Touché Amoré
Spiral In A Straight Line
„I spiral in a straight line/ Like some clever reaction/ I didn’t know how to feel/ Was I impressed that it happened?“, schreit Frontmann Jeremy Bolm verzweifelt und verwundert in “Altitude”, dem Song, der für den Albumtitel verantwortlich und einer von drei der insgesamt elf Songs auf “Spiral In A Straight Line” ist, die länger als drei Minuten sind. Die beiden anderen gehören den Duetten: In “Subversion (Brand New Love)” singt Dinosaur-Jr.-Bassist Lou Barlow, während Bolm schreit, in “Goodbye For Now”, dem letzten und längsten Song des Albums, ist es Singer/Songwriterin Julien Baker, die nach “Skyscraper” auf “Stage Four” nun auch auf dem erneut von Ross Robinson produzierten “Spiral In A Straight Line” zu hören ist. Der Widerspruch einer geradlinigen Spirale ist für Touché Amoré keiner, weil das Bild für eine Phase steht, in der um einen herum alles ein- und auf einen niederbricht, man aber trotzdem weitermacht und letztlich vorankommt.
Situationen, in denen sicherlich jeder schon mal steckte, auch Jeremy Bolm: 2016 handelte “Stage Four” vom schmerzhaften Verlust seiner an Krebs verstorbenen Mutter und zugleich auch vom Weitermachen. Musikalisch stellte das Album Touché Amorés musikalisches Voranschreiten zudem am deutlichsten dar. Gitarrist Nick Steinhardt spielt viele (Post-)Hardcore-untypische Melodien, die Songs sind etwas länger und zudem offener für Elemente aus Indie- und Post-Rock. Ähnlich ist es auf dem bislang letzten Album “Lament” (2020), das zwar kein Oberthema hat, aber mindestens mit dem Gesang von Manchester Orchestras Andy Hull in “Limelight” Richtung Indierock vorstößt. Insgesamt also eher spiralenförmig vorgehender Hardcore, den die Band zu Beginn ihrer Karriere noch mit weitaus weniger Schnörkeln spielte. Ihre Dringlichkeit haben Touché Amoré aber nicht verloren. So ist “Spiral In A Straight Line” in weiten Teilen auch ein geradliniges Punk-Hardcore-Album mit nach vorne marschierenden Songs wie Finalist.
Doch Touché Amoré wären nicht so besonders, würden sich ihre Songs nicht regelmäßig drehen und wandeln, so wie das losrasende, nur zwei Minuten lange “Mezzanine”, das nach etwa der Hälfte abbremst. “Disaster” versteckt seine Melodie in der Bridge, und “Hal Ashby” macht keinen Hehl aus seinem melodiösen Refrain und den hallenden Gitarren, die erst im Hinter-, dann im Vordergrund agieren. Benannt ist der Song nach dem US-amerikanischen Regisseur (“Harold und Maude”, “Shampoo”), dessen Filme Bolm in den vergangenen Jahren obsessiv geguckt und Gefallen an den Charakteren gefunden hat, die oft auf tragische Art und Weise missverstanden würden: „A misguided Hal Ashby catastrophe/ Not exactly something you plan to be/ You have to handle it gracefully.“ Fast auf den Tag genau vier Jahre nach “Lament” liefern Touché Amoré die nötige Energie, um auch nach filmreifen Katastrophen mit Würde weiterzumachen.
DNA:
Modern Life Is War – “Fever Hunting” (2013, Deathwish)
Auch nach ihrer Reunion sind Modern Life Is War noch wütend und mit schweren, angriffslustigen Riffs beladen. Frontmann Jeffrey Eaton schreit dem konformen Bürgertum Wut und Schmerz ins Gesicht. Dabei bricht die US-Band ihr knochenhartes Grundgerüst aber immer wieder durch Melodien unter der Oberfläche und durch sphärisch-hallende Gitarren auf.
Into It. Over It. – “Proper” (2011, No Sleep)
Die Songs von Evan Thomas Weiss basieren vier Jahre lang vor allem auf seiner Akustikgitarre, bevor er mit Band und E-Gitarren sein Debütalbum veröffentlicht. Knapsack-Emo steckt hier ebenso drin wie Indie- und Punkrock! Die Songs reflektieren das Leben des Musikers aus Chicago und bringen komplexe Themen ähnlich pointiert auf den Punkt wie es Jeremy Bolm gelingt.
Knapsack – “This Conversation Is Ending Starting Right Now” (1998, Alias)
Im Jahr vor der Veröffentlichung ihres dritten und letzten Albums verlässt Rod Meyer Knapsack und wird durch Samiam-Gitarrist Sergie Loobkoff ersetzt. Loobkoff wird seinen Teil beigetragen haben, dass der Emo-Indie-Punk der kalifornischen Band etwas mehr Punch bekommt. Sänger Blair Shehan leidet auf diesem Album noch mal wunderbar und gründet im Anschluss The Jealous Sound.
Zweitstimmen:
Martin Burger: „Ich habe nie verstanden, warum Touché-Amoré-Alben bei VISIONS so gut abschneiden. Das liegt nicht mal an Jeremy Bolms gewöhnungsbedürftigem Vortrag. Es liegt an der Belanglosigkeit des Songwritings. Ganz in Ordnung. 7-Punkte-Musik. Kann man sich nachmittags auf irgendeinem Festival geben. Aber heiße Liebe? Meh.“
Juliane Kehr: „Es tut gut, Jeremy Bolms Stimme zu hören und in neuen Touché-Amoré-Songs gleich doppelt. Die Post-Hardcore-Band ist ruhiger geworden, trotzdem transportiert niemand den eigenen Seelenballast so stimmig. Gäste wie Julien Baker und Lou Barlow sind da nur die Kirsche auf der Sahne.“
weitere Platten
Lament (Demos)
VÖ: 01.10.2021
Lament
VÖ: 09.10.2020
Dead Horse X
VÖ: 23.08.2019
10 Years / 1000 Shows - Live At The Regent Theater
VÖ: 02.11.2018
EP: Live At BBC Radio 1
VÖ: 15.09.2017
Stage Four
VÖ: 16.09.2016
Live On BBC Radio 1: Vol. 2
VÖ: 30.09.2014
Is Survived By
VÖ: 27.09.2013
Live On BBC Radio 1: Vol. 1
VÖ: 23.07.2012
Parting The Sea Between Brightness And Me
VÖ: 05.08.2011
...To The Beat Of A Dead Horse
VÖ: 04.08.2009