Auf ihrem dritten Album sprengen die Belgier wie schon auf den ersten beiden Platten Genregrenzen: Post-Rock, Post- Hardcore, Punkrock, Metal, bisweilen auch Indierock und Shoegaze koexistieren nicht nur, sondern vermischen sich auf einzigartige Weise. Das Trio, bestehend aus Stefanie Mannaerts – Sängerin und Drummerin in Personalunion –, Bassist Peter Mulders und Gitarrist Stijn Vanhoegaerden, integriert oft im selben Song mehr Stile als andere Bands im Laufe ihrer Karriere auch nur in Erwägung ziehen. Dabei stellt “Unison Life” den bisherigen Höhepunkt einer stetigen Entwicklung dar. Im Vergleich zum Vorgänger “Nest”, der 2019 im VISIONS-Soundcheck bereits unter die Top 5 kam, ist das neue Album noch nuancierter und ausdifferenzierter. Dass sich Brutus eineinhalb Jahre Zeit für den Schreibprozess nahmen und viel experimentierten, dürfte zweifelsohne dazu beigetragen haben.
Schon der atmosphärische Opener “Miles Away” zeugt von dieser Lust am Ausprobieren: Es ist das erste Stück der Bandgeschichte ohne Schlagzeug, in dem sich Mannaerts ganz auf den einfühlsamen Gesang konzentrieren kann, lediglich unterbrochen von Gitarren-Eruptionen wie unheilvoller Donner am Horizont. Auch die neun weiteren Songs demonstrieren, wie sehr die Brutus-Frontfrau im stimmlichen Bereich und die Band als Songwriter im Allgemeinen gereift sind. “Brave” etwa wechselt mühelos zwischen einem durch Teer gezogenen, metallisch angehauchten Punkrock-Riff und sphärischen Post-Rock-Flächen, wahlweise begleitet von aggressivem Shouting oder hymnischem Klargesang. “What Have We Done” startet balladesk mit Arpeggios und überlagerter Leadgitarre und kulminiert in Breitwand-Rock, der auch wegen des leidenschaftlichen Gesangs emotional mitreißt. Und “Desert Rain” schafft es, Blastbeats, Black-Metal-Einflüsse, Tremolo-Picking und Punkrock-Anleihen wie aus einem Guss klingen zu lassen, nicht zuletzt, da alles von Mannaerts zusammengehalten wird, die imstande ist, jegliche Emotion glaubhaft zu vermitteln.
Doch “Unison Life” steht nicht allein für eine musikalische Weiterentwicklung und mehr Reife: Auch die Texte behandeln Themen des Erwachsenwerdens und -seins. Der Titel der Platte steht etwa für ein Dasein ohne Konflikte oder Probleme. Ein Leben in völligem Frieden, nach dem man sich sehnt, wenn der Alltag an den Kräften zehrt. Sei es, weil man schon zu lange unter etwas leidet (“What Have We Done”; geschrieben während der Pandemie), sei es, weil die Anforderungen sozialer Kontakte ihren Tribut zollen (“Dust”). Am eindringlichsten bringt es das Video zu “Victoria” auf den Punkt: Hier besuchen die Bandmitglieder Plätze ihrer Kindheit und Jugend – vom Skatepark bis zum Autoscooter –, die angesichts der Herausforderungen des Älterwerdens zu Sehnsuchtsorten geworden sind. Dass Brutus solch universelle Themen auf poetische Weise in Musik verpacken, die virtuos verschiedene Stile verbindet, macht die Belgier zu einer – im besten Sinne des Wortes – Konsensband.