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Metallica-Bassist Robert Trujillo im Interview zu "72 Seasons"

Robert Trujillo im Interview

240 Jahreszeiten
Kirk Hammett hat bereits gerundet, die anderen Metallica-Mitglieder werden dieses und nächstes Jahr 60. Ein spannendes Alter, wenn man die Erfindung des Thrash Metal mit zu verantworten und mit jedem neuen Album ein Gebirge von Erwartungen zu bezwingen hat. Auf „72 Seasons“ blicken Metallica nicht nur textlich in die Rückspiegel der eigenen Persönlichkeit. Auch die Songs nähren sich von einem über 40-jährigen Gesamtwerk, das jederzeit Traumata in Treibstoff zu verwandeln wusste. Robert Trujillo über Musik, Muße und Muskelaufbautraining.
Robert Trujillo (Foto: Tim Saccenti)
Robert Trujillo (Foto: Tim Saccenti)

Robert, so gut wie nichts ist eingängig auf dem neuen Metallica-Albm „72 Seasons“. Warum gönnt ihr euch in eurem Alter nicht einfach mal wieder ein paar simpel gestrickte Hits?

Robert Trujillo: [lacht] Ich weiß, was du meinst. Metallica-Songs sind immer ein Abenteuer. Das gilt nicht nur für das Hören, sondern auch für das Schreiben. Man braucht Geduld und Konzentration, um durch einen typischen Metallica-Song durchzusteigen. Es wird unerwartete Wendungen geben, Abwechslung in der Dynamik und im Tempo. Unsere Songs verfügen über eine Gangschaltung wie ein Auto. Gleichzeitig finde ich sie sehr visuell. Zumindest in dem Moment, wo man die Augen schließt und nicht mehr tausend anderen Sinneseindrücken ausgesetzt ist.

Wo hörst du selbst mit der Muße Musik, die man für „72 Seasons“ braucht?

Im Auto. Wenn ich zur Arbeit nach San Francisco hochfahre, habe ich mindestens sechs Stunden lang mehr Ruhe als an jedem anderen Ort der Welt. Das ist echte Quality Time für mich. Egal ob ich mir 35 Jahre alte Suicidal-Tendencies-Tapes von irgendwelchen Proben anhöre oder Metallica-Songs, die gerade in Arbeit sind. Wir verlernen alle das Zuhören ein bisschen – ich auch. Aber die langen Autofahrten holen es wieder raus.

Was hörst du außer den naheliegenden Sachen?

Tool. Man braucht wirklich Zeit, um in diese Musik einzutauchen. Das ist Teil des Traums, den Bands wie Tool – und im Idealfall auch wir – im Kopf erzeugen wollen.

Wie sieht der Weg hin zu solchen Songgebilden bei Metallica aus?

Extrem unterschiedlich. Ein Song wie „Hardwired“ dauerte weniger als einen Tag zu schreiben. Ein kleines Wunder für uns. Metallica sind eine Band, die in der Regel viel Hirnschmalz ins Songwriting steckt. Wir checken beim Jammen alle möglichen Optionen aus und Lars [Ulrich] hat ein faszinierendes Langzeitgedächtnis, mit dem er plötzlich irgendein fünf Jahre altes Riff hervorkramen kann. Die Aufnahmen aus unserem Tuning-Room sind ein reicher Fundus, in dem es eher zu viele als zu wenige Ideen gibt. „Riff Mining“ nennen wir das. All das Zeug verarbeitet Lars ständig in seinem Kopf, um es im richtigen Augenblick abzurufen.

War das für dich anfangs gewöhnungsbedürftig – Rocksongs anzugehen wie einen Hausbau?

Ja, sehr. Mit Infectious Grooves sind wir etwa ganz anders an ein Album herangegangen: Eine Woche proben, drei neue Songs an einem Tag, und in der nächsten Woche ging es ins Studio. Ich kenne beide Extreme, und das ist auch gut so. Es macht mich flexibel.

Unsere Art zusammenzuarbeiten hat sich in der Pandemie teils radikal verändert. Wie hat es sich auf eure Zusammenarbeit ausgewirkt?

Die Entscheidung, ein neues Album anzugehen, ist via Zoom gefallen. Da hast du es schon! [lacht] Das Ausgangsmaterial stammt aber zu ganz großen Teilen aus den Mitschnitten, die wir in unserem Safe Space machen, in den Stunden vor den Shows. Wie viele andere haben wir uns im Lockdown kleine Heimstudios aufgebaut. Und darin saßen wir dann mit relativ viel Zeit. Ich konnte mich tiefer in die Songideen hineingraben als sonst. Vielleicht wirken manche der neuen Songs deshalb so dicht und intensiv. Andererseits ist Zeit nur so lange dein Freund, bis sie wieder knapp wird.

Wie war es, nach dieser Zeit wieder zusammen in einem Raum zu stehen?

Es war sensationell. Man geht mit viel mehr Wertschätzung für echte Gemeinsamkeit aus so einer Krise. Zusammen proben und Songs schreiben, das hätte vor 2020 ja niemand je in Frage gestellt. Plötzlich ist es etwas ganz Besonderes, das auch den Songs gutgetan hat. Diese gewisse emotionale Extradosis hört man „72 Seasons“ auch an, finde ich.

Robert Trujillo (Tim Saccenti)
Seit 2003 bei Metallica: Robert Trujillo (Foto: Tim Saccenti)

Was war deine erste Assoziation, als James das Konzept von den ersten 18 Lebensjahren vorgestellt hat – 72 Jahreszeiten?

Natürlich musste ich an meine eigene Kindheit denken, wer ich war und wie es mir damals ging. Ich hatte wunderbare Eltern, ich kann nichts Schlechtes über sie sagen. Aber ich habe sehr darunter gelitten, als sie sich getrennt haben. Da war ich fünf. Beide waren weiter für mich da, aber es lag immer diese unsichtbare Spannung in der Luft. Dazu kam dann noch die eigene Anspannung, wenn man heranwächst. Eine Zeit lang bin ich ziemlich feindselig und auch eifersüchtig meinem Umfeld gegenüber gewesen.

James Hetfield hat das Bild von Tapes benutzt, die beim Aufwachsen beschrieben werden. Was sind die Tapes deines Lebens?

Meine Gefühlslage war schwierig als Teenager. Aber das hat mich auch wie ein Katapult in die Welt der Musik geschossen. Besonders als ich anfing, selbst Musik zu machen und die Gefühle herauszulassen. Wenn James sagt, die Musik habe ihm sein Leben gerettet, gilt das auch für mich. Wenn auch nicht so drastisch.

Kann man „72 Seasons“ als ein Konzeptalbum verstehen?

Ich denke nicht. James hat uns erst auf eine ganz unschuldige Art von seiner Idee erzählt. Er war sich selbst nicht sicher, wieviel Gewicht das Thema für das Album haben soll. James ist ein recht schüchterner Mensch, selbst wenn man ihn seit Jahrzehnten kennt. Wieviel Kraft die Auseinandersetzung mit den eigenen Traumata bei den Leuten da draußen entfalten wird, kann niemand absehen. Neulich bat man mich in einem Interview, James‘ Texte aus meiner persönlichen Sicht zu interpretieren. Ich habe da mein Bestes gegeben und wollte hinterher natürlich von James wissen, ob ich mit meinen Deutungen richtig lag. Er hat nur mit den Schultern gezuckt und gesagt, dass es eine konkrete Bedeutung gar nicht gibt, weil jeder sie selbst konstruiert.

Du bist nach 20 Jahren der dienstälteste Bassist bei Metallica. Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl, wirklich in der Band angekommen zu sein?

Das ist eine gute Frage, die ich gar nicht mit einem bestimmten Ereignis oder einem Zeitpunkt verbinden kann. Bei Metallica zu spielen, ist wie eine Achterbahnfahrt. Es geht bergauf und bergab. Und dann wieder bergauf. Es gibt immer einen Geist der Zusammenarbeit, der uns vier verbindet. Der ist aber nicht immer gleich intensiv. Auf diesem Album fühle ich mich intensiv beteiligt, und auf „Death Magnetic“ – meinem ersten Studioalbum mit Metallica – war das auch so. „Hardwired… To Self-Destruct“ war sowohl für mich als auch für Kirk eine andere Erfahrung. Wir haben da die Dinge nicht annährend so stark gelenkt wie James und Lars. Das ist aber vollkommen okay, es mindert nicht den Wert unserer Beiträge. Maßgeblich ist immer, was gut für die Band ist. Ich kann Songwriter sein, ich kann Bassist sein, und ich kann auch ein Freund sein, der einfach zuhört und nach bestem Wissen einen Ratschlag gibt.

Was ist verantwortlich dafür, dass sich Fans und Öffentlichkeit immer so auf die steuernde Achse Hetfield/Ulrich stürzen, während man überall sonst akzeptiert, dass es Führungskräfte gibt?

Es gibt immer noch verbreitete Vorurteile darüber, wie eine Band funktioniert – häufig von Leuten, die diese Erfahrung selbst nie gemacht haben. Eine Band ist viel mehr, als zusammen auf der Bühne die Sau rauszulassen und damit erfolgreich zu sein. Eine Band bedeutet persönliches und musikalisches Wachstum auf zahllosen Ebenen. Es geht in Teams darum, Verantwortung zu übernehmen, seine Talente einzusetzen und sich trotzdem nicht allzu viel darauf einzubilden. In einer Band zu spielen, geht unendlich tiefer, als ein guter Musiker zu sein.

„Ich kann besser schlafen, wenn ich genügend Vorlauf für meine Vorbereitungen habe.“

Robert Trujillo

Welchen anderen Vorurteilen über Metallica begegnest du?

Das ist jetzt etwas abseitig, aber als ich den Film übers Leben von Jaco Pastorius gemacht habe, bin ich schlimmen Vorurteilen begegnet. Die älteren Jazzmusiker waren alle super. Sie haben genug erlebt, um zu verstehen, wie Bandgefüge funktionieren. Aber die jüngeren, aufstrebenden gaben sich manchmal arg herablassend, weil sie abseits von irgendwelchen Magazincovern keine Vorstellung von Metallica oder der Rockwelt hatten. Das wollten sie gar nicht – für sie war ich nur irgendein Heavy-Metal-Bassist innerhalb eines stumpfsinnigen Musikgenres. Das haben sie mich und mein Filmteam auch spüren lassen. Damals habe ich mich echt gefragt, warum ich mit Suicidal Tendencies und Infectious Grooves mal dafür gekämpft habe, Zäune im Kopf einzureißen.

Macht ihr euch zu irgendeinem Zeitpunkt des Songwriting Gedanken darüber, ob und wie das Material live funktioniert?

Meistens gehen diese Assoziationen los, wenn man die Songs zum ersten Mal in Ruhe hört. Natürlich fallen uns dann Bilder ein, wie das Publikum auf bestimmte Grooves oder Melodien reagieren wird. Aber beim Songwriting müssen vor allem wir selbst abgehen. Das ist das Wichtigste.

Eure ersten Live-Termine stehen unmittelbar bevor und unter dem Motto „No Repeat“ wird es jeweils zwei Shows pro Spielort mit komplett unterschiedlichen Setlisten geben. Macht dir der Gedanke auch Angst, weil du mehr Songs lernen musst als sonst?

Um ehrlich zu sein machen mir die neuen Songs mehr Angst. Wir spielen sie zum ersten Mal live und sind natürlich neugierig, wie sie angenommen werden. Was die alten Sachen angeht: Im vergangenen Jahr haben wir live schon ein paar Deep Cuts von Metallica ausgepackt. Da mache ich mir kaum Sorgen. Trotzdem habe ich Lars just heute gebeten, früh mit seinen Setlists herauszurücken. Ich kann besser schlafen, wenn ich genügend Vorlauf für meine Vorbereitungen habe.

Metallica (Foto: Tim Saccenti)
Bald wieder auf Tour: Robert, Lars, James und Kirk. (Foto: Tim Saccenti)

Wer ein Metallica-Ticket kauft, weiß, was man musikalisch dafür bekommt. Was habt ihr in Sachen Bühnenproduktion auf der „M72 World Tour“ zu bieten?

Ich kann noch nicht offiziell darüber sprechen, aber wie immer bei uns wird es bombastisch sein – und aufregend. Aufregend auch für uns, denn wir werden selbst erst im April zum ersten Mal auf diesem Biest von Bühne stehen. Es braucht immer etwas Zeit, bis wir den Bereich einer neuen Bühnenproduktion verstanden haben und uns sicher darauf bewegen können.

Viele Fans reisen euch bei den selten gewordenen Showterminen hinterher – auch aus Angst, Metallica nicht mehr allzu oft live sehen zu können. Wie sieht eure Tour-Agenda für die nächsten Jahre aus?

Es stimmt, wir spielen weniger und versuchen, die Termine so vielseitig und durchdacht wie möglich zu gestalten. Wenn man als Band älter wird, muss man sich irgendwann fragen, ob die Quantität oder die Qualität im Vordergrund steht. Für James ist es richtig harte Arbeit, zwei Stunden da oben Vollgas zu geben. Eine Metallica-Show ist physisch anspruchsvoll, wir stehen ja nicht einfach nur auf der Bühne herum. Das hätte nicht mehr viel mit Metallica zu tun. In dem Bewusstsein, dass wir das Risiko von Verletzungen und anderen Gefahren vermeiden wollen, ist das momentan der richtige Weg.

Wie bereitest du dich persönlich darauf vor?

Ich muss regelmäßig trainieren, bevor es auf Tour geht – gleich nach diesem Interview werde ich mich umziehen und mich weiter vorbereiten.

Es gab Ende 2020 den gut funktionierenden Livestream-Event „Helping Hands“ von euch, der vom Tech-Unternehmen Salesforce durchgeführt wurde. In Echtzeit mit Fans in aller Welt sprechen und das Konzept eines Konzerts von aufwendigen Weltreisen lösen – ist das ein mögliches Szenario für Metallica-Shows im Jahr 2033?

Ich fand das Ganze ziemlich futuristisch. Wie einen Blick in die Kristallkugel. Ja, vielleicht sind das Konzertszenarien der Zukunft. Wir waren ja nicht die Ersten, die so was ausprobiert haben. Aber wir haben die Grenzen der Technologie bei diesem Event ausgetestet, und sie hat wunderbar funktioniert. Wie ich Metallica kenne, werden wir immer alles ausprobieren, was möglich ist.

Dein Sohn Tye ist jetzt 18 Jahre alt und spielt ebenfalls Bass. Auch die Kinder von James und Lars sind in Bands aktiv. In welchen Momenten erinnern die Kinder euch an eure ersten Bands?

Social Media hin und Selbstinszenierung her: Es gibt ein paar Sachen, die laufen bei Punk- und Hardcore-Shows noch genauso ab wie vor 30 oder 40 Jahren. Die positive Aggression im Moshpit, der brachiale Sound, die Stagediver, blutende Nasen und andere kleine Blessuren – das wird es immer geben. Ich kann in diesen Situationen immer schnell vergessen, dass ich mit Abstand der Älteste im Club bin. Der Geist in der Musik wird niemals alt.

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