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Turbonegro over Germany / Köln

Turbonegro over Germany / Köln
So langsam beginnt die Taktik durchzusickern. Nur Idioten verfeuern ihr Pulver gleich am Anfang. Der durchwachsene Start der Tour gab Turbonegro die Chance zur permanenten Steigerung. Und die haben sie in der Tat genutzt…

Genau wie am Tag zuvor erholen sich maßgebliche Teile der Turbojugend auch heute in der Sauna. Wie die Band verbrauchte Energien kompensiert, ist mir leider nicht bekannt, aber fest steht, dass sie da einen ganz guten Trick haben müssen. Wo wir bereits nach drei Tagen erste Ermüdungserscheinungen zu beklagen haben, scheinen Turbonegro auch nach all den Wochen on the road unverändert hungrig auf den Rock’n’Roll-Party-Lifestyle zu sein. Um 20.15 Uhr ist Stagetime, das Kölner Publikum weiß Bescheid und steht vollzählig im ausverkauften E-Werk und rastet von Beginn an komplett aus. Die Band verdient sich das aber auch, so viel Bewegung auf der Bühne ist bei den Nordlichtern nicht selbstverständlich, und als selbst Happy-Tom dann zum – für seine Verhältnisse – gewagten Sprung ansetzt, wissen alle Eingeweihten, dass dies heute ein besonderer Abend werden soll.

Happy-Tom macht solche anstrengenden Posen sonst eigentlich nicht, aber die Energie auf der Bühne muss ihn wohl mitgerissen haben. Hank ist in Bestform und das Publikum ist auch um Klassen besser als in den südlichen Randbezirken. Die Menschenwelle wogt von der ersten bis zur letzten Reihe, singt begeistert mit – auch die neuen Songs – und befolgt auch artig die zuvor ausgegebene Parole, dass Richtung Bühne geschleuderte Becher den Turbonegern nicht zur Freude gereicht und mit Ärger mit der Turbojugend geahndet wird. Apropos Jugend: Es sind erstaunlich viele Leute um die zwanzig hier, die Turbonegro in deren erstem Leben kaum begegnet sein dürften. Was wiederum nichts daran ändert, dass sich fast jeder mit seinem Outfit als Deathpunk-Fan zu erkennen gibt.

Die Dollarnoten, die bei „Sell Your Body“ in die Luft geblasen werden, sind übrigens nicht einfach nur Spielgeld, sondern eine ganz besondere Währung, die auch bestimmt bald an der Börse gehandelt wird. ‚One Zillion Dollars‘ lautet der Notenwert, und da es die Turbodollars in sechs verschiedenen Ausführungen gibt, sollte es nicht wirklich verwundern, wenn es bald Tauschbörsen dafür gibt. Mich würde auch interessieren, ob die mit Kunstblut beschmierten Scheine demnächst bei Ebay heißer gehandelt werden als die sauberen Blüten.

Der übliche Aftershow-Smalltalk mit Freunden und ‚Medienpartnern‘ muss heute auf mich warten. Kollege Kai Winn hatte mich nämlich gebeten, seine Bekannte Esther auf die Gästeliste setzen zu lassen und wenn möglich auch ein kleines Treffen mit ihr und Hank in die Wege zu leiten. Sie ist die Cousine von Hanks (inzwischen Ex-)Frau, die von ihm auch immer als Hans-Erik spricht. Kai besitzt Fotos von der Hochzeit, wo sie neben Hank in Anzug und Zylinder zu sehen ist, aber die dürfen wir leider nicht drucken. Also bleibt mir nur ein Schnappschuss von den beiden, auf dem man noch recht deutlich erkennen kann, dass das erste Wiedersehen ähnlich verkrampft beginnt wie ein typisches Meet&Greet zwischen Fan und Star. Nach den ersten fünf Minuten entspannt sich die Konversation aber sichtlich und Hank, der über Ohrenschmerzen klagt, nimmt sich ausgiebig Zeit für seine entfernte Verwandte aus Deutschland. Als er mich wieder mit seinen üblichen ‚Schalke ist viel mehr scheißegeil als Dortmund‘-Sprüchen ärgern will, lasse ich die beiden lieber allein.

Nach und nach verschwindet einer nach dem anderen in Richtung Gebäude 9, wo heute noch die freitägliche Punkrock-Disko stattfindet. Als wir gegen halb zwei dort aufschlagen, ist die komplette Mannschaft versammelt, sogar Soundmann Lars hat heute mal den Bus verlassen. Die Band ist in zivil und wird von den meisten Anwesenden im und vor dem Gebäude 9 nicht weiter wahrgenommen. Das ist schön, endlich hat man mal ein bisschen Zeit untereinander, da unsere Busse die kurze Fahrt von Köln nach Bielefeld erst gegen 9 Uhr morgens antreten werden. Meine Aufmerksamkeit gehört heute vor allem Rune Rebellion, den ich nach den zahlreichen Treffen in der letzten Zeit immer mehr ins Herz geschlossen habe. Der Oldie der Band – immerhin schon 38 -, der mit seinem Outfit immer ein bisschen wie ein kauziger Waldschrat rüberkommt, verdient sich alleine schon deshalb Bonuspunkte, weil er auf dieser Tour zu jeder Tages- und Nachtzeit ein wärmendes Lächeln für seine Mitmenschen übrig hat. Ein netter Kerl mit ganz schön viel Grips hinter Rauschebart und Sonnenbrille.

Rune erzählt von den Freuden und Leiden seines Jobs als Newcomer-Förderer in Oslo, wie gut Turbonegro und die Queens Of The Stone Age auf der US-Tour harmoniert haben und das Hanks Mikro wegen seiner extrem feuchten Aussprache während jeder Show dreimal heimlich ausgetauscht wird. Das macht aber nur fünf Prozent unsere Konversation aus, die restlichen 95 nutzen wir für einen hochphilosophische Austausch über die Menschen, das Leben und die Welt im Allgemeinen. Eine konkrete Wiedergabe des Wortwechsels ist leider unmöglich – zwischen 4 und 6 Uhr arbeitet zwar der Geist oft tadellos, doch leider nicht die Erinnerung. Auf jeden Fall war es ausgesprochen befreiend, nach all den unvermeidlichen Oberflächlichkeiten auf Tour mal wieder ein bisschen den Geist zu fordern.

Nach anfänglichen Ausrutschern wird die Musik im Gebäude 9 kontinuierlich besser. Bewährte Klassiker wechseln sich ab mit genehmen Neo-Hipstern wie Strokes, White Stripes und Libertines. Als gerade AC/DCs „High Voltage“ läuft, springt Hank mir von hinten auf den nicht vorhandenen Sattel. Leider bin ich in Sachen „Prince Of The Rodeo“ nicht so routiniert wie Pal Pot oder Brian Johnson, und Hank hat leider auch ein paar Kilo mehr auf den Rippen als Euroboy bzw. Angus Young. Aber wir haben ja noch zwei Abende, um die Choreographie zu perfektionieren…

Autor/Foto: Dirk Siepe

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