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Ingo Donot: "Minderheiten zu diskreditieren, passt offenbar in den Zeitgeist"

Ingo Donot: „Minderheiten zu diskreditieren, passt offenbar in den Zeitgeist“
Die Donots zeigen seit Jahren klare Kante gegen Nazis – und auch gegen homophoben, sexistischen und antisemitischen Battle-Rap haben sie Stellung bezogen, zum Beispiel in einem Statement nach den Echo-Ereignissen. Sänger Ingo Knollmann – der sich für unser Titelthema in VISIONS 304 als einziger von uns angefragter Musiker zu einem Interview bereit erklärte – erzählt uns, warum dieser Widerstand erste Bürgerpflicht ist, versucht aber auch einzuordnen, warum viele andere Bands der alternativen Szene bislang dazu geschwiegen haben.

Ingo, im Grundgesetz steht: „Eine Zensur findet nicht statt.“ Es gilt die Meinungsfreiheit, auch in der Kunst. Hast du zuletzt mal an diesen Grundsätzen der Verfassung gezweifelt?
Ingo Knollmann: Ich zweifle nicht daran. Gerade auch in der Musik sind Inhalte ja oft augenscheinlich ironisch gemeint, besitzen einen doppelten Boden. Oder der Musiker hat eine überhöhe Kunstfigur geschaffen, sodass eigentlich jedem klar wird: Das kann der gar nicht so meinen. Im Fall von Kollegah und Farid Bang fehlt diese Überhöhung allerdings irgendwie. Daher müssen viele Rezipienten denken: Das meinen die so, wie sie es sagen. Und dann werden homophobe, alltagsrassistische und frauenfeindlichen Aussagen schnell zu einem echten Problem, denn gerade junge Hörer reflektieren nicht unbedingt die Lyrics ihrer Helden.

Viele Battle-Rapper würden dir entgegen: Das ganze Genre ist doch eine Überhöhung, wer das nicht begreift, begreift HipHop nicht.
Ich bin kein Battle-Rap-Experte und maße mir nicht an, über die Stilmittel des Genres zu urteilen – aber wenn die Leute, die diese Musik hören, den Überbau nicht erkennen, dann ist damit nichts gewonnen. Ich sehe das eher von der rein menschlichen Warte aus: Battle-Rap ist am Ende trotzdem keine moralfreie Zone. Wenn jemandem in einer Live-Situation eine problematische Zeile aus der Hüfte fliegt, weil der Reim gerade passt: geschenkt. Wir reden aber von Studioaufnahmen. Hier werden die Parts einige Male gerappt, bis sie sitzen – da muss es doch im Studio wenigstens einen geben, der nach dem vierten Take fragt: „Können wir das eigentlich so bringen?“

Und, warum meldet sich niemand?
Weil es wahrscheinlich wissentlich und gewollt ist. Nehmen wir Kollegah, den ich wirklich nicht für einen ungebildeten Menschen halte. Aber er ist in meinen Augen sehr berechnend. Schlimmer als Leute, die es nicht besser wissen, sind eben Leute, die es besser wissen sollten. Dass Felix Blume ein Aluhutträger ist und mitunter verschwurbelte Verschwörungstheorien raushaut, dürfte mittlerweile auch bekannt sein. Wer bewusst in problematischen Grauzonen textet, nimmt dabei in Kauf, dass die Texte und die Bilder dazu als antisemitisch interpretiert werden können. Das führt zum einkalkulierten Eklat, und das ist in meinen Augen besonders übel: Musik so zu skandalisieren, dass ein Song eine „Bild“-Schlagzeile generiert. Wobei genau das dann auch noch abgefeiert wird, weil da jemand total geil an die Grenze gegangen ist, dem Mainstream richtig eins ausgewischt hat.

Ganz ähnlich macht die AfD Politik.
Genau, das lässt sich absolut vergleichen. Zumal es auch hier darum geht, Minderheiten zu diskreditieren, das passt offenbar irgendwie in den Zeitgeist. Ich will nicht kulturpessimistisch klingen, es gibt auch gute Entwicklungen, aber wenn ich mir die Kotze-Kakophonien bei Facebook durchlese, funktionieren sie ganz ähnlich. Da gibt es dann Leute, die nehmen diesen „Bild“- Werbespruch sehr ernst: „Jede Wahrheit
braucht einen Mutigen, der sie ausspricht.“ Wenn also jemand in einem Video klar antisemitische oder populistisch aufgeladene Symbole und Inhalte verwendet, dann kann er sich in seinen Kreisen als Märtyrer darstellen, der für die vermeintliche Wahrheit durchs Feuer geht. So funktioniert ja auch das Geschäftsmodell von grauzonigen Bands wie Freiwild.

Im Gegensatz zu Freiwild durften Kollegah und Farid Bang ihren Track tatsächlich nach der Verleihung noch performen. Was war da los?
Da saßen Musikmanager im Saal, die so etwas munter durchwinken. Zudem fehlt vielleicht noch ein Sprachgebrauch, um hier Widerstand zu zeigen – eine klare Kante gegen Nazis hat es schon immer gegeben, da steht die Gegenbewegung, da funktioniert die Mechanik des Protestes. „Kein Bock auf Nazis!“ – klar. „Kein Bock auf alltagsfaschistischen Battle-Rap!“, das geht einem noch nicht so locker über die Zunge.

Eine verworrene Situation.
Ja, und unglaublich ärgerlich, weil sowohl die AfD als auch populistische Musikgenres Dinge wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und Homophobie in die Gesellschaft tragen. Dinge, die wir längst für überwunden hielten. Wir dachten: Geil, jetzt ist Menschenwürde zeitgemäß – doch jetzt kommen diese Leute von verschiedenen Seiten und kotzen uns auf die Tanzfläche. Das ist in der heutigen Zeit nicht mehr hinnehmbar. Weder bei Rechtspopulisten noch bei populistischer Musik.

Was können Bands wie die Donots tun, um diesen Punkt noch deutlicher zu machen?
Wir können ein Interview geben, wie ich es gerade tue – sprich: Wir enttarnen das Spielchen, das da gespielt wird, sagen: Scheiße bleibt Scheiße, die kannst du mit Gold einsprühen, die stinkt trotzdem. Heißt: Homophobie und Sexismus sind nicht hinnehmbar, auch wenn sie in Proll-Pose und mit fetten Beats dargeboten werden. Ich bin allerdings kein Teil der Battle-Rap-Szene, also kann ich nicht in die Szene gehen und dort meine Meinung sagen, das würde nichts bringen. Darum geht es am Ende auch nicht. Es geht darum, lieber positiv hinter guten HipHop-Acts wie der Antilopen Gang oder Waving The Guns zu stehen, die eine sinnvolle politische Arbeit innerhalb ihrer Szene übernehmen.

Das Interview stammt aus unserer aktuellen Printausgabe VISIONS 304.


Update: Weil vermehrt auf Ingos Dwarves-Bandshirt und den vermeintlichen Widerspruch zwischen „gegen Sexismus sein“ und „für die Dwarves sein“ hingewiesen wurde, haben wir noch mal bei ihm nachgefragt. Hier ist seine Antwort:

Ingo Knollmann: Bei Provokation und Moralverständnis hat natürlich jeder seine ganz eigene Schmerzgrenze, im Falle der Dwarves ist für mein Empfinden allerdings die von mir angesprochene absolute und ironische Überhöhung in Text und Gestus gegeben. Die Band überstilisiert sich selbst seit Ewigkeiten mit Nacktheit und Wrestlingmaske, Punk-Prolligkeit und Sex, Drugs & Rock’n’Roll Klischees auf der Bühne samt Textzeilen der Marke „To save the ozone and the earth, and all the creatures sand and surf/ This world is full of things to do and yet it always comes back to:/ Let’s just get high and fuck some sluts.“

Ich finde, das kann man beim besten Willen nicht als ernst gemeint verstehen, und spätestens in Kombination mit der Vertonung zwinkert so ein Song gleich mehrfach mit allen Augen. Das Gesamtkonzept der Band mag vielen Leuten trotzdem sauer aufstoßen, aber ich habe die Dwarves bei (u.a. gemeinsamen) Shows und auch privat erleben dürfen, und da sind sie mir definitiv nicht als homophob oder sexistisch vorgekommen. Im Gegenteil: Blag Dahlia und die Jungs waren stets super nett, clever und aufgeschlossen. Zuletzt hab ich die Dwarves im Kölner Underground live gesehen, und da hat sich die Band und allen voran Nick Olivieri unglaublich hilfsbereit um die Sängerin der Vorband Svetlanas gekümmert, als diese sich auf der Bühne verletzt hat während ihrer Show. Da waren sie vorbildliche Kollegen und haben sie rausgetragen zwecks ärztlicher Versorgung.

Ich kann hier natürlich nur von meinen eigenen Erfahrungen aus urteilen und bin nebenher bemerkt natürlich – wie jeder Mensch – auch nicht frei von Fehlern, aber ich meine zumindest, dass mein Shit Detector eigentlich ganz gut geeicht ist und ich für mich einen ganz guten Modus gefunden habe, friedvoll und gleichwohl kritisch durchs Leben zu gehen. Dass die Songs der Dwarves darüber hinaus großartig sind, erwähne ich hier als Fan nur noch der Vollständigkeit halber… Sollte jemand andere Erfahrungen mit der Band gemacht haben, so habe ich dafür natürlich alle offenen Ohren der Welt.

Vielen Dank und viele Grüße!
Euer Ingo Donot

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