Finger raus, Mathearbeit bei “Grind & Growls”: Ungefähr zwölf Jahre ist es her, dass Seattles Iron Lung ein ganzes Album veröffentlicht haben. Das Zeitfenster für den gefühlswallenden Powerviolence von Jensen Ward und Jon Kortland hätte kaum passender gewählt sein können. “Adapting//Crawling” (Iron Lung, 18.04.) schaut raus aufs Elend, und die Wut kommt mit rechtschaffenem Schmerz, Magengeschwür und null Testosteron-Gurgeln. In den ergreifendsten Momenten rührt das Duo ein Chaos zwischen alten D.R.I. und den Righteous Pigs an. Richtig spitze werden diese Wallungen, wenn sich das Duo kurzzeitig Godflesh oder Scorn annähert. Und freilich sind “Failure” und “Survived By…” oder “Lifeless Life” auf ganzer Linie niederschmetternd, aber eben auch erbaulich, weil man sich ein bisschen weniger alleine fühlt.
NRWs The Great Sea suchen ihre Seelenbalance derweil in der Natur. Auf ihrem Debüt “Noble Art Of Desolation” (AOP, 25.04.) zieht es Janosch Rathmer (Long Distance Calling) und Stefan Hackländer (Ordeal & Plight) raus in die Weite, weil: “No Peace Amongst Men”. Ganz ohne Menschen geht’s trotzdem nicht. Unterstützung gibt’s von Phil Jonas (Crone, Ex-Secrets Of The Moon) und Azathoth (Gràb, Ex-Dark Fortress). Wenn sich in “The Water Remains” subtile Harmonien breit machen oder “Walking At The Edge Of Death” einfach Wald und Wiesen fegt, dann ist das ein bisschen fantastisch. Gelegentlich nähert sich der postmetallische Black Metal Bathory oder Primordial an, und das trotz aller Ausschweifungen völlig kitschfrei. Das sind Leute, die ohne Funktionskleidung wandern gehen.
Mit kompletter Reizüberflutung arbeiten unterdessen Silver Knife auf ihrer nach der Band benannten zweiten Platte (Amor Fati, 19.04.). Das liegt vornehmlich daran, dass das Post-Black-Metal-Kollektiv aus Belgien, den Niederlanden und Frankreich immer am Anschlag fährt. Ihr blickdichter Black Metal flirrt, klirrt, tackert und schiebt unentwegt. Beachtlich, dass sich aus diesem Sturm immer wieder wunderschöne Bilder und Harmonien freisetzen oder sogar gelegentlich echte Dynamik entsteht, die über atemloses Gehetze hinausreicht. Im abschließenden “Triumph In Tragedy” gipfelt das in einer monströsen Lawine beziehungsweise es wirkt, als würde man einem Erdrutsch zuschauen. Mal guckt ein Haus aus dem Schutt, mal ein Auto, mal die eigene Existenz. Zack. Alles im Eimer. Geil.
Auch die Würzburger Dagdrøm gehen den Breitensport Black Metal auf ihrem Debüt “Schauder” (Eigenveröffentlichung, 09.05.) mit Präzision und Querverweisen zu Blackend Death Metal und Harakiri For The Sky an. Beinahe im Überschwang reicht das Quintett mit Seilschaften zu Agathodaimon und – Achtung – The Morgrotuskthululustoccultobskullty Horrormance neben einem wirklich miesen Artwork einen maximal bunten Strauß an hochmusikalischem und fast gefälligem Extreme Metal, mit Sphärenzeug, Eiter, Lametta und geilem Kitsch als Sahnehäubchen. Dass diese vielschichtige Opulenz sich nicht selbst neutralisiert, liegt eventuell daran, dass Nikita Kamprad (Der Weg einer Freiheit) behutsam gemischt hat. Sauber.
Eher andersrum ist es bei Final Dose aus London. Die geben sich auch auf ihrer zweiten Platte “Under The Eternal Shadow” (Wolves Of Hades, 11.04.) redlich Mühe wie ein Plastiksack voll Metzgereimüll in der prallen Sonne zu stinken. Immer schön räudig, immer schön sick, alte Schule und so. In Revenge, Wretched oder Weathered Axe geht diese Nostalgie aus rumpelndem Oldschool-, Party-Black-Metal und Punk ziemlich schmissig auf, anderorts erweckt das Getöse bisweilen den Eindruck, als würden sie kalkuliert abgefuckt wirken wollen. Die Wahrheit liegt wie immer bei “Grind & Growls” irgendwo dazwischen.