Seit dem Todesfall lebe er ein neues Leben, sagt Cave, und "Ghosteen" unterstreicht das direkt: "Spinning Song" trägt anhand von Elvis den Rock-Mythos zu Grabe, den auch Cave exzessiv gelebt hat. Stattdessen beschwört er nun mit fragiler, zweifelnder Kopfstimme (!) die Hoffnung auf Heilung: "Peace will come in time." Und in "Bright Horses" wirkt der spirituelle Prediger Cave aller Illusionen beraubt, verletzlich, nah; nie schimmerte so viel Mensch durch die Kunstfigur Nick Cave. Die Intimität umfangen erneut ätherische Synthesizer und erhebende Pianos, aber pastellfarbener, retrofuturistischer und weichfließender als auf dem schockstarren Vorgänger – der entrückt schimmernde Sound markiert wie die paradiesische Airbrush-Fantasie des Albumcovers jenes verlorene naive Glück, das Cave als Kulisse für sein Ringen mit der universellen Realität des Todes dient. Echte Refrains gibt es so wenig wie Gitarren und Schlagzeug, im steten Bewusstseinsstrom der Platte wirken die Bad Seeds nur noch als gospeliger Chor-Resonanzraum für Caves Erzählsingen. "Ghosteen" ist also ganz Traueralbum, das Caves Schicksal in herzzerreißende, poetische Bilder gießt: Mama- und Papa-Bär vor dem Fernseher, deren Baby-Bär "zum Mond gefahren" ist ("Ghosteen"). Die Eltern als Glühwürmchen in der Hand ihres (toten) Jungen ("Fireflies"). Und schließlich bricht Cave das düstere "Hollywood" in eine buddhistische Parabel über die Alltäglichkeit des Sterbens um, mit der sich der Kreis schließt: "And I'm just waiting now/ For peace to come".
Bewertung: 10/12
Leserbewertung: 9.0/12
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