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Nothing - Tourtagebuch China Teil 3

Nothing – Tourtagebuch China Teil 3
Nothing aus Berlin touren eine Woche lang durch China. Was die kleinen Punks im großen Land erleben, erzählen sie bei uns.

Tag 7 / Zugfahrt nach Wuhan

13.30: Schon wieder um 7 aus dem Hotel raus, wieder gefühlte 2 Stunden für den Bahnticket-Kauf gebraucht und wieder seit ein paar Stunden im diesmal nicht komplett ausgebuchten Zug. Landschaftlich wieder äußerst attraktiv mit grünen Bergen, Flüssen, Reisfeldern, auf denen vereinzelt ein paar Wasserbüffel stehen, alten, kleinen Häuschen und vor allem kaum Menschen. Gerade im Vergleich zu den völlig überfüllten Megastädten, in denen wir die Konzerte spielen, wirkt dies paradiesisch.

Das Konzert gestern in Ghuangzhou war irgendwie speziell. Zwar kaum Publikum und die, die da waren, extrem jung, aber irgendwie wirkte es so, dass den Kids genau dieses Konzert mehr bedeutet. Schwer zu beschreiben, aber halt irgendwie nicht abgeklärt und voll „Potenzial“. Schon irre, dass auch in dieser 13-Millionen-Stadt keinerlei „Alternativ-Szene“ existiert, sondern wirklich nur eine Handvoll Kids, die Bock auf „harte Musik“ hat. Vielleicht konnten wir bei der Einen oder dem Anderen vermitteln, dass Hardcore und Punk noch viel mehr zu bieten hat als nur Musik und vielleicht entwickelt sich in China ja auch bald eine entsprechende Szene.

Paul führte uns gestern noch in den besten Imbiss mit gefüllten Reismehl-Nudel-„Pfannkuchen“, einer lokalen Spezialität.
An was wir uns hier immer noch gewöhnen müssen ist der Umgang der Menschen untereinander. Schon alles sehr ruppig, alle immer am Drängeln, aber niemanden außer uns scheint das zu stören. Es wirkt aus unserer Sicht wirklich so, dass hier sich jeder erstmal selbst der nächste ist und es ist nicht immer leicht, das nicht abzuwerten… Das christlich-abendländische Konzept von „Nächstenliebe“ existiert in China logischerweise nicht. Anstrengend ist für uns auch, dass Chinesen gern laut reden, besonders am Telefon und im Zug, wie der Anzug-Typ gegenüber gerade. Da kann man sich fast wieder auf die ruhige Kleinstadt Berlin freuen…

Tag 8 / 7Livehouse in Zhengzhou

20.30: Das Konzert gestern war der 8. Geburtstag des VOX-Club und endlich spielen mal wieder ein paar andere Bands und das auch noch vor fast ausverkauftem Haus. Den Anfang machte eine Hardrock-Coverband im Glamrock-Outfit, die neben Scorpions und AC/DC plötzlich auch Cock Sparrer spielte. Wir wunderten und freuten uns. Danach eine offenbar recht angesagte „NuMetal“-Band, die uns aber nicht so zusagte. Dann noch eine Streetpunk-Band, die Rancid coverte und eine PowerPop/Punk-Band und eine Verlosungs-Aktion. Dann Auftritt der Deutschen und die Leute hatten irgendwie schon Bock, sangen nach Aufforderung brav mit, moshten sogar etwas und reckten eifrig die Hand zum internationalen Metal-Gruß… Außerdem gab es noch einen händchenhaltenden Ringelpietz-Circle-Pit. Aber als wir dann fertig waren und gedacht haben, dass zumindest eine Person „Encore“ ruft, blieb es still. Ganz seltsam, aber wir hatten Spaß. Und da es in Wuhan auch so etwas wie „Szene“ gibt, hingen wir davor und danach noch mit Maidean, dem anderen Gitarristen von Fangzui Xiangfa, seinem Besuch Tina aus Slovenien, Mario von Run Time Error aus Dresden, seiner Frau und ihrer Cousine ab. Nette Crew.

Wuhan gefiel uns ohnehin sehr gut, weil es im positiven Sinne viel unmoderner als die beiden Städte davor war. Nachmittags hatten wir noch Zeit, durch die Gegend zu marschieren. Die Straßen voll mit mobilen Essenständen, die von Ananas am Spieß über frische Soja-Milch bis zu frittierten Enten-Köpfen so ziemlich alles boten. Hier waren wir wieder eher auffällig, was unter anderem dazu führte, dass die Drag-Queen, die zu einer Apotheken-Eröffnung sang, uns in ihren Song einbaute, küsste und die anwesenden Chinesen dazu brachte, uns auszulachen. Fanden wir gut.



Tag 9 / Schnellzug nach Beijing

13.30: Man könnte meinen, dass uns der Zug von Wuhan nach Zhengzhou gestern nicht nur ein paar hundert Kilometer weiter nördlich transportiert hat, sondern in eine andere Welt. Zhengzhou präsentierte sich bei der Ankunft auf dem völlig überdimensionierten, aber ausnahmsweise menschenleeren Bahnhof noch wie eine chinesische Version von Karl-Marx-Stadt, aber als wir nach dem Lunch ein paar Stunden Zeit hatten, um durch die Stadt zu spazieren, zeigte sich der ganze Wahnsinn. Im Nachhinein können wir uns eigentlich nur erklären, dass die komplette Stadt auf LSD war. Im Volkspark, einer Mischung aus Park und Rummel, waren wir vier „Langnasen“ neben Riesenrad, Autoscooter und Bungee-Jump eine Riesen-Attraktion. Zum ersten Mal auf der Tour werden wir nicht nur angestarrt, sondern auch ständig angesprochen und fotografiert. Dabei sind die Blicke der Leute, die offenbar sehr selten Nicht-Chinesen sehen, irgendwo zwischen Schock und Neugier. Im Park tummeln sich außerdem diverse Musiker, von denen uns ein Blas-Quartett aus zwei Saxophonen und zwei Trompeten besonders gefiel. Jeder der vier spielte in extremer Lautstärke einfach so vor sich hin. Wir hielten das anfangs für Warmspielen, es blieb aber dabei. Außerdem gab es noch Zauberer, alte Chinesen, die mit riesigen Pinseln und Wasser Schriftzeichen auf den Asphalt brachten und mehrere alte Frauen, die wie in Trance zum Gesang von Passanten tanzten und dabei von mehreren hundert Menschen beobachtet wurden.

Ein großes Hobby der Zhengzhouer ist auch das öffentlich Bemalen kleiner, kitschiger Gipsfiguren. Offenbar suchen sich gerade junge Pärchen gern eins der absurd häßlichen Dinger aus und bemalen das dann im Park gemeinsam. Zu Hunderten saßen die so auf viel zu kleinen Bänkchen.
Da Samstag war schien ohnehin die ganze Stadt auf den Beinen zu sein und die gesamten Straßen waren gesäumt mit kleinen Verkaufsständen. An einer Straßenkreuzung gab es dann noch einen Breakdance-Wettbewerb, der auch von Hunderten von Menschen angeschaut wurde, wobei uns hier nochmal bewusst wurde, dass Applaus in China nicht so angesagt ist. Die Darbietungen der Tänzer wurden nur von sehr wenigen und auch nur sehr kurz beklatscht, was das Ganze zu einer echt seltsamen Veranstaltung machte. Direkt nebenan gab es noch einen Promotionstand einer Tee-Firma, wo man sich vor verschiedenen Hintergründen fotografieren lassen konnte. Aus unerklärlichen Gründen stand an einem Stand auch ein komplettes Schlagzeug und als Ronny dann noch Sticks auftreiben konnte, hat er natürlich ein paar Takte gespielt und danach noch ein paar Kindern etwas Schlagzeugspielen gezeigt. Das Ganze wurde dutzendfach von Passanten auf Video aufgenommen und es würde uns nicht wundern, wenn die Resultate ein Hit auf Youku, der chinesischen Version von YouTube, werden.

Ebenso crazy war unser Auftritt im 7Livehouse, einer Halle in die locker 700 bis 800 Leute reingepasst hätten. Wie zu Erwarten kamen zu uns als einziger Band etwa 20 Leute, die zumindest wenn unsere Vorurteile stimmen, mit Hardcore/Punk normalerweise nicht so viel zu tun haben. Immerhin lassen sich alle brav vor die Bühne bitten und singen auch mit, als wir sie drum bitten, sind aber sonst total eingeschüchtert. Mal sehen, ob unserer Aufforderung, dass die Leute eigene Punk-Bands gründen sollen, nachgekommen wird. Nach dem Konzert bleiben wir auf Cola und chinesischen Schnaps an der Bar. Allein mit der Livehouse-Crew, denn „unser“ Publikum hat den Laden sofort nach unserem Auftritt verlassen. Uns wundert in Zhengzhou aber inzwischen gar nichts mehr.

Tag 10 / Beijing International Airport

02.30: Die letzten Stunden in China verbringen wir wartend am Flughafen. Neben der dreistündigen Zugfahrt verbrachten wir die Zeit bis zum Konzert im School Club noch mit Essen im vegetarischen Restaurant beim buddhistischen Tempel und Spaziergängen durch das alte Hutong-Viertel der Stadt, das aus kleinen Häusern in engen verwinkelten Gässchen besteht. Das letzte Konzert war super und ein bißchen wie wieder Zuhause sein, weil neben Nevin noch einige andere neue Kumpel vom ersten Beijing-Konzert vorbeikommen. Und endlich auch mal wieder eine zweite Band: Dr. Lin and the Human Centipede. Cooler Hardcore von supernetten Typen!
Bei unserem Auftritt ist Bombenstimmung und für einen Teil von uns war da fast das beste Nothing-Konzert ever!
Danke Beijing!

Nun also back to Germany, zurück in den Schnee und zurück in eine Kultur, die wir zumindest so halbwegs verstehen. China ist nach einer Woche nach wie vor nicht wirklich nachvollziehbar. Hier läuft deutlich mehr anders als wir uns vorgestellt hatten. Die Mischung aus extremen Wirtschaftswachstum und einer irgendwie total rücksichtslosen Kultur ist nicht wirklich sichtbar, aber wenn man sich etwas mit Chinas älterer und neuerer Geschichte und Kultur auseinandersetzt, wird einem doch einiges klarer, wenn auch nicht verständlicher.
Ein paar letzte Worte noch zu einem chinesischen Phänomen, das wir nur anfangs kurz erwähnt haben. Fast alle Chinesen, die mit Ausländern zu tun haben, geben sich ja „english names“ und im Laufe der Tour sind uns da ein paar schöne begegnet bzw. aus 1. Hand erzählt worden: da ist zum Beispiel unser neuer Kumpel Radiohead aus Changsha, die Kolleginnen Apple und Gaga von Jan aus Shanghai, sein Manager Flower, Bus-Mitfahrer Hawaii und natürlich die Schüler von den Amis aus Shenzhen mit Namen Harry Potter und Killer.
Wir sind jetzt auf jeden Fall China-Fans. Irgendwie.