsspiel und Flöte. Draußen warten neben Zuckerwatte und Musikern allerlei Spiele wie Dosenwerfen, eine Schießbude und Hut-weit-Treten. Zu gewinnen gibt es unter anderem Fächer und CDs mit sozialistischer Musik. Mit viel Liebe und Ernsthaftigkeit, die am Grenzübergang zu ersten Schlangen führt, bringt eine Gruppe von internationalen Künstlern einem die Zeit nahe, in der es noch viele Grenzen zwischen Ost und West gab. Insbesondere für die Leute, die gerade die opulente Show mit Luftballons, Luftschlangen und Glitter von Thirty Seconds To Mars miterlebt haben und von der Hauptbühne zurück Richtung Gelände schlendern, bietet sich ein Übergang in eine andere Welt. Doch selbst wer die letzten Tagen hauptsächlich vor der Pop-Rock Main Stage verbracht hat, bekam eine Menge Abwechslung geboten. Von The Maccabees, über Rise Against zu Pulp. The Chemical Brothers ließen den Himmel über der Donauinsel gar mit einem üppigen Feuerwerk schmücken, Dizzee Rascal brachte mit seinem Mix aus Rap, Grime, R’n’B und Techno den Boden zum Beben und die Kaiser Chiefs ließen es sich nicht nehmen, ihre derzeit sehr aktuelle Hymne ‚I Predict A Riot‘ zum Besten zu geben.

Einen Tag vorher, am Freitag, sind die Deftones eines der Highlights. Gitarrist Stephen Carpenter hält sich während der obligatorischen Zugabenpause gar nicht erst damit auf, wie seine Bandkollegen von der Bühne zu verschwinden. Stattdessen bleibt er einfach auf seinem Platz im Halbdunkel ganz links stehen, und zündet sich eine Zigarette an. Er hat ja auch recht. Denn kurze Zeit später kommen Chino Moreno und Co. für die zweite Hälfte des Sets ohnehin wieder zurück. Und die ist nicht weniger druckvoll und wuchtig als der Rest der Show. Neben den neueren Songs von ‚Diamond Eyes‘ fehlten natürlich auch Übersongs wie ‚Change (In The House Of Flies)‘ nicht. Was für ein fantastischer Frontmann Moreno ist, zeigt sich nicht nur daran, dass er bei einem Song wie ‚Passenger‘ mühelos die Zweitstimme von Maynard James Keenan ersetzt. Auch ansonsten wirkt er gelöst, fit und vor allem: fröhlich. Sogar den aus dem Publikum angereichten Strohhut eines Fans setzt er auf, die alte Spaßgranate. Der Bass von Sergio Vega geht durch Mark und Bein, Schlagzeuger Abe Cunningham spielt ohnehin alles in Schutt und Asche – und darf sich deshalb auch seine Mähne vom bereitgestellten Ventilator durchwehen lassen. Ein emotionaler Höhepunkt ist sicher das Chi Cheng gewidmete ‚Minerva‘, bei dem es scheinbar sogar Moreno ein wenig die Kehle zuschnürt. Nach eineinhalb Stunden verabschieden sich die Deftones von ihrem euphorischen Publikum – nach dem vielleicht besten Auftritt des ganzen Festivals.

Einen der hektischsten Jobs auf dem Sziget haben die Bühnenhelfer von Kate Nash. Nicht nur, dass sie der Sängerin von einer Seite zur ganz anderen hinterher rennen müssen, um das ewig lange Mikrokabel zu entwirren, wenn sie es vor lauter Früh-70er-Punk-Performance-Energie schon wieder zwischen Lampenkeyboard, Mikroständern und Gitarristin verheddert hat – jetzt liegt ihr auch noch ein halbnackter Typ zu Füßen und schmachtet sie an. Die Helfer haben ihn raufgezogen, jetzt stehen sie Wache, greifen aber nicht ein, solange ihr Boss nichts sagt. Der Boss schlägt lachend die Hände vors Gesicht, schüttelt die roten Haare und haut dann in die Tasten. ‚Foundations‘. Ihr größter Fan ist hin und weg. Auf seinen Oberkörper hat er ‚Marry Me‘ geschrieben, weiter hinten in der Menge sitzen zwei seiner Freunde auf Schultern, auf ihnen steht: ‚Marry Him‘. Dass der billigste Konzertspruch der Welt heute tatsächlich weiterhilft, liegt wohl daran, dass Kate Nash und ihre Band allerbeste Laune haben. Es ist der letzte Festivalauftritt ihres Jahres, sie prosten dem Publikum zu und seit der Typ aus dem Publikum zum ersten Mal um Kates Hand angehalten hat, reißt sie Witzchen über ihren ‚zukünftigen Mann‘. Das letzte Album ‚My Best Friend Is You‘ ist keine anderthalb Jahre alt, trotzdem wirkt die neuere Kate Nash (die mit dem schwarzweiß gestreiften Fledermauskleid) inzwischen so selbstverständlich, dass die alte (die mit den langen Haaren und den hübschen Röcken) ganz in den Songs verschwunden ist. Sie spielt die süßen Klaviernummern, ihre Girlband hat Herzen auf den T-Shirts. Dann müssen die Bühnenhelfer rennen. ‚Jetzt kommt ein Gedicht‘, kündigt Kate an und wirft sich in den sarkastischen Sprechgesang von ‚Mansion Song‘, bis er ausbricht und sie auch. Sowieso schreit sie gerne, auch durch die alten Stücke, zerrt am Mikrofonkabel und ist von der tollen Singer/Songwriterin längst zur ziemlich wichtigen Riot-Künstlerin geworden. ‚Hast du Angst bekommen?‘, fragt sie den Typen im Publikum und grinst. Offensichtlich nicht, immerhin lässt er sich anschließend auf Händen zu ihrer Bühne tragen und legt sich ihr zu Füßen. Und sie lacht und spielt für ihn.


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