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Kommentar zu Morrissey: Rebel Without A Cause

Kommentar zu Morrissey: Rebel Without A Cause
Bereits zum Erscheinen des aktuellen Cover-Albums „California Son“ hatte unser Autor Markus Hockenbrink ausführlich seine Gedanken zur Causa Morrissey aufgeschrieben. Lest hier seinen Kommentar aus VISIONS 315.
mrmatt (CC BY-SA 2.0)

In letzter Zeit hat sich die Rock-Ikone Morrissey mit hasserfüllten Äußerungen unmöglich gemacht. Nun erscheint sein neues Album „California Son“. Die darauf enthaltenen Cover-Songs lassen sich nur schwerlich in eine menschenfeindliche Lebensanschauung einordnen. Trotzdem bleiben zwei Fragen: Soll man die Kunst vom Künstler trennen? Und: Was soll eigentlich der Scheiß?

Für die meisten seiner deutschen Fans kam der Tiefpunkt Ende des Jahres 2017. Morrissey hatte dem Spiegel ein Interview gegeben und mal wieder großspurig ausgeteilt. Dass es keine echten Nachrichten mehr gäbe, sondern nur noch Kontrolle. Dass sich die Linke von heute so tyrannisch aufführe wie das Dritte Reich damals. Dass Berlin zur „Vergewaltigungshauptstadt“ verkommen wäre, seit sich Angela Merkel geweigert hat, die Grenzen für Geflüchtete zu schließen. Und dass es doch schade wäre um die hiesige Kultur, wo doch Millionen Deutsche „für die deutsche Identität“ gestorben wären. Alles Bemerkungen, mit denen Morrissey auch auf einem Pegida-Treffen gepunktet hätte, wenn sich der stolze Nichtwähler – anders als die Geflüchteten – die Mühe machen würde, Deutsch zu lernen.

Weil AfD-Wähler vermutlich nicht so viel anfangen können mit dem Werk des Smiths-Sängers, war es einmal mehr an seinen leidgeprüften Fans, mit den Zähnen zu knirschen. Die haben inzwischen schon seit Jahrzehnten mit Morrisseys Entgleisungen umzugehen und dabei wahrscheinlich schon mehrfach die Kübler-Ross-Skala vom Nicht-Wahrhaben-Wollen bis zum Zorn hinter sich gebracht. Rassistische Aussagen wie die, dass China aufgrund seiner defizitären Tierschutzpolitik eine „Unterart“ von Menschen beherberge, mussten immer umständlicher entschuldigt werden. Zuerst wurde das oft als Scherz oder als Bemerkung einer „Bühnenfigur“ abgetan, dann als Provokation für einen an sich guten Zweck, und zuletzt immer öfter als Hilferuf von jemandem, der möglicherweise keine Freunde hat, aber eine volle Hausbar und nachts gerne lang im Internet surft.

Inzwischen sieht es so aus, als sei das alles Quatsch. Die politischen Aussagen des „apolitischen“ Sängers sind – im Gegensatz zu seiner Musik – an jeder Ecke zu haben, inklusive der dazugehörigen Couchkommentatoren-Lingo. In England gibt es mittlerweile sogar ein eigenes Wort für die meinungsstarken Durchblicker, die dem angeblich so oppressiven PC-Klima Kontra geben. Es lautet „gammon“, also Schinken, benannt nach der Gesichtsfarbe, die diese Typen beim „Diskutieren“ annehmen. Der Begriff wird leicht ironisch in Stellung gebracht gegen all die Vokabeln wie „sheeple“, „snowflake“, „social justice warrior“ und „feminazi“, die den neuen Patrioten so zuverlässig einzuleuchten scheinen. Nebenbei: Sich als Opfer und Verfolgte von „System“ und „Mainstreammedien“ zu inszenieren, wäre auch dann noch perfide, wenn es in anderen Ländern (gerne mal bei Amnesty vorbeisurfen) nicht wirklich krasse Menschenrechtverletzungen gäbe.

Gleichzeitig ist es ziemlich schizophren, wenn man einerseits die angebliche Verweichlichung seiner politischen Gegner verlacht und andererseits dauernd von der Angst beherrscht wird, von einer gefühlten „New World Order“ fremdregiert zu werden. „There is no-one on earth I’m afraid of“, hatte Morrissey vor 15 Jahren auf seiner gloriosen Comeback-Single „Irish Blood, English Heart“ gesungen, und dass er eines Tages mit ungefesselten Händen zu sterben gedenke. Der Song klingt auch heute noch toll, inzwischen aber leider auch ein bisschen onkelz-hafter. Stichwort Gratismut. Ein Unterschied zwischen Morrissey-Fans und, sagen wir, Freiwild-Fans ist schließlich immer noch, dass sich letztere auch auf Konzerten mit 10.000 Gleichgesinnten noch wie ausgebuffte Rebellen fühlen können. Aufrechte Smiths-Fans können das nicht. Weil sie nämlich wissen, dass man den Außenseiterstatus nicht nachgeschmissen bekommt. Und dass man sich diesen Status auch nicht holt, indem man blutige Nasen verteilt, sondern indem man im Zweifel welche einsteckt.

Die Zeilen „It’s so easy to laugh/ It’s so easy to hate/ It takes guts to be gentle and kind“ stammen aus „I Know It’s Over“, einem weiteren Smiths-Song, der den Fans als Grundstein ihrer Hingabe gilt. Eine Hingabe, die als so exklusiv verstanden wird, dass die meisten Getreuen innerlich frohlockten, als der frühere Smiths-Gitarrist Johnny Marr 2010 dem britischen Premierminister David Cameron höchstpersönlich verbot, die Smiths zu mögen. Eine eigentlich absurde Ansage, die aber signalisieren sollte, dass bei dieser Band nicht jeder Konsument auch als Fan infrage kommt. Damals wurde das gemeinhin so verstanden, als fehle es Cameron an Integrität und Sensibilität, heute fragt man sich eher, ob Morrissey noch sein eigener Fan sein darf. Es ist schließlich eine Sache, ein Phantasie-England der Dampflok-Fans und Hinterhof-Rowdys zu besingen, ein anderes, andere von diesen imperial gefärbten Träumen auszuschließen.

Solange eine vermeintlich malerische Phantomvergangenheit aber immer wieder auf dem Wunschzettel der Reaktionäre auftaucht, so lange hört man auch Sätze wie diese: „Bitte gebt ihnen eine Chance. Hört sie an. Lasst euch nicht beeinflussen von der Tyrannei der Mainstreammedien, die euch erzählen wollen, For Britain sei rassistisch oder faschistisch – bitte glaubt mir, sie sind das genaue Gegenteil!!! Bitte verschließt nicht euren Geist.“ Dieses Statement hatte Morrissey im letzten Jahr zugunsten der rechtsextremen Partei For Britain und ihrer Chefin Anne Marie Waters abgesetzt und damit mal wieder seine Fanbase vergrätzt. Dass für die von „fake news“ gebeutelte Rechte bekanntlich jeder Tag Gegenteiltag ist, ist die eine Sache, schlimmer ist das Wort „glauben“ in diesem Zusammenhang. Es ist schließlich nicht so, als ob die Parteiprogramme von For Britain und Konsorten besonders vage oder esoterisch gehalten wären. Es ist auch nicht so, dass im politischen Diskurs der Glaube das Nachdenken übertrumpft. Und es ist erst recht nicht so, als wären die Quellen, in denen man sich kompetent über die Mechanismen des real existierenden Faschismus informieren könnte, über Nacht verschwunden. Das alles kann man nachschlagen, und die entsprechende Rechercheleistung sollte Morrissey seinen Fans schon zutrauen.

Wahrscheinlich sind übrigens genau diese Fans einer der Gründe, warum man auch heute noch Morrissey hören kann und sollte. Viele von ihnen dürften über „Meat Is Murder“ zu Vegetariern geworden sein, aber wohl kaum jemand über seine gehässigen Kommentare zu Rassisten. Das zeigt letztendlich auch, warum zwischen Kunst und Künstler ruhig eine dicke Differenz liegen darf. Jeder, der einmal mit seinen Eltern über deren Wahlverhalten diskutiert hat, weiß, dass man selbst liebe Menschen nicht ohne weiteres in ein politisches Portfolio einsortieren kann, das auf Unbedenklichkeit abgeklopft worden ist. Der sogenannte Mainstream hat Platz für viele Positionen. Er zieht seine Grenze lediglich bei Menschenhass und Angst-Affekt. Hier haben böse Menschen tatsächlich keine Lieder, und auch Morrissey übrigens nicht. Auf seinem neuen Album „California Son“ finden sich militante Folksongs von Tim Hardin, Phil Ochs und Buffy Sainte-Marie sowie Bob Dylans Protestklassiker „Only A Pawn In Their Game“, ein Song, den man eigentlich unmöglich fehlinterpretieren kann. Ein Lippenbekenntnis? Wer weiß. Stand jetzt gilt jedenfalls: Danke, Morrissey, dass deine Musik immer besser war als deine Inkarnation als „gammon“. Und danke, dass du uns in so vielen Songs Schönheit, Stil und Sensibilität gezeigt hast. Aber können wir trotzdem ab hier übernehmen?

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