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Nachbericht: Eurosonic/Noorderslag

Eurosonic/Noorderslag

Endlich wieder Eierballen!
Vom 18. bis 21. Januar hat im niederländischen Groningen zum 37. Mal das Eurosonic/Noorderslag-Festival – kurz: das ESNS stattgefunden. VISIONS war mit dabei. Hier ein paar Eindrücke.
Jonas Silbermann-Schön

Bereits am ersten Festivaltag verkünden die Veranstalter:innen, dass das ESNS 2023 ausverkauft ist. Es sah zunächst nicht so aus, der Kartenvorverkauf war eher schleppend. Das ist verständlich, denn wir leben jetzt mit einer immerwährenden Pandemie – und das ESNS findet nicht an der frischen Luft statt, sondern in kleinen und größeren Clubs, die nicht selten und je nach musikalischem Gast voll bis sehr voll sind.

Doch nachdem das ESNS in den vergangenen zwei Jahren in radikal abgespeckter Form ins Internet verlagert wurde und dort via Stream für alle zugänglich war, kehrt das Festival wieder ins Analoge zurück. Das bedeutet, dass 44.000 Besucher:innen sich 315 europäische Newcomer, Künstler:innen und Bands anschauen. Etwa 4.250 der Besucher:innen stammen aus über 50 Ländern und sind Teil der Musikindustrie, vornehmlich der Booking- und Management-Branche oder aus dem Medienbetrieb. Denn: Das ESNS ist ein sogenanntes Showcase Festival, bei dem hinter den Kulissen genetzwerkt wird, damit sich Agenturen idealerweise mit neuen Bands eindecken, um diese in Zukunft zu betreuen und europaweit auf Bühnen zu schicken.

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Rockpalast-Bühne im Huize Maas (Foto: Jan Schwarzkamp)

Nachts wimmelt es in den Clubs, Kneipen und Gassen der wunderschönen (und arschkalten) Altstadt von Groningen von Festivalbesuchern und Musik-Biz-Menschen, die sich bei Alkohol, Grauzonen-Rauchwaren und Eierballen austauschen – sofern sie das nicht schon tagsüber im Konferenzzentrum Oosterport getan haben. Dort ist von morgens bis abends emsiges Gewese, während im 90-Minuten-Takt 150 Panels durchgeführt werden.

Wir waren vor allem gespannt, was Jonathan Poneman und Bruce Pavitt, die Gründer und Betreiber des in Seattle ansässigen Kult-Indie-Labels Sub Pop zu erzählen haben. Die britische Musikjournalisten-Legende Everett „Jerry“ True führt das Gespräch auf Kumpelbasis, denn – so erzählt er – wurde er bereits Ende der 80er nach Seattle geflogen, um dort Zeuge zu werden von einer aufstrebenden Szene und dem Label, dass viele der dazugehörigen Künstler:innen und Bands in seinem neugebauten Hafen hat vor Anker gehen lassen. Nirvana mit „Bleach“ und Mudhoney mit „Superuzz Bigmuff“ haben die Sache zum Laufen gebracht.

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Panel mit Sub Pop (Foto: Jan Schwarzkamp)

Pavitt ist mit seiner gutgelaunten Partnerin vor Ort, während Jonathan „JP“ Poneman per Zoom zugeschaltet ist – mit Kaffeebecher und sich dafür entschuldigend, dass es bei ihm noch früh am morgen ist. True ist nach gut 25 Minuten am Ende mit seinem Schnack und bietet dem Publikum an, seine Fragen vorzubringen. Die sind – ältere weiße Männer unter sich – natürlich nostalgischer Natur, Fragen alter Fans an alte Label-Macher. Da ist es schon etwas schade, dass True keine eigenen, wirklich interessanten Fragen vorbereitet hat, mit denen er das Gespräch auch in die Gegenwart lotsen könnte. In der ist Sub Pop nämlich bestens vernetzt und steht längst nicht mehr nur für Grunge und Rock, seitdem sie sogar HipHop-Künstler*innen unter sich vereinen.

Abends kann man Pavitt mit True in den Gassen der Stadt antreffen, in denen Festivalbesucher:innen mit feiernden Jugendlichen und Studierenden kollidieren, Musiknerds mit interessierten Anwohnern. Gerne bilden sich dabei lange Schlangen und Fress-Stau vor dem Frittierten-Essen-aus-der-Wand-Imbiss, den uns die Festivalmacher als „Dutch Snack Couture“ verkaufen – und man sich gar mehr Tipps über die „snack-wall“ per QR-Code beschaffen kann. Wohl bekomm’s.

Auf dem großen Marktplatz zwischem dem Stadthaus und der Martinikirche ist erneut ein Festzelt errichtet, in dem auch Interessierte ohne Ticket Live-Musik gratis bekommen. In dieser Hinsicht leistet auch der Plattenladen Plato mal wieder ganze Arbeit: Hier spielen tagsüber im 50-Minuten-Takt Bands für je 20 Minuten – vornehmlich die rockigsten im ESNS-Line-up.

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Plattenladen Plato (Foto: Jan Schwarzkamp)

So kann man am Donnerstag und Freitag im meist komplett vollgestopften Plato unter anderem die Garage-Punks Sprints aus Dublin sehen, das Brightoner Trio Ciel, dessen Sängerin aus Groningen stammt, die spanischen Psych-Blueser Yo Diablo, die Rotterdamer Post-Punks Tramhaus, das walisische Indie-Trio The Bug Club oder auch die aus dem Süden von Wales stammenden Post-Punker:innen Adwaith. Selbstverständlich spielen alle später am Abend noch mal eigene Club-Shows.

Wie in jedem Jahr kommen neue Venues hinzu, während andere wegfallen. Diesmal führen einen etwa die schwedischen Indierocker:innen Girl Scout in das Praedinius Gymnasium, wo man Angst hat, beim heimlichen Rauchen vom Rektor auf dem Schulklo erwischt zu werden. Oder das Werkman College, wo Ciel in der Aula spielen, was Sängerin Michelle Hindriks wie folgt kommentiert: „Das hier ist so merkwürdig, denn das ist meine weiterführende Schule. Ich bin hier weg, als ich 16 war – das ist jetzt zwölf Jahre her. Auf dieser Bühne habe ich schon so manche Schulaufführung mitgemacht.“

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Temple Fang im Mutua Fides (Foto: Jonas Silbermann-Schön)

Welche Bands wir uns genau angeschaut haben und wie sie waren, das könnt ihr dann in der kommenden März-Ausgabe #360 von VISIONS lesen. Mit dabei sind dort dann Cloudsurfers, New Pagans, Temple Fang, 72-Hour Post Fight, Hammok, Eyes, Psychonaut, Girl Scout

Die 38. Ausgabe des ESNS wird vom 17. bis 20. Januar 2024 stattfinden.